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VwGH 29.06.2021, Fr 2021/22/0005

VwGH 29.06.2021, Fr 2021/22/0005

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
VwGG §30a Abs1
VwGG §30a Abs8
VwGG §30b Abs1
VwGG §38 Abs1
VwGVG 2014 §14
VwGVG 2014 §15
VwGVG 2014 §34
RS 1
Gemäß § 38 Abs. 1 VwGG kann ein Fristsetzungsantrag erst gestellt werden, wenn das VwG die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten entschieden hat. Damit korrespondiert der die Entscheidungspflicht der VwG normierende § 34 VwGVG 2014. Nach dessen erstem Satz ist das VwG verpflichtet, über Beschwerden ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Die Frist für die Entscheidung beginnt in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem die Beschwerde beim VwG einlangt. Erst das tatsächliche Einlangen beim VwG ist maßgeblich (vgl. , mwN). Dies gilt auch dann, wenn die Behörde die Vorlage der Beschwerde (und - fallbezogen - der Beschwerdevorentscheidung sowie des dagegen eingebrachten Vorlageantrags) rechtswidrig verzögert (vgl. dazu und zu den Möglichkeiten, die einer Partei in diesem Fall offen stehen, um die Entscheidungsfrist des BVwG in Gang zu setzen, , Rn. 31 ff).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Fr 2020/18/0010 B RS 1
Normen
RS 2
Nach dem zweiten Satz des § 34 VwGVG 2014 beginnt die Entscheidungsfrist in Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG mit der Vorlage der Beschwerde. § 34 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG 2014 stellt ausdrücklich auf die "Vorlage" der Beschwerde ab.
Normen
VwGG §34 Abs1
VwGG §38 Abs1
VwGG §38 Abs4
VwGVG 2014 §14
VwGVG 2014 §14 Abs1
VwGVG 2014 §14 Abs2
VwGVG 2014 §16 Abs2
VwRallg
RS 3
Dafür, dass die Übersendung von Akten an das VwG in einem den Antragsteller betreffenden Schubhaftbeschwerdeverfahren, in denen sich die mit gesondertem Schriftsatz erhobene Bescheidbeschwerde lediglich als Aktenbestandteil befand, nicht als den Lauf der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsfrist auslösende Beschwerdevorlage zu betrachten ist, spricht insbesondere der Wortlaut und der systematische Zusammenhang des § 14 VwGVG 2014. § 14 Abs. 2 VwGVG 2014 spricht die Verpflichtung der Behörde an, die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Gericht vorzulegen (zur Säumnisbeschwerde siehe § 16 Abs. 2 VwGVG 2014). Daraus ist zum einen ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Vorlage der Beschwerde und - da die Akten der vorzulegenden Beschwerde anzuschließen sind - nicht eine schlichte Aktenvorlage im Blick hatte. Zum anderen erschließt sich aus dem Gesetzestext, dass die Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens bezogen auf eine konkrete Beschwerde zu erfolgen hat. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Behörde, binnen zwei Monaten eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen (§ 14 Abs. 1 VwGVG 2014), konnte das VwG zum Zeitpunkt der Vorlage der Akten zu einer Schubhaftbeschwerde des Antragstellers nicht davon ausgehen, dass das BFA im Verfahren betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung habe absehen wollen und dadurch die Zuständigkeit zur Entscheidung über die in Rede stehende Beschwerde auf das Gericht übergegangen wäre (vgl. ). Im Hinblick auf die Möglichkeit der Verwaltungsbehörde, eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen oder aber die Beschwerde auch vor Ablauf der drei Monate dem VwG vorzulegen, setzt eine Vorlage iSd. § 14 VwGVG 2014 einen Willensentschluss und die dementsprechende Willenserklärung der Verwaltungsbehörde voraus. Eine solche kann in der ohne Hinweis auf die Beschwerde erfolgenden Übermittlung eines Verwaltungsakts zu einem anderen Beschwerdeverfahren nicht erblickt werden.
Normen
BFA-VG 2014 §22a Abs1a
B-VG Art130 Abs1 Z2
VwGG §34 Abs1
VwGG §38 Abs1
VwGG §38 Abs4
VwGVG 2014 §14 Abs2
VwGVG 2014 §20
RS 4
Im Schubhaftbeschwerdeverfahren handelt es sich bei der Übermittlung der Verfahrensakten durch das BFA an das VwG schon grundsätzlich nicht um die Vorlage einer Beschwerde iSv. § 14 Abs. 2 VwGVG 2014, auf die im Fristsetzungsverfahren betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot abzustellen ist (siehe § 22a Abs. 1a BFA-VG 2014 sowie § 20 erster Satz VwGVG 2014; zu dem für Schubhaftbeschwerden anwendbaren Verfahrensrecht auch ). Gemäß § 20 erster Satz VwGVG 2014 sind Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG unmittelbar beim VwG einzubringen.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Fristsetzungssache des B J in G, vertreten durch Mag. Dr. Vera M. Weld, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Weihburggasse 4/40, gegen das Bundesverwaltungsgericht wegen Verletzung der Entscheidungspflicht iA Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen sowie Verhängung eines Einreiseverbotes, den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Fristsetzungsantrag wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Antragsteller keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei, verhängte gegen ihn ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot und hielt fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt werde. Unter einem wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt.

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Beschwerde.

3 Aus Anlass einer Schubhaftbeschwerde des Antragstellers übermittelte das BFA über Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts diesem Gericht mit E-Mail vom zum Betreff „BFA - Aktenübermittlung - Schubhaft - [betreffende Zahl der Integrierten Fremdenadministration] - [Nachname des Antragstellers]“ ein mehrteiliges Aktenkonvolut samt Stellungnahme zur Schubhaftbeschwerde. In dem Konvolut (S 293) befand sich auch die gegenständliche Beschwerde gegen den in Rn 1 bezeichneten Bescheid vom .

4 In weiterer Folge langte der vorliegende Fristsetzungsantrag des Antragstellers vom bezüglich des in Rn 1 und 2 genannten Verfahrens beim Bundesverwaltungsgericht ein (Übermittlung vorab durch Fax sowie im Elektronischen Rechtsverkehr am ), in dem dieser beantragte, der Verwaltungsgerichtshof möge dem Bundesverwaltungsgericht eine Frist zur Entscheidung über seine Beschwerde gegen den in Rn 1 genannten Bescheid des BFA setzen.

5 Der Fristsetzungsantrag wurde dem Verwaltungsgerichtshof mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom unter Anschluss der Verfahrensakten vorgelegt. Das Verwaltungsgericht teilte u.a. mit, dass eine formale Vorlage der im Fristsetzungsantrag bezeichneten Beschwerde durch die Behörde nicht stattgefunden habe. Die in Rede stehende Beschwerde sei dem Verwaltungsgericht lediglich als Aktenbestandteil in einem den Antragsteller betreffenden Schubhaftbeschwerdeverfahren übermittelt worden. Eine Verletzung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungspflicht im gegenständlichen Verfahren liege daher nicht vor.

6 Gemäß § 38 Abs. 1 VwGG kann ein Fristsetzungsantrag erst gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - nicht binnen sechs Monaten entschieden hat. Damit korrespondiert der die Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normierende § 34 VwGVG. Nach dessen erstem Satz ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, über Beschwerden ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Nach dem zweiten Satz der zuletzt genannten Bestimmung beginnt die Entscheidungsfrist in Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG mit der Vorlage der Beschwerde.

7 Die Frist für die Entscheidung beginnt in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem die Beschwerde beim Verwaltungsgericht einlangt. Erst das tatsächliche Einlangen beim Verwaltungsgericht ist maßgeblich (vgl. , mwN). § 34 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG stellt überdies ausdrücklich auf die „Vorlage“ der Beschwerde ab.

8 Dies gilt, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits erkannt hat, auch dann, wenn die Behörde die Vorlage der Beschwerde rechtswidrig verzögert (vgl. dazu und zu den Möglichkeiten, die einer Partei in diesem Fall offenstehen, um die Entscheidungsfrist des Bundesverwaltungsgerichts in Gang zu setzen, ).

9 Die gegenständliche Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht jedenfalls nicht mit Übermittlung des Aktenkonvoluts am im Sinn von § 34 Abs. 1 VwGVG vorgelegt. Die Übersendung von Akten an das Verwaltungsgericht in einem den Antragsteller betreffenden Schubhaftbeschwerdeverfahren, in denen sich die hier in Rede stehende, mit gesondertem Schriftsatz erhobene Bescheidbeschwerde lediglich als Aktenbestandteil befand (die im Rahmen einer mehrseitigen Stellungnahme des zuständigen Referenten zur Schubhaftbeschwerde unter dem Punkt „Verfahrensgang“ auch bloß erwähnt wurde), ist bezogen auf das vorliegend zu beurteilende Beschwerdeverfahren (betreffend Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen sowie Einreiseverbot) nicht als den Lauf der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsfrist auslösende Beschwerdevorlage zu betrachten.

10 Dafür spricht insbesondere der Wortlaut und der systematische Zusammenhang des § 14 VwGVG. § 14 Abs. 2 VwGVG spricht die Verpflichtung der Behörde an, die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Gericht vorzulegen (zur Säumnisbeschwerde siehe § 16 Abs. 2 VwGVG). Daraus ist zum einen ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Vorlage der Beschwerde und - da die Akten der vorzulegenden Beschwerde anzuschließen sind - nicht eine schlichte Aktenvorlage im Blick hatte. Zum anderen erschließt sich aus dem Gesetzestext, dass die Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens bezogen auf eine konkrete Beschwerde zu erfolgen hat.

11 Auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Behörde, binnen zwei Monaten eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen (§ 14 Abs. 1 VwGVG), konnte das Bundesverwaltungsgericht zum Zeitpunkt der Vorlage der Akten zu einer Schubhaftbeschwerde des Antragstellers am nicht davon ausgehen, dass das BFA im vorliegenden Verfahren (betreffend die mit Bescheid vom erfolgte Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen sowie die Verhängung eines Einreiseverbots) von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung habe absehen wollen und dadurch die Zuständigkeit zur Entscheidung über die in Rede stehende Beschwerde auf das Gericht übergegangen wäre (zu diesem Aspekt vgl. nochmals ). Im Hinblick auf die Möglichkeit der Verwaltungsbehörde, eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen oder aber die Beschwerde auch vor Ablauf der drei Monate dem Verwaltungsgericht vorzulegen, setzt eine Vorlage iSd § 14 VwGVG einen Willensentschluss und die dementsprechende Willenserklärung der Verwaltungsbehörde voraus. Eine solche kann in der ohne Hinweis auf die Beschwerde erfolgenden Übermittlung eines Verwaltungsakts zu einem anderen Beschwerdeverfahren nicht erblickt werden.

12 Im Übrigen handelt es sich im Schubhaftbeschwerdeverfahren bei der Übermittlung der Verfahrensakten durch das BFA an das Bundesverwaltungsgericht schon grundsätzlich nicht um die Vorlage einer Beschwerde im Sinn von § 14 Abs. 2 VwGVG, auf die im vorliegenden Fristsetzungsverfahren abzustellen ist (siehe § 22a Abs. 1a BFA-Verfahrensgesetz sowie § 20 erster Satz VwGVG; zu dem für Schubhaftbeschwerden anwendbaren Verfahrensrecht auch ). Gemäß § 20 erster Satz VwGVG sind Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen. So hat auch der Antragsteller die Schubhaftbeschwerde (§ 22a Abs. 1a BFA-Verfahrensgesetz) beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht, das daraufhin das BFA zur Aktenvorlage aufforderte. Die infolgedessen im Schubhaftbeschwerdeverfahren übermittelten Akten des Verwaltungsverfahrens können nicht als Aktenvorlage gemäß § 14 Abs. 2 VwGVG in dem in Rn 11 dargestellten Sinn verstanden werden.

13 Im Zeitpunkt des Einlangens des Fristsetzungsantrages vom beim Bundesverwaltungsgericht war die Entscheidungsfrist für das Verwaltungsgericht daher noch nicht abgelaufen. Welche Bedeutung für die Frage der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungspflicht einer Mitteilung des BFA an das Bundesverwaltungsgericht vom (eingelangt am ) beizumessen ist, ist hier nicht weiter zu klären. Selbst wenn dem genannten Schreiben die Bedeutung einer Vorlageerklärung beizumessen wäre, würde dies nichts daran ändern, dass zum Zeitpunkt des Einlangens des gegenständlichen Fristsetzungsantrags beim Bundesverwaltungsgericht im Mai 2021 im vorliegenden Verfahren keine Säumnis des Verwaltungsgerichts bestand.

14 Der Fristsetzungsantrag war somit gemäß § 38 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 VwGG mangels Berechtigung zu seiner Erhebung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
BFA-VG 2014 §22a Abs1a
B-VG Art130 Abs1
B-VG Art130 Abs1 Z2
VwGG §30a Abs1
VwGG §30a Abs8
VwGG §30b Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGG §38 Abs1
VwGG §38 Abs4
VwGVG 2014 §14
VwGVG 2014 §14 Abs1
VwGVG 2014 §14 Abs2
VwGVG 2014 §15
VwGVG 2014 §16 Abs2
VwGVG 2014 §20
VwGVG 2014 §34
VwGVG 2014 §34 Abs1
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2021:FR2021220005.F00
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAF-45029