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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 20.01.2025, RV/2100505/2021

1. Zulässigkeit der Abgabenfestsetzung innerhalb der Frist des § 295 Abs. 4 3. Satz BAO idF BGBl. I Nr. 3 /2001 sowie Bescheidänderung gemäß § 295 BAO im Beschwerdeverfahren

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BDO Austria GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Am Belvedere 4, 1100 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich betreffend Einkommensteuerbescheid 2008 und Bescheid über Festsetzung von Anspruchszinsen 2008, jeweils vom , zu Recht erkannt:

  • I.

1) Der Beschwerde betreffend Einkommensteuerbescheid 2008 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der Einkommensteuerbescheid 2008 wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem Ende der Entscheidungsgründe dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

2) Die Beschwerde betreffend Bescheid über die Festsetzung von Anspruchszinsen 2008 wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Strittig ist die Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb aufgrund der Beteiligung an der ***XY*** GmbH & Co KG im Jahr 2008.

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer war im Jahr 2008 an der ***XY*** GmbH & Co KG (StNr. ***123***) als Kommanditist beteiligt. Der Beschwerdeführer erzielte im streitgegenständlichen Jahr - neben seinen Einkünften aus unselbständiger und selbständiger Arbeit - aufgrund seiner Beteiligung an der ***XY*** GmbH & Co KG Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Mit Einkommensteuerbescheid vom setzte die Abgabenbehörde die Einkommensteuer 2008 unter Berücksichtigung eines KG-Einkünfteanteils von - € 322.885,48 mit - € 369.299,84 fest.

Im Zuge einer Verfahrenswiederaufnahme gemäß § 303 BAO wurde am ein neuer Einkommensteuerbescheid 2008 erlassen, mit welchem Kapitalerträge, die dem Beschwerdeführer in anderen EU Ländern zugeflossen sind, der Besteuerung unterzogen wurden. Hinsichtlich des KG Einkünfteanteils kam es zu keinen Änderungen. Die Einkommensteuer wurde mit - € 369.219,21 festgesetzt.

Dieser Abgabenbescheid wurde mit Einkommensteuerbescheid 2008 vom gemäß § 295 Abs. 1 BAO geändert, der KG Einkünfteanteil iHv. € 1.420.711,45 berücksichtigt und die Einkommensteuer 2008 mit € 261.434,34 festgesetzt.
Die Grundlage für diese Änderung war die Erledigung vom an die ***XY*** GmbH & Co KG. Gegen diesen Feststellungsbescheid wurde am Berufung (nunmehr Beschwerde) erhoben. Am wies das Bundesfinanzgericht (im Folgenden kurz: BFG) die Berufung zu GZ RV/7103130/2013 mit Beschluss als unzulässig zurück, weil der angefochtenen Erledigung keine Bescheidqualität zukam.

Mit Anbringen vom stellte der Beschwerdeführer durch seine steuerliche Vertretung einen Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom gemäß § 295 Abs. 4 BAO.
Mit Bescheid vom leistete die Abgabenbehörde diesem Antrag keine Folge. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom gemäß § 295 Abs. 4 BAO iVm. § 304 BAO verspätet eingebracht wurde.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer nach Fristverlängerungen durch seine steuerliche Vertretung am Beschwerde und beantragte die Aufhebung des Bescheides vom . Die Begründung wurde im Zuge des Mängelbehebungsverfahrens mit Schreiben vom nachgereicht.
Am brachte der steuerliche Vertreter des Beschwerdeführers ein Schreiben ein, in dem auf die Änderung der Gesetzesbestimmung des § 295 Abs. 4 BAO aufmerksam gemacht wurde. Für den Fall, dass die bislang noch ausständige Beschwerdevorentscheidung nicht auf Basis der seit geänderten Rechtslage entschieden werden sollte, wurde in eventu auf Basis der geänderten Rechtslage ein neuer Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom gem. § 295 Abs. 4 BAO gestellt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid vom stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben. In der Begründung wurde insb. auf die mit Ablauf des in Kraft getretene, geänderte Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO idF BGBl I 3/2021 und die Anwendung dieser Bestimmung auf den konkreten Fall hingewiesen.
Mit einem weiteren Bescheid vom wurde dem Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom gem. § 295 Abs. 4 idF BGBl I 3/2021 stattgegeben und der Einkommensteuerbescheid 2008 vom aufgehoben. Die Bescheide vom erwuchsen in Rechtskraft.

Streitgegenständliche Bescheide vom
Am wurde ein neuer, gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderter (hier streitgegenständlicher) Einkommensteuerbescheid 2008 erlassen, mit welchem die Einkommensteuer 2008 unter Berücksichtigung des KG-Einkünfteanteils von € 1.420.711,45 mit € 261.434,34 festgesetzt wurde.
Begründend wurde auf den neuen Feststellungsbescheid 2008 vom zu StNr. 23-155/1425 hingewiesen und darauf, dass dieser die als Feststellungsbescheid 2008 intendierte Erledigung vom (vgl. ) ersetzt hat.
Festgehalten wurde, dass mit Bescheid vom dem Antrag vom auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom gemäß § 295 Abs. 4 BAO stattgegeben worden ist und § 295 Abs. 4 Satz 3 BAO vorsieht, dass der an die Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Abgabenfestsetzung der Eintritt der Verjährung nicht entgegensteht, soweit sie im das Dokument ersetzenden Bescheid enthaltene Feststellungen übernimmt und wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. Diese Voraussetzungen seien im gegenständlichen Fall erfüllt.

Mit dem (ebenfalls hier angefochtenen) Bescheid vom setzte die Abgabenbehörde die Anspruchszinsen 2008 mit € 60.052,72 fest.

Beschwerde vom
Gegen die Bescheide vom erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe seines steuerlichen Vertreters vom innerhalb der von der Abgabenbehörde gewährten Frist Beschwerde und beantragte die Aufhebung beider Bescheide.
Der Beschwerdeführer brachte in seiner Beschwerde zur behaupteten Rechtswidrigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 2008 zusammengefasst vor, dass keine Änderung nach § 295 Abs. 1 BAO wegen Eintritts der absoluten Festsetzungsverjährung hätte ergehen dürfen. Maßnahmen gemäß § 295 Abs. 1, 2 und 3 BAO seien, wenn sie Abgabenbescheide betreffen, § 302 Abs. 1 BAO zufolge nur innerhalb der Bemessungs- oder Festsetzungsverjährung (§§ 207 ff) zulässig, sofern nicht § 209a Abs. 2 BAO zur Anwendung komme. Ein Anwendungsfall des § 209a Abs. 2 BAO liege gegenständlich nicht vor. § 295 Abs. 1 BAO biete keine taugliche Rechtsgrundlage zur Erlassung eines neuen Bescheids nach Eintritt der absoluten Festsetzungsverjährung. Der Festsetzungsbescheid vom könne aufgrund des Eintretens der absoluten Verjährung durch die Behörde nicht mehr abgeändert werden. Die Erlassung des neuen, angefochtenen Einkommensteuerbescheids sei daher rechtswidrig und ersatzlos aufzuheben.
Nach Ansicht des Beschwerdeführers sei auch § 295 Abs. 4 BAO keine taugliche Rechtsgrundlage. Durch Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom gemäß § 295 Abs. 4 BAO sei der Einkommensteuerbescheid 2008 vom wiederaufgelebt; der Einkommensteuerbescheid 2008 vom war am zum Zeitpunkt der Erlassung des beschwerdegegenständlichen Einkommensteuerbescheids 2008 im Rechtsbestand und rechtskräftig. § 295 Abs. 4 BAO sehe nach dem eindeutigen Wortlaut lediglich eine an Stelle des aufgehobenen Bescheids tretende Abgabenfestsetzung vor. Der bekämpfte Einkommensteuerbescheid 2008 vom solle nach dem Spruch und der Intention der Behörde an die Stelle des Einkommensteuerbescheides 2008 vom treten; dieser sei jedoch eben nicht nach § 295 Abs. 4 BAO aufgehoben worden, sondern gehöre weiterhin dem Rechtsbestand an, weshalb diese Bestimmung schon wegen der vorliegenden rechtskräftigen und schon wegen Verjährung nicht mehr abänderbaren Erledigung derselben Sache - Einkommensteuerfestsetzung 2008 - ebenfalls keine taugliche Rechtsgrundlage für die Erlassung des gegenständlich bekämpften Abgabenbescheids biete.
Außerdem sei der angefochtene Einkommensteuerbescheid nicht nach § 295 Abs. 4 BAO erlassen worden, sondern nach § 295 Abs. 1 BAO.
Darüber hinaus führt der Beschwerdeführer aus, dass § 295 Abs. 4 BAO in einer verfassungskonformen Weise dahingehend zu interpretieren sei, dass der Eintritt der Verjährung einer Abgabenfestsetzung nur dann nicht entgegenstehe, wenn die Verjährung nicht bereits am eingetreten sei. Eine rückwirkende Aussetzung, Aufhebung oder sonstige Durchbrechung der Verjährung für bereits absolut verjährte Zeiträume durch eine einfachgesetzliche Regelung sei ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums gem. Art. 5 StGG und gegen das Gleichheitsgebot des Art. 7 Abs. 1 B-VG.
Zur behaupteten Rechtswidrigkeit des Bescheides über die Festsetzung von Anspruchszinsen verweist der Beschwerdeführer auf die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides, weshalb auch dieser aufzuheben sei. Die Festsetzung von Anspruchszinsen sei aber auch unbillig.
In der Beschwerde stellt der Beschwerdeführer nicht nur einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Entscheidung durch den Senat, sondern auch auf Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung gem. § 262 Abs. 2 BAO.

Eine Beschwerdevorentscheidung wurde nicht erlassen.

Mit wurde die Beschwerde gegen die streitgegenständlichen Bescheide dem BFG vorgelegt.

Verfahren vor dem BFG
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung 5010 zugewiesen.

Gegen den Feststellungsbescheid 2008 vom zu StNr. ***123*** wurde ebenfalls Beschwerde erhoben. Das diesbezügliche Verfahren wurde beim BFG am zu GZ RV/7102514/2023 anhängig.
Mit Erkenntnis vom wurde dieser Beschwerde Folge gegeben, der Feststellungsbescheid 2008 abgeändert und dem Beschwerdeführer Einkünfte iHv. - € 322.885,46 zugewiesen.

Mit Eingabe vom ergänzte der Beschwerdeführer seine Begründung dahingehend, dass die im Erkenntnis vom getroffenen Feststellungen im gegenständlichen Verfahren zu berücksichtigen seien. Die dem Beschwerdeführer mit diesem Erkenntnis zugewiesenen Einkünfte seien gemäß § 192 BAO dem hier streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid zugrunde zu legen.
Weiters änderte der Beschwerdeführer sein Beschwerdebegehren dahingehend, dass der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2008 unter Berücksichtigung der Einkünfte aus Gewerbetrieb iHv. - € 322.885,46 aus der Beteiligung zu StNr ***123*** abzuändern sei.
Der Antrag auf Aufhebung des Bescheides über die Festsetzung von Anspruchszinsen blieb aufrecht.
Der Beschwerdeführer nahm den Antrag auf mündliche Verhandlung und den Antrag auf Entscheidung durch den Senat im Rahmen der Eingabe zurück.

Das BFG brachte diese Eingabe vom der Abgabenbehörde zur Kenntnis.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war im Jahr 2008 an der ***XY*** GmbH & Co KG (FN ***111***, StNr. ***123***) als Kommanditist beteiligt. Der Beschwerdeführer erzielte im streitgegenständlichen Jahr - neben seinen Einkünften aus unselbständiger und selbständiger Arbeit - aufgrund seiner Beteiligung an der ***XY*** GmbH & Co KG Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Der am ergangene Einkommensteuerbescheid 2008 berücksichtigte einen KG Einkünfteanteil iHv. € 1.420.711,45 und es wurde die Einkommensteuer 2008 mit € 261.434,34 festgesetzt. Der diesem Einkommensteuerbescheid zugrundeliegenden als Feststellungsbescheid intendierten Erledigung wurde am durch das BFG zu GZ RV/7103130/2013 die Bescheidqualität abgesprochen.

Am erging daher eine neuer Feststellungsbescheid 2008 zu StNr. ***123***. In weiterer Folge wurde der Einkommensteuerbescheid 2008 vom auf Antrag des Beschwerdeführers vom aufgehoben.

Im streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid 2008 vom wurde die Einkommensteuer 2008 unter Berücksichtigung der im Feststellungsbescheid 2008 vom zu StNr. ***123*** festgestellten Einkünfte aus Gewerbebetrieb betreffend den Beschwerdeführer iHv. € 1.420.711,45 mit € 261.434,34 festgesetzt.

Die Anspruchszinsen 2008 vom iHv. € 60.052,72 wurden für den Zeitraum bis ausgehend von der Bemessungsgrundlage iHv. € 630.653,55 (entspricht der Nachforderung aufgrund der Einkommensteuerfestsetzung am nach Gegenüberstellung mit dem bisher vorgeschriebenen Betrag iHv. - € 369.219,21) festgesetzt.

Mit Erkenntnis des zu GZ RV/7102514/2023 wurden betreffend das Jahr 2008 für den Beschwerdeführer gemäß § 188 BAO Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv. - € 322.885,46 festgestellt.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Unterlagen (Firmenbuchauszug zu FN ***111***, Einkommensteuerbescheid 2008 vom , vom , vom und Bescheid über Festsetzung von Anspruchszinsen 2008 vom ) sowie aus dem Erkenntnis des zu GZ RV/7102514/2023, mit welchem über die Beschwerde der ehemaligen Gesellschafter der ***XY*** GmbH & Co KG gegen den Einkünftefeststellungsbescheid gemäß § 188 BAO vom stattgebend entschieden wurde.

Der Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstrittig und ergeben sich auch für das BFG keine Anhaltspunkte, die an dem Sachverhalt zweifeln lassen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Erkenntnis)

1) betreffend Einkommensteuerbescheid 2008

In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird eingangs festgehalten, dass die Vorlag der Beschwerde durch die belangte Behörde ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 Abs. 2 BAO zulässig war, da einerseits in der Beschwerde dies beantragt wurde und die belangte Behörde die Bescheidbeschwerde innerhalb der in § 262 Abs. 2 lit. b BAO vorgesehenen Frist von drei Monaten nach Einlangen der Beschwerde an das BFG vorgelegt hat.

§ 295 Abs. 4 BAO erhielt - nachdem der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G159/2019, den letzten Satz des § 295 Abs. 4 als verfassungswidrig aufgehoben hat - mit BGBl I Nr. 3/2021 folgende Neufassung:

"Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt
- eines Feststellungsbescheides (§ 188) oder

- eines Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,

gerichtet ist, als unzulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, sind auf das
Dokument gestützte Bescheide auf Antrag der Partei aufzuheben. Der Antrag ist innerhalb einesJahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen. Der an die Stelle des aufgehobenenBescheides tretenden Abgabenfestsetzung steht, soweit sie im das Dokument ersetzendenBescheid enthaltene Feststellungen übernimmt, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen,wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. § 209a Abs. 2 erster Satz giltsinngemäß, wenn gegen den das Dokument ersetzenden Bescheid fristgerecht Beschwerdeerhoben wird."

Die mit BGBl. I Nr. 3/2021 geänderte Fassung des § 295 Abs. 4 BAO trat mit in Kraft. Der von der steuerlichen Vertretung gestellte Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO vom erfolgte somit noch nach der Rechtslage vor dem BGBl. I Nr. 3/2021.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind verfahrensrechtliche Bestimmungen grundsätzlich für ab ihrem Inkrafttreten erfolgende Rechtsvorgänge anzuwenden, auch wenn sich diese vor dem Inkrafttreten des neuen Verfahrensrechts ereignet haben (vgl. , mwN).
Die Neuregelung mit der Konsequenz der Zulässigkeit der Erlassung eines neuen Änderungsbescheides ist daher nicht nur auf Anträge auf Aufhebung eines Änderungsbescheides, die ab Inkrafttreten am bei der Abgabenbehörde eingegangen sind, sondern auch auf solche vor diesem Zeitpunkt eingebrachte und zu diesem Zeitpunkt noch unerledigte Anträge anzuwenden.

§ 295 Abs. 4 BAO idF vor BGBl. I Nr. 3/2021 sah vor, dass in Fällen, in denen eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat, gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen wurde, weil das Dokument kein Bescheid ist, auf Antrag der Partei auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide aufzuheben sind. Dieser Antrag war vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 BAO maßgeblichen Frist zu stellen.

Der Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO vom wurde innerhalb eines Jahres ab Zurückweisung der Bescheidbeschwerde wegen Vorliegen eines Nichtbescheides (), aber außerhalb der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 BAO maßgeblichen Frist gestellt. Ohne die gesetzliche Änderung des § 295 Abs. 4 BAO durch BGBl I Nr. 3/2021 wäre daher der Antrag als verspätet zurückzuweisen gewesen, was das Finanzamt auch tat (siehe Bescheid vom ).
Die belangte Behörde hat der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom deshalb Folge gegeben, weil zwischenzeitlich § 295 Abs. 4 BAO dahingehend geändert wurde, dass auch außerhalb der für Wiederaufnahmsanträge geltenden Frist des § 304 BAO unter bestimmten Voraussetzungen ein Antrag auf Aufhebung des abgeleiteten Bescheides gestellt werden kann.

Die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO idF BGBl. I Nr. 3/2021 gewährt aufgrund der Vorgaben des VfGH (vgl. ) dem Abgabepflichtigen über die absolute Verjährung hinaus die Möglichkeit, einen Antrag auf Aufhebung eines Abgabenbescheides zu stellen, wenn dieser von einem "Nichtbescheid" abgeleitet war. Direkt damit verknüpft ist die Befugnis der Abgabenbehörde zur Abgabenfestsetzung ungeachtet der Verjährung unter Einhaltung der in § 295 Abs. 4 BAO normierten Voraussetzungen. Ebenso wenig wie der Aufhebung steht der Abgabenfestsetzung der Eintritt der absoluten Verjährung vor Inkrafttreten der Bestimmung entgegen; das Gesetz normiert als Voraussetzung für den Antrag nur, dass der Antrag innerhalb von einem Jahr ab Rechtskraft der Zurückweisung gestellt wird und erfasst damit auch alle Anträge, bei denen im Zeitpunkt der Antragstellung und des Inkrafttretens der Abgabenanspruch bereits absolut verjährt war.

In den Erläuternden Bemerkungen (IA 1109/A 27. GP) wird zur Begründung der Änderung des § 295 Abs. 4 BAO ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung der Bestimmung für die Partei die Möglichkeit geschaffen hat, auch nach Eintritt der Verjährung einen Antrag auf Aufhebung des Bescheides, der sich auf den Nichtbescheid gestützt hat, zu stellen, gleichzeitig aber zur Vermeidung von unsachlichen Ergebnissen vorgesehen hat, dass der Übernahme der im (neu) erlassenen Feststellungsbescheid (bzw. Nichtfeststellungsbescheid) getroffenen Feststellungen die Verjährung nicht entgegensteht, wenn der neue Abgabenfestsetzungsbescheid innerhalb von einem Jahr ab Aufhebung ergeht.

Im Erkenntnis des , hat dieser ausdrücklich die Zulässigkeit der Abgabenfestsetzung gemäß § 295 Abs. 4 Satz 3 BAO idF BGBl. I Nr. 3/2021 für Sachverhalt wie den beschwerdegegenständlichen bejaht ("Im Revisionsfall hat derEinkommensteuerbescheid 2008 vom die aus dem den Nichtbescheidersetzenden Bescheid vom enthaltenen Feststellungen übernommen und istinnerhalb der in § 295 Abs. 4 BAO normierten Jahresfrist ergangen, weshalb der Eintritt derVerjährung der Abgabenfestsetzung nicht entgegenstand.").

Überdies hat der VwGH einer selektiven Anwendung des § 295 Abs. 4 BAO idF BGBl. I Nr. 3/2021 mit der Entscheidung vom , Ra 2022/13/0071, verneint: "Es handelt sich bei § 295 Abs. 4 BAO um ein Antragsrecht, das der Abgabepflichtige in Anspruch nehmen kann, aber nicht muss. Es liegt an ihm, ob er die Rechtswirkungen dieser Bestimmung in ihrer Gesamtheit für sich in Anspruch nehmen möchte oder nicht. Dass nicht nur ein Teil der neuen Bestimmung auf ihn anwendbar sein kann und der andere Teil nicht, bedarf keiner näheren Erörterung."

Der streitgegenständliche Einkommensteuerbescheid vom erweist sich im Hinblick darauf, dass er innerhalb der in § 295 Abs. 4 letzter Satz BAO idF BGBl I Nr. 3/2021 vorgesehenen Jahresfrist ergangen ist und die zitierte Regelung im Zeitpunkt seiner Erlassung in Geltung gestanden ist, als nicht rechtswidrig.

Gemäß § 191 Abs. 3 letzter Satz BAO wirken Feststellungsbescheide (§ 188) gegen alle, denen im Spruch des Bescheides Einkünfte zugerechnet bzw. nicht zugerechnet werden.

§ 192 BAO normiert eine Bindungswirkung für die in einem Feststellunsgbescheid getroffenen Feststellungen. Unter den Begriff "Feststellungsbescheide" fallen insbesondere Feststellungen von Einkünften (§ 188 BAO) (Ritz BAO6, § 192 TZ 2). Daher besteht etwa eine Bindung im Einkommensteuerverfahren an die Feststellungen von Einkünften gemäß § 188 BAO (Ritz BAO6, § 192 TZ 3 mwN).

Die Auswirkungen von (geänderten) Grundlagenbescheiden (§ 295 Abs. 1 BAO) sind auch vom Bundesfinanzgericht in seinem Erkenntnis zu berücksichtigen (; , 83/13/0088).

Aufgrund des Erkenntnisses des zu GZ RV/7102514/2023, mit welchem für den Beschwerdeführer für das Jahr 2008 gemäß § 188 Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv. - € 322.885,46 festgestellt wurden, sind gemäß § 295 Abs. 4 BAO iVm § 209a Abs. 2 Satz 1 BAO im gegenständlichen Verfahren betreffend Einkommensteuer 2008 die Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv. - € 322.885,46 festzusetzen.

2) betreffend Anspruchszinsen

Gemäß § 205 Abs. 1 Satz 1 BAO sind Differenzbeträge an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, die sich aus Abgabenbescheiden unter Außerachtlassung von Anzahlungen (Abs. 3), nach Gegenüberstellung mit Vorauszahlungen oder mit der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben, für den Zeitraum ab 1. Oktober des dem Jahr des Entstehens des Abgabenanspruchs folgenden Jahres bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Bescheide zu verzinsen (Anspruchszinsen).

Die Anspruchszinsen betragen gemäß § 205 Abs. 2 BAO pro Jahr 2% über dem Basiszinssatz. Anspruchszinsen, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, sind nicht festzusetzen. Anspruchszinsen sind für einen Zeitraum von höchstens 48 Monaten festzusetzen.

Der Beschwerdeführer begehrt die Aufhebung des Bescheides über die Festsetzung der Anspruchszinsen mit der Begründung, dass der zugrundeliegende Einkommensteuerbescheid rechtswidrig sei.

Anspruchszinsenbescheide sind nach ständiger Rechtsprechung an die Höhe der im Bescheidspruch des Einkommen-(Körperschaft-)Steuerbescheides ausgewiesenen Nachforderung gebunden (; ; ).

Wenn sich diese nachträglich als rechtswidrig erweisen und abgeändert oder aufgehoben werden, sind neue, an die geänderten Stammabgabenbescheide gebundene Anspruchszinsenbescheide zu erlassen (; , 2006/15/0316).

Die Notwendigkeit einer derartigen Anpassung der Anspruchszinsenfestsetzung ergibt sich bereits aus der formellen Akzessiorität eines Nebenanspruchens bezüglich seiner zugrundeliegenden Stammabgabe ().

Wegen der genannten Bindung sind Anspruchszinsenbescheide nicht erfolgreich mit der Begründung anfechtbar, die maßgebenden Einkommensteuerbescheide seien inhaltlich rechtswidrig (Ritz/Koran, BAO7, § 205 Tz 34).

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

Auf die zu erfolgende Berichtigung des Anspruchszinsenbescheides gemäß § 295 Abs. 3 BAO durch die Abgabenbehörde wird der Vollständigkeit halber hingewiesen.

3.2. Zu Spruchpunkt III. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht ist nicht von der näher zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgegangen (vgl. ; , Ra 2022/13/0071; , 2012/15/0062). Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nach Art. 133 Abs. 4 B-VG liegen somit nicht vor.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.2100505.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
KAAAF-44910