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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.01.2025, RV/2101074/2020

Rechtswidrige Sachbescheide aufgrund unwirksamer Wiederaufnahmebescheide mangels Zustellfiktion gem. § 101 Abs. 3 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1*** und ***Bf2***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch Mag. Marcus Totz KG, Grazbachgasse 57, 8020 Graz, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für das Jahr 2010 sowie Nichtfeststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO betreffend 2010 bis 2013, Steuernummer ***1***-***2***,

I. den Beschluss gefasst:
Die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für das Jahr 2010 wird gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als unzulässig zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:
Der Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Nichtfeststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

***Bf1*** und ***Bf2*** gaben der belangten Behörde mit Schreiben vom bekannt, dass sie eine Mitunternehmerschaft in Form einer atypisch stillen Gesellschaft gegründet haben.

Die Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013 betreffend die atypische Gesellschaft wurden elektronisch bei der belangten Behörde eingebracht. Es wurden gemeinschaftliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärt. Die belangte Behörde erließ erklärungsgemäß Erstbescheide. Diese Bescheide ergingen an ***Bf1*** u Mitges z.H. der steuerlichen Vertretung der atypisch stillen Gesellschaft und enthielten jeweils Hinweise gemäß § 101 Abs. 3 BAO.

Im Zuge einer Außenprüfung im Jahr 2015 betreffend die Jahre 2010 bis 2013 stellte der Außenprüfer fest, dass sich die Gewinnverteilung insgesamt nach dem Gesamtbild der Verhältnisse als nicht angemessen erweise, die Gewinnverteilung einem Fremdvergleich nicht Stand halte und dies zur Nichtanerkennung des Gesellschaftsverhältnisses führe. Die jährlich erwirtschafteten Gewinne bzw. Verluste seien ***Bf1*** als Einzelunternehmerin zuzurechnen und im gegenständlichen Steuerakt seien keine Feststellungsbescheide zu erlassen.

Unter Zugrundelegung dieser Feststellung des Außenprüfers nahm die belangte Behörde mit Bescheiden vom das Verfahren hinsichtlich der Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013 wieder auf und erließ am selben Tag die Bescheide über die Nichtfeststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013.
In den Nichtfeststellungsbescheiden ist folgender Hinweis angeführt: "Dieser Bescheid wirkt gegenüber allen an der (Nicht) Feststellung Beteiligten (§§ 191 Abs. 3 iVm 190 Abs. 1 letzter Satz BAO). Mit der Zustellung dieses Bescheides an die nach § 81 BAO vertretungsbefugte Person gilt die Zustellung an alle Beteiligten als vollzogen (§ 101 Abs. 3 iVm 190 Abs. 1 letzter Satz BAO)."
Dieser Hinweis fehlt in den ebenfalls erlassenen Bescheiden zur Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013.
Sämtliche mit datierten Schriftstücke ergingen an ***Bf1*** und ***Bf2*** z.H. der steuerlichen Vertretung der atypisch stillen Gesellschaft.

Dagegen richteten sich die Beschwerden vom , in welchen Anträge zur Behandlung durch den Senat gemäß § 272 Abs. 2 Z 1 BAO und einer mündlichen Verhandlung gemäß § 274 Abs. 1 Z 1 BAO gestellt wurden.

Die belangte Behörde legte diese Rechtsmittel ohne Erlassung von Beschwerdevorentscheidungen dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vor.
Das Bundesfinanzgericht richtete daraufhin zu Aktenzahl RV/2101693/2015 die Information an die Parteien, dass zwingend Beschwerdevorentscheidungen zu erlassen sind, damit eine Zuständigkeit des Bundesfinanzgericht gegeben ist.

In Folge erließ die belangte Behörde am zwei Beschwerdevorentscheidungen.
Sowohl die abweisende Beschwerdevorentscheidung betreffend die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO als auch die abweisende Beschwerdevorentscheidung betreffend die Beschwerde gegen die Bescheide über die Nichtfeststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO, jeweils für die Jahre 2010 bis 2013, waren an ***Bf1*** und ***Bf2*** z. Hd. der steuerlichen Vertretung der atypisch stillen Gesellschaft gerichtet. Hinweise auf die Zustellfiktion gemäß § 101 Abs. 3 BAO fehlten in beiden Beschwerdevorentscheidungen.
Dagegen richteten sich die Vorlageanträge vom . Mit Vorlagebericht vom legte daraufhin die belangte Behörde die Beschwerden zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht vor, welches mit Beschluss vom zu Aktenzahl RV/2100868/2018 aussprach, dass die Vorlageanträge als unzulässig zurückgewiesen werden. Das Bundesfinanzgericht stellte im Sachverhalt Folgendes fest:
"Die hier angefochtenen Bescheide vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO 2010, 2011, 2012 und 2013 sowie die Beschwerdevorentscheidungen vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO 2010-2013 einerseits und Nichtfeststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO 2010-2013 andererseits enthalten keinen Hinweis gemäß § 101 Abs. 3 (4) BAO.
Die o.a. Bescheide und die o.a. Beschwerdevorentscheidungen wurden jeweils in einer einzigen Ausfertigung - zu Händen [steuerliche Vertreterin] - zugestellt."
In der rechtlichen Würdigung kam das Bundesfinanzgericht zum Schluss, dass "im vorliegenden Fall keine wirksamen Wiederaufnahmsbescheide und keine wirksamen Beschwerdevorentscheidungen ergangen sind."

Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde vom gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO betreffend die Jahre 2010 bis 2013 neuerlich als unbegründet abgewiesen.
Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde vom gegen die Bescheide über die Nichtfeststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO betreffend die Jahre 2010 bis 2013 ebenso neuerlich abgewiesen.
Beide Beschwerdevorentscheidungen waren an ***Bf1*** und ***Bf2*** z.Hd. der steuerlichen Vertretung der atypisch stillen Gesellschaft gerichtet. Der Hinweis auf die Zustellfiktion gemäß § 101 Abs. 3 BAO ist in beiden Beschwerdevorentscheidungen enthalten.

Daraufhin wurden am Vorlageanträge betreffend die Beschwerden vom gegen die Bescheide über die Nichtfeststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013 sowie betreffend die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für das Jahr 2010 elektronisch eingebracht.

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerden zur Entscheidung dem Bundesfinanzgericht vor.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichtes vom wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung 5010 zugewiesen.

Mit Eingabe vom nahm die steuerliche Vertretung den Antrag auf mündliche Verhandlung und den Antrag auf Entscheidung durch den Senat zurück. Am selben Tag wurde die Abgabenbehörde davon in Kenntnis gesetzt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die aus ***Bf1*** und ***Bf2*** bestehende atypische Gesellschaft erklärte für die streitgegenständlichen Jahre gemeinschaftliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb, welche am (für das Jahr 2010 und 2011), am (für das Jahr 2012) bzw. am (für das Jahr 2013) erklärungsgemäß veranlagt wurden.
Die diesbezüglichen Bescheide ergingen an ***Bf1*** und Mitges. Sämtliche Bescheide enthielten einen Hinweis auf die Zustellfiktion gemäß § 101 Abs. 3 BAO und wurden z.Hd. der steuerlichen Vertretung/Zustellbevollmächtigten zugestellt. Gegen diese Bescheide wurde kein Rechtsmittel ergriffen.

Die aufgrund einer Außenprüfung erlassenen Bescheide vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010, 2011, 2012, 2013 ergingen an ***Bf1*** und ***Bf2*** z.Hd. der steuerlichen Vertretung/Zustellbevollmächtigten und enthielten keinen Hinweis auf die Zustellfiktion gemäß § 101 Abs. 3 BAO. Sie wurden jeweils in einer einzigen Ausfertigung der steuerlichen Vertretung zugestellt.
Die Bescheide hinsichtlich der (Nicht)Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die streitgegenständlichen Jahre ergingen ebenso am , jedoch auf einem gesonderten, von den Wiederaufnahmebescheiden getrennten Ausdruck, an ***Bf1*** und ***Bf2*** z.Hd. der steuerlichen Vertretung/Zustellbevollmächtigten und enthielten den Hinweis auf die Zustellfiktion gemäß § 101 Abs. 3 BAO.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen hinsichtlich der Erlassung und des Inhalts der Erstbescheide basieren auf der Einsichtnahme des Bundesfinanzgerichts in das Abgabeninformationssystem des Bundes, insbesondere auf den Bescheiden hinsichtlich der Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO vom für das Jahr 2010 und 2011, vom für das Jahr 2012 sowie vom für das Jahr 2013.

Die Feststellungen betreffend die Erlassung und die Inhalte der in Folge der Außenprüfung ergangenen Bescheide (sowohl betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO als auch betreffend (Nicht)Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO) vom beruhen auf diesen Bescheiden selbst.

Dass die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010, 2011, 2012, 2013, jeweils vom , jeweils nur der steuerlichen Vertretung zugestellt wurden, ergibt sich aus dem Schreiben vom der belangten Behörde (siehe Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom zu GZ RV/2100868/2018).

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Zurückweisung)

Gemäß § 97 Abs. 1 lit. a BAO werden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt bei schriftlichen Erledigungen, wenn nicht in besonderen Vorschriften die öffentliche Bekanntmachung oder die Auflegung von Listen vorgesehen ist, durch Zustellung.

Vor Bekanntgabe entfaltet ein Bescheid keinerlei Rechtswirkungen (Ritz/Koran, BAO7, § 97 Rz 1).

Schriftliche Ausfertigungen, die in einem Feststellungsverfahren an eine Personenvereinigung ohne eigene Rechtspersönlichkeit oder an eine Personengemeinschaft gerichtet sind (§ 191 Abs. 1 lit. a und c BAO), sind gemäß § 101 Abs. 3 BAO einer nach § 81 BAO vertretungsbefugten Person zuzustellen. Mit der Zustellung einer einzigen Ausfertigung an diese Person gilt die Zustellung an alle Mitglieder der Personenvereinigung oder Personengemeinschaft als vollzogen, wenn auf diese Rechtsfolge in der Ausfertigung hingewiesen wird.

Die im § 101 Abs. 3 BAO vorgesehene Zustellfiktion betrifft schriftliche Ausfertigungen, die in einem Feststellungsverfahren ergehen. Die Zustellfiktion setzt die Zustellung der Ausfertigung an die nach § 81 vertretungsbefugte Person und den Hinweis auf die Rechtsfolgen (somit auf die Zustellwirkung) in der Erledigung voraus (Ritz/Koran, BAO7, § 101 Rz 7).

§ 101 Abs. 3 leg. cit. zwingt die Behörde nicht, von der (der Vereinfachung der Zustellung dienenden) Zustellfiktion Gebrauch zu machen; sie hindert insbesondere nicht die Zustellung an sämtliche Mitglieder der Gemeinschaft.
§ 101 Abs. 3 leg. cit. gilt nicht nur für Feststellungsbescheide, sondern auch für diesbezüglich abändernde (aufhebende) Bescheide (zB. gem. § 303 BAO) (Ritz/Koran, BAO7, § 101 Rz 10 mwN.).

Der Ansicht der belangten Behörde, dass aufgrund der Verbundenheit des Wiederaufnahmebescheides mit dem neu zu erlassenden Sachbescheid der Hinweis auf die Zustellfiktion in einem der beiden Bescheide zur Rechtswirksamkeit beider Bescheide ausreiche, steht der Gesetzeswortlaut des § 101 Abs. 3 BAO entgegen ("Mit der Zustellung einer einzigen Ausfertigung an diese Person gilt die Zustellung an alle Mitglieder der Personenvereinigung oder Personengemeinschaft als vollzogen, wenn auf diese Rechtsfolgen IN DER AUSFERTIGUNG hingewiesen wird").

Diese Rechtsanschauung des Bundesfinanzgerichts stimmt auch mit dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis des überein. Abweichend vom hier streitgegenständlichen Sachverhalt handelte es sich bei dem vom VwGH zu beurteilenden Sachverhalt um eine als sog. Sammelbescheid erlassene Erledigung. Da die Bescheide zur Wiederaufnahme des Verfahrens (zur Feststellung von Einkünften gem. § 188 BAO) und zur Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO in ein und demselben Ausdruck erstellt wurden, würdigte der VwGH den Hinweis auf die Zustellfiktion des § 101 Abs. 3 BAO lediglich auf der Rückseite des Ausdruckes dahingehend, dass es nicht überzeugt, dass dies die Absicht des Finanzamtes erkennen lasse, nur hinsichtlich der Feststellung der Einkünfte von dieser Zustellfiktion Gebrauch machen zu wollen. Er führt aus, dass unter den gegebenen Umständen es nicht möglich ist, ein und denselben Sammelbescheid hinsichtlich eines Bescheidabspruches gemäß § 101 Abs. 3 BAO an die nach § 81 BAO vertretungsbefugte Person und hinsichtlich eines anderen Bescheidabspruches jedem einzelnen Gesellschafter zuzustellen.

Im streitgegenständlichen Fall wurden die Bescheide zur Wiederaufnahme der Verfahren zur Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO und die Bescheide zur (Nicht)Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO, jedoch anders als in dem vom VwGH zu beurteilenden Fall, in gesonderten Ausdrucken erstellt. Vier gesonderte Ausdrucke betrafen die Wiederaufnahme des Verfahrens (jeweils ein Ausdruck für das jeweilige Jahr) und ein fünfter Ausdruck betraf die Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO (ein Ausdruck für sämtliche streitgegenständliche Jahre). Da im Beschwerdefall kein Sammelbescheid hinsichtlich der Wiederaufnahmebescheide und der Feststellungsbescheide vorliegt, hätte auch jeder einzelne dieser Bescheide zu seiner Wirksamkeit den Hinweis auf die Zustellfiktion des § 101 Abs. 3 BAO beinhalten müssen. Der Hinweis auf die Zustellfiktion gemäß § 101 Abs. 3 BAO lediglich auf dem Ausdruck der Feststellungsbescheide gereicht nicht zur Wirksamkeit der Wiederaufnahmebescheide, die in von den Feststellungsbescheiden gesonderten Ausdrucken erstellt wurden.

Den als Wiederaufnahmebescheide intendierten Erledigungen fehlt es somit an Rechtswirksamkeit.

Die Beschwerde gegen den Bescheid zur Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO betreffend das Jahr 2010 richtet sich daher gegen einen rechtlich nicht existenten Bescheid.

Gemäß § 260 Abs. 1 BAO ist die Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) zurückzuweisen, wenn sie
a) nicht zulässig ist oder
b) nicht fristgerecht eingebracht wurde.

Zurückzuweisen ist eine Bescheidbeschwerde u.a. gegen einen mangels Zustellung rechtlich nicht existent gewordenen Bescheid (Ritz/Koran, BAO7, § 260 Rz 8 mwN).

Die Bescheide zur Wiederaufnahme der Verfahren zur Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO betreffend die Jahre 2010 bis 2013 sind rechtlich nicht existent geworden und somit ist die Beschwerde gegen die als Bescheid zur Wiederaufnahme des Verfahrens zur Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO betreffend das Jahr 2010 intendierte Erledigung als unzulässig zurückzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Stattgabe)

Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Wird in derselben Sache neuerlich bescheidmäßig abgesprochen, verdrängt der jüngere Bescheid den älteren. Wenn zwei rechtswirksame Bescheide im Widerspruch stehen, derogiert nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung der später erlassene Bescheid dem früher erlassenen. () Identität der Sache vorausgesetzt, tritt der spätere Bescheid zur Gänze an die Stelle des früheren ( 536/79).

Eine ersatzlose Aufhebung (als meritorische Beschwerdeerledigung) hat auch zu erfolgen, wenn der angefochtene Bescheid in derselben Sache wie ein älterer Bescheid ergangen ist, wodurch Letzterer verdrängt wurde. ().

Die am für die Jahre 2010 und 2011, am für das Jahr 2012 und am für das Jahr 2013 ergangenen Bescheide betreffend Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO sind rechtswirksam, da ihre Adressaten in ihrem jeweiligen Spruch iSd § 191 Abs. 1 lit c BAO iVm. § 93 Abs. 2 BAO gesetzmäßig bezeichnet wurden (die Bezeichnung des Geschäftsherrn mit einem Zusatz, wie etwa "und Mitgesellschafter", ist im Falle des Gewinn-feststellungsbescheides gemäß § 191 Abs. 1 lit c BAO für den Gewinn einer atypisch stillen Gesellschaft ausreichend vgl. ; , Ra 2020/13/0085), sie ihren Adressaten im Wege eines Vertreters nach § 81 BAO zugestellt wurden und sie allen Personen, denen Einkünfte zugerechnet wurden, kraft Zustellfiktion als zugestellt galten (§ 97 Abs. 1 BAO iVm § 101 Abs. 3 BAO). Sie erwuchsen mangels Einbringung einer Beschwerde in Rechtskraft.

Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit dem Bescheid unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Wird in derselben Sache neuerlich bescheidmäßig abgesprochen, verdrängt der jüngere Bescheid zwar den älteren (Hinweis E , 94/17/0159). Die Erlassung des neuen Bescheides in derselben Sache erweist sich allerdings als rechtswidrig ().

Wie unter Punkt 3.1 ausgeführt, sind die aufgrund der Außenprüfung am als Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013 intendierten Schriftstücke mangels Hinweis auf die Zustellfiktion gemäß § 101 Abs. 3 BAO nicht rechtswirksam ergangen.

Mangels Rechtswirksamkeit der Bescheide zur Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013 vom fehlt es zur neuerlichen Erlassung von Bescheiden zur Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013 an der Voraussetzung der Rechtskraftdurchbrechung.

Die Rechtskraft eines Bescheides steht der Erlassung weiterer Bescheide in derselben Sache entgegen, sie bewirkt das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) ( Zl. 87/04/0054).

Daher erweist sich die Erlassung der streitgegenständlichen Bescheide zur (Nicht)Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für die Jahre 2010 bis 2013 am in derselben Sache als rechtswidrig.

Wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Unwiederholbarkeit sind die streitgegenständlichen Bescheide ersatzlos aufzuheben.

3.3. Zu Spruchpunkt III. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Mit der vorliegenden Entscheidung folgt das Bundesfinanzgericht der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 188 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 101 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 191 Abs. 1 lit. a und c BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.2101074.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
NAAAF-44909