VwGH 22.01.2025, Ra 2024/13/0109
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | UStG 1994 §12 Abs1 62020CJ0281 Ferimet VORAB 62022CJ0114 Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie VORAB 62022CJ0537 Global Ink Trade VORAB |
RS 1 | Ein Vorsteuerabzug ist auch bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen zu verweigern, wenn dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (vgl. ; vgl. weiters z.B. Ferimet, C-281/20, Rn. 45; , Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer - Fiktiver Erwerb], C-114/22, Rn. 41 ff; , Global Ink Trade, C-537/22, Rn. 35 ff). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2024/13/0008 E RS 3 |
Normen | |
RS 2 | Ein Vorsteuerabzug ist zu verweigern, wenn der Steuerpflichtige wusste, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, oder er dies hätte wissen müssen. Ob dies der Fall ist, hängt von Tatfragen ab, die die Abgabenbehörde oder das VwG in freier Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen hat (vgl. ; , Ra 2020/13/0007, je mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2023/13/0160 E RS 2 |
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RS 3 | Die Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen setzt das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen hiefür voraus. Diese Steuerbefreiung ist aber u.a. dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Lieferung an einem Umsatz beteiligt, der in eine von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist (vgl. , mwN). |
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RS 4 | Entscheidend ist, ob die Steuerpflichtige wusste oder wissen musste, dass ein Betrug zum Nachteil des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems vorliegt, dass sie sich also mit ihrem Erwerb oder ihrer Lieferung an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. zur Befreiung von Ausfuhrlieferungen Unitel, C-653/18, Rn. 37 und Tenor; zum Vorsteuerabzug Global Ink Trade, C-537/22, Rn. 36). Das Wissen oder "Wissen-Müssen" davon, dass der Erwerb in eine Lieferkette eingebunden ist, bei der es zur Hinterziehung von Eingangsabgaben eines Drittstaates gekommen ist, führt hingegen nicht zur Versagung der Befreiung der Ausfuhrlieferung oder zur Verweigerung des Vorsteuerabzugs (vgl. auch BAKATI PLUS, C-656/19, Rn. 82 ff). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lukacic-Marinkovic, über die Revision der H Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch die Hallas & Partner Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung GmbH & Co KG in 1020 Wien, Praterstraße 38, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100602/2024, betreffend Umsatzsteuer 2002 und 2003, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin beteiligte sich in den Streitjahren am Handel mit Musik-CDs und Game Boy Zubehör.
2 Zum bisherigen Verfahrensgeschehen kann eingangs auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2023/13/0160, verwiesen werden.
3 Daraus ist hervorzuheben, dass in der Niederschrift über das Ergebnis einer den Zeitraum April 2002 bis Juni 2003 betreffende UVA-Prüfung vom im Wesentlichen festgehalten wurde, es liege ein Vorsteuer-Betrugskarussell vor, bei dem die für die beteiligten Firmen handelnden Personen sowohl den Import (Beginn des Karussells) als auch den Export (Ende des Karussells) kontrollierten, steuerten und organisierten. Die Revisionswerberin habe (im Rahmen dieses Karussells) Ware von der B GmbH angekauft und an die kuwaitische A weiterveräußert. Dabei sei nach Zollabfertigung ein „Rechnungstausch“ vorgenommen worden. Die Originalrechnung für die Einfuhr ins Bestimmungsland sei von der B GmbH erstellt worden und weise vermutlich den richtigen Wert aus. Diese Rechnung sei dem jeweiligen Frächter auf die Reise mitgegeben worden; der Frächter sei angewiesen worden, die „Ausfuhrpapiere“ gegen die „Einfuhrpapiere“ im sogenannten Niemandsland auszutauschen. Die geltend gemachte Vorsteuer für alle diese Geschäftsfälle könne nicht anerkannt werden, auch dann nicht, wenn diese Geschäftsbeziehungen gutgläubig eingegangen worden seien.
4 Mit Bescheiden vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für 10-11/2002, 1-4/2003 und für 6/2003 fest; mit weiterem Bescheid vom wurde die Umsatzsteuer für 7/2003 festgesetzt. In der Begründung verwies das Finanzamt jeweils auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung.
5 Die Revisionswerberin erhob u.a. gegen diese Bescheide Berufung.
6 Mit Erkenntnis vom wies das Bundesfinanzgericht diese nunmehr als Beschwerde zu behandelnde Berufung als unbegründet ab.
7 Mit dem eingangs erwähnten Erkenntnis vom , Ra 2023/13/0160, hob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung des Bundesfinanzgerichts wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
8 Nach einem Vorhaltsverfahren sowie Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies das Bundesfinanzgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis die (sich nunmehr gegen die in den vorgelegten Verfahrensakten nicht enthaltenen Bescheide vom betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2002 und 2003 richtende) Beschwerde als unbegründet ab und änderte diese Bescheide (zu Lasten der Revisionswerberin) ab. Es sprach aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.
9 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin habe sich am Handel bestimmter Waren (Musik-CDs, Game Boy Zubehör) beteiligt, indem sie diese Gegenstände von der B GmbH angekauft und mit einem Aufschlag an die A (Kuwait) verkauft habe. Die Lieferungen der Revisionswerberin an die A hätten als (damalige) Ausfuhrlieferungen nach Tschechien und Ungarn stattgefunden. Entsprechende Ausfuhrnachweise lägen vor. „Gegenüber der“ (gemeint: für die) B GmbH sei Herr M, „gegenüber der“ A Herr S aufgetreten. Die Handelstätigkeit der Revisionswerberin sei in ein Umsatzsteuerbetrugskarussell eingebettet gewesen. Als Zwischenhändler sei u.a. die B GmbH aufgetreten. Als Exporteur sei u.a. die Revisionswerberin tätig geworden. Durch vorgetäuschte Leistungen in Form von Veredelungen, Lizenzen und Komplettierung sei der Preis der Waren durch die Missing Trader nach Import in die Europäische Union erhöht worden. Über „Bufferfirmen“ seien die Waren an exportierende Gesellschaften (u.a. die Revisionswerberin) mit Aufschlägen verkauft worden. Die Revisionswerberin habe die so angeschafften Waren als Exporteurin in (damalige) Drittstaaten verkauft.
10 Merkmal dieser Betrugsphase sei es gewesen, dass die Ausfuhr durch die Exporteure in das Drittland mit anderen Fakturen vorgenommen worden sei als bei Erklärung der Einfuhr im Drittland. Durch diesen Rechnungstausch sei der Wert der gelieferten Ware am Papier größenordnungsmäßig um den Faktor 60 bis 70 verringert worden. Auch seien in diesen Austauschrechnungen die Lieferanten und Kunden ausgetauscht worden. Im Zusammenhang mit den Verkaufsgeschäften seien sämtliche Rechnungen ausgetauscht worden. Mit einem derart reduzierten Warenwert seien die Waren über mehrere Stufen in den ehemaligen Ostblockstaaten nach Deutschland gelangt, wo durch Fakturierung von Aufwertungskosten die Waren wieder einen Wert in der ursprünglichen Größenordnung erlangt hätten. Mit diesen Werten sei dann ein weiterer Warendurchlauf durch Fakturierung von Deutschland über mehrere Stufen nach Österreich an Zwischenhändler (Buffer), weiter an Exporteure und von diesen wiederum in das Drittland erfolgt. Aus den Einkäufen von der B GmbH seien der Revisionswerberin für 10/2002 und 11/2002 sowie für das Jahr 2003 Vorsteuern aberkannt worden. Echt steuerfreie Ausfuhrlieferungen seien in den Wirtschaftsjahren 2002 und 2003 in näher genannter Höhe anerkannt worden. Die Revisionswerberin hätte vom Umsatzsteuerbetrug wissen müssen.
11 Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Bundesfinanzgericht zur Frage des Wissen-Müssens um den Umsatzsteuerbetrug - mit näheren Darlegungen - aus, die Revisionswerberin habe zwar gewisse Überprüfungen über die Zuverlässigkeit ihres Geschäftspartners eingeholt, so etwa eine Information über die steuerlichen Verhältnisse der B GmbH. Auch habe die Revisionswerberin (ohne Nachweise) in den Raum gestellt, sich bei einem Dritten (H) über die B GmbH erkundigt zu haben; ebenso habe der Geschäftsführer der Revisionswerberin (wiederum unbelegt) ermittelt, dass weitere, seriöse Unternehmen von der B GmbH kauften. Es sprächen aber mehrere Umstände dafür, dass die Revisionswerberin vom Betrug habe wissen müssen. Der Ankauf und Export von CDs und Game Boy Zubehör sei für die Revisionswerberin ein grundsätzlich branchenfremdes Geschäft gewesen. Trotz erheblichen Lieferumfangs an CDs und Game Boy Zubehör habe es keine Reklamationen gegeben. Es lägen keine schriftlichen Verträge mit einer der Revisionswerberin unbekannten neuen Lieferantin (B GmbH) vor. Dem Geschäftsführer der Revisionswerberin sei auch bewusst gewesen, dass sich Lieferantin und Abnehmerin der Waren der Revisionswerberin gekannt hätten. Eine Zwischenschaltung der Revisionswerberin habe damit die Lieferkette verteuert und habe nur Sinn gemacht, das Betrugskarussell zu verschleiern. Dem Geschäftsführer der Revisionswerberin sei auch bewusst gewesen, dass es zum Austausch von Rechnungen gekommen sei „bzw.“ habe er einen entsprechenden Passus für den Rechnungstausch auf die Transportaufträge an die Spedition aufgenommen. Die Revisionswerberin habe aber keine Anstrengungen unternommen herauszufinden, ob und in welcher Weise die Rechnungen getauscht worden seien. Hätte die Revisionswerberin dies unternommen, hätte sie herausgefunden, dass die von ihr veräußerte Ware nunmehr fast wertlos gewesen sei und auch der Lieferant und der Käufer ausgetauscht worden seien. War ein Rechnungstausch - wie vom Geschäftsführer der Revisionswerberin dargestellt - damals tatsächlich branchenüblich, hätte nichts gegen eine Kontrolle des Rechnungstausches durch die Revisionswerberin gesprochen. Auch dann, wenn ein Rechnungstausch branchenüblich gewesen wäre, ergebe sich, dass ein Abgabepflichtiger mit der Angabe eines niedrigeren Warenwerts im Ausfuhrnachweis an einer Steuerumgehung mitgewirkt habe oder zumindest von einer beabsichtigten Steuerumgehung habe wissen müssen. Es seien auch keine sonstigen Überprüfungen vorgenommen worden.
12 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs aus den Lieferungen der B GmbH seien erfüllt. Das Recht auf Vorsteuerabzug sei aber ausgeschlossen, wenn die Revisionswerberin gewusst habe oder habe wissen müssen, dass der betreffende Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer in der Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen gewesen sei. Im vorliegenden Fall stehe fest, dass die Revisionswerberin vom Umsatzsteuerbetrug habe wissen müssen. Der Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen stehe daher nicht zu.
13 Zudem ergebe sich, dass die von der Revisionswerberin an die A getätigten Ausgangsumsätze Ausfuhrlieferungen seien. Die materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung für die Ausfuhr seien unstrittig erfüllt. Jedoch sei auch im Zusammenhang mit Ausfuhrlieferungen zu beachten, dass die Steuerbefreiung nicht zur Anwendung gelange, wenn der Abgabepflichtige von einem Betrug gewusst habe oder habe wissen müssen. Fest stehe, dass die Revisionswerberin vom Umsatzsteuerbetrug habe wissen müssen. Insbesondere der Austausch der Rechnungen mit Ausweis eines geringeren Entgelts spreche dafür, dass zumindest von einer beabsichtigten Steuerumgehung habe gewusst werden müssen. Die Revisionswerberin habe vom Austausch der Rechnungen gewusst bzw. diesen Austausch durch Aufnahme des entsprechenden Passus in den Anweisungen an den Spediteur billigend in Kauf genommen. Zudem verweise die Revisionswerberin zur Rechtfertigung des Rechnungstauschs durchgehend auf die „Optimierung“ von Eingangsabgaben. Damit sei neben dem Recht auf Vorsteuerabzug auch die Steuerbefreiung für die Ausfuhrlieferungen zu versagen. Insoweit seien die Bescheide zu Ungunsten der Revisionswerberin abzuändern gewesen.
14 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision. Zur Zulässigkeit der Revision wird u.a. geltend gemacht, es existiere keine eindeutige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs und des Verlusts der Steuerbefreiung für eine Ausfuhrlieferung auch dann eintreten, wenn ausschließlich Steuern eines Drittlandes hinterzogen würden bzw. ein Wissen-Müssen ausschließlich über eine im Drittland erfolgte Steuerhinterziehung vorliege; allenfalls weiche das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (Hinweis auf ).
15 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 Die Revision ist zulässig und begründet.
18 Gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 sind u.a. Ausfuhrlieferungen (§ 7 UStG 1994) steuerfrei.
19 Gemäß § 12 UStG 1994 kann der Unternehmer (unter näher genannten Voraussetzungen) Vorsteuerbeträge abziehen. Vom Vorsteuerabzug sind gemäß § 12 Abs. 3 Z 1 UStG 1994 u.a. die Steuer für die Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, soweit der Unternehmer diese Gegenstände zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet; der Ausschluss vom Vorsteuerabzug tritt aber nach § 12 Abs. 3 lit. a UStG 1994 u.a. nicht ein, wenn die Umsätze nach § 6 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 steuerfrei sind.
20 Es ist unbestritten, dass im vorliegenden Fall die materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferungen der Revisionswerberin sowie für den Vorsteuerabzug aus den Lieferungen der B GmbH an die Revisionswerberin vorliegen.
21 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt. Ein Vorsteuerabzug ist aber (auch bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen) u.a. dann zu verweigern, wenn dieses Recht in betrügerischer Weise geltend gemacht wird. Wusste der Steuerpflichtige, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, oder hätte er dies wissen müssen, ist der Vorsteuerabzug zu versagen. Ob dies der Fall ist, hängt von Tatfragen ab, die die Abgabenbehörde oder das Verwaltungsgericht in freier Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen hat (vgl. zuletzt , mwN).
22 Auch die Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen setzt das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen hiefür voraus. Diese Steuerbefreiung ist aber ebenfalls u.a. dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Lieferung an einem Umsatz beteiligt, der in eine von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist (vgl. , mwN).
23 Unbestritten ist, dass es im Rahmen der Lieferkette, in welcher auch die Lieferungen der Revisionswerberin erfolgten, zu Mehrwertsteuerhinterziehungen durch andere Wirtschaftsteilnehmer als die Revisionswerberin gekommen ist.
24 Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, die Revisionswerberin hätte von diesem Umsatzsteuerbetrug wissen müssen. Die Revision bekämpft diese Beurteilung und macht dazu vor allem geltend, das Bundesfinanzgericht setze im Rahmen seiner Erwägungen Indizien für das Vorliegen eines „Wissen-Müssens“ über beabsichtigte Steuerumgehungen im Drittland dem „Wissen-Müssen“ über einen Umsatzsteuerbetrug zu Lasten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gleich.
25 Damit zeigt die Revisionswerberin die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.
26 Entscheidend ist im vorliegenden Fall, ob die Revisionswerberin wusste oder wissen musste, dass ein Betrug zum Nachteil des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems vorliegt, dass sie sich also mit ihrem Erwerb oder ihrer Lieferung an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. zur Befreiung von Ausfuhrlieferungen Unitel, C-635/18, Rn. 37 und Tenor; zum Vorsteuerabzug Global Ink Trade, C-537/22, Rn. 36). Das Wissen oder „Wissen-Müssen“ davon, dass der Erwerb in eine Lieferkette eingebunden ist, bei der es zur Hinterziehung von Eingangsabgaben eines Drittstaates gekommen ist, führt hingegen nicht zur Versagung der Befreiung der Ausfuhrlieferung oder zur Verweigerung des Vorsteuerabzugs (vgl. auch BAKATI PLUS, C-656/19, Rn. 82 ff).
27 In seinen Erwägungen zum Wissen-Müssen schildert das Bundesfinanzgericht eingangs Vorbringen der Revisionswerberin, ohne hiezu festzuhalten, ob es dieses Vorbringen (wenn auch unbelegt) als zutreffend ansieht oder nicht. Sodann führt das Bundesfinanzgericht eine Reihe von Kriterien an, die nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts für ein Wissen-Müssen der Revisionswerberin sprächen.
28 Eines der wesentlichen Argumente (arg „wiegt es für das Bundesfinanzgericht schwer“) hiefür ist, dass der Revisionswerberin bekannt war (oder sie dies zumindest in Kauf genommen hat), dass die Ausfuhr in das Drittland mit anderen Fakturen vorgenommen werde als die Einfuhr im Drittland (Rechnungstausch).
29 Aus diesem der Revisionswerberin bekannten (oder in Kauf genommenen) Austausch von Rechnungen konnte das Bundesfinanzgericht zwar zutreffend ableiten, dass der Revisionswerberin bekannt war oder doch bekannt sein musste, dass es zu einer Steuerumgehung kommen könne (was von der Revisionswerberin auch nicht bestritten, wenn auch beschönigend als „Optimierung“ von Eingangsabgaben bezeichnet wird). Es ist dem Bundesfinanzgericht daher nicht entgegenzutreten, wenn es zunächst davon ausgeht, dass aus dem Wissen um den (möglichen) Rechnungstausch ein Wissen-Müssen von einem „Steuerbetrug“ abzuleiten ist. Dieses Wissen-Müssen bezog sich insoweit aber lediglich auf einen Steuerbetrug betreffend Eingangsabgaben eines Drittstaates. Ein (für das vorliegende Verfahren entscheidendes) Wissen-Müssen betreffend eine Mehrwertsteuerhinterziehung folgt daraus nicht ohne Weiteres. Wenn das Bundesfinanzgericht weiter ausführt, es möge stimmen, dass der Revisionswerberin nicht bekannt gewesen sei, welche Firmen und Personen in die Güter- und Geldströme einbezogen gewesen seien; es möge auch zutreffen, dass es der Revisionswerberin an Einfluss- und Dispositionsmöglichkeiten über das weitere Schicksal der Ware nach Ausfuhr gefehlt habe, so ist dies wohl auch dahin zu verstehen, dass der Revisionswerberin nicht bekannt war, dass die Waren nach der Ausfuhr (samt Rechnungstausch mit vermindertem Wert der Ware) neuerlich in das Gemeinschaftsgebiet verbracht wurden, wo der durch den Rechnungsaustausch verminderte Wert sodann für Mehrwertsteuerhinterziehungen relevant hätte sein können.
30 Vor diesem Hintergrund und da mehrere für die Beurteilung der Frage des Wissen-Müssens relevante tatsächliche Umstände vom Bundesfinanzgericht explizit offen gelassen wurden, kann vom Verwaltungsgerichtshof nicht abschließend beurteilt werden, ob aus den tatsächlich vorliegenden Umständen darauf zu schließen wäre, dass die Revisionswerberin nicht nur vom Steuerbetrug betreffend Eingangsabgaben in Drittstaaten, sondern auch von der Mehrwertsteuerhinterziehung hätte wissen müssen und ihr daher der Vorsteuerabzug und die Ausfuhrbefreiung zu versagen wäre.
31 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
32 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2025:RA2024130109.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-44868