VwGH 03.10.2022, Ra 2019/06/0018
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | VwGG §46 Abs1 |
RS 1 | Im Zusammenhang mit dem "Überdrehen" eines Posteingangsstempels hat der VwGH bereits auf die den Rechtsanwalt treffende besondere Überwachungspflicht hinsichtlich der Führung des Fristenvormerks hingewiesen (vgl. ; vgl. in diesem Sinne auch ). Zudem verstößt ein Vertreter auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die geeignet sind, im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen (vgl. auch dazu , mwN). |
Norm | VwGG §46 Abs1 |
RS 2 | Der VwGH hat im Fall des fehlerhaften Setzens des Posteingangsstempels bereits ausgesprochen, dass es von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängt, welche Anforderungen an die organisatorischen Vorkehrungen in einer Anwaltskanzlei und an die Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleipersonal zu stellen sind (vgl. ). Bei der Frage, ob konkrete Kontrollmaßnahmen als ausreichend für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems angesehen werden können, handelt es sich daher um eine einzelfallbezogene Beurteilung. |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2019/06/0019
Ra 2019/06/0020
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer sowie die Hofrätin Mag. Rehak und den Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. des DI A H, 2. der I H, beide in V, und 3. des Mag. A H in O, alle vertreten durch die Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in 9020 Klagenfurt, Sterneckstraße 19, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom , KLVwG-2491/4/2018, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom , KLVwG-1483-1486/47/2017 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Gemeinde Ossiach; mitbeteiligte Partei: F GmbH, vertreten durch Dr. Nikolaus Lanner, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt am Wörthersee, Dr.-Arthur-Lemisch-Platz 7/3; weitere Partei: Kärntner Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Beschlusses des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten (LVwG) wurde der Antrag der revisionswerbenden Parteien vom auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des LVwG vom gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 4 VwGG abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen diesen Beschluss eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei (Spruchpunkt A) II.).
5 Mit Spruchpunkt B) III. wies das LVwG sodann die (ordentliche) Revision der revisionswerbenden Parteien gegen das Erkenntnis des LVwG vom gemäß § 30a Abs. 1 VwGG als verspätet zurück. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
6 Begründend führte das LVwG zunächst aus, das Erkenntnis des LVwG vom sei den revisionswerbenden Parteien jeweils am zu Handen ihrer Rechtsvertreterin zugestellt worden. Eine Revision gegen das genannte Erkenntnis hätte daher binnen sechs Wochen, somit spätestens am erhoben werden müssen, um die Revisionsfrist zu wahren. Die am zur Post gegebene Revision sei somit nicht innerhalb der Revisionsfrist erhoben worden. Dieser Umstand sei den revisionswerbenden Parteien im Rahmen eines Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden.
Nach Darstellung des Wiedereinsetzungsantrages stellte das LVwG zunächst fest, der Kanzleistandort in K. der Rechtsvertreterin der revisionswerbenden Parteien (im Folgenden: Rechtsvertreterin) befinde sich im Bürohaus Palais St., St.-straße 19 in K., welches im Eigentum der L. GmbH stehe. Die Rechtsvertreterin sei darin eingemietet. Neben ihr hätten auch noch weitere Mieter ihre Geschäftsräume im Bürohaus.
Sodann folgt eine wörtliche Wiedergabe von Teilen der Sachverhaltsdarstellung aus dem Wiedereinsetzungsantrag der revisionswerbenden Parteien vom , welche das LVwG als bescheinigt ansah:
Der Posteingang bzw. die Postannahme erfolge für das gesamte Bürohaus zentral am Empfang des Bürohauses. Die einlangenden Poststücke würden von Mitarbeiterinnen der L. GmbH, namentlich von Frau M. oder Frau R., entgegengenommen und von diesen an die einzelnen Mieter verteilt. Eine direkte Zustellung an einzelne Mieter und ein Betreten einzelner Bürobereiche sei aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Nicht zuletzt aus diesem Grund sei seitens der Rechtsvertreterin beim Bezug ihrer Büroräumlichkeiten im Palais St. besonders darauf geachtet worden, dass der Aufbau und die Ausstattung des Empfangs- bzw. Posteingangsbereichs eine ordentliche und fehlerfreie Posteingangsbearbeitung gewährleiste. Sämtliche einlangenden Postsendungen würden von dem Postboten auf der Empfangstheke abgelegt. Noch auf der Empfangstheke würden die an die Rechtsvertreterin adressierten Schriftstücke von den Postsendungen der übrigen Mieter separiert. Die Schriftstücke der Rechtsvertreterin würden sodann innen im Empfangsbereich auf den Tisch gelegt, unmittelbar geöffnet und getrennt von dem Posteingang der übrigen Mieter bearbeitet. Die Post der übrigen Mieter werde auf einem eigens dafür vorgesehenen Tisch abgelegt. Die Poststücke der Rechtsvertreterin würden auf den freien Arbeitsplatz direkt am Empfang gelegt, dort geöffnet und gestempelt und dann unverzüglich gescannt. Solcherart werde sichergestellt, dass stets auch eine räumliche Trennung zwischen den an die Rechtsvertreterin adressierten Schriftstücken und den Postsendungen der übrigen Mieter bestehe. Im Übrigen würden auch entsprechende Vorkehrungen dahingehend getroffen, dass die Möglichkeit des „Verrutschens“ oder „Verlegens“ von Poststücken im Rahmen der Posteingangsbearbeitung der an die Rechtsvertreterin adressierten Postsendungen an nicht oder kaum wahrnehmbare Stellen ausgeschlossen sei.
Bei dem am Empfang eingesetzten Personal des Bürohauses handle es sich um hinreichend qualifizierte und entsprechend geschulte Mitarbeiter der L. GmbH. Diese würden jeweils angewiesen, wie mit dem Posteingang der einzelnen Mieter zu verfahren sei. Seitens der Rechtsvertreterin sei die ausdrückliche Anweisung erteilt worden, jedes einlangende Poststück einzeln und sofort nach dem Einlangen auf der ersten Seite mit einem tagesaktuellen Eingangsstempel zu versehen. Nachdem das jeweilige Poststück mit einem Eingangsstempel versehen worden sei, sei dieses jeweils einzeln einzuscannen und noch am gleichen Tag per E-Mail zur weiteren Fristenverwaltung an das Hauptsekretariat der Kanzlei sowie an die für den Kanzleistandort K. zuständige Rechtsanwältin und Partnerin der Rechtsvertreterin zu übersenden. Im Anschluss daran seien die eingelangten Poststücke im Büro der Rechtsvertreterin (physisch) vorzulegen. Diese Anweisung der Rechtsvertreterin sei den eingesetzten Empfangskräften jeweils bekannt gegeben worden und liege auch am Empfang auf. Insbesondere sei das am Empfang eingesetzte Personal auch dahingehend sensibilisiert worden, dass einlangende Poststücke fristauslösende Wirkung entfalten könnten und daher bei an die Rechtsvertreterin adressierten Schriftstücken strikt nach deren Anweisung vorzugehen sei.
Wie sich aus den vom LVwG übermittelten Rückscheinen zweifelsfrei ergebe, sei das angefochtene Erkenntnis am am Kanzleistandort in K. eingelangt und dort von der in dieser Woche den Empfangsdienst versehenden Frau R. entgegengenommen worden. Entgegen der Anweisung habe Frau R. aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen das eingegangene Erkenntnis des LVwG aber offenbar erst zwei Tage nach erfolgter Zustellung, nämlich am , mit dem auf diesen Tag datierenden Eingangsstempel versehen. Am gleichen Tag sei von Frau R. das diesen Eingangsstempel aufweisende Erkenntnis eingescannt und zur weiteren Fristenverwaltung an das Hauptsekretariat der Rechtsvertreterin sowie an die für den Kanzleistandort K. zuständige Rechtsanwältin übersendet worden. Auch in der diesbezüglichen E-Mail vom sei seitens Frau R. fälschlicherweise angeführt worden, dass das Erkenntnis erst an diesem Tag („heute“) am Empfang des Bürohauses abgegeben worden sei. Ebenfalls an diesem Tag sei das Erkenntnis sodann von Frau R. in die Kanzleiräumlichkeiten gebracht und vorgelegt worden. Die Revisionsfrist sei sodann unter Zugrundelegung des berechnet worden, und es sei im elektronischen Fristenverwaltungssystem der Kanzlei der als Fristende vorgemerkt und die Revision an diesem Tag zur Post gegeben worden. Mit Parteiengehör des LVwG vom sei der Rechtsvertreterin zur Kenntnis gelangt, dass das Erkenntnis bereits am zugestellt worden sei. Aus welchem Grund das von Frau R. in Empfang genommene Erkenntnis entgegen der unmissverständlichen Anweisung der Rechtsvertreterin zwei Tage lang unerledigt liegen geblieben sei, lasse sich im Nachhinein nicht mehr nachvollziehen.
In rechtlicher Hinsicht führte das LVwG nach Darstellung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wiedereinsetzung aus, vorliegend sei es zu einer Fehlleistung durch die im Eingangsbereich tätige Mitarbeiterin der Vermieterin der Büroräumlichkeiten der Rechtsanwaltskanzlei gekommen. Die Mitarbeiterin der Vermieterin habe das am übermittelte Erkenntnis des LVwG vom für die Rechtsvertreterin übernommen, sie habe aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen dieses Schriftstück erst am mit dem Eingangsstempel versehen und der Rechtsvertreterin zur Vorlage gebracht.
Die weisungswidrige Nichtvorlage eines fristgebundenen Schriftstückes an den Anwalt sei eine manipulative Tätigkeit, sodass in solchen Fällen, sofern nicht ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzutrete, das Verschulden der sonst verlässlichen Kanzleiangestellten seinem Verschulden nicht gleichzusetzen sei.
Gegenständlich habe die Rechtsvertreterin zwar klare Weisungen an ansonsten zuverlässiges Personal der Vermieterin der Büroräumlichkeiten erteilt, im Wiedereinsetzungsantrag sei jedoch in keiner Weise dargelegt, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge der Mitarbeiterinnen im Empfangsbereich stattgefunden habe. Es sei nicht dargelegt worden, ob jemals kontrolliert worden sei, ob die übernommene Post, wie offensichtlich erfolgt, dort nicht zwei Werktage unbearbeitet liegen bleiben könne und dafür keine Erklärung gefunden werde. Erst die Übereinstimmung des angebrachten Eingangsstempels mit dem Tag der Vorlage des Schriftstückes an die Rechtsvertreterin zu kontrollieren, vermöge derartige Fehlleistungen wie die gegenständliche nicht hintanzuhalten. Eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge bezüglich des Posteinganges sei umso dringender erforderlich, weil es sich bei den diese Tätigkeit verrichtenden Personen nicht um Mitarbeiterinnen der Rechtsvertreterin, sondern um kanzleifremde Personen, nämlich Mitarbeiterinnen der Vermieterin der Büroräumlichkeiten, handle. Es sei daher keinesfalls von einem minderen Grad des Versehens auszugehen.
7 In der gegen Spruchpunkt A) des angefochtenen Beschlusses des LVwG vom gerichteten außerordentlichen Revision machen die revisionswerbenden Parteien in den zur Zulässigkeit der Revision vorgetragenen Gründen zunächst geltend, die Beurteilung der Verschuldensfrage seitens des LVwG sei in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt. Obgleich das LVwG den im Wiedereinsetzungsantrag behaupteten Sachverhalt aufgrund der vorgelegten Beweismittel als bescheinigt angesehen habe, vermeine es, dass in keiner Weise dargelegt worden sei, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge der Mitarbeiterinnen im Empfangsbereich stattgefunden habe. Wie das LVwG zu diesem verfehlten Ergebnis gelange, sei nicht nachvollziehbar. So sei im Wiedereinsetzungsantrag detailliert ausgeführt worden, dass sämtliche Schritte der Posteingangsbearbeitung im Palais St. von der Rechtsvertreterin im Rahmen eines ausgeklügelten kanzleiinternen Kontrollsystems laufend überwacht würden. Ein besonderes Augenmerk werde auf die nachprüfende Kontrolle der Richtigkeit des für eine allfällige Fristberechnung maßgeblichen Posteingangsstempels gelegt. Anders als vom LVwG wiedergegeben, erfolge die diesbezügliche Kontrolle aber nicht erst durch einen Abgleich des angebrachten Eingangsstempels mit dem Tag der Vorlage des Schriftstücks. Wie dem Wiedereinsetzungsantrag zu entnehmen sei, handle es sich hierbei lediglich um einen Kontrollaspekt des gehandhabten Überwachungssystems. Tatsächlich werde bereits durch das sofortige Einscannen und Übersenden des mit einem tagesaktuellen Eingangsstempel versehenen Eingangsstückes das kanzleiinterne Kontrollsystem hinsichtlich der Richtigkeit des Posteingangsstempels in Gang gesetzt. So würden sämtliche übersendete E-Mails täglich von der zuständigen Rechtsanwältin sowie von einer im Fristenwesen entsprechend geschulten Kanzleiangestellten des Hauptsekretariats der Rechtsvertreterin im Vier-Augen-Prinzip dahingehend überprüft, ob die Datierung der E-Mail mit dem auf dem übermittelten Schriftstück angebrachten Eingangsstempel übereinstimme. Dieser Kontrollmechanismus werde durch einen zusätzlichen Abgleich des angebrachten Eingangsstempels mit dem Tag der Vorlage des Schriftstückes ergänzt. Auch ob tatsächlich sämtliche am Kanzleistandort in K. entgegengenommenen Postsendungen unmittelbar nach deren Einlangen digitalisiert und versendet sowie in den Büroräumlichkeiten vorgelegt würden, werde seitens der zuständigen Rechtsanwältin durch einen Abgleich der ihr per E-Mail übermittelten Postsendungen mit den vorgelegten Einlaufstücken kontrolliert. Bereits aus der gänzlichen Außerachtlassung des Vorbringens hinsichtlich der Posteingangsüberwachung im Wiedereinsetzungsantrag ergebe sich, dass die rechtliche Beurteilung des LVwG in ihrer Gesamtheit in einer der Rechtssicherheit abträglichen, unvertretbaren Weise vorgenommen worden sei.
8 Weiters machen die revisionswerbenden Parteien in der Zulässigkeitsbegründung zusammengefasst geltend, das LVwG weiche von (näher genannter) hg. Rechtsprechung ab, wonach es einem Rechtsanwalt nicht zumutbar sei, regelmäßig zu kontrollieren, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführe; dies würde seine Sorgfaltspflicht überspannen. Solange ein Rechtsanwalt mit einem ordnungsgemäßen Kanzleibetrieb nicht durch Fälle von Unverlässlichkeit zur persönlichen Aufsicht und zu Kontrollmaßnahmen genötigt sei, dürfe sich dieser darauf verlassen, dass seine Weisungen auch tatsächlich befolgt würden. Wenn daher ein Fristversäumnis auf einem weisungswidrigen Verhalten der Kanzleiangestellten des anwaltlichen Vertreters beruhe und dieser nach den vorgelegten Beweismitteln ansonsten der ihm obliegenden Überwachungspflicht nachgekommen sei, könne ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden des Vertreters nicht angenommen werden. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Insbesondere sei den Empfangskräften, also auch Frau R., die ausdrückliche Weisung erteilt worden, jedes an die Rechtsvertreterin adressierte Poststück sofort nach dessen Einlagen auf der ersten Seite mit einem tagesaktuellen Eingangsstempel zu versehen, einzeln einzuscannen und noch am gleichen Tag per E-Mail zur weiteren Fristenverwaltung an das Hauptsekretariat der Kanzlei sowie an die für den Kanzleistandort K. zuständige Rechtsanwältin zu übersenden und sodann physisch vorzulegen. Dabei handle es sich um manipulative Tätigkeiten (Posteingangsstempel anbringen, Digitalisierung und Versendung sowie Vorlage des Schriftstückes). Die Fristerfassung selbst erfolge nicht durch die Empfangskräfte des Palais St. Zumal es sich bei Frau R. um eine entsprechend qualifizierte Empfangskraft handle, habe sich die Rechtsvertreterin darauf verlassen können, dass diese die ihr übertragenen manipulativen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Posteingangsbearbeitung auch tatsächlich weisungsgemäß ausführe. Im Zuge dessen verweisen die revisionswerbenden Parteien darauf, dass, zumal keine Diskrepanz zwischen der Datierung des Eingangsstempels einerseits und der Datierung der E-Mail bzw. des Tages der Vorlage andererseits bestanden habe, der Fehler im Rahmen der gehandhabten nachprüfenden Kontrolle der Richtigkeit des Eingangsstempels nicht erkannt habe werden können. Der vorliegende Fall unterscheide sich auf Grund des dargelegten wirksamen Kontrollsystems wesentlich von der vom LVwG herangezogenen hg. Entscheidung .
9 Ferner wird dargelegt, es sei korrekt, dass im Wiedereinsetzungsantrag nicht ausgeführt sei, ob jemals kontrolliert worden sei, ob die übernommene Post dort (gemeint wohl: im Empfangsbereich des Palais St.) nicht zwei Werktage unbearbeitet liegen bleiben könne und dafür keine Erklärung gefunden werde. Um dies zu kontrollieren, müsste die zuständige Rechtsanwältin die Entgegenahme und Bearbeitung des Posteinganges durch die Empfangsmitarbeiterinnen des Palais St. entweder persönlich beaufsichtigen oder zumindest den Empfangsbereich täglich nach etwaigen weisungswidrig unbearbeitet liegengebliebenen Postsendungen durchsuchen. Dass derartige Kontrollmaßnahmen nicht zumutbar seien, sei evident.
10 Zuletzt monieren die revisionswerbenden Parteien, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob einen Parteienvertreter eine erhöhte Überwachungspflicht treffe, wenn er die Posteingangsbearbeitung externen Mitarbeitern überantworte und wie diese Überwachungspflicht konkret auszugestalten wäre (wird näher ausgeführt).
11 Mit dem oben dargestellten Zulässigkeitsvorbringen wird keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt:
12 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
13 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht fallbezogen das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens zu Recht verneint hat, ist keine Rechtsfrage, der über den konkreten Einzelfall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. zu § 46 VwGG etwa , mwN, sowie zu § 33 Abs. 1 VwGVG etwa , mwN).
14 Die Mitarbeiterin der L. GmbH, Frau R., war im Hinblick auf die Entgegennahme von Postsendungen unstrittig als Kanzleikraft der Rechtsvertreterin für den Bereich des Kanzleistandortes K. anzusehen (vgl. zur Ansehung einer Mitarbeiterin einer anderen juristischen Person als der Einschreiterin als Kanzleikraft ).
15 Nach ständiger hg. Judikatur trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. etwa , mwN).
16 Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis in diesem Sinn dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach hintangehalten werden (vgl. etwa erneut , mwN).
17 Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist (vgl. , mwN). Ebenso hat ein berufsmäßiger Parteienvertreter die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozesshandlungen gesichert erscheint. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. , mwN).
18 Im Zusammenhang mit dem „Überdrehen“ eines Posteingangsstempels hat der Verwaltungsgerichtshof bereits auf die den Rechtsanwalt treffende besondere Überwachungspflicht hinsichtlich der Führung des Fristenvormerks hingewiesen (vgl. erneut ; vgl. in diesem Sinne auch ). Zudem verstößt ein Vertreter auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die geeignet sind, im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen (vgl. auch dazu , mwN).
19 Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof im Fall des fehlerhaften Setzens des Posteingangsstempels bereits ausgesprochen, dass es von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängt, welche Anforderungen an die organisatorischen Vorkehrungen in einer Anwaltskanzlei und an die Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleipersonal zu stellen sind (vgl. erneut ). Bei der Frage, ob konkrete Kontrollmaßnahmen als ausreichend für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems angesehen werden können, handelt es sich daher um eine einzelfallbezogene Beurteilung.
20 Frau R. waren – unbestritten - nicht nur die Vorlage von Poststücken, sondern auch das Setzen des Posteingangsstempels übertragen. Beide Tätigkeiten erfolgten im vorliegenden Fall zwei Tage nach Zustellung des Erkenntnisses des LVwG vom am .
21 Sowohl die „Anweisungen“ der Rechtsvertreterin als auch der nachträgliche „Abgleich“ des Posteingangsstempels mit dem Tag der Vorlage des Schriftstückes legte das LVwG seiner rechtlichen Beurteilung, ein wirksames Kontrollsystem sei nicht dargelegt worden, zugrunde. Dabei hat es tragend darauf abgestellt, dass eine Kontrollmaßnahme, die sich auf die tatsächliche Bearbeitung der Poststücke im Empfangsbereich bezieht, nicht dargestellt worden sei.
22 Die Beurteilung des LVwG im vorliegenden Revisionsfall, in der es - im Einklang mit der hg. Rechtsprechung betreffend die im Zusammenhang mit dem Fristenvormerk geforderte besondere Überwachungspflicht (vgl. dazu erneut ) - von der im Besonderen vorliegenden Notwendigkeit einer Kontrolle dahingehend, ob faktisch Schriftstücke im Empfangsbereich unbearbeitet liegen bleiben können, ohne vom - von den revisionswerbenden Parteien selbst ausdrücklich so genannten - nachgeschalteten Kontrollsystem (Abgleich des Datumstempels mit dem Tag der Vorlage der Schriftstücke) erfasst werden zu können, ausgegangen ist, erweist sich als vertretbar (vgl. weiters zur Notwendigkeit der Darstellung von Kontrollmaßnahmen, die geeignet gewesen wären, den konkret erfolgten Fehler zu verhindern, nochmals ). Eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende Beurteilung des Verschuldensgrades ist daher nicht zu ersehen.
23 Dass die vom LVwG als notwendig erachtete Kontrolle nicht stattgefunden hat, wird in den Zulässigkeitsgründen nicht bestritten, sondern vielmehr ausdrücklich bestätigt. Schon deswegen kann mit dem Vorbringen, das LVwG habe die im Wiedereinsetzungsantrag vorgebrachte Kontrolle sämtlicher übersendeter E-Mails darauf, ob die Datierung der E-Mail mit dem auf dem übermittelten Schriftstück angebrachten Eingangsstempel übereinstimme, nicht in seine Beurteilung miteinbezogen, die Zulässigkeit der Revision nicht begründet werden. Zudem handelt es sich auch hier um eine - wie die revisionswerbenden Parteien selbst einräumen - nachträgliche Kontrollmaßnahme.
24 Abgesehen davon, dass die im Zusammenhang mit der Kontrolle „rein manipulativer Vorgänge“ von den revisionswerbenden Parteien angeführten hg. Entscheidungen allesamt zu Fällen der Postaufgabe bzw. falscher Einbringung ergangen und damit schon hinsichtlich des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht vergleichbar sind, wird mit dem weiters behaupteten Abweichen von der hg. Rechtsprechung zur Beurteilung des Verschuldensgrades in Anbetracht des oben Gesagten keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, hat sich das LVwG doch im Ergebnis an den bereits oben dargestellten, vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Grundsätzen orientiert. Damit ist - mangels Erfüllung der anwaltlichen Überwachungspflicht - eine Unvertretbarkeit der Beurteilung des LVwG hinsichtlich des Verschuldensgrades im Revisionsfall nicht ersichtlich.
25 Soweit die revisionswerbenden Parteien in diesem Zusammenhang des Weiteren offenbar vermeinen, alleine auf Grund der „Anweisungen“ der Rechtsvertreterin sei die vom LVwG für ein wirksames Kontrollsystem im konkreten Einzelfall geforderte Kontrollmaßnahme nicht notwendig bzw. nicht „zumutbar“ und daher für die Annahme keines bloß geringen Verschuldensgrades nicht geeignet, so zeigen sie damit schon deshalb ein Abweichen von der zitierten hg. Judikatur und eine Unvertretbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung nicht auf, weil sich eine solche Aussage nicht aus den von ihnen hierfür zitierten - aus den Jahren 1985, 1992 und 1995 stammenden - hg. Entscheidungen ergibt (vgl. zudem zur Kontrolle einer Weisung etwa , 0057; vgl. ferner in diesem Sinne ).
26 Nach dem oben Gesagten kommt es daher auch nicht mehr entscheidungswesentlich darauf an, ob eine „erhöhte“ anwaltliche „Überwachungspflicht“ von „externen“ Mitarbeitern bestehe, weil sich bereits im Rahmen der bestehenden hg. Leitlinien zum Kontrollsystem die Annahme des LVwG, ein wirksames Kontrollsystem und damit einhergehend ein bloß geringer Grad des Verschuldens lägen nicht vor, nicht als unvertretbar erweist. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zuständig (vgl. etwa , mwN).
27 Schließlich ist anzumerken, dass mit dem vom LVwG seiner Entscheidung zugrunde gelegten Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, Frau R. habe „aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen“ erst am das eingegangene Erkenntnis des LVwG mit dem auf diesen Tag datierten Eingangsstempel versehen, gescannt und vorgelegt, schon nicht dargestellt wurde, welches unvorhergesehene Ereignis trotz der dargestellten Kontrollmaßnahmen zur Unterlassung geführt habe (vgl. hierzu sowie zu den Anforderungen an die Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag , mwN). Ein Verrutschen oder Verlegen des Poststückes wurde gerade nicht behauptet.
28 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
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Norm | VwGG §46 Abs1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019060018.L00 |
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HAAAF-45076