VwGH 02.02.2023, 2022/13/0045
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | BAO §23 Abs3 |
RS 1 | Ist ein Rechtsgeschäft wegen eines Formmangels oder wegen des Mangels der Rechts- oder Handlungsfähigkeit nichtig, so ist dies (jedenfalls dann, wenn ein Abgabentatbestand an wirtschaftliche Vorgänge anknüpft) nach § 23 Abs. 3 BAO für die Erhebung der Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als die am Rechtsgeschäft beteiligten Personen dessen wirtschaftliches Ergebnis eintreten und bestehen lassen (vgl. z.B. , mwN). |
Normen | AWG 2002 §2 AWG 2002 §2 Abs1 AWG 2002 §2 Abs2 AWG 2002 §2 Abs3 AWG 2002 §2 Abs3a AWG 2002 §5 |
RS 2 | Die Entscheidung, ob bestimmte Sachen als Abfall iSd § 2 Abs. 1 bis 3 AWG 2002 einzustufen sind, umfasst zwingend auch die Beantwortung der Fragen, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Nebenprodukts nach § 2 Abs. 3a AWG 2002 gegeben sind und ob ein Abfall seine Abfalleigenschaft nach § 5 AWG 2002 verloren hat. Erst nach Beantwortung auch dieser Fragen ist geklärt, ob es sich um Abfall im Sinne des AWG 2002 handelt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/05/0215 E RS 5 (hier ohne den letzten Satz) |
Normen | AWG 2002 §2 Abs1 Z1 VwRallg |
RS 3 | Von einer Entledigung iSd § 2 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 ist dann zu sprechen, wenn die Weitergabe der Sache in erster Linie darauf abzielt, diese loszuwerden, und somit darin das überwiegende Motiv für die Weitergabe bzw. Weggabe der Sache gelegen ist (vgl. E , 2009/07/0154). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2010/07/0178 E RS 2 |
Normen | AWG 2002 §2 Abs1 Z1 EURallg 32008L0098 Abfall-RL Art3 Z1 62019CJ0629 Sappi Austria Produktion und Wasserverband "Region Gratkorn-Gratwein" VORAB |
RS 4 | Nach Art. 3 Z 1 der Richtlinie 2008/98 bezeichnet der Ausdruck "Abfall" jeden Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Die Einstufung als "Abfall" ergibt sich vor allem aus dem Verhalten des Besitzers und der Bedeutung des Ausdrucks "sich entledigen", wobei diese Begriffe nicht eng ausgelegt werden dürfen (vgl. Sappi Austria Produktion u.a., C-629/19, Rn. 42 f, mwN). Die Frage, ob es sich um "Abfall" handelt, ist anhand sämtlicher Umstände zu prüfen. Dabei ist die Zielsetzung der Richtlinie zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass ihre Wirksamkeit nicht beeinträchtigt wird. Bestimmte Umstände können Anhaltspunkte dafür bilden, dass sich der Besitzer eines Stoffes oder Gegenstandes entledigt, entledigen will oder entledigen muss (vgl. EuGH aaO Rn. 45). |
Normen | AWG 2002 §2 Abs1 Z1 EURallg 32008L0098 Abfall-RL Art3 Z1 62021CJ0238 Porr Bau VORAB |
RS 5 | Im Zusammenhang mit Aushubmaterial hat der EuGH in seinem Urteil vom , Porr Bau, C-238/21, ausgeführt, zu den Umständen, die Anhaltspunkte dafür darstellen können, dass sich der Besitzer eines Stoffes oder Gegenstandes entledigt, entledigen will oder entledigen muss, gehöre die Tatsache, dass der verwendete Stoff ein Produktions- oder Verbrauchsrückstand ist, also ein Erzeugnis, das nicht als solches gewonnen werden sollte und dessen etwaige Verwendung wegen der Gefährlichkeit seiner Zusammensetzung für die Umwelt unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen erfolgen muss (EuGH aaO Rn. 36). Die Methode der Behandlung oder die Art der Verwendung eines Stoffes ist hingegen nicht entscheidend dafür, ob dieser Stoff als Abfall einzustufen ist. Unter den Begriff Abfall fallen auch Stoffe und Gegenstände, die zur wirtschaftlichen Wiederverwendung geeignet sind oder die einen Handelswert haben (aaO Rn. 37). Besonderes Augenmerk ist auf den Umstand zu legen, dass der fragliche Stoff oder Gegenstand für seinen Besitzer keinen Nutzen (mehr) besitzt, sodass der Stoff oder Gegenstand eine Last darstellt, deren sich der Besitzer zu entledigen sucht (aaO Rn. 38). Dabei ist der Grad der Wahrscheinlichkeit der Wiederverwendung eines Stoffes oder Gegenstands ohne vorherige Verarbeitung ein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob es sich um Abfall handelt. Ist die Wiederverwendung des Stoffes oder Gegenstands nicht nur möglich, sondern darüber hinaus für den Besitzer wirtschaftlich vorteilhaft, so ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Wiederverwendung hoch. In diesem Fall kann der betreffende Stoff oder Gegenstand nicht mehr als Last betrachtet werden, deren sich der Besitzer zu entledigen sucht, sondern hat als echtes Erzeugnis zu gelten (aaO Rn. 39). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der Gemeinde H, vertreten durch Mag.a Dr.in Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Bischofplatz 3/1. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2200040/2019, betreffend Altlastenbeitrag, Säumniszuschlag und Verspätungszuschlag (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Zollamt Österreich, Zollstelle Graz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom setzte das Zollamt Altlastenbeiträge für das 1. und 2. Quartal 2015 sowie für das 1. Quartal 2017 jeweils für das mehr als dreijährige Lagern von näher bezeichneten Massen Bodenaushubmaterial zur Verwertung auf näher bezeichneten Grundstücken fest. Weiters wurden Säumniszuschläge (2 %) und Verspätungszuschläge (2 %) festgesetzt.
2 Die revisionswerbende Partei (eine Gemeinde) erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.
3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Zollamt die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revisionswerberin beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der damaligen Marktgemeinde R sei mit Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde vom die wasserrechtliche Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb eines Hochwasserrückhaltebeckens auf näher genannten Grundstücken erteilt worden. Das genehmigte Hochwasserrückhaltebecken habe sich auch auf das Gemeindegebiet der Revisionswerberin erstreckt. Eine der Bescheidauflagen sei gewesen, dass das Dammschüttmaterial einem bestimmten Verdichtungsgrad entsprechen müsse. In der Bescheidbegründung sei davon ausgegangen worden, dass ca. 45.000 m³ Material zugeführt werden müssten.
6 In Vorbereitung der Errichtung des bewilligten Hochwasserrückhaltebeckens seien über Veranlassung der Revisionswerberin Bodenaushubmaterialien auf näher bezeichneten Grundstücken zwischengelagert worden. Im ersten Kalendervierteljahr 2012 seien insgesamt 5.474 m³ und im zweiten Kalendervierteljahr 2012 insgesamt 4.486 m³ Bodenaushubmaterialien angeliefert worden. Diese Bodenaushubmaterialien stammten vom Bauvorhaben „Zentrum“. Im ersten Kalendervierteljahr 2014 seien insgesamt 9.950 m³ Bodenaushubmaterialien aus dem Bauvorhaben „Umfahrung“ angeliefert worden. Die Grundstücke, auf denen die Zwischenlagerung erfolgt sei, seien von der wasserrechtlichen Bewilligung umfasst gewesen; die angelieferten und zwischengelagerten Bodenaushubmaterialien seien ursprünglich für die Errichtung des Hochwasserrückhaltebeckens vorgesehen gewesen. Lediglich ein Teil der angelieferten Bodenaushubmaterialien habe aber schließlich für die Errichtung des Hochwasserrückhaltebeckens Verwendung gefunden. Materialien im Ausmaß von 14.718 m³ seien hingegen im Zeitraum Dezember 2017 bis März 2018 auf Veranlassung der Revisionswerberin von diesen Grundstücken weggebracht und auf einem Grundstück eines Unternehmens abgelagert worden. Mit Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde vom sei dieses Unternehmen verpflichtet worden, die dort abgelagerten Bodenaushubmaterialien innerhalb einer im Bescheid genannten Frist zu entfernen.
7 Den Anlieferungen vom Bauvorhaben „Zentrum“ sei eine Vereinbarung zu Grunde gelegen, die für die Revisionswerberin nur vom (damaligen) Bürgermeister unterfertigt worden sei. Dies ändere aber nichts daran, dass die Revisionswerberin die für die Verbringung des Bodenaushubmaterials auf die Grundstücke erforderlichen Schritte in die Wege geleitet habe. Der Bürgermeister vertrete nach § 45 Abs. 1 Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 (GemO) die Gemeinde nach außen. Bestehe für den Bürgermeister grundsätzliche Vertretungsmacht, so schade das Fehlen einer etwaigen internen Zustimmung dem Dritten nur nach den Regeln über Vollmachtsmissbrauch. Etwaige Verletzungen von Formvorschriften seien durch die Umsetzung und Erfüllung der Vereinbarung als geheilt anzusehen. Das Vorbringen, die Revisionswerberin habe die Anlieferung des Bodenaushubmaterials nicht zu verantworten, sei als Schutzbehauptung anzusehen. Insbesondere habe die Revisionswerberin am eine offenkundig ordnungsgemäß zustande gekommene und unterfertigte Vereinbarung mit einem Unternehmen über die Wegbringung der nicht benötigten Bodenaushubmaterialien abgeschlossen.
8 Dass auch die Anlieferungen von Bodenaushubmaterialien vom Bauvorhaben „Umfahrung“ von der Revisionswerberin beauftragt worden seien, stehe aufgrund der vorliegenden Abrechnungen, des Nachtrags zum Bauvertrag und der Angaben der S AG fest. Beim Bauvorhaben „Umfahrung“ sei die Revisionswerberin Bauherrin gewesen.
9 Eine Sache sei dann als Abfall zu qualifizieren, wenn bei irgendeinem Vorbesitzer Entledigungsabsicht bestanden habe. Wenn bei Realisierung eines Bauvorhabens das angefallene Bodenaushubmaterial von der Baustelle weggeführt werde, gehe es nach der Lebenserfahrung dem Bauherrn im Regelfall hauptsächlich darum, das Bauvorhaben, ohne durch diese Materialien behindert zu werden, zu vollenden, sodass insoweit Entledigungsabsicht gegeben sei. Die Bodenaushubmaterialien seien bei beiden Bauvorhaben von den Baustellen weggebracht worden, um die Bauvorhaben durchführen und vollenden zu können. Dass die Revisionswerberin die von den Bauvorhaben weggebrachten Bodenaushubmaterialien beim Bau des Hochwasserrückhaltebeckens habe verwenden wollen, ändere nichts an der Tatsache, dass die Materialien von den beiden Bauvorhaben mit dem Zweck weggebracht worden seien, die beiden Bauvorhaben realisieren zu können. Bei Bauvorhaben wie dem Bau des „Zentrums“ oder dem Bau einer „Umfahrung“ sei auszuschließen, dass diese ausschließlich zur Gewinnung von Bodenaushubmaterialien für die Errichtung des Hochwasserrückhaltebeckens erfolgt seien. Dies finde auch darin Bestätigung, dass der Großteil der angelieferten Materialien aufgrund ihrer Eigenschaften nicht für den Bau des Hochwasserrückhaltebeckens habe verwendet werden können. Da die subjektive Abfalleigenschaft zu bejahen gewesen sei, handle es sich um Abfall.
10 Die Materialien seien im ersten und zweiten Kalendervierteljahr 2012 und im ersten Kalendervierteljahr 2014 auf die Grundstücke verbracht worden. Die nicht bei der Errichtung des Hochwasserrückhaltebeckens verwendeten Materialien hätten sich zumindest bis Ende November 2017 auf diesen Grundstücken befunden und seien somit mehr als drei Jahre zwischengelagert worden. Es sei daher der Tatbestand des § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG erfüllt. Die Beitragsschuld sei mit Ablauf der Kalendervierteljahre entstanden, in denen die Lagerung die dreijährige Frist überschritten habe. Entscheidend sei das mehr als dreijährige Lagern; die ursprüngliche Absicht der Revisionswerberin, das Material für die Errichtung des Hochwasserrückhaltebeckens zu verwenden, habe für die Entstehung der Beitragsschuld keine Auswirkungen.
11 Die Lagerung der Bodenaushubmaterialien auf den genannten Grundstücken habe die Revisionswerberin veranlasst. Es sei in ihrem Verantwortungsbereich gelegen, dass die Bodenaushubmaterialien auf die genannten Grundstücke verbracht worden seien.
12 Werde eine Abgabe nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet, so seien gemäß § 217 Abs. 1 BAO Säumniszuschläge zu entrichten. Der erste Säumniszuschlag betrage 2 % des nicht zeitgerecht entrichteten Betrages.
13 Abgabepflichtigen, die die Frist zur Einreichung einer Abgabenerklärung nicht wahren, könne gemäß § 135 BAO ein Zuschlag bis zu 10 % der festgesetzten Abgabe auferlegt werden, wenn die Verspätung nicht entschuldbar sei.
14 Die Revisionswerberin habe bis zum Fälligkeitstag weder eine Anmeldung (§ 9 Abs. 2 ALSAG) abgegeben, noch die Abgaben entrichtet. Die Vorschreibung des Säumniszuschlages und des Verspätungszuschlages sei daher zu Recht erfolgt.
15 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision. Zur Zulässigkeit der Revision wird u.a. geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis weiche von (näher genannter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofs zur Entledigungsabsicht ab; allenfalls liege dazu keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Eine Prüfung der dabei zu berücksichtigenden Umstände sei vom Bundesfinanzgericht nicht erfolgt. Weiters fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob die Entscheidung/Beauftragung zur Verbringung von Bodenaushubmaterial durch ein unzuständiges Organ einer Gemeinde (hier möglicherweise Bürgermeister) eine etwaige Abgabenpflicht der Gemeinde als Körperschaft öffentlichen Rechts im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung nach dem ALSAG bewirken könne. Eine Vereinbarung ohne Beschluss des Gemeinderates im Wirkungsbereich des Gemeinderates sei nach der Rechtsprechung des OGH nichtig; das Formerfordernis gemäß § 63 GemO habe konstitutive Wirkung.
16 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das belangte Zollamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18 Die Revision ist zulässig und begründet.
19 Gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b Altlastensanierungsgesetz (ALSAG) unterliegt das mehr als einjährige Lagern von Abfällen zur Beseitigung oder das mehr als dreijährige Lagern von Abfällen zur Verwertung dem Altlastenbeitrag.
20 Nach § 2 Abs. 4 ALSAG sind Abfälle im Sinne dieses Bundesgesetzes Abfälle gemäß § 2 Abs. 1 bis 3 des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002).
21 Gemäß § 2 Abs. 1 AWG 2002 sind Abfälle bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will oder entledigt hat (Z 1) oder deren Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich ist, um die öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3 AWG 2002) nicht zu beeinträchtigen (Z 2).
22 Nach § 2 Abs. 3a AWG 2002 kann ein Stoff oder Gegenstand, der das Ergebnis eines Herstellungsverfahrens ist, dessen Hauptziel nicht die Herstellung dieses Stoffes oder Gegenstands ist, nur dann als Nebenprodukt und nicht als Abfall gelten, wenn näher genannte Voraussetzungen erfüllt sind.
23 Nach § 5 Abs. 1 AWG 2002 gelten Altstoffe, soweit eine Verordnung gemäß Abs. 2 oder eine Verordnung gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle nicht anderes bestimmt, so lange als Abfälle, bis sie oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe unmittelbar als Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten verwendet werden. Im Falle einer Vorbereitung zur Wiederverwendung im Sinne von § 2 Abs. 5 Z 6 AWG 2002 ist das Ende der Abfalleigenschaft mit dem Abschluss dieses Verwertungsverfahrens erreicht.
24 Nach § 2 Abs. 5 Z 6 AWG 2002 ist „Vorbereitung zur Wiederverwendung“ jedes Verwertungsverfahren der Prüfung, Reinigung oder Reparatur, bei dem Produkte sowie Bestandteile von Produkten, die zu Abfällen geworden sind, so vorbereitet werden, dass sie ohne weitere Vorbehandlung wiederverwendet werden können.
25 Die Revisionswerberin bestreitet, dass sie die (allenfalls) beitragspflichtige Tätigkeit iSd § 4 Abs. 1 Z 3 ALSAG veranlasst habe.
26 Nach § 4 (Abs. 1) Z 3 ALSAG ist (in anderen Fällen als jenen der Z 1 und 2) Beitragsschuldner derjenige, der die beitragspflichtige Tätigkeit veranlasst hat; sofern derjenige, der die beitragspflichtige Tätigkeit veranlasst hat, nicht feststellbar ist, ist derjenige Beitragsschuldner, der die beitragspflichtige Tätigkeit duldet.
27 Die Revisionswerberin macht dazu geltend, die Vereinbarung mit der S AG sei rechtsunwirksam, da ein derartiger Vertrag in die Zuständigkeit des Gemeinderates falle; Vereinbarungen bedürften nach § 63 GemO der Unterschrift eines weiteren Vorstandsmitgliedes und zweier Gemeinderäte, um rechtswirksam und verbindlich zu sein. Im vorliegenden Fall sei die Vereinbarung aber lediglich vom (damaligen) Bürgermeister unterfertigt worden.
28 Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass es auf die zivilrechtliche Wirksamkeit der Vereinbarung hier nicht ankommt. Ist ein Rechtsgeschäft wegen eines Formmangels oder wegen des Mangels der Rechts- oder Handlungsfähigkeit (hier: mangelnde Vertretung) nichtig, so ist dies (jedenfalls dann, wenn ein Abgabentatbestand wie im vorliegenden Fall an wirtschaftliche Vorgänge anknüpft) nach § 23 Abs. 3 BAO für die Erhebung der Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als die am Rechtsgeschäft beteiligten Personen dessen wirtschaftliches Ergebnis eintreten und bestehen lassen (vgl. z.B. , mwN). Im vorliegenden Fall ließen sowohl die Revisionswerberin als auch die S AG (als am Rechtsgeschäft beteiligte Personen) das wirtschaftliche Ergebnis bestehen; insbesondere verlangte die Revisionswerberin nicht die Rückstellung der angelieferten Materialien an die S AG, sondern vereinbarte (insoweit unbestritten wirksam) die Weiterlieferung der (nicht eingebauten) Materialien an einen Dritten.
29 Strittig ist im vorliegenden Fall aber vor allem, ob es sich bei den gelagerten Materialien um Abfall handelte.
30 Abfall liegt vor, wenn entweder der objektive (iSd § 2 Abs. 1 Z 2 AWG 2002) oder der subjektive Abfallbegriff (iSd § 2 Abs. 1 Z 1 AWG 2002) erfüllt ist (vgl. z.B. , mwN). Die Entscheidung, ob bestimmte Sachen als Abfall iSd § 2 Abs. 1 bis 3 AWG 2002 einzustufen sind, umfasst auch die Beantwortung der Fragen, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Nebenprodukts nach § 2 Abs. 3a AWG 2002 gegeben sind und ob ein Abfall seine Abfalleigenschaft nach § 5 AWG 2002 verloren hat (vgl. ).
31 Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die subjektive Abfalleigenschaft zu bejahen sei.
32 Es entspricht der - auch im angefochtenen Erkenntnis dargestellten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine Sache schon dann als Abfall zu qualifizieren ist, wenn bei irgendeinem Vorbesitzer die Entledigungsabsicht bestanden hat (vgl. z.B. , mwN). Von einer Entledigung kann nur dann gesprochen werden, wenn die Weitergabe der Sache in erster Linie darauf abzielt, diese loszuwerden, und darin somit das überwiegende Motiv für die Weitergabe oder Weggabe der Sache gelegen ist. Nach der Lebenserfahrung geht es einem Bauherrn oder Bauführer, wenn bei der Realisierung von Bauvorhaben das angefallene Aushubmaterial oder Abbruchmaterial von der Baustelle weggeführt wird, im Regelfall hauptsächlich darum, das Bauvorhaben, ohne durch das Material behindert zu werden, zu vollenden. Es ist somit üblicherweise mit dessen Fortschaffung von der Baustelle eine Entledigungsabsicht verbunden (vgl. ; , 2013/07/0232, mwN; , Ra 2016/05/0012; , Ra 2018/05/0034).
33 Dabei ist zu beachten, dass die Bestimmungen des AWG 2002 der Umsetzung von Unionsrecht, nunmehr der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle (vgl. § 89 AWG 2002), dienen. Diese Bestimmungen sind - soweit methodisch möglich - richtlinienkonform und im Sinne der Rechtsprechung des EuGH auszulegen.
34 Nach Art. 3 Z 1 der Richtlinie 2008/98 bezeichnet der Ausdruck „Abfall“ jeden Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss.
35 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ergibt sich die Einstufung als „Abfall“ vor allem aus dem Verhalten des Besitzers und der Bedeutung des Ausdrucks „sich entledigen“, wobei diese Begriffe nicht eng ausgelegt werden dürfen (vgl. Sappi Austria Produktion u.a., C-629/19, Rn. 42 f, mwN). Die Frage, ob es sich um „Abfall“ handelt, ist anhand sämtlicher Umstände zu prüfen. Dabei ist die Zielsetzung der Richtlinie zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass ihre Wirksamkeit nicht beeinträchtigt wird. Bestimmte Umstände können Anhaltspunkte dafür bilden, dass sich der Besitzer eines Stoffes oder Gegenstandes entledigt, entledigen will oder entledigen muss (vgl. EuGH aaO Rn. 45).
36 Im Zusammenhang mit Aushubmaterial hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom , Porr Bau, C-238/21, ausgeführt, zu den Umständen, die solche Anhaltspunkte darstellen können, gehöre die Tatsache, dass der verwendete Stoff ein Produktions- oder Verbrauchsrückstand ist, also ein Erzeugnis, das nicht als solches gewonnen werden sollte und dessen etwaige Verwendung wegen der Gefährlichkeit seiner Zusammensetzung für die Umwelt unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen erfolgen muss (EuGH aaO Rn. 36). Die Methode der Behandlung oder die Art der Verwendung eines Stoffes ist hingegen nicht entscheidend dafür, ob dieser Stoff als Abfall einzustufen ist. Unter den Begriff Abfall fallen auch Stoffe und Gegenstände, die zur wirtschaftlichen Wiederverwendung geeignet sind oder die einen Handelswert haben (aaO Rn. 37). Besonderes Augenmerk ist auf den Umstand zu legen, dass der fragliche Stoff oder Gegenstand für seinen Besitzer keinen Nutzen (mehr) besitzt, sodass der Stoff oder Gegenstand eine Last darstellt, deren sich der Besitzer zu entledigen sucht (aaO Rn. 38). Dabei ist der Grad der Wahrscheinlichkeit der Wiederverwendung eines Stoffes oder Gegenstands ohne vorherige Verarbeitung ein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob es sich um Abfall handelt. Ist die Wiederverwendung des Stoffes oder Gegenstands nicht nur möglich, sondern darüber hinaus für den Besitzer wirtschaftlich vorteilhaft, so ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Wiederverwendung hoch. In diesem Fall kann der betreffende Stoff oder Gegenstand nicht mehr als Last betrachtet werden, deren sich der Besitzer zu entledigen sucht, sondern hat als echtes Erzeugnis zu gelten (aaO Rn. 39).
37 Das Verwaltungsgericht hat sich - ausgehend von einer anderen, vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht - mit diesen Kriterien nicht auseinandergesetzt und dazu auch keine Feststellungen getroffen. Eine abschließende Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof ist damit nicht möglich.
38 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
39 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | AWG 2002 §2 AWG 2002 §2 Abs1 AWG 2002 §2 Abs1 Z1 AWG 2002 §2 Abs2 AWG 2002 §2 Abs3 AWG 2002 §2 Abs3a AWG 2002 §5 BAO §23 Abs3 EURallg VwRallg 32008L0098 Abfall-RL Art3 Z1 62019CJ0629 Sappi Austria Produktion und Wasserverband "Region Gratkorn-Gratwein" VORAB 62021CJ0238 Porr Bau VORAB |
Schlagworte | Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022130045.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAF-45003