VwGH 29.09.2022, 2021/15/0005
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Die einkommensteuerliche Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse von in der EU grenzüberschreitend tätigen Personen obliegt im Zweifel jenem Staat, in welchem die Person gebietsansässig ist (vgl. ; vgl. etwa auch , F W L de Groot, Rn 90). |
Normen | |
RS 2 | Wenn das nationale Einkommensteuerrecht eines Mitgliedstaates in Bezug auf die im Mitgliedstaat gebietsansässigen Personen die steuermindernde Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse vorsieht, so darf der Mitgliedstaat, soweit eine Deckung in dem ihm zukommenden Steueranspruch besteht, diese Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse unionsrechtlich nicht deshalb zurücknehmen, weil die Person ihre wirtschaftliche Betätigung auch in einem anderen Mitgliedstaat ausübt oder ausgeübt hat (vgl. ). |
Normen | |
RS 1 | Die medizinische Notwendigkeit einer Maßnahme wird zB durch eine ärztliche Verordnung, einen ärztlichen Therapieplan oder durch Übernahme der Kosten durch den Sozialversicherungsträger nachgewiesen (vgl. ; , 2001/15/0164). (hier: Ein Bioenergetiker ist nicht in der Lage, die medizinische Notwendigkeit einer Maßnahme zu beurteilen, wenn ihm die entsprechende Ausbildung dafür fehlt.) |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2020/13/0008 E RS 3 (hier ohne den fallspezifischen Zusatz) |
Normen | |
RS 2 | Das Merkmal der Zwangsläufigkeit muss auch der Höhe nach gegeben sein. Fahrtkosten können demnach nur in (nachgewiesen) notwendiger Höhe berücksichtigt werden (vgl. ). |
Normen | |
RS 3 | Nicht jede Aufwendung und auch nicht alle Fahrtkosten, die einem positiven therapeutischen Zweck dienen, können als Heilbehandlungskosten im Sinne der Verordnung des BMF über außergewöhnliche Belastungen angesehen werden. Kosten der Heilbehandlung umfassen etwa in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehende Kosten für Ärzte und Therapien (vgl. ), mit einer konkreten Heilbehandlung im Zusammenhang stehende ärztlich verordnete Medikamente (vgl. ), ärztlich angeordnete Therapien oder Kuren (vgl. ), etc. Auch die Fahrtkosten zu derartigen Heilbehandlungen fallen unter diesen Begriff (vgl. ). |
Normen | |
RS 4 | Fahrtkosten zu Sonderschulen für behinderte Menschen fallen unter die Verordnung des BMF über außergewöhnliche Belastungen, weil das Schulgeld für derartige Schulen von § 5 Abs. 3 der Verordnung des BMF über außergewöhnliche Belastungen erfasst ist (vgl. ). |
Normen | EStG 1988 Außergewöhnliche Belastungen 1996/303 §4 EStG 1988 Außergewöhnliche Belastungen 1996/303 §5 Abs3 EStG 1988 §34 Abs6 |
RS 5 | Fahrtkosten zu einem Wohnheim für beeinträchtigte Menschen sind - wenn sie nicht unter § 5 Abs. 3 der Verordnung des BMF über außergewöhnliche Belastungen (Behindertenwerkstätte) subsumiert werden können - als Kosten der Heilbehandlung anzusehen, weil sie einem positiven therapeutischen Zweck dienen (vgl. ). Dabei ergibt sich der positive therapeutische Zweck aus der institutionalisierten und professionellen Betreuung im Wohnheim für Menschen mit Beeinträchtigungen. |
Normen | EStG 1988 Außergewöhnliche Belastungen 1996/303 §5 Abs1 EStG 1988 Außergewöhnliche Belastungen 1996/303 §5 Abs2 EStG 1988 §34 Abs6 VwRallg |
RS 6 | Nach dem klaren Wortlaut der Verordnung des BMF über außergewöhnliche Belastungen ist für jene Tage, die eine unterhaltsberechtigte Person im Wohnheim verbringt, 1/30 des Pauschalbetrages zum Abzug zu bringen. Dies offenkundig vor dem Hintergrund, dass an jenen Tagen, die eine unterhaltsberechtigte Person im Wohnheim verbringt, dem Steuerpflichtigen keine Mehraufwendungen erwachsen können. Dass nur eine bestimmte Anzahl an Hausbetreuungstagen zur Geltendmachung des anteiligen Pauschalbetrags berechtigen würde, ist mit dem Verordnungswortlaut nicht in Einklang zu bringen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des W L in W, vertreten durch die Eidlwimmer Steuerberatungs-GmbH in 5020 Salzburg, Neutorstraße 52, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/6100522/2020, betreffend Einkommensteuer 2018, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Vom Revisionswerber wurden in der Einkommensteuererklärung 2018 - neben Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie geringfügigen Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft - negative Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Ausmaß (lediglich) der Aufwendungen für seine österreichische Pflichtversicherung bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Höhe von 19.142,50 € erklärt.
2 Bei der Einkommensteuerveranlagung 2018 erkannte das Finanzamt die negativen Einkünfte aus selbständiger Arbeit nicht an. Der Revisionswerber erhob daher gegen den Einkommensteuerbescheid Beschwerde.
3 Das Finanzamt wies die Beschwerde als unbegründet ab, woraufhin der Revisionswerber deren Vorlage an das Bundesfinanzgericht beantragt.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde keine Folge und stellte folgenden Sachverhalt als unbestritten fest:
5 Der Revisionswerber habe einen Wohnsitz in Österreich und erziele hier Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. In Deutschland habe er einen weiteren Wohnsitz.
6 Seit sei der Revisionswerber als selbständiger Radiomoderator in Deutschland tätig. Daraus habe er im Jahr 2018 Einkünfte in Höhe von 397.645 € erzielt. Mit diesen Einkünften aus selbständiger Arbeit sei er im Jahr 2018 in Deutschland als unbeschränkt Steuerpflichtiger zur Einkommensteuer veranlagt worden.
7 Auf Basis seiner Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Deutschland werde der Revisionswerber seit von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Österreich zur Pflichtversicherung (Pensions-, Kranken- und Unfallversicherung) herangezogen. Die in Österreich geleisteten Pflichtversicherungsbeiträge gründeten in den in Deutschland erzielten Einkünften aus selbständiger Arbeit.
8 Die im Jahr 2018 bezahlten österreichischen Pflichtversicherungsbeiträge habe der Revisionswerber in Deutschland weder in die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung noch in die Einkommensteuererklärung aufgenommen. Demgemäß seien sie im deutschen Einkommensteuerbescheid nicht berücksichtigt worden.
9 In Österreich habe der Revisionswerber die in Deutschland erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit als nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland (im Folgenden nur: DBA-Deutschland) steuerbefreite Einkünfte für Zwecke der Einkommensbesteuerung zum Progressionsvorbehalt herangezogen, wobei das österreichische Finanzamt die deutschen Einkünfte um die im Jahr 2018 entrichteten (Anm: die Jahre 2015 und 2016 betreffenden) österreichischen Pflichtversicherungsbeiträge von 19.142,50 € gekürzt habe.
10 Den Streitpunkt bilde nunmehr ausschließlich die Frage, ob die in Österreich geleisteten Pflichtversicherungsbeiträge als Betriebsausgaben im Inland zum Verlustausgleich mit den positiven Einkünften aus Land- und Fortwirtschaft sowie Vermietung und Verpachtung zuzulassen oder ausschließlich als Ausgabenpost bei den Progressionseinkünften zu berücksichtigen seien.
11 In rechtlicher Würdigung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesfinanzgericht nach Darstellung der bezughabenden Gesetzesstellen und der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aus, der Revisionswerber habe im Inland einen Wohnsitz und sei damit in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig iSd § 1 Abs. 2 EStG 1988. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf seine in- und ausländischen Einkünfte. Er gelte aufgrund seines inländischen Hauptwohnsitzes unbestritten auch als eine in Österreich ansässige Person iSd Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA-Deutschland.
12 Gemäß Art. 14 DBA-Deutschland liege das Besteuerungsrecht hinsichtlich der in Deutschland erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Deutschland.
13 Die zwingende Anwendung des EStG 1988 für die Berechnung des Progressionsvorbehaltes habe zur Folge, dass die ausländischen Einkünfte stets nach österreichischem Recht zu ermitteln seien (Hinweis auf ; Wiesner in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 2 Anm. 67).
14 Fest stehe, dass der Revisionswerber (als selbständig erwerbstätige Person) aufgrund seiner - in Deutschland erwirtschafteten - Einkünfte nach den Bestimmungen des gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (§ 2 GSVG) in Österreich pflichtversichert sei und die von ihm diesbezüglich geleisteten Beiträge Pflichtversicherungsbeiträge nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen darstellten. Die Pflichtversicherung umfasse sämtliche in der EU und der Schweiz ausgeübten selbständigen Tätigkeiten iSd § 2 GSVG.
15 Die streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge seien unter Beachtung des Veranlassungszusammenhanges der deutschen Einkunftsquelle zuzuordnen. Dabei seien die ausländischen Einkünfte nach § 2 Abs. 8 EStG 1988 durch Umrechnung auf das inländische Recht zu adaptieren und die Pflichtversicherungsbeiträge bei der Ermittlung der Auslandseinkünfte als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.
16 Denn Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung seien kraft Gesetzes Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988 und nach obigen Ausführungen bei jenen Einkünften in Abzug zu bringen, mit denen sie im Zusammenhang stünden.
17 Aufwendungen im Zusammenhang mit Einnahmen, die auf Grund eines DBA von der Besteuerung im Inland ausgenommen seien, seien somit nicht abziehbar (Hinweis auf Kofler/Wurm in Doralt et al, EStG20, § 20, Tz 152/4).
18 Voraussetzung für die Versagung der Abzugsfähigkeit sei ein objektiver Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und den nicht der Einkommensteuer unterliegenden Einnahmen. Dabei genüge ein klar abgrenzbarer, objektiver Zusammenhang zwischen beiden Größen.
19 Die beantragten Betriebsausgaben gingen - auch iSd Rechtsprechung des BFH, Hinweis auf BFH , I R 59/05 - nicht in die Bemessungsgrundlage der österreichischen Einkommensteuer ein, denn der wirtschaftliche Zusammenhang mit Auslandseinkünften, die nicht der österreichischen Besteuerung unterlägen, würde die Einbeziehung der Aufwendungen in die Bemessungsgrundlage der österreichischen Einkommensteuer ausschließen.
20 Die durch die deutschen Einkünfte veranlassten Sozialversicherungsbeiträge minderten durch deren Berücksichtigung bei der Gewinnermittlung die Höhe der zu berücksichtigenden ausländischen Einkünfte und kürzten damit den zu ermittelnden Durchschnittssteuersatz. Diese Ausgaben würden somit bei der österreichischen Einkommensteuerberechnung des Jahrs 2018 berücksichtigt.
21 Entscheidungsrelevant sei demnach nur der Veranlassungszusammenhang der angefallenen Aufwendungen mit den in Deutschland erzielten Einnahmen. Die vom Revisionswerber aufgeworfene Frage des Besteuerungsrechtes für Ruhegehälter bedürfe mangels Aktualität im Jahr 2018 keiner Erörterung.
22 Das Finanzamt habe somit im bekämpften Bescheid zutreffend den in der Bundesrepublik Deutschland erzielten Gewinn um den - auf die ausländische Einkunftsquelle entfallenden - Sozialversicherungsbeitrag, nämlich um den Betrag von 19.142,50 € gekürzt und die steuerbefreiten Auslandseinkünfte mit einem Betrag von 374.922,06 € zum Progressionsvorbehalt herangezogen. Über den Progressionsvorbehalt komme den Pflichtversicherungsbeiträgen eine progressionsmindernde Wirkung zu.
23 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision trägt zu ihrer Zulässigkeit vor, die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liege darin, ob in Fällen einer österreichischen Pflichtversicherung für eine selbständige Tätigkeit in Deutschland die Pflichtversicherungsbeiträge in Österreich als Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988 abziehbar seien. Eine konsistente Erfassung sei - so die Revision weiter - geboten, um eine Beschränkung der Freizügigkeit der Unternehmer und Arbeitnehmer und der Dienstleistungsfreiheit zu vermeiden. Insoweit beinhalte die Frage von grundsätzlicher Bedeutung auch eine unionsrechtliche Dimension.
24 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
25 Die Revision ist zulässig und begründet.
26 Unstrittig ist, dass der Revisionswerber in Österreich und in Deutschland einen Wohnsitz hat und in Österreich der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stellen auch nicht in Streit, dass Deutschland das Besteuerungsrecht für die selbständigen Einkünfte des Revisionswerbers als Radiomoderator hat.
27 Die revisionsgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge, die dem Revisionswerber aufgrund seiner in Deutschland ausgeübten, selbständigen Tätigkeit als Radiomoderator vorgeschrieben worden sind, stellen zwingend angefallene Pflichtbeiträge iSd § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988 dar.
28 Das Bundesfinanzgericht hat die Sozialversicherungsbeiträge als Betriebsausgaben der in Deutschland ausgeübten selbständigen Tätigkeit gewertet und bei Ermittlung der Höhe dieser Einkünfte in Abzug gebracht. Diese Einkünfte aus selbständiger Arbeit seien in Österreich durch das DBA-Deutschland steuerfrei gestellt. Da die Sozialversicherungsbeiträge mit der in Deutschland ausgeübten, selbständigen Tätigkeit in Zusammenhang stünden, für die Deutschland nach Art. 14 DBA-Deutschland das Besteuerungsrecht und Österreich eine Freistellungsverpflichtung habe, seien sie nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts in Österreich nicht (zusätzlich) von jenem Einkommen, das nach dem DBA Österreich zur Besteuerung verbleibe, in Abzug zu bringen, sondern nur im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.
29 Das Bundesfinanzgericht hat somit - grundsätzlich zutreffend - für Zwecke der Einkommensbesteuerung nach dem EStG 1988 die Einkünfte der in Deutschland ausgeübten selbstständigen Tätigkeit nach österreichischem Steuerrecht ermittelt und sodann diese Einkünfte in Anwendung des DBA-Deutschland aus dem in Österreich zu versteuernden Einkommen ausgeschieden und nur für Zwecke des Progressionsvorbehaltes berücksichtigt. Bei dieser Ermittlung der Einkünfte hat es die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung als Betriebsausgaben berücksichtigt.
30 Allerdings hat sich das Bundesfinanzgericht nicht mit der Frage beschäftigt, ob die gegenständlichen in Österreich bezahlten und mit den deutschen Einkünften in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland - nach deutschem Recht - auch steuerlich Berücksichtigung finden.
31 Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis , Ra 2020/15/0077, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH ausgesprochen hat, obliegt die einkommensteuerliche Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse von in der EU grenzüberschreitend tätigen Personen im Zweifel jenem Staat, in welchem die Person gebietsansässig ist (vgl. etwa auch , F W L de Groot, Rn 90). Wenn das nationale Einkommensteuerrecht eines Mitgliedstaates in Bezug auf die im Mitgliedstaat gebietsansässigen Personen die steuermindernde Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse vorsieht, so darf der Mitgliedstaat, soweit eine Deckung in dem ihm zukommenden Steueranspruch besteht, diese Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse unionsrechtlich nicht deshalb zurücknehmen, weil die Person ihre wirtschaftliche Betätigung auch in einem anderen Mitgliedstaat ausübt oder ausgeübt hat.
32 Der Verwaltungsgerichtshof brachte im Erkenntnis vom , Ra 2020/15/0077, weiters zum Ausdruck: Wenn eine in Österreich unbeschränkt steuerpflichtige Person in Bezug auf in Deutschland erzielte Einkünfte, für die Deutschland das Besteuerungsrecht hat, in Österreich Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung zu entrichten hat, und falls diese Person, weil sie in Deutschland gebietsfremd (beschränkt steuerpflichtig) ist, die Beiträge dort steuerlich nicht abziehen kann, gebieten es die unionsrechtlichen Grundfreiheiten, die Beiträge von dem in Österreich zu besteuernden Einkommen in Abzug zu bringen. Für Pflichtbeiträge zur Pensionsversicherung ergebe sich schon aus innerstaatlichem Recht, dass sie im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht zum Abzug zuzulassen sind, wenn im Quellenstaat keine steuerliche Berücksichtigung erfolgt.
33 Im gegenständlichen Fall verfügt der Steuerpflichtige in Deutschland wie in Österreich über einen Wohnsitz. Er ist in Deutschland wie in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig. Die in Rede stehenden, in Österreich entrichteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung sind den Einkünften zuzuordnen, für welche - im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbestritten - nach dem DBA-Deutschland das Besteuerungsrecht Deutschland zukommt. Diese Pflichtbeiträge sind daher aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland vorrangig von Deutschland zu berücksichtigen.
34 Das Bundesfinanzgericht stellte fest, der Revisionswerber habe die im Jahr 2018 bezahlten österreichischen Pflichtversicherungsbeiträge in Deutschland weder in die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung noch in die Einkommensteuererklärung aufgenommen. Feststellungen dahingehend, dass die in Rede stehenden Beiträge im Falle ihrer Geltendmachung in Deutschland zum Abzug zuzulassen gewesen wären, traf das Bundesfinanzgericht in Verkennung der Rechtslage nicht.
35 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
36 Für das fortgesetzten Verfahren wird darauf hingewiesen, dass Vorsorgeaufwendungen von in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Personen gemäß § 10 Abs. 1 Z 2, 3 und 3a dEStG als Sonderausgaben abziehbar sind, soweit sie in keinem unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Das Bundesfinanzgericht wird insbesondere zu prüfen haben, ob die gegenständlich strittigen Beiträge von diesem Sonderausgabentatbestand erfasst sind.
37 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des W S in R, vertreten durch Dr. Claudia Maria Schoßleitner, Rechtsanwältin in 4910 Ried/Innkreis, TECHNO-Z Ried, Molkereistraße 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100678/2016, betreffend Einkommensteuer 2012 bis 2014, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber machte - soweit für das Revisionsverfahren noch relevant - in den Jahren 2012 bis 2014 in seiner Arbeitnehmerveranlagung behinderungsbedingte außergewöhnliche Belastungen geltend, die einerseits Fahrtkosten für Ausflüge mit seinem behinderten Sohn sowie einen anteiligen Pauschalbetrag nach § 5 Abs. 1 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen betrafen.
2 Das Finanzamt erkannte die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen an.
Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde - nach Beschwerdevorentscheidung und Vorlageantrag - teilweise Folge und änderte den Bescheid ab. Es führte aus, dass der schwer behinderte Sohn des Revisionswerbers, für den erhöhte Familienbeihilfe bezogen werde, im streitgegenständlichen Zeitraum ganzjährig in einem Wohnheim in Vollbetreuung gelebt habe. Sein Anspruch auf Pflegegeld sei mit Ausnahme der ihm als Taschengeld verbleibenden 44,29 € an den Kostenträger dieser Vollbetreuung übergegangen. Wöchentlich fänden Fahrten zwischen W und dem Familienwohnsitz statt, wofür Kosten für Fahrten von 2.500 km anfielen. Den Revisionswerber träfen auch zwangsläufig und außergewöhnlich Kosten durch die Aufenthalte des Sohnes am Familienwohnsitz. Die Tage, an denen sich der Revisionswerber insbesondere aus sittlichen Gründen diesen Kosten nicht habe entziehen können und an denen außergewöhnliche Kosten anfielen, die bei der Mehrzahl anderer Steuerpflichtigen nicht anfielen, würden mit 60 Tagen pro Jahr geschätzt. Insgesamt ergebe sich aus dem Akt, dass sich der Gesundheitszustand des Sohnes des Revisionswerbers auch durch den sehr engagierten Einsatz der Eltern und insbesondere auch durch die mit dem Sohn am gemeinsamen Hauptwohnsitz verbrachte Zeit verbessert habe. Der Revisionswerber habe auch Fahrten von 3.000 km pro Jahr für Ausflüge mit dem Sohn zu von diesem besonders geschätzten Orten oder zu bestimmten familiären Anlässen als Kosten der Heilbehandlung gemäß § 4 der VO über außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht, die nach Angaben des Revisionswerbers der Erzielung eines positiven therapeutischen Effektes gedient hätten. Dem Revisionswerber werde zugestanden, dass der Sohn nach den vorgelegten Unterlagen im allgemeinen Lebensbereich gewisse Fortschritte und Entwicklungen in eine positive Richtung gemacht habe. Anerkannt werde auch, dass diese Fortschritte auch auf die familiäre Eingliederung und Beschäftigung der Eltern mit dem Sohn zurückzuführen seien. Fraglich sei aber, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien, damit die dafür angefallenen Kosten aufgrund ihres zwangsläufigen Anfalles und ihrer Außergewöhnlichkeit von der Allgemeinheit getragen werden müssten. Nach § 4 der VO könnten Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß berücksichtigt werden. Zu diesen Kosten würden auch Fahrten zu Heilbehandlungen zählen, sofern diese Fahrten und die stattgefundenen Therapien nachgewiesen würden. Dafür kämen aber allenfalls Fahrten zu Heilbehandlungen im weiteren Sinn (alternativmedizinische Behandlungen, Kurse zum Erlernen von Entspannungstechniken, etc.) in Frage, wenn deren Durchführung und positiver therapeutischer Zweck in irgendeiner Weise nachgewiesen (die Durchführung) oder glaubhaft gemacht (positive Auswirkung) werden könne. Bloßen Ausflügen zu Plätzen, die der Sohn besonders gerne besuche, oder zu familiären Anlässen fehle aber jedenfalls das Moment der Außergewöhnlichkeit. Nur Mehraufwendungen aus der Behinderung könnten als außergewöhnliche Belastung in Frage kommen, nicht aber bloße regelmäßig auch in Familien ohne beeinträchtigte Mitglieder anfallende Kosten. Bloße Ausflüge oder Fahrten zu familiären Anlässen könnten selbst bei positiven therapeutischen Auswirkungen nicht als Heilbehandlung qualifiziert werden.
3 Zum Pauschbetrag gemäß § 5 der VO führte das Bundesfinanzgericht aus, nach der Bestimmung seien ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten Mehraufwendungen mit monatlich 262 € vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen zu berücksichtigen. Bei Unterbringung in einem Vollinternat vermindere sich der nach Abs. 1 zustehende Pauschbetrag pro Tag des Internatsaufenthaltes um je ein Dreißigstel. Der Revisionswerber habe einen anteiligen Pauschalbetrag für den Sohn in Höhe von 150 Dreißigstel von 262 € geltend gemacht. Dieser Betrag ergebe sich dadurch, dass der Sohn an diesen Tagen im Haushalt des Revisionswerbers sei (Feiertage, Wochenenden usw.: ca. 52 Wochen x 3 Tage) und er dafür keine zu verrechnende pflegebedingte Geldleistung erhalte. Der Revisionswerber hole seinen behinderten Sohn zwangsläufig aus sittlichen Gründen an bestimmten Tagen zu seiner Familie. Diese Zeit bei der Familie sei nicht nur sittlich geboten und somit zwangsläufig erfolgt, sondern habe offensichtlich auch einen hohen therapeutischen Nutzen für den Sohn. Nach § 5 der VO könnten bei den gegebenen Voraussetzungen ohne Nachweis angefallener Kosten Mehraufwendungen in pauschaler Höhe von 262 € anerkannt werden. Je Tag der Vollunterbringung in einem Internat, für den dem Revisionswerber keine Kosten anfielen, sei der Pauschbetrag um 1/30 von 262 € zu verringern. Es könnten aber nur außergewöhnlich und zwangsläufig anfallende Kosten anerkannt werden. Grundsätzlich sei der Sohn des Revisionswerbers an 365 Tagen des Jahres mit Vollverpflegung im Wohnheim untergebracht. Aus dem Zusammenspiel von § 34 Abs. 1 und Abs. 6 EStG 1988 sowie § 5 der VO ergebe sich, dass nur Mehraufwendungen des Revisionswerbers für seinen Sohn, für den erhöhte Familienbeihilfe gewährt werde, die außergewöhnlich seien, zwangsläufig erwachsen und seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen, als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden können. Wenn eine Person somit grundsätzlich einen Anspruch auf ganzjährige Unterbringung und Vollverpflegung in einem Internat oder sonstigem Wohnheim habe, sei festzustellen, inwieweit durch Abholungen in den privaten Haushalt des Revisionswerbers nicht außergewöhnliche und nicht zwangsläufig erwachsende Unterhaltskosten und inwieweit außergewöhnlich und zwangsläufig erwachsende Mehraufwendungen iZm der Behinderung des Sohnes vorlägen. Festzustellen sei, an wie vielen Tagen die Vollunterbringung aus sittlichen oder anderen Gründen zwangsläufig nicht genutzt werden könne. Im konkreten Fall gehe das Gericht davon aus, dass „das Verbringen bei der Familie“ an zwei Tagen alle zwei Wochen und an einigen Feiertagen die oben genannten Voraussetzungen erfüllte und an diesen Tagen nicht nur Unterhaltsleistungen anfielen.
4 Die Revision ließ das Bundesfinanzgericht zu, weil es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage gebe, inwieweit Mehraufwendungen bei zwingenden Unterbrechungen einer zustehenden Vollverpflegung in einem Vollinternat zu außergewöhnlichen Belastungen führen.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die vorbringt, dass nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes Fahrtkosten, die der Erzielung eines positiven therapeutischen Effektes dienten, zu den Kosten der Heilbehandlung im Sinne des § 4 der VO zählten. Zum Pauschbetrag führt die Revision aus, dass jede Unterbrechung der Vollversorgung in einem Wohnheim durch eine Betreuung einer Person mit einer Behinderung zu Hause zwangsläufig zu außergewöhnlichen Belastungen führen müsse und deshalb ein entsprechender Anteil am Pauschalbetrag zustehe.
6 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
9 § 34 Abs. 6 Teilstrich 4 EStG 1988 sowie der Schlussteil dieses Absatzes lauten:
„(6) Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:
[...]
- Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
[...]
Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.“
10 § 4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen BGBl. Nr. 303/1996 idF BGBl. II Nr. 91/1998 und § 5 dieser Verordnung in der Fassung BGBl. II Nr. 416/2001 lauten:
„§ 4. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.
§ 5. (1) Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sind ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 262 Euro vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zu berücksichtigen.
(2) Bei Unterbringung in einem Vollinternat vermindert sich der nach Abs. 1 zustehende Pauschbetrag pro Tag des Internatsaufenthaltes um je ein Dreißigstel.
(3) Zusätzlich zum (gegebenenfalls verminderten) Pauschbetrag nach Abs. 1 sind auch Aufwendungen gemäß § 4 sowie das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.“
Zu den Fahrtkosten für Ausflüge und Familienfeiern:
11 Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Eine Belastung muss, um als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt zu werden, gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 bis 3 EStG 1988 außergewöhnlich sein, zwangsläufig erwachsen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.
12 Zwangsläufig erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 dann, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
13 Nicht jede auf ärztliches Anraten und aus medizinischen Gründen durchgeführte Gesundheitsmaßnahme führt zu einer außergewöhnlichen Belastung. Die Aufwendungen müssen vielmehr zwangsläufig erwachsen, womit es erforderlich ist, dass die Maßnahmen zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind (vgl. , mwN). Die medizinische Notwendigkeit einer Maßnahme wird zB durch eine ärztliche Verordnung, einen ärztlichen Therapieplan oder durch Übernahme der Kosten durch den Sozialversicherungsträger nachgewiesen (vgl. ; , Ra 2017/13/0039; , 2001/15/0164). Das Merkmal der Zwangsläufigkeit muss zudem auch der Höhe nach gegeben sein. Fahrtkosten können demnach nur in (nachgewiesen) notwendiger Höhe berücksichtigt werden (vgl. ).
14 Dass ein ärztlicher Therapieplan in den Revisionsjahren vorhanden war, wurde vom Bundesfinanzgericht nicht festgestellt; ein solcher wurde im Verfahren soweit ersichtlich auch nicht vorgelegt. Der Umstand, dass der Sohn des Revisionswerbers infolge elterlicher Betreuung und familiärer Eingliederung insgesamt Fortschritte gemacht und sich positiv entwickelt hat, vermag somit noch nicht den Aufwendungen für Ausflüge und Familienfeiern den Charakter von außergewöhnlichen Belastungen zu verleihen.
15 Wenn die Revision vorbringt, dass die Fahrtkosten einem therapeutischen Zweck gedient hätten und sie deshalb jedenfalls „Kosten der Heilbehandlung“ im Sinne der VO darstellen würden, woraus sich automatisch das Vorliegen außergewöhnlicher Belastungen ergäbe, ist darauf zu verweisen, dass sich die Anwendbarkeit der VO über außergewöhnliche Belastungen erst dann stellen kann, wenn überhaupt außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 34 Abs. 6 EStG 1988 vorliegen.
16 Nicht jede Aufwendung und auch nicht alle Fahrtkosten, die einem positiven therapeutischen Zweck dienen, können als Heilbehandlungskosten im Sinne der Verordnung angesehen werden. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder des Verfassungsgerichtshofes. Kosten der Heilbehandlung umfassen etwa in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehende Kosten für Ärzte und Therapien (vgl. ), mit einer konkreten Heilbehandlung im Zusammenhang stehende ärztlich verordnete Medikamente (vgl. ), ärztlich angeordnete Therapien oder Kuren (vgl. ), etc. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen auch die Fahrtkosten zu derartigen Heilbehandlungen unter diesen Begriff (vgl. ). Weiters fallen Fahrtkosten zu Sonderschulen für behinderte Menschen unter die VO, weil das Schulgeld für derartige Schulen von § 5 Abs. 3 der VO erfasst ist (vgl. ). Der Verfassungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass Fahrtkosten zu einem Wohnheim für beeinträchtigte Menschen - wenn sie nicht unter § 5 Abs. 3 der VO (Behindertenwerkstätte) subsumiert werden können - als Kosten der Heilbehandlung anzusehen sind, weil sie einem positiven therapeutischen Zweck dienen (vgl. ). Dabei ergibt sich der positive therapeutische Zweck aus der institutionalisierten und professionellen Betreuung im Wohnheim für Menschen mit Beeinträchtigungen.
Der Verwaltungsgerichtshof und der Verfassungsgerichtshof haben demnach nicht sämtliche Aufwendungen bzw. Fahrtkosten, die einer Verbesserung der Krankheit oder Behinderung dienen könnten bzw. einen positiven therapeutischen Zweck haben, dem § 4 der angeführten Verordnung subsumiert; es handelte sich dabei stets um Aufwendungen, die mit ärztlich verordneten Maßnahmen oder institutionellen Betreuungsformen in unmittelbarem Zusammenhang standen.
17 Das Bundesfinanzgericht hat das Vorliegen außergewöhnlicher Belastungen infolge Fahrtkosten iZm Ausflügen und Familienfeiern somit zu Recht verneint.
Zum Pauschalbetrag gemäß § 5 Abs. 1 der VO über außergewöhnliche Belastungen:
18 Im Recht ist die Revision aber mit ihrem Vorbringen zu § 5 der VO über außergewöhnliche Belastungen.
19 § 5 Abs. 1 der VO über außergewöhnliche Belastungen sieht vor, dass Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 262 Euro vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zu berücksichtigen sind. Gemäß Abs. 2 vermindert sich der nach Abs. 1 zustehende Pauschbetrag bei Unterbringung in einem Vollinternat pro Tag des Internatsaufenthaltes um je ein Dreißigstel.
20 Der Revisionswerber hat seinen Sohn - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts - an 150 Tagen im Jahr zu Hause betreut. Dass der Revisionswerber für diese Tage eine Rückerstattung des Pflegegeldes durch das Wohnheim erhalten hat oder erhalten hätte können, wurde vom Bundesfinanzgericht nicht festgestellt. Aus einem im Akt einliegenden Schreiben des Landes Oberösterreich ergibt sich vielmehr, dass keine Rückerstattung der einbehaltenen Pflegegeldleistungen für Hausbetreuungstage erfolgen kann.
21 Das Bundesfinanzgericht stützt seine rechtliche Beurteilung darauf, dass für 90 der 150 Tage die Voraussetzungen des § 34 Abs. 6 EStG 1988 nicht erfüllt wären, weil dem Sohn des Revisionswerbers grundsätzlich das ganze Jahr hindurch eine Vollbetreuung im Wohnheim zur Verfügung stünde und die Eltern nur an 60 Tagen sittlich verpflichtet wären, den Sohn zu Hause zu betreuen. Dass dem Revisionswerber durch die Betreuung seines Sohnes zu Hause tatsächlich keine behinderungsbedingten Mehraufwendungen erwachsen sind, wurde nicht festgestellt.
22 Das Bundesfinanzgericht geht somit zu Unrecht davon aus, dass Eltern die (tatsächlich bestehende) Möglichkeit einer Unterbringung ihrer behinderten Kinder in einem Wohnheim - bis auf eine bestimmte Anzahl von zugestandenen Tagen, die als sittliche Verpflichtung anerkannt werden - in Anspruch nehmen müssten.
23 Auch die VO über außergewöhnliche Belastungen stützt die Ansicht des Bundesfinanzgerichts nicht. Nach dem klaren Wortlaut der Verordnung ist für jene Tage, die eine unterhaltsberechtigte Person im Wohnheim verbringt, 1/30 des Pauschalbetrages zum Abzug zu bringen. Dies offenkundig vor dem Hintergrund, dass an jenen Tagen, die eine unterhaltsberechtigte Person im Wohnheim verbringt, dem Steuerpflichtigen keine Mehraufwendungen erwachsen können. Dass nur eine bestimmte Anzahl an Hausbetreuungstagen zur Geltendmachung des anteiligen Pauschalbetrags berechtigen würde, ist mit dem Verordnungswortlaut nicht in Einklang zu bringen. Auch das Argument, dass dem Sohn des Revisionswerbers eine 365-Tage Vollbetreuung im Wohnheim zustehen würde, ändert nichts daran, dass an Hausbetreuungstagen dem Revisionswerber Mehraufwendungen aus der Betreuung seines Sohnes erwachsen, die mit dem Pauschalbetrag abgegolten werden sollen.
24 Das Bundesfinanzgericht hat somit die Rechtslage verkannt, wenn es den anteiligen Pauschalbetrag nur für 60 Tage im Jahr gewährt hat.
25 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Auf die beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG verzichtet werden.
26 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021150005.L00 |
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Fundstelle(n):
CAAAF-44995