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VwGH 11.03.2021, Ra 2019/13/0111

VwGH 11.03.2021, Ra 2019/13/0111

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
BAO §292
VwGG §30 Abs2
RS 1
Nichtstattgebung - Zurückweisung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe - Bei einer zurückweisenden Entscheidung hängt die "Vollzugstauglichkeit" davon ab, ob damit Wirkungen verbunden sind, die durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung überhaupt in Schwebe gehalten werden können (vgl. , mwN). Diese Voraussetzung kann etwa im Falle einer Beschwerdezurückweisung vorliegen, wenn der vom Revisionswerber mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht bekämpfte Bescheid einem Vollzug im Sinne des § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG zugänglich ist (vgl. , mwN). Vollzugstauglichkeit fehlt bei der Zurückweisung von Ansuchen hingegen dann, wenn an die Anhängigkeit des Verfahrens über den Antrag keine für den Antragsteller günstigen Rechtsfolgen geknüpft sind (vgl. , mwN).
Normen
BAO §292
VwGG §30 Abs2
RS 2
Nichtstattgebung - Zurückweisung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe - Im vorliegenden Fall kommt es für die Revisionswerberin zu keinem Rechtsverlust, weil das Bundesfinanzgericht selbst über den Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe entschieden hat und die Zurückweisung des Antrags Gegenstand des Revisionsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof ist. Die bei Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bewirkte Herstellung des Rechtszustandes vor Erlassung des angefochtenen Beschlusses hätte lediglich zur Folge, dass der Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung der Verfahrenshilfe wieder unerledigt wäre (vgl. ; , Ra 2019/03/0143).

Dass an der bloßen Anhängigkeit des Verfahrens über die Gewährung von Verfahrenshilfe (vor dem Bundesfinanzgericht) für die Revisionswerberin günstige Rechtsfolgen hingen, ist im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Dies umso mehr, als eine Aussetzung der Rechtswirkungen der Zurückweisung - entgegen den Ausführungen im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung - nicht die vorläufige Gewährung der Verfahrenshilfe (als einstweiliger Rechtsschutz für die Dauer des Revisionsverfahrens) bewirken kann. Der angefochtene Beschluss ist somit einem Vollzug in Sinn des § 30 Abs. 2 VwGG nicht zugänglich.
Normen
RS 1
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt - ausgehend vom Erkenntnis eines verstärkten Senates ( 898/75, VwSlg 9315 A/1977) - in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass das Verwaltungsgericht (früher die Rechtsmittelbehörde) im Allgemeinen das zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses bzw. Beschlusses geltende Recht anzuwenden hat (vgl. ; , Ra 2019/08/0051; , Ra 2016/18/0381 bis 0383; , Ro 2014/09/0066, VwSlg 19083 A/2015, jeweils mwN). Eine andere Betrachtungsweise wäre nur dann geboten, wenn der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, dass auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden ist, oder wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens gewesen ist (vgl. ; , 90/08/0177, VwSlg. 13384 A/1991). Welche Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt heranzuziehen ist, muss daher durch Auslegung der betreffenden Verwaltungsvorschriften ermittelt werden (vgl. ; VwGH [verstärkter Senat] , 82/11/0270, VwSlg 11237 A/1983). Dieser allgemeine Grundsatz ist im Bereich des Abgabenrechts dahingehend zu präzisieren, dass aufgrund der Zeitbezogenheit der Abgaben die materiell-rechtlichen Bestimmungen anzuwenden sind, die im Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches in Kraft gestanden sind (vgl. ; , 2000/15/0101, jeweils mwN; dies gilt ebenso für die Ermittlung der Beitragsgrundlagen in der Sozialversicherung, vgl. ), während verfahrensrechtliche Bestimmungen (Normen des Verfahrensrechts) im Allgemeinen ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens auch auf Sachverhalte bzw. Rechtsvorgänge anzuwenden sind, die sich davor ereignet haben (vgl. ; , Ra 2019/13/0067, jeweils mwN; vgl. auch Stoll, BAO-Kommentar, 62; Mairinger/Twardosz, ÖStZ 2007, 16 [17]).
Normen
BAO §292
BAO §50 idF 2010/I/009
BAO §53
BAO §85
VwRallg
RS 2
Anbringen, die Angelegenheiten betreffen, deren Besorgung keiner Behörde oder keinem VwG übertragen wurden, sind etwa aufgrund mangelnder gesetzlich eingeräumter Parteistellung, zurückzuweisen (vgl. 3303, 3304/78; , 97/19/1523, VwSlg 14970 A/1998; , Ro 2015/10/0003). Dementsprechend wäre ein Antrag auf Verfahrenshilfe bei (jeglichem) Fehlen von Rechtsnormen, die für das betroffene Verfahren ein derartiges Rechtsinstrument vorsehen, zurückzuweisen. Hätte daher im vorliegenden Fall das Bundesfinanzgericht vor Inkrafttreten der Verfahrensvorschrift des § 292 BAO über den Antrag abgesprochen, wäre dieser mangels Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes - grundsätzlich - zurückzuweisen gewesen.
Normen
RS 3
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH haben Behörden und VwG ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Dies bedeutet grundsätzlich, dass Änderungen der Zuständigkeitsvorschriften während des Verwaltungsverfahrens bis zur Erlassung des Bescheides oder Erkenntnisses bzw. Beschlusses, stets zu beachten sind. Sowohl für die Behörden als auch für die VwG (früher die Rechtsmittelbehörden) gilt, dass maßgebend für die Zuständigkeit zur Erlassung des jeweiligen Bescheides oder Erkenntnisses bzw. Beschlusses die im Zeitpunkt der Erlassung geltende Rechtslage ist. Im Fall einer Änderung der Sach- und Rechtslage im Laufe des Verfahrens, das heißt vor Erlassung des Bescheides oder Erkenntnisses bzw. Beschlusses, welche eine Änderung der Zuständigkeit bewirkt, ist das Verfahren von der nach der neuen Situation zuständigen Behörde bzw. dem nunmehr zuständigen VwG weiter zu führen, weil dem Verwaltungsverfahren eine "perpetuatio fori" fremd ist (vgl. jüngst ; , Ra 2014/03/0004, VwSlg 18884 A/2014; , 2002/14/0141, VwSlg 7788 F/2003, jeweils mwN).
Normen
BAO §292
EURallg
MRK Art6 Abs1
UStG 1994
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1
62010CJ0617 Aklagaren / Fransson VORAB
62013CJ0265 Torralbo Marcos VORAB
62013CJ0650 Delvigne VORAB
RS 4
Während Abgabenverfahren nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen (vgl. , 0020; , 2012/15/0167; , 2013/15/0291, 0292, VwSlg 8936 F/2014; , 2010/15/0196, VwSlg 8780 F/2013), sind gemäß Art. 51 Abs. 1 GRC "bei der Durchführung des Rechts der Union" die durch die Charta garantierten Grundrechte zu beachten; dies gilt in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben (vgl. , Delvigne, Rn. 26; , C-265/13, Torralbo Marcos, Rn. 29; , C-617/10, Åkerberg Fransson, Rn. 17 ff). Die Vollziehung von durch die Mitgliedstaaten in innerstaatliches Recht umgesetztem Richtlinienrecht gehört jedenfalls und ohne jeden Zweifel zum zentralen Teil des Anwendungsbereichs des Unionsrechts (vgl. , VwSlg 8780 F/2013). Umsatzsteuerverfahren fallen daher nach der Rechtsprechung des VwGH in den Anwendungsbereich des Unionsrechts (vgl. , 0022), womit für solche Abgabenverfahren auf die sich aus Art. 47 GRC ergebenden Verfahrensgarantien, wie etwa das Recht auf Prozesskostenhilfe, Bedacht zu nehmen ist.
Normen
BAO §292
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1
RS 5
Fehlen im Anwendungsbereich des Unionsrechts spezifische innerstaatliche, die Verfahrensgarantien der GRC umsetzende Normen, kann die Geltendmachung der durch die GRC garantierten Grundrechte unmittelbar auf Art. 47 GRC gestützt werden. Dies gilt insbesondere auch für den Anspruch auf Prozesskostenhilfe (vgl. ; Storr, in Fischer/Pabel/Raschauer, Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit [2014], Rz 27; N. Raschauer/Sander/Schlögl in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar [2014] Art. 47 Rz 59; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 292 Anm 1, mit Hinweis auf die Erläuterungen zum Bundesgesetz, mit dem § 8a VwGVG eingeführt wurde [BGBl. I Nr. 24/2017], ErlRV 1255 BlgNR 25. GP 5).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der Mag. N, vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, der gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. VH/7100010/2019, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO in einem Beschwerdeverfahren hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2009 bis 2014, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes wurde der Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung von Verfahrenshilfe zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

2 Die Antragstellerin führt dazu aus, Ziel des Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei die Gewährung der Verfahrenshilfe als einstweiliger Rechtsschutz für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

3 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG ist der Revision auf Antrag die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Auf die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sind diese Bestimmungen nach § 30 Abs. 5 VwGG sinngemäß anzuwenden.

4 Voraussetzung für die Stattgabe eines Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist zunächst, dass die bekämpfte Entscheidung einem - zumindest mittelbaren - „Vollzug“ zugänglich ist. Unter „Vollzug“ eines Erkenntnisses bzw. eines Beschlusses ist seine Umsetzung in die Wirklichkeit zu verstehen und zwar sowohl im Sinne der Herstellung der dem Entscheidungsinhalt entsprechenden materiellen Rechtslage als auch des dieser Rechtslage entsprechenden faktischen Zustandes. „Vollzugstauglichkeit“ liegt bereits dann vor, wenn die bekämpfte Entscheidung einen Rechtsverlust herbeizuführen vermag (vgl. ).

5 Bei einer zurückweisenden Entscheidung hängt die „Vollzugstauglichkeit“ in diesem Sinne davon ab, ob damit Wirkungen verbunden sind, die durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung überhaupt in Schwebe gehalten werden können (vgl. , mwN). Diese Voraussetzung kann etwa im Falle einer Beschwerdezurückweisung vorliegen, wenn der vom Revisionswerber mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht bekämpfte Bescheid einem Vollzug im Sinne des § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG zugänglich ist (vgl. , mwN).

6 Vollzugstauglichkeit fehlt bei der Zurückweisung von Ansuchen hingegen dann, wenn an die Anhängigkeit des Verfahrens über den Antrag (hier: der Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe) keine für den Antragsteller günstigen Rechtsfolgen geknüpft sind (vgl. , mwN).

7 Im vorliegenden Fall kommt es für die Revisionswerberin zu keinem Rechtsverlust, weil das Bundesfinanzgericht selbst über den Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe entschieden hat und die Zurückweisung des Antrags Gegenstand des Revisionsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof ist. Die bei Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bewirkte Herstellung des Rechtszustandes vor Erlassung des angefochtenen Beschlusses hätte lediglich zur Folge, dass der Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung der Verfahrenshilfe wieder unerledigt wäre (vgl. ; , Ra 2019/03/0143).

8 Dass an der bloßen Anhängigkeit des Verfahrens über die Gewährung von Verfahrenshilfe (vor dem Bundesfinanzgericht) für die Revisionswerberin günstige Rechtsfolgen hingen, ist im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Dies umso mehr, als eine Aussetzung der Rechtswirkungen der Zurückweisung - entgegen den Ausführungen im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung - nicht die vorläufige Gewährung der Verfahrenshilfe (als einstweiliger Rechtsschutz für die Dauer des Revisionsverfahrens) bewirken kann.

9 Der angefochtene Beschluss ist somit einem Vollzug in Sinn des § 30 Abs. 2 VwGG nicht zugänglich.

10 Dem vorliegenden Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung war daher nicht stattzugeben.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der Mag. B in W, vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. VH/7100010/2019, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO in einem Beschwerdeverfahren hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2009 bis 2014, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin erzielte in den Jahren 2009 bis 2014 Einnahmen aus der Vermietung mehrerer Wohnungen. Das Finanzamt stufte die Vermietungstätigkeit als steuerlich unbeachtliche Liebhaberei ein und erließ nach Wiederaufnahme der - zunächst mit erklärungsgemäß ergangenen Bescheiden abgeschlossenen - Einkommen- und Umsatzsteuerverfahren für die genannten Jahre am 14. Oktober und geänderte Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide, in denen aus der Vermietung resultierende Werbungskostenüberschüsse sowie damit zusammenhängende Vorsteuern nicht berücksichtigt wurden.

2 Die Revisionswerberin erhob am 10. November und Beschwerden gegen die Wiederaufnahme- und Sachbescheide und stellte zugleich - ohne eine gesetzliche Bestimmung anzuführen - Anträge auf Gewährung der Verfahrenshilfe.

3 Mit dem hier angefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht die Anträge der Revisionswerberin auf Gewährung der Verfahrenshilfe - die vom Bundesfinanzgericht als Anträge gemäß § 292 BAO gewertet wurden - zurück. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Das Bundesfinanzgericht führte im Wesentlichen aus, Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO kämen erst ab dem - dem Tag des Inkrafttretens dieser Bestimmung - in Betracht, dies allerdings auch für bereits anhängige Beschwerdeverfahren. Zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die Revisionswerberin - am 10. November bzw.  und damit vor Inkrafttreten der genannten Bestimmung - seien Anträge gemäß § 292 BAO somit „mangels gesetzlicher Grundlage“ nicht zulässig gewesen. Die Anträge seien daher auch einer Behebung von Mängeln nicht zugänglich und somit zurückzuweisen. Ergänzend wies das Bundesfinanzgericht darauf hin, dass es der Revisionswerberin freistehe, einen neuerlichen Antrag zu stellen, der jedoch wegen Nichterfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen - insbesondere das Fehlen einer Rechtsfrage, die besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweise - voraussichtlich abzuweisen sein werde.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung - in der es keinen Kostenersatz begehrte - erstattet hat, erwogen:

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Zur Zulässigkeit der Revision wird unter anderem - auf das Wesentliche zusammengefasst - geltend gemacht, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum zeitlichen Anwendungsbereich der die Verfahrenshilfe regelnden Bestimmung des § 292 BAO, zudem weiche das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Unionsrecht (insbesondere der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - GRC) bei Fehlen entsprechender innerstaatlicher Bestimmungen ab.

10 Damit erweist sich die Revision insgesamt als zulässig. Sie ist auch begründet.

11 Zur Frage der (zeitlichen) Anwendbarkeit von Rechtsnormen wird einleitend festgehalten, dass der Verwaltungsgerichtshof - ausgehend vom Erkenntnis eines verstärkten Senates ( 898/75, VwSlg. 9315/A) - in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertritt, dass das Verwaltungsgericht (früher die Rechtsmittelbehörde) im Allgemeinen das zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses bzw. Beschlusses geltende Recht anzuwenden hat (vgl. ; , Ra 2019/08/0051; , Ra 2016/18/0381 bis 0383; , Ro 2014/09/0066, VwSlg. 19083/A, jeweils mwN). Eine andere Betrachtungsweise wäre nur dann geboten, wenn der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, dass auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden ist, oder wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens gewesen ist (vgl. ; , 90/08/0177, VwSlg. 13384/A). Welche Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt heranzuziehen ist, muss daher durch Auslegung der betreffenden Verwaltungsvorschriften ermittelt werden (vgl. ; VwGH [verstärkter Senat] , 82/11/0270, VwSlg. 11237/A).

12 Dieser allgemeine Grundsatz ist im Bereich des Abgabenrechts dahingehend zu präzisieren, dass aufgrund der Zeitbezogenheit der Abgaben die materiell-rechtlichen Bestimmungen anzuwenden sind, die im Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches in Kraft gestanden sind (vgl. ; , 2000/15/0101, jeweils mwN; dies gilt ebenso für die Ermittlung der Beitragsgrundlagen in der Sozialversicherung, vgl. ), während verfahrensrechtliche Bestimmungen (Normen des Verfahrensrechts) im Allgemeinen ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens auch auf Sachverhalte bzw. Rechtsvorgänge anzuwenden sind, die sich davor ereignet haben (vgl. ; , Ra 2019/13/0067, jeweils mwN; vgl. auch Stoll, BAO-Kommentar, 62; Mairinger/Twardosz, ÖStZ 2007, 16 [17]).

13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Anbringen, die Angelegenheiten betreffen, deren Besorgung keiner Behörde oder keinem Verwaltungsgericht übertragen wurden, etwa aufgrund mangelnder gesetzlich eingeräumter Parteistellung, zurückzuweisen (vgl.  3303, 3304/78; , 97/19/1523, VwSlg. 14970/A; , Ro 2015/10/0003). Dementsprechend wäre ein Antrag auf Verfahrenshilfe bei (jeglichem) Fehlen von Rechtsnormen, die für das betroffene Verfahren ein derartiges Rechtsinstrument vorsehen, zurückzuweisen. Hätte daher im vorliegenden Fall das Bundesfinanzgericht vor Inkrafttreten der Verfahrensvorschrift des § 292 BAO über den Antrag abgesprochen, wäre dieser mangels Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes - grundsätzlich (zum Anspruch auf Gewährung von Verfahrenshilfe in unmittelbarer Anwendung des Art. 47 GRC siehe unten) - zurückzuweisen gewesen.

14 Im vorliegenden Fall war allerdings die Verfahrensvorschrift des § 292 BAO zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht bereits in Kraft getreten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben Behörden und Verwaltungsgerichte ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Dies bedeutet grundsätzlich, dass Änderungen der Zuständigkeitsvorschriften während des Verwaltungsverfahrens bis zur Erlassung des Bescheides oder Erkenntnisses bzw. Beschlusses, stets zu beachten sind. Sowohl für die Behörden als auch für die Verwaltungsgerichte (früher die Rechtsmittelbehörden) gilt, dass maßgebend für die Zuständigkeit zur Erlassung des jeweiligen Bescheides oder Erkenntnisses bzw. Beschlusses die im Zeitpunkt der Erlassung geltende Rechtslage ist. Im Fall einer Änderung der Sach- und Rechtslage im Laufe des Verfahrens, das heißt vor Erlassung des Bescheides oder Erkenntnisses bzw. Beschlusses, welche eine Änderung der Zuständigkeit bewirkt, ist das Verfahren von der nach der neuen Situation zuständigen Behörde bzw. dem nunmehr zuständigen Verwaltungsgericht weiter zu führen, weil dem Verwaltungsverfahren eine „perpetuatio fori“ fremd ist (vgl. jüngst ; , Ra 2014/03/0004, VwSlg. 18884/A; , 2002/14/0141, VwSlg. 7788/F, jeweils mwN).

15 Die Zurückweisung des Antrags auf Gewährung von Verfahrenshilfe war daher aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen - mit Inkrafttreten des § 292 BAO am begründeten - Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes, darüber abzusprechen, unzulässig.

16 Der angefochtene Beschluss war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 Im Übrigen ist die Revisionswerberin auch mit dem Vorbringen, der Anspruch auf Verfahrenshilfe ergebe sich jedenfalls, somit auch bei Fehlen einer „innerstaatlichen Rechtsgrundlage“ und damit unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des § 292 BAO, unmittelbar aus Art. 47 GRC, teilweise - hinsichtlich der Umsatzsteuer - im Recht.

18 Während Abgabenverfahren - wie in der Revision zutreffend ausgeführt - nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen (vgl. , 0020; , 2012/15/0167; , 2013/15/0291, 0292, VwSlg. 8936/F; , 2010/15/0196, VwSlg. 8780/F), sind gemäß Art. 51 Abs. 1 GRC „bei der Durchführung des Rechts der Union“ die durch die Charta garantierten Grundrechte zu beachten; dies gilt in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben (vgl. , Delvigne, Rn. 26; , C-265/13, Torralbo Marcos, Rn. 29; , C-617/10, Åkerberg Fransson, Rn. 17 ff). Die Vollziehung von durch die Mitgliedstaaten in innerstaatliches Recht umgesetztem Richtlinienrecht gehört jedenfalls und ohne jeden Zweifel zum zentralen Teil des Anwendungsbereichs des Unionsrechts (vgl. , VwSlg. 8780/F). Umsatzsteuerverfahren - wie im gegenständlichen Revisionsfall - fallen daher nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes in den Anwendungsbereich des Unionsrechts (vgl. , 0022), womit für solche Abgabenverfahren auf die sich aus Art. 47 GRC ergebenden Verfahrensgarantien, wie etwa das Recht auf Prozesskostenhilfe, Bedacht zu nehmen ist.

19 Fehlen im Anwendungsbereich des Unionsrechts spezifische innerstaatliche, die Verfahrensgarantien der GRC umsetzende Normen, kann die Geltendmachung der durch die GRC garantierten Grundrechte unmittelbar auf Art. 47 GRC gestützt werden. Dies gilt insbesondere auch für den Anspruch auf Prozesskostenhilfe (vgl. ; Storr, in Fischer/Pabel/Raschauer, Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit [2014], Rz 27; N. Raschauer/Sander/Schlögl in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar [2014] Art. 47 Rz 59; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 292 Anm 1, mit Hinweis auf die Erläuterungen zum Bundesgesetz, mit dem § 8a VwGVG eingeführt wurde [BGBl. I Nr. 24/2017], ErlRV 1255 BlgNR 25. GP 5).

20 Indem das Bundesfinanzgericht den Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung von Verfahrenshilfe im Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer zurückgewiesen hat, ohne inhaltlich - und nach Feststellung der dazu erforderlichen Tatsachen - zu prüfen, ob in unmittelbarer Anwendung des Art. 47 GRC Verfahrenshilfe („Prozesskostenhilfe“) zu gewähren ist, hat es den angefochtenen Beschluss auch insofern mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

21 Von der in der Revision beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

22 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Normen
BAO §292
VwGG §30 Abs2
Schlagworte
Vollzug
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019130111.L00
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Fundstelle(n):
OAAAF-45120