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VwGH 14.09.2021, Ra 2019/07/0067

VwGH 14.09.2021, Ra 2019/07/0067

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §35
B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs4
RS 1
Bei der Verhängung einer Mutwillensstrafe handelt es sich um keine Verwaltungsstrafsache im Sinne des § 25a Abs. 4 VwGG (vgl. schon 439/29, VwSlg. 15960 A, ebenso , 95/19/1705, oder , 97/19/0022).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2017/20/0347 B RS 1
Normen
RS 2
Die Verhängung einer Mutwillensstrafe durch ein VwG erfolgt durch Beschluss.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/19/0466 E RS 4
Normen
AVG §35
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
RS 3
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt mutwillig, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet, sowie wer aus Freude an der Behelligung der Behörde handelt. Darüber hinaus verlangt das Gesetz aber noch, dass der Mutwille offenbar ist; dies ist dann anzunehmen, wenn die wider besseres Wissen erfolgte Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen geschieht, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann erkennbar ist. Mit der in § 35 AVG vorgesehenen Mutwillensstrafe kann geahndet werden, wer "in welcher Weise immer" die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nimmt (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 35, Rz. 2 f, zitierten Nachweise aus der hg. Rechtsprechung).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2011/01/0271 E VwSlg 18337 A/2012 RS 2
Normen
AVG §35
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
RS 4
Mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Rechtsschutzeinrichtungen ist mit äußerster Vorsicht umzugehen. Ein derartiger Vorwurf ist nur dann am Platz, wenn für das Verhalten einer Partei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine andere Erklärung bleibt; die Verhängung einer Mutwillensstrafe kommt demnach lediglich im "Ausnahmefall" in Betracht (vgl. und VwSlg. 18.337 A/2012).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/19/0466 E RS 6

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler, Mag. Haunold, Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Ing. S N in D, vertreten durch Mag. Gerd Egner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 11/IV, gegen Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 40.28-704/2019-2, betreffend die Verhängung einer Mutwillensstrafe in einer Angelegenheit der Bodenreform (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Agrarbezirksbehörde für Steiermark), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber beantragte mit einer an die belangte Behörde gerichteten Eingabe vom unter Bezugnahme auf § 69 AVG die Wiederaufnahme eines Verfahrens, in dem die Behörde einen Regulierungsplan nach § 37 Steiermärkisches Agrargemeinschaftengesetz 1985 für eine Agrargemeinschaft erlassen hatte. Parallel dazu stellte der Revisionswerber, bezogen auf das gleiche Regulierungsverfahren, auch einen Wiederaufnahmeantrag an das Verwaltungsgericht, der auf § 32 VwGVG gestützt wurde.

2 Den erstgenannten Antrag wies die belangte Behörde mit Bescheid vom  gemäß § 69 AVG als unbegründet ab, wogegen der Revisionswerber Beschwerde erhob.

3 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom wurde dieser Beschwerde stattgegeben und der Bescheid vom „ersatzlos behoben“. Dies wurde damit begründet, dass es sich beim Regulierungsverfahren um ein durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichts abgeschlossenes Verfahren im Sinne des § 32 Abs. 1 VwGVG handle. Für die Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme eines solchen Verfahrens sei das Verwaltungsgericht und nicht die Behörde zuständig. Die belangte Behörde habe daher eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr von Gesetzes wegen nicht zukomme. Damit sei der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben. Die belangte Behörde werde in der Folge den verfahrensgegenständlichen Antrag mangels Zuständigkeit zurückzuweisen haben.

4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis eine außerordentliche Revision, die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2019/07/0010, zurückgewiesen wurde. Darin führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes mit der eindeutigen Rechtslage in Übereinstimmung stehe, sodass in der Revision keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgeworfen worden seien.

5 Noch bevor diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes erging, wies die belangte Behörde mit Bescheid vom den Wiederaufnahmeantrag vom in einem zweiten Rechtsgang - in Übernahme der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes aus dem Erkenntnis vom  - wegen Unzuständigkeit zurück.

6 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber am - sohin ebenfalls vor Ergehen des oben angeführten Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom  - Beschwerde an das Verwaltungsgericht.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Verwaltungsgericht diese Beschwerde in Spruchpunkt I. als unbegründet ab und begründete dies damit, dass es die Frage der Zuständigkeit bereits im Erkenntnis vom rechtsverbindlich entschieden habe und der angefochtene Bescheid damit in Einklang stehe.

8 Mit Spruchpunkt II. verhängte das Verwaltungsgericht über den Revisionswerber gemäß § 35 AVG iVm § 17 VwGVG eine Mutwillensstrafe von € 300,--.

9 Die Verhängung der Mutwillensstrafe begründete das Verwaltungsgericht lediglich damit, dass die mutwillige Inanspruchnahme (rechtsmissbräuchliche Behelligung) des Verwaltungsgerichtes offenbar sei, weil diese wider besseren Wissens unter solchen Umständen erfolgt sei, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann offenbar sei.

10 Eine ordentliche Revision gegen das Erkenntnis erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

11 Ausschließlich gegen die Verhängung der Mutwillensstrafe (Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses) richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zu deren Zulässigkeit wird darin vorgebracht, entgegen der Beurteilung des Verwaltungsgerichtes sei seine Befassung nicht für jeden erkennbar aussichtslos erfolgt. Vielmehr habe sich die belangte Behörde zunächst selbst für zuständig erachtet. Die bestehende Rechtsunsicherheit für den Revisionswerber habe durch eine (damals noch ausstehende) höchstgerichtliche Entscheidung geklärt werden müssen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche daher von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Verständnis des § 35 AVG ab.

12 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung, auf welche der Revisionswerber mit zwei Schriftsätzen replizierte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 Die Revision ist aus dem von ihr genannten Grund zulässig und auch begründet.

14 Vorauszuschicken ist, dass die Revision nicht im Grunde des § 25a Abs. 4 VwGG absolut unzulässig ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Verhängung einer Mutwillensstrafe nämlich um keine Angelegenheit des Verwaltungsstrafrechts (vgl. , mwN).

15 Gemäß § 35 AVG kann die Behörde gegen Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung der Angelegenheit unrichtige Angaben machen, eine Mutwillensstrafe bis € 726 verhängen. Gemäß § 17 VwGVG ist diese Bestimmung auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anwendbar. Die Verhängung einer Mutwillensstrafe durch ein Verwaltungsgericht erfolgt (richtigerweise) durch Beschluss.

16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt mutwillig in diesem Sinn, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet, sowie wer aus Freude an der Behelligung der Behörde handelt. Darüber hinaus verlangt das Gesetz aber noch, dass der Mutwille offenbar ist; dies ist dann anzunehmen, wenn die wider besseres Wissen erfolgte Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen geschieht, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann erkennbar ist. Mit der in § 35 AVG vorgesehenen Mutwillensstrafe kann geahndet werden, wer „in welcher Weise immer“ die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nimmt (vgl. zu alldem erneut , mwN).

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom , 98/10/0183, zu § 35 AVG ausgesprochen, dass mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Rechtsschutzeinrichtungen mit äußerster Vorsicht umzugehen und ein derartiger Vorwurf nur dann am Platz ist, wenn für das Verhalten einer Partei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine andere Erklärung bleibt; die Verhängung einer Mutwillensstrafe komme demnach lediglich im „Ausnahmefall“ in Betracht (vgl. dazu aus der jüngeren Rechtsprechung ).

18 Ein solcher, die Verhängung einer Mutwillensstrafe rechtfertigender Ausnahmefall ist für den Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Der Revisionswerber versuchte, mit seiner Beschwerde eine Zuständigkeit der belangten Behörde geltend zu machen, welche diese zunächst (im ersten Rechtsgang) auch selbst noch angenommen hatte. Es trifft zwar zu, dass das Verwaltungsgericht diese Frage in seinem Erkenntnis vom im Sinne der Unzuständigkeit der Behörde geklärt hatte und der sodann ergangene und bekämpfte Bescheid der Behörde damit in Einklang stand. Zum Zeitpunkt der fraglichen Beschwerdeerhebung war jedoch über die außerordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis, womit der Revisionswerber eine höchstgerichtliche Klärung der Zuständigkeitsfrage anstrebte, noch nicht entschieden worden. In dieser konkreten Situation war noch nicht von einer „wider besseres Wissen“ erfolgten Beschwerdeerhebung auszugehen, deren Aussichtslosigkeit für jedermann erkennbar gewesen wäre.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang des Spruchpunktes II., also soweit damit gegen den Revisionswerber eine Mutwillensstrafe verhängt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

20 Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil nach den eingebrachten Schriftsätzen die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und die Angelegenheit auch nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts oder von Art. 6 EMRK fällt (vgl. zu Mutwillensstrafen nach dem Gerichtlichen Einbringungsgesetz: , 0174, mwN), sodass einem Entfall der Verhandlung schon deshalb weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Normen
AVG §35
B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs4
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §31
Schlagworte
Allgemein
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019070067.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAF-45084