Keine Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Helga Hochrieser über die Beschwerde der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum April 2021 bis Oktober 2022, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin (Bf.) bezog für ihre Tochter T., geb. am 2000, Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge.
T. besucht(e) die Handelsakademie für Berufstätige (Abendschule) in ***Stadt***.
Mit Überprüfungsschreiben des Finanzamtes vom wurde die Bf. aufgefordert, das Reifeprüfungszeugnis von T. zu übermitteln und weitere Tätigkeiten bekanntzugeben.
Am und am , übermittelte die Bf. die Semesterzeugnisse und eine Schulbesuchsbestätigung des Kindes.
Mittels Ersuchen um Ergänzung vom forderte das Finanzamt die Bf. auf, folgende Nachweise vorzulegen:
- Schulbesuchsbestätigung der HTL inkl. Abgangsbescheinigung
- Zeugnisse vom Februar 2021 und Juli 2021
- Schulbesuchsbestätigung der Handelsakademie für Berufstätige ab Beginn inkl. Angabe der Wochenstunden für das WS 2021 und das SS 2022
Mit Schreiben vom übermittelte die Bf. dem Finanzamt eine Schulbesuchsbestätigung für das 5. Semester des Schuljahres 2022/23 mit einer Anzahl von 12 Wochenstunden sowie die Semesterzeugnisse des Schuljahres 2020/21 und des Schuljahres 2021/22.
Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt von der Bf. die für den Zeitraum April 2021 bis Oktober 2022 bezogenen Familienbeihilfen- und Kinderabsetzbeträge gemäß § 26 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in Verbindung mit (iVm) § 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG) mit der Begründung zurück, dass Familienbeihilfe bei einer ernsthaften und zielstrebigen Ausbildung zustehe. Die Ausbildung sei ernsthaft und zielstrebig, wenn das Kind die volle Zeit dafür verwende und in angemessener Zeit zu Prüfungen antrete, was beim Kind der Bf. nicht zutreffe.
Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe bis März 2021 aufgrund des § 15 FLAG 1967. Seit April 2021 absolviere T. eine Berufsausbildung unter 20 Wochenstunden (HAK für Berufstätige). Dabei handle es sich um keine ernsthafte und zielstrebige Ausbildung.
Die Bf. brachte in ihrer Beschwerde vom Folgendes vor:
"Da meine Tochter Ihre angegebenen Zeiten die Klasse besucht und bei Prüfungen auch anwesend war, welches sie auch geschafft hat und bei Fächern wo sie eine A oder E bekommen hat musste sie das von den Fachkräften der Schule aus nicht mehr teilnehmen, weil es auch nicht benotet wurde. Ich lege Ihnen die ganzen Unterlagen zur Verfügung das Sie sich selber ein Bild von dem ganzen machen. Es steht sogar auf dem Semester Zeugnis darauf wieviel Stunden ein Semester hat man muß es nur zusammenzählen. Ich werde Ihnen am Ende des Monats das Zeugnis von meiner Tochter schicken welches Sie dann sehen können ob zu Unrecht oder nicht die Familienbeihilfe bezogen wurde. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn man mir eine detaillierte Auskunft geben würde was das Finanzamt von mir verlangt. Da ich leider nicht die Summe welches aufgefordert wurde habe kann ich Ihnen das nur mit Raten (auch nur eine bestimmte Summe zahlen) bis alles geklärt ist.
Im Zuge des Beschwerdeschreibens übermittelte die Bf. die vorgenommenen Abmeldungen des Semesterstundenplanes für das vierte und fünfte Semester des Kindes.
Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom mit der Begründung ab, dass gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder haben, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
Das Gesetz enthalte keine nähere Definition des Begriffes "Berufsausbildung". Unter diesem Begriff seien alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen zu zählen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen, ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz, für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt werde. Jede anzuerkennende Berufsausbildung weise ein qualitatives und ein quantitatives Element auf. Entscheidend sei daher sowohl die Art der Ausbildung als auch deren zeitlicher Umfang. Wie erwähnt, komme auch dem zeitlichen Umfang einer Ausbildung entscheidende Bedeutung zu. Die Ausbildung müsse nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen bzw. die volle Arbeitskraft des Kindes binden. Von einer Bindung der vollen Arbeitskraft könne nur dann ausgegangen werden, wenn die Bildungsmaßnahme hinsichtlich des theoretischen und praktischen Teiles sowie der Vor- und Nachbereitungszeiten ein zeitliches Ausmaß in Anspruch nehme, das zumindest annähernd dem eines Vollzeitdienstverhältnisses entspreche.
In der Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom , RV/0133-S/2009, werde der zeitliche Aufwand für eine Vollzeitausbildung mit 20 bis 25 Wochenstunden zuzüglich Vor- und Nachbearbeitungszeiten (Hausaufgaben, Lerneinheiten etc.) beziffert.
Sämtliche im gegenständlichen Fall vorgelegte Unterlagen (T. K. betreffend) würden eine deutlich geringere Wochenstundenanzahl ausweisen als die oben angeführten 20 (Mindest)Wochenstunden (Zeugnis : 17 h; Zeugnis : 12 h; Zeugnis 4. Feber 2022: 14 h; Zeugnis : 9 h; Schulbesuchsbestätigung vom , HAK ***Stadt***, 12 Wochenstunden).
Der geforderte zeitliche Umfang (quantitatives Element) der Ausbildung entspreche daher nicht den von Gesetz bzw Rechtsprechung vorgebebenen Kriterien.
Die Bf. bringt im Vorlageantrag vom vor, dass ihre Tochter T. die Klasse ordnungsgemäß gemacht habe und auch zu gewissen Zeiten gearbeitet habe.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Im Beschwerdefall ist strittig, ob die mit angefochtenem Bescheid vorgeschriebene Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für die volljährige Tochter der Bf. betreffend den Zeitraum April 2021 bis Oktober 2022 zu Recht erfolgt ist.
Feststellungen:
Die Tochter der Bf. besucht die HAK für Berufstätige in ***Stadt*** (Abendschule).
Die Wochenstunden lagen von Juli 2021 bis November 2022 unter 20 Wochenstunden.
Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Familienbeihilfenakt.
Ob ein Kind eine Berufsausbildung absolviert, ist eine Tatfrage, welche die Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hat (vgl. , ).
Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs. 2 und 4 FLAG 1967 entnehmen lässt, der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruches für ein Kind kann somit je nach Eintritt von Änderungen der Sach- und/oder Rechtslage von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein.
Die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, ist an Hand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten und findet auch auf die Berufsausbildung Anwendung ().
Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO iVm § 2a BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.
Auf der Homepage der HAK ***Stadt*** (Abendschule) file:///D:/Daten/Downloads/Informationsblatt%20Abendschule.pdf , finden sich folgende Informationen:
Die Abend-HAK für Berufstätige basiert auf einem ähnlichen Lehrplan wie die Tagesschule, es werden dieselben Fächer unterrichtet, allerdings in etwas geringerem Ausmaß, dem veränderten Zeitplan angepasst: Pro Woche finden zwischen 20 und 25 Schulstunden statt - von Montag bis Donnerstag jeweils zwischen 17:30 und 21:25 Uhr, der Freitag ist neuerdings unterrichtsfrei. Um das zu erreichen, wurden für einige Gegenstände "Fernlehrelemente" eingebaut: Die Arbeitsaufträge zu diesen Unterrichtsstunden können zu Hause bei flexibler Zeiteinteilung abgearbeitet werden.
Eine Berufsausbildung iSd FLAG 1967 liegt in zeitlicher Hinsicht in etwa dann vor, wenn ein wöchentlicher Zeitaufwand von ungefähr 30 Stunden für Kurse und Vorbereitung auf eine Prüfung entfällt (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG § 2 Rz 40; ; ).
Im vorliegenden Fall betrug die Anzahl der Wochenstunden laut Semesterzeugnis der HAK für Berufstätige vom Juli 2021 11 Wochenstunden, laut Zeugnis vom Jänner 2021 16 Wochenstunden, laut Semesterzeugnis vom Februar 2022 16 Wochenstunden und laut Semesterzeugnis vom Juli 2022 9 Wochenstunden und laut Bestätigung für das 5. Semester vom November 2022 12 Wochenstunden. Selbst unter Berücksichtigung von Vor- und Nachbearbeitungszeiten kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Schulausbildung der Tochter der Bf. in quantitativer Hinsicht ihre volle Zeit in Anspruch genommen hat. Es wurden somit die Voraussetzungen für den Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen weder in quantitativer Hinsicht erfüllt noch kann von einer ernsthaften und zielstrebigen Berufsausbildung ausgegangen werden.
Gesetzliche Grundlagen:
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
§ 10 Abs. 2 FLAG 1967 lautet:
Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des FLAG 1967 anzuwenden.
Rechtliche Beurteilung
Im FLAG ist nicht näher definiert, was unter Berufsausbildung zu verstehen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Begriff "Berufsausbildung" in seiner ständigen Rechtsprechung folgende Kriterien entwickelt:
- Unter den Begriff "Berufsausbildung" sind alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung zu zählen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird (vgl. zB ).
- Es muss das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um den Ausbildungserfolg gegeben sein ().
- Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essenzieller Bestandteil der Berufsausbildung. Berufsausbildung liegt daher nur dann vor, wenn die Absicht zur erfolgreichen Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen gegeben ist.
- Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich die erfolgreiche Ablegung der Prüfungen gelingt. Die bloße Anmeldung zu Prüfungen reicht für die Annahme einer zielstrebigen Berufsausbildung aber nicht aus ()
- Die Berufsausbildung muss in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen (, ).
- Für die Qualifikation als Berufsausbildung kommt es nicht darauf an, ob die schulische oder kursmäßige Ausbildung berufsbegleitend organisiert ist. Auch der Besuch einer Abendschule stellt dem Grunde nach eine Berufsausbildung iSd FLAG 1967 dar.
- Der Schüler muss durch das Antreten zu Prüfungen innerhalb angemessener Zeit versuchen, die Voraussetzungen für die Zulassung zur Reifeprüfung zu erlangen (vgl. , zB ).
- Der laufende Besuch einer Maturaschule für sich allein reicht nicht aus, um das Vorliegen einer Berufsausbildung im hier maßgeblichen Sinn anzunehmen.
ZZufolge der vorstehenden Ausführungen hat das Finanzamt von der Bf. zu Recht die Familienbeihilfen- und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum April 2021 bis Oktober 2022 zurückgefordert.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Unzulässigkeit der Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da die oben zitierten VwGH-Erkenntnisse klarstellen, dass eine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 nicht vorliegt.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 10 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 26 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 10 Abs. 2 und 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102014.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
FAAAF-44887