VwGH 05.05.2021, 2018/16/0129
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | 32008L0118 Verbrauchsteuer-SystemRL Art17 Abs2 32008L0118 Verbrauchsteuer-SystemRL Art21 Abs8 |
RS 1 | Art. 17 Abs. 2 der RL 2008/118/EG sieht lediglich den Fall vor, dass der Bestimmungsmitgliedstaat eine Direktlieferung an einen in seinem Gebiet befindlichen Bestimmungsort zulassen kann, wenn dieser Ort vom zugelassenen Lagerinhaber im Bestimmungsmitgliedstaat oder vom registrierten Empfänger angegeben wurde. Eine Regelung für eine Direktlieferung vom Steuerlager des ersten Verkäufers im Abgangsmitgliedstaat zu einem Bestimmungsort im (anderen) Bestimmungsmitgliedstaat, wenn der erste Käufer über ein zugelassenes Steuerlager nicht im Bestimmungsmitgliedstaat, sondern im Abgangsmitgliedstaat verfügt und dieser die Direktlieferung an seinen (den zweiten) Käufer für sich in Anspruch nehmen möchte, fehlt. Eine Änderung des Bestimmungsorts während der Beförderung sieht Art. 21 Abs. 8 der RL 2008/118/EG lediglich durch den Versender, nicht aber durch den Empfänger vor. |
Normen | 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL 32008L0118 Verbrauchsteuer-SystemRL 62002CJ0292 Meiland Azewijn VORAB 62014CJ0175 Prankl VORAB 62019CJ0095 Silcompa VORAB |
RS 2 | Der EuGH hat zu der von der RL 2008/118/EG aufgehobenen Richtlinie 92/12/EWG klar und unmissverständlich ausgesprochen, dass die Richtlinie 92/12/EWG bezwecke, in bestimmtem Umfang den Besitz, den Verkehr und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren zu regeln, und zwar insbesondere, um zu gewährleisten, dass der Verbrauchsteueranspruch in allen Mitgliedstaaten unter den gleichen Umständen gegeben ist. Diese Harmonisierung ermögliche es grundsätzlich, Doppelbesteuerungen im Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten zu vermeiden. In der RL 92/12/EWG werde die allgemeine Regel aufgestellt, dass eine verbrauchsteuerpflichtige Ware, die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden ist, und sich zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat befindet, im letztgenannten Staat besteuert wird. Der Steueranspruch entstehe somit im Bestimmungsmitgliedstaat der Ware und nicht im Mitgliedstaat der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr (vgl. Meiland Azewijn BV, C-292/02, Rn 35, und vor allem Ralph Prankl, C-175/14, Rn 20 und 21, sowie jüngst Silcompa SpA, C-95/19, Rn 44). Der Abgangsmitgliedstaat bleibt nur unter der Voraussetzung für die Erhebung der Verbrauchsteuer zuständig, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden ( Ralph Prankl, C-175/14, Rn 24 und 25). Diese Rechtsprechung ist auf die im Revisionsfall maßgebliche RL 2008/118/EG zu übertragen, welche lediglich aus Gründen der Klarheit die Richtlinie 92/12/EWG in der Fassung derer Änderungen ersetzt hat (vgl. erster Erwägungsgrund der RL 2008/118/EG). Ist der Abgangsmitgliedstaat nach dieser Rechtsprechung des EuGH aber nicht für die Erhebung der Verbrauchsteuer zuständig, wenn sich die Ware bereits zu gewerblichen Zwecken im Bestimmungsmitgliedstaat befindet, kommt eine Festsetzung der Verbrauchsteuer im Abgangsmitgliedstaat zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht (vgl. Bieber/Brandl, SWI 2015, 610 [612f]). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger und den Hofrat Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der M Ggesellschaft m.b.H. in A, vertreten durch Dr. Martin Drahos, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2200010/2016, betreffend Biersteuer (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: nunmehr Zollamt Österreich), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts wurde der Revisionswerberin mit Bescheid des damaligen Zollamts Graz vom ein Steuerlager (Bierlager) gemäß § 14 BierStG in A (Österreich) bewilligt. Die Art und der Umfang der zugelassenen Lagerbehandlungen umfasse laut diesem Bescheid im Wesentlichen die Lagerung von Bier (in handelsüblichen Verpackungen gekauft und eingelagert), den Empfang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten im Verfahren der Steueraussetzung sowie den Versand von Erzeugnissen in andere Mitgliedstaaten im Verfahren der Steueraussetzung.
2 In der (in den Verwaltungsakten einliegenden) Niederschrift vom über eine bei der Revisionswerberin erfolgte Prüfung der Verbrauchsteuern für das Jahr 2014 führte die Prüferin - soweit hier wesentlich - aus, die Revisionswerberin habe im Jahr 2014 ausschließlich Bier von der K GmbH aus deren Steuerlager in G (Österreich) bezogen. Von den insgesamt acht im Verfahren der Steueraussetzung durchgeführten Bierlieferungen im Jahr 2014 habe die Revisionswerberin nur eine Lieferung körperlich in ihr Steuerlager in A aufgenommen. Die restlichen sieben Lieferungen seien nie in das Steuerlager in A aufgenommen worden, obwohl die Revisionswerberin die von der K GmbH ausgestellten elektronischen Verfahrensdokumente (im Folgenden: e-VD) und damit den Empfang der Waren bestätigt habe. Die Bierlieferungen seien jeweils von einer Spedition im Auftrag der Revisionswerberin am Abgangsort, dem Steuerlager der K GmbH in G übernommen und direkt zu den Kunden der Revisionswerberin in Italien oder in den Niederlanden befördert worden. Für diese Lieferungen habe die Revisionswerberin am Tag der Warenübernahme durch die von ihr beauftragte Spedition und noch vor der fiktiven Aufnahme des Biers in ihr Steuerlager in A jeweils ein neues e-VD eröffnet, wobei sie ihr Steuerlager in A als Abgangsort angegeben habe. Das jeweilige e-VD sei vom Empfänger des Biers in Italien oder in den Niederlanden erledigt worden. Eine der sieben Lieferungen sei vor der endgültigen Lieferung an den Empfänger in den Niederlanden zunächst unversteuert in einem anderen Steuerlager (für Alkohol- und Zwischenerzeugnisse, jedoch nicht für Bier) zwischengelagert worden. Auch bezüglich dieser Lieferung habe die Revisionswerberin den Empfang der Ware ohne tatsächliche Aufnahme in ihr Steuerlager in A bestätigt.
3 Mit Bescheid vom setzte das Zollamt gegenüber der Revisionswerberin für die sieben von der K GmbH an sie im Verfahren der Steueraussetzung erfolgten Lieferungen Biersteuer gemäß § 23 Abs. 1 und 2, § 7 Abs. 1 Z 3, § 8 Abs. 1 Z 1 und § 15 BierStG iVm § 201 BAO iHv 21.255,70 € sowie einen Säumnis- und einen Verspätungszuschlag iHv je 425,11 € fest. Die Revisionswerberin habe keine der sieben Sendungen in ihr Bierlager aufgenommen, sondern direkt an ihre Abnehmer in Italien und in den Niederlanden geliefert. Aufgrund dieser Unregelmäßigkeit im Verkehr unter Steueraussetzung sei für die einzelnen Lieferungen jeweils die Biersteuerschuld entstanden und gegenüber der Revisionswerberin festzusetzen gewesen.
4 In der dagegen erhobenen Beschwerde vom brachte die Revisionswerberin zusammengefasst vor, der Umstand, dass im Verfahren der Steueraussetzung befördertes Bier von ihr nicht körperlich in ihr Bierlager aufgenommen worden sei, stelle keine Unregelmäßigkeit im Sinne der Richtlinie (kurz: RL) 2008/118/EG dar, die das Steueraussetzungsverfahren beende und die Steuerschuld entstehen lasse. Da feststehe, dass die Bierlieferungen von den italienischen und holländischen Kunden der Revisionswerberin übernommen worden seien und damit ihr jeweiliges Bestimmungsland erreicht hätten, sei eine Vorschreibung der Verbrauchsteuer im Abgangsmitgliedstaat nicht zulässig (Hinweis auf Ralph Prankl, C-175/14). Im Übrigen sähen Art. 11 und Art. 33 RL 2008/118/EG die Möglichkeit der Erstattung bzw. des Erlasses der Verbrauchsteuer vor.
5 Nach Ergehen einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung durch das Zollamt sowie der Stellung eines Vorlageantrags durch die Revisionswerberin gab das Bundesfinanzgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde der Revisionswerberin hinsichtlich einer Lieferung (aufgrund für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht wesentlicher Umstände) statt, und änderte den Spruch des Bescheids des Zollamts vom dahingehend ab, dass es die Biersteuer mit 18.219,17 € sowie einen Säumnis- und einem Verspätungszuschlag iHv je 364,38 € festsetzte.
6 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, die K GmbH habe EDV-gestützte Verfahren zur Beförderung von verbrauchsteuerpflichtigem Bier im Verfahren der Steueraussetzung von ihrem Steuerlager in G in das Steuerlager (Bierlager) der Revisionswerberin in A eröffnet. Den für die verfahrensgegenständlichen Lieferungen eingereichten e-VD seien administrative Referenzcodes zugewiesen worden. In diesen e-VD sei die K GmbH als Versender und deren Steuerlager in G als Abgangsort ausgewiesen. Als Empfänger der Waren sei die Revisionswerberin und als Ort der Lieferung deren Steuerlager (Bierlager) in A angegeben. Diese Lieferungen im Verfahren der Steueraussetzung seien so abgelaufen, dass das Bier von einer Spedition im Auftrag der Revisionswerberin am Abgangsort, dem Steuerlager der K GmbH übernommen und noch am selben Tag mit der Lieferung direkt an die Kunden der Revisionswerberin in Italien oder den Niederlanden begonnen worden sei. Lediglich bei der Lieferung vom sei aufgrund von Zahlungsverzögerungen des Endabnehmers in den Niederlanden mit der Lieferung der Ware vom Steuerlager der K GmbH zum Bestimmungsort nicht wie üblich am selben Tag begonnen worden, sondern sei das Bier in einem Lager, das kein Bierlager gewesen sei, zwischengelagert worden. Die Revisionswerberin habe jedoch bei allen sieben Lieferungen gemeldet, dass das Bier in ihrem Bierlager in A eingegangen sei. Das gemeldete Eingangsdatum sei mit dem im jeweiligen e-VD von der K GmbH angegebenen Versanddatum ident. Eine körperliche Übernahme des Biers in das Bierlager der Revisionswerberin habe jedoch nicht stattgefunden. Vielmehr sei das Bier entgegen den Angaben in den e-VD betreffend das erste Beförderungsverfahren direkt (bei einer Sendung erst nach erfolgter Zwischenlagerung) vom Steuerlager der K GmbH an die Kunden der Revisionswerberin in Italien und in den Niederlanden geliefert worden. Auch den für das zweite Beförderungsverfahren von der Revisionswerberin eingereichten e-VD seien administrative Referenzcodes zugewiesen worden. In diesen Verwaltungsdokumenten seien die Revisionswerberin als Versender und deren Bierlager in A als Abgangsort ausgewiesen. Als Empfänger seien die Kunden in Italien oder in den Niederlanden und als Ort der Lieferung die Steuerlager dieser Kunden angegeben. In allen Fällen seien von den Kunden in Italien und den Niederlanden Meldungen über den Eingang des Biers übermittelt worden.
7 Nach einer Wiedergabe der maßgeblichen Bestimmungen der RL 2008/118/EG, der Verordnung (EG) Nr. 684/2009 und des BierStG führte das Bundesfinanzgericht aus, im gegenständlichen Fall sei strittig, ob es bei Beförderungen von Bier im Verfahren der Steueraussetzung im Steuergebiet (erste Beförderungsverfahren) zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei, die die Überführung des Biers in den steuerrechtlich freien Verkehr im Steuergebiet zur Folge hätten.
8 Als Unregelmäßigkeit gelte nach § 23 Abs. 1 BierStG ein während der Beförderung von Bier unter Steueraussetzung eintretender Fall, auf Grund dessen die Beförderung oder ein Teil der Beförderung „nicht ordnungsgemäß beendet“ werden könne. § 23 Abs. 1 BierStG sei aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 10 Abs. 6 der RL 2008/118/EG dahingehend zu interpretieren, dass dies dann der Fall sei, wenn eine Beförderung oder ein Teil einer Beförderung „nicht nach Art. 20 Abs. 2 der RL 2008/118/EG beendet“ werde.
9 Nach Art. 20 Abs. 2 der RL 2008/118/EG (und § 15 Abs. 3 BierStG) ende die Beförderung im Verfahren der Steueraussetzung, wenn der Empfänger das Bier „in sein Steuerlager aufnimmt“. Auch wenn der bloße Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 der RL 2008/118/EG, der auf die Übernahme durch den Empfänger abstelle, die Auslegung zulassen würde, dass eine Beendigung der Beförderung auch bei einer Übernahme der Waren außerhalb des Steuerlagers des Empfängers vorliege, stehe doch aufgrund einer Zusammenschau mit den Bestimmungen des Art. 24 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 2 der RL 2008/118/EG fest, dass es für die Beendigung von Beförderungen im Verfahren der Steueraussetzung auf die Übernahme an dem in Art. 17 Abs. 1 Buchst. a Z i der RL 2008/118/EG genannten Bestimmungsort, dem Steuerlager, ankomme.
10 In den verfahrensgegenständlichen Fällen sei das erste Beförderungsverfahren mangels Aufnahme des Biers in das Steuerlager der Revisionswerberin nicht ordnungsgemäß beendet worden. Daran vermöchten auch die abgegebenen Eingangsmeldungen nichts zu ändern, liege doch nur bei einer körperlichen Aufnahme des Biers in das Steuerlager eine ordnungsgemäße Beendigung der Beförderung im Sinne der einschlägigen Bestimmungen vor.
11 Für das Bier sei gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BierStG die Steuerschuld durch die Überführung des Biers in den steuerrechtlich freien Verkehr durch eine Unregelmäßigkeit im Steuergebiet nach § 23 BierStG bei der Beförderung im Verfahren der Steueraussetzung entstanden.
12 Zu dem Vorbringen, wonach die Kunden in Italien und in den Niederlanden im zweiten Beförderungsverfahren den Empfang des Biers bestätigt hätten, sei festzuhalten, dass diese in einem Verfahren der Steueraussetzung angemeldeten Beförderungen nie begonnen hätten, habe das verfahrensgegenständliche Bier doch mangels dessen Aufnahme in das Bierlager der Revisionswerberin das in den e-VD angegebene Abgangssteuerlager nie verlassen können.
13 Da das Zollamt mit dem angefochtenen Bescheid nicht über einen Antrag auf Erstattung der Biersteuer abgesprochen habe, sei das Bundesfinanzgericht mangels Sachidentität nicht befugt, über die Erstattung der Biersteuer zu entscheiden. Eine Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen erübrige sich daher.
14 Auch wenn die RL 2008/118/EG auf eine Vermeidung von Doppelbesteuerungen im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten abziele, sei dies nach der Rechtsprechung des EuGH kein absoluter Grundsatz, der eine doppelte Entstehung der Verbrauchsteuer bei Nichteinhaltung der Vorgaben der RL 2008/118/EG (bzw. der nationalen Regelungen) verhindere. Auch der BFH habe in seinem Urteil vom , VII R 39/08, bereits ausgeführt, dass sich aus dem Grundsatz der Besteuerung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Bestimmungsland kein Verbot einer mehrfachen Entstehung und Erhebung der Verbrauchsteuer in verschiedenen Mitgliedstaaten ableiten lasse.
15 Die Revisionswerberin sei daher (hinsichtlich sechs Lieferungen) zu Recht als Steuerschuldnerin in Anspruch genommen worden.
16 Gegen dieses Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts richtet sich die vorliegende Revision, in der sich die Revisionswerberin u.a. im Recht verletzt erachtet, dass für sie keine Biersteuer für das in Rede stehende Bier festgesetzt werde.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
18 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
19 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
20 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, fraglich sei, ob die körperliche Nichtaufnahme von verbrauchsteuerpflichtigen Waren in ein Steuerlager unter Berücksichtigung der Vorgaben der RL 2008/118/EG eine Unregelmäßigkeit darstelle, die das Steueraussetzungsverfahren beende und die Steuerschuld entstehen lasse. Weiters habe der Ralph Prankl, C-175/14, ausgesprochen, dass eine Vorschreibung von Verbrauchsteuern im Abgangs- oder Durchfuhrmitgliedstaat nicht in Betracht komme, wenn feststehe, dass die Waren den Bestimmungsmitgliedstaat erreicht hätten. Die wesentliche Rechtsfrage sei daher, ob nach Italien und in die Niederlande beförderte Sendungen noch als verbrauchsteuerpflichtige Waren der österreichischen Biersteuer unterworfen werden könnten, obwohl sie zum Zeitpunkt der Festsetzung der österreichischen Biersteuer samt Säumnis- und Verspätungszuschlag bereits in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten würden und dort zur Lieferung oder Verwendung vorgesehen seien, wobei die Verbrauchsteuer jeweils in diesem Land eingehoben worden sei.
21 Die Revision ist zulässig und begründet.
22 Nach § 7 Abs. 1 des Biersteuergesetzes 1995 (im Folgenden: BierStG) entsteht die Steuerschuld, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, durch die Überführung des Biers in den steuerrechtlich freien Verkehr.
23 Eine solche Überführung des Biers in den steuerrechtlich freien Verkehr erfolgt nach § 7 Abs. 1 Z 1 BierStG etwa durch die Wegbringung aus einem Steuerlager, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschließt, oder nach § 7 Abs. 1 Z 3 BierStG durch eine Unregelmäßigkeit nach § 23 leg. cit. bei der Beförderung unter Steueraussetzung.
24 Als Unregelmäßigkeit im Verkehr unter Steueraussetzung gilt nach § 23 Abs. 1 BierStG ein während der Beförderung von Bier unter Steueraussetzung eintretender Fall, mit Ausnahme der hier nicht interessierenden in § 7 Abs. 4 leg. cit geregelten Fälle, aufgrund dessen die Beförderung oder ein Teil der Beförderung nicht ordnungsgemäß beendet werden kann.
25 § 23 BierStG ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die darin verwendete Wortfolge „ordnungsgemäß beendet“ als nach „Art. 20 Abs. 2 der RL 2008/118/EG beendet“ zu verstehen ist (vgl. ).
26 § 15 BierStG in der im Revisionsfall noch maßgeblichen Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 151/2009, samt Überschrift lautet:
„Verkehr unter Steueraussetzung im Steuergebiet
§ 15. (1) Bier darf unter Steueraussetzung befördert werden aus Steuerlagern im Steuergebiet oder von registrierten Versendern (§ 18) vom Ort der Einfuhr im Steuergebiet
1. in Steuerlager oder
2. in Betriebe, denen die steuerfreie Verwendung nach § 6 Abs. 2 bewilligt wurde, oder
3. soweit die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit nach den internationalen Übereinkommen und zwischenstaatlichen Verträgen vorliegen, zu diplomatischen Missionen, konsularischen Vertretungen oder zu den in internationalen Übereinkommen und Amtssitzabkommen vorgesehenen internationalen Einrichtungen
im Steuergebiet.
(2) Das Bier ist unverzüglich vom Inhaber des beziehenden Steuerlagers in sein Steuerlager oder vom Inhaber des Bierverwendungsbetriebes in seinen Betrieb aufzunehmen oder von den im Abs. 1 Z 3 genannten Empfängern zu übernehmen.
(3) In den Fällen des Abs. 1 beginnt die Beförderung unter Steueraussetzung, wenn das Bier das Steuerlager verlässt oder am Ort der Einfuhr in den zollrechtlich freien Verkehr nach Art. 79 des Zollkodex überführt worden ist und endet mit der Aufnahme oder Übernahme des Bieres.
(4) Der Inhaber des abgebenden Steuerlagers oder der registrierte Versender hat Sicherheit für den Versand in Höhe der Steuer zu leisten, die bei einer Entnahme des Bieres in den freien Verkehr entstehen würde, wenn Anzeichen für eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Biersteuer erkennbar sind. Besteht eine ausreichende Lagersicherheit, deckt diese auch den Versand ab. Das Zollamt kann auf Antrag zulassen, dass die Sicherheit durch den Beförderer oder den Empfänger des Bieres geleistet wird.“
27 Gemäß § 16 Abs. 1 Z 2 BierStG darf Bier unter Steueraussetzung aus Steuerlagern im Steuergebiet u.a. in Steuerlager oder in Betriebe von registrierten Empfängern in anderen Mitgliedstaaten befördert werden, wobei die Beförderung unter Steueraussetzung gemäß § 16 Abs. 3 leg. cit. beginnt, wenn das Bier das Steuerlager verlässt.
28 Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG, ABl. L 9 vom , (im Folgenden: RL 2008/118/EG) entsteht der Verbrauchsteueranspruch zum Zeitpunkt und im Mitgliedstaat der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr.
29 Als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Sinne dieser Richtlinie gilt nach Art. 7 Abs. 2 Buchstabe a der RL 2008/118/EG die Entnahme verbrauchsteuerpflichtiger Waren, einschließlich der unrechtmäßigen Entnahme, aus dem Verfahren der Steueraussetzung.
30 Ein Steuerlager ist nach Art. 4 Nr. 11 der RL 2008/118/EG ein näher bestimmter Ort, an dem verbrauchsteuerpflichtige Waren im Rahmen eines Verfahrens der Steueraussetzung vom zugelassenen Lagerinhaber in Ausübung seines Berufs u.a. gelagert, empfangen oder versandt werden.
31 Die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung aus einem Steuerlager zu einem anderen Steuerlager oder zu einem zugelassenen Empfänger beginnt gemäß Art. 20 Abs. 1 der RL 2008/118/EG, wenn die Waren das Abgangssteuerlager verlassen, und endet gemäß Art. 20 Abs. 2 leg. cit., wenn der Empfänger die Waren übernommen hat.
32 Eine Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren gilt gemäß Art. 21 Abs. 1 der RL 2008/118/EG nur dann als in einem Verfahren der Steueraussetzung durchgeführt, wenn sie mit einem e-VD erfolgt, welches nach den Abs. 2 und 3 des Art. 21 leg. cit. erstellt wurde.
33 Im Revisionsfall befand sich das in Rede stehende Bier somit im Verfahren der Steueraussetzung im Steuerlager der K GmbH, bis es dieses Steuerlager verlassen hat. Ein Verkauf des Biers an die Revisionswerberin ändert daran nichts (vgl. auch Polihim-SS EOOD, C-355/14, Rn 47 bis 55).
34 Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts wurden jeweils am selben Tag (in einem Fall aufgrund einer Zwischenlagerung an unterschiedlichen Tagen), an dem das Bier das Steuerlager der K GmbH verließ, zwei e-VD ausgestellt, nämlich eines mit der Angabe der K GmbH als Versender, der Revisionswerberin als Empfänger und dem Steuerlager der Revisionswerberin als Ort der Lieferung und ein weiteres mit der Revisionswerberin als Versender, deren Steuerlager als Abgangssteuerlager und dem jeweiligen Käufer des von der Revisionswerberin weiterverkauften Bieres als Empfänger mit dem Lieferort im jeweiligen anderen Mitgliedstaat.
35 Diese Vorgangsweise mag dem Umstand geschuldet sein, dass die verbrauchsteuerrechtlichen Bestimmungen eine Regelung für den Fall nicht ausdrücklich vorsehen, bei welchem der erste Verkäufer den letzten Käufer nicht kennt und die Beförderung unmittelbar vom ersten Verkäufer zu diesem letzten Käufer erfolgen soll.
36 Art. 17 Abs. 2 der RL 2008/118/EG sieht lediglich den Fall vor, dass der Bestimmungsmitgliedstaat eine Direktlieferung an einen in seinem Gebiet befindlichen Bestimmungsort zulassen kann, wenn dieser Ort vom zugelassenen Lagerinhaber im Bestimmungsmitgliedstaat oder vom registrierten Empfänger angegeben wurde. Solch ein Sachverhalt lag offensichtlich einem, mehrwertsteuerrechtliche Fragen zur Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren beantwortenden, Urteil des EuGH zu Grunde (vgl. AREX CZ a.s., C-414/17, Rn 17f, 58 und 78). Eine Regelung für eine Direktlieferung vom Steuerlager des ersten Verkäufers im Abgangsmitgliedstaat zu einem Bestimmungsort im (anderen) Bestimmungsmitgliedstaat, wenn der erste Käufer über ein zugelassenes Steuerlager nicht im Bestimmungsmitgliedstaat, sondern im Abgangsmitgliedstaat verfügt und dieser die Direktlieferung an seinen (den zweiten) Käufer für sich in Anspruch nehmen möchte, fehlt. Eine Änderung des Bestimmungsorts während der Beförderung sieht Art. 21 Abs. 8 der RL 2008/118/EG lediglich durch den Versender, nicht aber durch den Empfänger vor.
37 Es kann im Revisionsfall dahin gestellt bleiben, ob für eine Beförderung jeweils zwei unzutreffende e-VD bestanden haben (das jeweils erste mit der Angabe eines unzutreffenden Empfängers und das jeweils zweite mit der Angabe eines unzutreffenden Abgangssteuerlagers) und ob diese fehlerhaften e-VD überhaupt dazu führten, dass die einzige Beförderung nicht im Sinne des Art. 20 Abs. 2 der RL 2008/118/EG beendet worden ist, sodass auf Grund dieser Unregelmäßigkeit das Bier dem Verfahren der Steueraussetzung entnommen worden und der Steueranspruch entstanden ist.
38 Denn nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts wurde von den in den jeweils zweiten e-VD angeführten Empfängern in anderen Mitgliedstaaten Meldungen über den Eingang des in Rede stehenden Biers übermittelt.
39 Der EuGH hat zu der von der RL 2008/118/EG aufgehobenen Richtlinie 92/12/EWG klar und unmissverständlich ausgesprochen, dass die Richtlinie 92/12/EWG bezwecke, in bestimmtem Umfang den Besitz, den Verkehr und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren zu regeln, und zwar insbesondere, um zu gewährleisten, dass der Verbrauchsteueranspruch in allen Mitgliedstaaten unter den gleichen Umständen gegeben ist. Diese Harmonisierung ermögliche es grundsätzlich, Doppelbesteuerungen im Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten zu vermeiden. In der RL 92/12/EWG werde die allgemeine Regel aufgestellt, dass eine verbrauchsteuerpflichtige Ware, die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden ist, und sich zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat befindet, im letztgenannten Staat besteuert wird. Der Steueranspruch entstehe somit im Bestimmungsmitgliedstaat der Ware und nicht im Mitgliedstaat der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr (vgl. Meiland Azewijn BV, C-292/02, Rn 35, und vor allem Ralph Prankl, C-175/14, Rn 20 und 21, sowie jüngst Silcompa SpA, C-95/19, Rn 44). Der Abgangsmitgliedstaat bleibt nur unter der Voraussetzung für die Erhebung der Verbrauchsteuer zuständig, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden ( Ralph Prankl, C-175/14, Rn 24 und 25).
40 Diese Rechtsprechung ist auf die im Revisionsfall maßgebliche RL 2008/118/EG zu übertragen, welche lediglich aus Gründen der Klarheit die Richtlinie 92/12/EWG in der Fassung derer Änderungen ersetzt hat (vgl. erster Erwägungsgrund der RL 2008/118/EG).
41 Ist der Abgangsmitgliedstaat nach dieser Rechtsprechung des EuGH aber nicht für die Erhebung der Verbrauchsteuer zuständig, wenn sich die Ware bereits zu gewerblichen Zwecken im Bestimmungsmitgliedstaat befindet, kommt eine Festsetzung der Verbrauchsteuer im Abgangsmitgliedstaat zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht (vgl. Bieber/Brandl, SWI 2015, 610 [612f]).
42 Das Bundesfinanzgericht kann sein Erkenntnis auch nicht auf das von ihm herangezogene Urteil des EuGH stützen, wonach eine Besteuerung in beiden Mitgliedstaaten möglich sei ( BATIG Gesellschaft für Beteiligungen mbH, C-374/06) und worin der Verhinderung von Missbräuchen und Steuerhinterziehung gegenüber dem Grundsatz der Besteuerung in nur einem Mitgliedstaat der Vorzug eingeräumt wurde. Jenes Urteil stand mit den besonderen tatsächlichen Umständen jener Rechtssache in Zusammenhang und kann die Aussagen zu den erwähnten Grundsätzen nicht entkräften ( Ralph Prankl, C-175/14, Rn 28). Das vom Bundesfinanzgericht erwähnte Urteil des deutschen Bundesfinanzhofes erging vor dem Ralph Prankl, C-175/14.
43 Das Bundesfinanzgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt, ein Antrag auf Erlass oder Erstattung nach der Bestimmung des Art. 33 Abs. 6 der RL 2008/118/EG sei nicht Sache des Verfahrens vor dem Bundesfinanzgericht. Allerdings bedarf es dieser Bestimmung im Revisionsfall nicht. Ein solcher Antrag auf Erlass oder Erstattung und damit ein eigenes Verfahren käme etwa nach Abschluss eines Verfahrens über die Festsetzung der Verbrauchsteuer im Abgangsmitgliedstaat in Betracht.
44 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
45 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | 31992L0012 Verbrauchsteuer-RL 32008L0118 Verbrauchsteuer-SystemRL 32008L0118 Verbrauchsteuer-SystemRL Art17 Abs2 32008L0118 Verbrauchsteuer-SystemRL Art21 Abs8 62002CJ0292 Meiland Azewijn VORAB 62014CJ0175 Prankl VORAB 62019CJ0095 Silcompa VORAB |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018160129.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAF-44958