TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.01.2025, RV/5100298/2024

Mit Dienstleistungsscheck entlohnte Tätigkeiten als maßgebliche Beschäftigung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe 03.2023-08.2023 (Ordnungsbegriff: ***OB***) zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

In einem Vorhalteverfahren wurde der von der Beschwerdeführerin (Bf) am eingebrachte Antrag auf Ausgleichszahlung für ihre drei Kinder ***K1***, ***K2*** und ***K3*** überprüft. Dabei wurden von der Bf für die angegebene Tätigkeit im Ausmaß von 20 Stunden pro Woche in Österreich entsprechende Nachweise verlangt. Von der belangten Behörde wurde aufgrund der Vorlage von Dienstleistungsschecks für die Monate 1-5/2023 und der Berechnung aus den monatlichen Einnahmen unter Berücksichtigung des Mindeststundenlohnes für Reinigungskräfte eine Wochenarbeitszeit von 7,67 Stunden ermittelt.

Mit Bescheid vom wurde der gegenständliche Antrag für den Zeitraum 03/2023-08/2023 hinsichtlich der drei Kinder, aufgrund fehlender Beschäftigung der Bf in Österreich, abgewiesen.

Dagegen wurde am rechtzeitig Beschwerde erhoben. Darin wurde eingewendet, dass in Österreich bei Auslegung der EU-Verordnung für die Beurteilung des Anspruches auf Familienbeihilfe bei einer Beschäftigung unter der Geringfügigkeitsgrenze eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (möglicher Beobachtungszeitraum könnte ein Kalenderjahr sein) sei. Dazu müssten die Dauer, die Nachhaltigkeit/Qualität und die Regelmäßigkeit der Tätigkeit, die Höhe des Arbeitsentgeltes, die Anzahl der wöchentlichen Arbeitszeit (Richtwert: wöchentliche Mindestarbeitszeit von 8 Stunden) und die Dauer des Arbeitsvertrages herangezogen werden. Weiters brachte die Bf vor, dass ihre Arbeit in Österreich einen regelmäßigen Charakter aufweise und das wöchentliche Stundenausmaß mindestens 10 Stunden betragen würde und das schon seit mehr als 12 Monaten in diesem Ausmaß. Sohn ***K1a*** hat eine Behinderung und die Pflege ist anspruchsvoll. Es stellt für die Bf zudem die einzige Einkommensquelle dar.

Die Zustellung der abweisenden Beschwerdevorentscheidung (BVE) erfolgte am

Im rechtzeitig am eingebrachten Vorlageantrag wurde folgendes Vorbringen erstattet:

"Das europäische Recht ist autonom auszulegen und die EUGH- Judikatur vorrangig anzuwenden. Die Frage, was eine geringe Erwerbstätigkeit darstellt, kann nicht objektiv abstrakt dadurch beantwortet werden, dass in einem nationalen Gesetz ganz lapidar das Wort gering verwendet wird, sondern ist auch nach bereits ständiger Verwaltungspraxis und der neuesten Judikatur des Bundesfinanzgerichtes selbst entscheidungserheblich, wie die Tätigkeit subjektiv konkret daher im Einzelfall, unter Rücksicht auf ihre Dauer, Ausmaß, das dafür bezahlte Entgelt, die Zugehörigkeit in das System der Kranken- und Pensionsversicherung etc. zu beurteilen ist. Eine andere Anwendung des EU-Rechtes wäre als Verstoß gegen das EU- Recht zu klassifizieren und müsste dem EuGH ein solches Verhalten zur Begutachtung ferner als Vertragsverletzung vorgelegt werden".

Im Vorlagebericht verweist die Abgabenbehörde auf die einschlägige EuGH-Judikatur, wonach geringe Erwerbstätigkeiten nicht unter den EU-Erwerbstätigkeitsbegriff fallen (vgl. , Rs Raulin.). Zudem sind gem. § 1 Dienstleistungsscheckgesetz nur einfache, geringe monatsweise Hilfs-Tätigkeiten unter der Geringfügigkeitsgrenze für die Verrechnung mittels Dienstleistungsscheck vorgesehen. Daher liege grundsätzlich keine Erwerbstätigkeit im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 vor.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Dem Erkenntnis wird nachstehender - aus dem Akteninhalt und dem Parteivorbringen ableitbarer - Sachverhalt zu Grunde gelegt:

Die Beschwerdeführerin, Frau ***Bf1*** lebt mit ihrem Ehegatten, ***1*** und den drei Kindern im gemeinsamen Haushalt an der Adresse ***Adr*** (Tschechien). Der Ehegatte ist in Tschechien beschäftigt. Seit September 2023 ist die Bf bei der ***AG*** in einem Arbeitsverhältnis. Davor übte sie (seit September 2021) Tätigkeiten aus, die mittels Dienstleistungsscheck entlohnt wurden. Am wurde ein Antrag auf Ausgleichszahlung für ihre drei Kinder gestellt. Mit Bescheid vom wurde dieser Antrag für den Zeitraum 03/2023-08/2023 hinsichtlich der drei Kinder, aufgrund fehlender Beschäftigung in Österreich, abgewiesen.

Die Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde mit BVE vom als unbegründet abgewiesen, da aus Sicht der Abgabenbehörde nach der EuGH-Judikatur geringfügige Erwerbstätigkeiten nicht darunterfallen. Bei der gegenständlichen, unter der Geringfügigkeitsgrenze entlohnten Tätigkeit, würde demnach keine Beschäftigung (Art. 1 lit a der Verordnung EG Nr. 883/2004) vorliegen, wobei diesbezüglich auf das nationale Recht abzustellen sei.

Grundsätzlich können lt. belangter Behörde auch geringfügige Beschäftigungen unter die Beschäftigung iSd EU-VO 883/2004 fallen, wobei Beschäftigungen unter der Geringfügigkeitsgrenze [für 2023: € 500,91] aber einer Einzelfallprüfung zu unterziehen sind.

Entsprechend der vom Kompetenzzentrum Dienstleistungsscheck übermittelten Bestätigung wurden im Beschwerdezeitraum 03/2023-08/2023 Dienstleistungsschecks mit folgenden Beträgen eingelöst:

  • März 2023: € 414,00 (41 Std.)April 2023:€ 448,00(44 Std.)Mai 2023:€ 438,00 (43 Std.)Juni 2023: € 436,00 (43 Std.)Juli 2023: € 558,00(55 Std.)August 2023: € 334,00 (34 Std.)

Anhand dieser Bestätigung wurde vom Finanzamt für jeden Monat die angegebene Stundenanzahl ermittelt.

Im vorliegenden Fall erfolgte die Entlohnung mittels Dienstleistungsscheck mit € 10,00 bzw. € 10,40 pro Stunde, wobei von der belangten Behörde eine Wochenarbeitszeit von 7,67 Stunden ermittelt wurde (vgl. Ergänzungsvorhalt vom ). Der Prozentsatz von 36,98% für die Sonderzahlungen (SZ) wurde aus dem vorgelegten SV-Datenauszug übernommen. Für die Berechnung wurde vom Finanzamt als Bezugsgröße der Mindestlohn für eine Reinigungskraft mit Haushaltshilfe iHv € 15,04 betr. 2023 herangezogen.

2. Beweiswürdigung

Gem. § 167 Abs. 2 BAO haben die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. In Befolgung dieser Grundsätze ist der oben dargestellte Sachverhalt deshalb wie folgt zu würdigen. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem elektronisch vorgelegten Akt, dem Beschwerdevorbringen sowie den erteilten Auskünften und Stellungnahmen der Bf samt den eingereichten Unterlagen.

Von der Bf wird dabei im Wesentlichen vorgebracht, dass ihre Tätigkeit in Österreich einen regelmäßigen Charakter aufweise und bei einem wöchentlichen Stundenausmaß von mindestens 10 Stunden keine bloß geringfügige und somit unbeachtliche Erwerbstätigkeit vorliege. Für die belangte Behörde liegt bei der gegenständlichen, unter der Geringfügigkeitsgrenze entlohnten, Tätigkeit keine Beschäftigung (Art. 1 lit a der Verordnung EG Nr. 883/2004) vor. Zudem würden Tätigkeiten auf Grundlage der Dienstleistungsschecks schon begrifflich nicht die Voraussetzungen einer Beschäftigung gemäß der Verordnung (EG) VO 987/2009 iVm der Verordnung (EG) VO 883/2004 erfüllen.

Bezüglich weiterer Erwägungen zur Beweiswürdigung wird auf die Ausführungen unter Punkt 3.1.2. dieses Erkenntnisses, die verständnishalber im Kontext mit der rechtlichen Beurteilung behandelt wird, verwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

3.1.1. Rechtsgrundlagen/Allgemeines:

Österreichisches Recht:

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 haben Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unter näher geregelten Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige und für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

[…]

§ 1 Dienstleistungsscheckgesetz (DLSG) lautet:

(1) Dieses Gesetz regelt die Ansprüche und Verpflichtungen aus Arbeitsverhältnissen, die von arbeitsberechtigten Arbeitnehmern mit natürlichen Personen zur Erbringung von einfachen haushaltstypischen Dienstleistungen in deren Privathaushalten auf längstens einen Monat befristet für die Dauer des jeweiligen Arbeitseinsatzes abgeschlossen werden, soweit die Entgeltgrenze nach Abs. 4 nicht überschritten und die Entlohnung mit Dienstleistungsscheck vereinbart wird.

(2) Arbeitsberechtigt ist, wer zur Aufnahme einer Beschäftigung im Bundesgebiet oder im jeweiligen Bundesland ohne Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung berechtigt ist.

(3) Befristete Arbeitsverhältnisse im Sinne des Abs. 1 können ohne zahlenmäßige Begrenzung und auch unmittelbar hintereinander abgeschlossen werden, ohne dass dadurch ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit entsteht.

(4) Entgeltgrenze ist die monatliche Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 Z 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955. Die Entgeltgrenze gilt für sämtliche Entgelte eines Arbeitnehmers aus Arbeitsverhältnissen im Sinne des Abs. 1 mit einem bestimmten Arbeitgeber in einem Kalendermonat. Urlaubsersatzleistungen und aliquote Sonderzahlungen sind für die Entgeltgrenze nicht zu berücksichtigen.

§ 4 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) lautet:

(1) In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet:

[…]

(2) Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen. Als Dienstnehmer gelten jedenfalls Personen, die mit Dienstleistungsscheck nach dem Dienstleistungsscheckgesetz (DLSG), BGBl. I Nr. 45/2005, entlohnt werden. Als Dienstnehmer gilt jedenfalls auch, wer nach § 47 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 EStG1988 lohnsteuerpflichtig ist, es sei denn, es handelt sich um

1. Bezieher von Einkünften nach § 25 Abs. 1 Z 4 lit. a oder b EStG 1988 oder 2. Bezieher von Einkünften nach § 25 Abs. 1 Z 4 lit. c EStG 1988, die in einem öffentlich rechtlichen Verhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen oder 3. Bezieher/innen von Geld- oder Sachleistungen nach dem Freiwilligengesetz.

Unionsrecht:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166, S. 1 (im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 883/2004) lauten (auszugsweise):

Artikel 67:

Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen: Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.

Artikel 68 -Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen:

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelost werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Hohe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3) Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Antrag auf Familienleistungen gestellt, so gilt folgendes:

a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Absatz 2 genannten Unterschiedsbetrag;

b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger, der vorrangig zuständig ist.

Die Verordnung 883/2004 in der ab gültigen Fassung regelt, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für einen bestimmten Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet ist. Die Bf fällt als EU-Staatsbürgerin unter den persönlichen Geltungsbereich der VO 883/2004.

Vorrangig muss grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Sind die Elternteile in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig, trifft die vorrangige Verpflichtung zur Gewährung der Familienleistungen jenen Mitgliedsstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen.

Sind die Familienleistungen im anderen Mitgliedsstaat höher, besteht dort gegebenenfalls ein Anspruch auf Gewährung des Unterschiedsbetrages (Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004).

Auf der Grundlage des DLSG verrichtete Tätigkeiten stellen jeweils auf maximal ein Monat befristete Arbeitsverhältnisse dar und begründet auch eine mehrfache Aneinanderreihung solcher Arbeitsverhältnisse keine unbefristete Tätigkeit. Die einzelnen Tätigkeiten der Bf. im Rahmen des DLS stellen daher aneinandergereihte, maximal einmonatige Tätigkeiten dar. Die einzelnen Tätigkeiten im Rahmen des DLS sind daher nach objektiven Kriterien keine tatsächlichen und echten Tätigkeiten im Sinne der Judikatur des EuGH und erfüllen diese Tätigkeiten im Rahmen des DSL als gelegentliche, kürzestfristige und geringfügige Aushilfstätigkeiten schon begrifflich nicht die Voraussetzungen einer Beschäftigung gemäß der Verordnung (EG) VO 987/2009 i.V.m. der Verordnung EG 883/2004. Aber selbst, wenn man die Tätigkeiten im Rahmen der Dienstleistungsschecks als eine Beschäftigung im Sinne der Verordnung (EG) VO 987/2009 i.V.m. der Verordnung EG 883/2004 angesehen hätte, wäre bei geringfügigen Tätigkeiten Folgendes festzuhalten:

Bei einer Beschäftigung unter der Geringfügigkeitsgrenze ist stets eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Dazu sind die Dauer, die Nachhaltigkeit/Qualität und die Regelmäßigkeit der Tätigkeit, die Höhe des Arbeitsentgeltes, die Anzahl der wöchentlichen Arbeitszeit und die Dauer des Arbeitsvertrages heranzuziehen. Eine wöchentliche Mindestarbeitszeit von acht Stunden mit entsprechender Entlohnung ist hierbei Grundvoraussetzung. Die Rechtsansicht des BMFJ hinsichtlich der 8-Stunden-Grenze hat sich bis dato nicht geändert, wenngleich die Richtlinien hier nur von einem "Richtwert" ausgehen (vgl. unter Verweis auf , Rs Raulin)

Die Versicherung allein ist jedenfalls nicht ausreichend, weil eben völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeiten nicht als Beschäftigung im Sinne der Verordnung EG 883/2004 zu werten sind. Anzumerken ist auch, dass - im Gegensatz zur Vorgängerverordnung EWG 1408/71 - das Bestehen der Pflichtversicherung gegen auch nur ein Risiko nicht mehr ausreichend bzw nicht entscheidend ist ().

Für EU-Bürger, die über keinen Wohnsitz im Inland verfügen ist die Verordnung EG 883/2004 Art. 11 ff und die Durchführungsverordnung EG 987/2009 anzuwenden:

Artikel 1 der Verordnung enthält Begriffsdefinitionen. Für den Zweck dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

a) "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt.

[…]

c) "Versicherter" in Bezug auf die von Titel III Kapitel 1 und 3 erfassten Zweige der sozialen Sicherheit jede Person, die unter Berücksichtigung der Bestimmungen dieser Verordnung die für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften des gemäß Titel II zuständigen Mitgliedstaats vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt.

Artikel 11 - Allgemeine Regelung

(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

Artikel 14 Abs. 8 Buchstabe a der Verordnung EG 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung EG 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit lautet:

"Bei der Anwendung von Artikel 13 Absätze 1 und 2 der Grundverordnung bedeutet die Ausübung "eines wesentlichen Teils der Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit" in einem Mitgliedstaat, dass der Arbeitnehmer oder Selbständige dort einen quantitativ erheblichen Teil seiner Tätigkeit ausübt, was aber nicht notwendigerweise der größte Teil seiner Tätigkeit sein muss.

Um festzustellen, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, werden folgende Orientierungskriterien herangezogen:

a) im Falle einer Beschäftigung die Arbeitszeit und/oder das Arbeitsentgelt und

b) [...]

3.1.2. Erwägungen:

Im vorliegenden Fall wurde ein Antrag auf Ausgleichszahlung, mangels Vorliegen einer Erwerbstätigkeit in Österreich, abgewiesen.

Lt. Beschwerdevorbringen ist in Anwendung der EU-Verordnung für die Beurteilung des Anspruches auf Familienbeihilfe bei einer Beschäftigung unter der Geringfügigkeitsgrenze eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Dazu müssten die Dauer, die Nachhaltigkeit/Qualität und die Regelmäßigkeit der Tätigkeit, die Höhe des Arbeitsentgeltes, die Anzahl der wöchentlichen Arbeitszeit (Richtwert: wöchentliche Mindestarbeitszeit von 8 Stunden) und die Dauer des Arbeitsvertrages herangezogen werden.

Das wöchentliche Einkommen (inkl. SZ) beträgt lt. Berechnung des BFG im vorliegenden Fall € 115,83 [Berechnung: € 2.722 brutto / 23,5 Arbeitswochen] bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 11,42 Stunden/Woche (jeweils 2 - 3 Arbeitstage).

Eines der ausschlaggebenden Kriterien zur Abgrenzung einer Tätigkeit als tatsächliche und echte Erwerbstätigkeit im Gegensatz zu den nicht unter die betreffenden Gemeinschaftsvorschriften fallenden völlig untergeordneten und unwesentlichen Tätigkeiten ist nach der Judikatur - neben der Höhe des Einkommens - die zeitliche Komponente, wobei regelmäßige und nachhaltige Tätigkeiten im Umfang von 12 Stunden/Woche ( 139/85, KEMPF) als Erwerbstätigkeit angesehen wurden.

Dieser Aspekt wurde von der Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass unter einer sehr geringen Stundenzahl jedenfalls 7 Stunden in 3 Tagen pro Woche zu verstehen sind (vgl. , , sowie ). Bei einem Beschäftigungsausmaß von 3 Stunden/Woche und einem wöchentlichen Einkommen von ca. 30,50 liegt eine vollständig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit vor (vgl. ).

Im vorliegenden Fall wurde von der Bf auf eine wöchentliche Mindestarbeitszeit von 8 Stunden als maßgeblichem Richtwert sowie das Erfordernis einer Einzelfallprüfung hingewiesen (vgl. ). Dem wurde von der belangten Behörde insoweit Rechnung getragen, als die mit Dienstleistungsscheck (DLS) abgerechneten Tätigkeiten hinsichtlich der zeitlichen Komponente (wöchentlichen Arbeitszeit) sowie der Höhe der Einkünfte bzgl. ihrer Maßgeblichkeit überprüft wurden.

Zu den Beschäftigungen gehören auch solche mit geringfügigem Umfang. Erforderlich ist aber, dass eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausgeübt wird, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich "als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen" (, Rs Raulin). In diesem EuGH-Urteil wurde unter Randziffer 14 darauf hingewiesen, dass - wenn im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden geleistet werden - dies ein Anhaltspunkt dafür sein kann, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind.

Zunächst ist bei den Tätigkeiten auf Grundlage der Dienstleistungsschecks zu berücksichtigen, dass es sich dabei um gelegentliche, kurzfristige und geringfügige Aushilfstätigkeiten handelt, die schon begrifflich nicht die Voraussetzungen einer Beschäftigung gemäß der Verordnung (EG) VO 987/2009 iVm der Verordnung EG 883/2004 als tatsächliche und echte Tätigkeit nach objektive Kriterien im Sinn der Judikatur des EuGH erfüllen. In diesem Zusammenhang wurde von der belangten Behörde darauf hingewiesen, dass auch geringfügige Beschäftigungen als Beschäftigung iSd EU-VO 883/2004 anzusehen sind, wobei Beschäftigungen unter der Geringfügigkeitsgrenze aber einer Einzelfallprüfung bedürfen.

Als Ergebnis dieser obligatorischen Einzelfallprüfung ist festzuhalten, dass eine wöchentliche Stundenanzahl von durchschnittlich 11,42 im Beschwerdezeitraum nach der zitierten Verordnung (EG) VO 987/2009 sowie der einschlägigen EuGH-Judikatur als nicht vollständig untergeordnet eingestuft werden kann, zumal diese Stundenanzahl doch deutlich über dem Richtwert von 8 Stunden (als wöchentliche Mindestarbeitszeit) liegt.

Der Dienstleistungsscheck (DLS) ist ein Zahlungsmittel und dient zur Entlohnung für befristete Arbeitsverhältnisse in privaten Haushalten. Der Wert des DLS ist nicht automatisch das für eine Arbeitsstunde zu zahlende Entgelt. Dieses kann zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern frei vereinbart werden. Von der belangten Behörde wurde für den Zeitraum 01-05/2023 unter Berücksichtigung des Mindeststundenlohnes für Reinigungskräfte (BFG , RV/7101395/2024) eine Wochenarbeitszeit von 7,67 Stunden angesetzt (vgl. Ergänzungsvorhalt vom ). Demgegenüber ergibt sich aus der vorgelegten Aufstellung betr. eingelöste DLS für den Beschwerdezeitraum eine wöchentliche Stundenanzahl von durchschnittlich 11,42. Aus dieser Aufstellung ist ersichtlich, dass regelmäßig eine Arbeitsstunde mit einem DLS im Wert von € 10,00 bzw. € 10,40 abgegolten wurde. Das durchschnittliche Einkommen der Bf liegt bei € 10,14 / Stunde und somit etwa ein Drittel unter dem Mindestlohn für eine Reinigungskraft mit Haushaltshilfe (€ 15,04). Für den erkennenden Richter ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde die Wochenarbeitszeit unter Bezugnahme auf den Mindeststundenlohn (€ 15,04) um etwa ein Drittel gekürzt hat [Berechnung: 7,61 Stunden_d.s. 2/3-tel von 11,42 Stunden], obwohl die geleisteten Arbeitsstunden - bis auf den Monat August 2023 - anhand der Bestätigung über die eingelösten DLS von der Abgabenbehörde ermittelt wurden.

Nach der Judikatur ( 139/85, KEMPF) ist aber auch die zeitliche Komponente zu berücksichtigen, wonach eine regelmäßige und nachhaltige Tätigkeit bei einem Umfang von 12 Stunden/Woche anzunehmen ist. Zudem wurde auch das von der Judikatur (vgl. ) als geringfügig und vollständig untergeordnet eingestufte wöchentliche Einkommen von ca. 30,50 - selbst bei der von der belangten Behörde angesetzten Wochenarbeitszeit von 7,67 Stunden - regelmäßig überschritten.

Weiters wurde von der Bf auch die in dem zitierten BFG-Erkenntnis (RV/7101395/2024) festgelegte Grenze von etwa 6 Stunden pro Woche - dabei wurde für die Berechnung des Grenzwertes eine Beschäftigung gemeinsam mit Tätigkeiten, die per Dienstleistungsscheck abgerechnet wurden, herangezogen - erheblich übertroffen.

Für den erkennenden Richter kann somit das Vorliegen einer Beschäftigung iSd EU-VO 883/2004 befürwortet werden, zumal bei einer wöchentlichen Stundenanzahl von durchschnittlich 11,42 der Grenzwert von 12 Stunden/Woche annähernd erreicht wurde. Zudem liegt der Monat Juli mit einem Betrag von € 558 (eingelöste DLS) über der in § 1 Abs. 4 DLSG als Entgeltgrenze festgelegten monatlichen Geringfügigkeitsgrenze (€ 500,91 für 2023).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall war durch das Bundesfinanzgericht in erster Linie auf der Sachverhaltsebene abzuklären, ob Beschäftigungen im Sinne der VO 883/2004 und der VO 987/2009 vorgelegen haben und war in freier Beweiswürdigung darüber abzusprechen, ob diese Tätigkeiten als vollständig untergeordnet und unwesentlich anzusehen sind. Da Feststellungen auf der Sachverhaltsebene sowie die Beweiswürdigung, ob eine Tätigkeit sich als vollständig untergeordnet und unwesentlich darstellt, einer Revision grundsätzlich nicht zugänglich sind, war eine solche nicht zuzulassen.

Linz, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 1 DLSG, Dienstleistungsscheckgesetz, BGBl. I Nr. 45/2005
§ 1 Abs. 4 DLSG, Dienstleistungsscheckgesetz, BGBl. I Nr. 45/2005
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.5100298.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

ECLI Nummer:
ECLI:AT:BFG:2025:RV.5100298.2024

Fundstelle(n):
UAAAF-44694