Geschäftsführerhaftung - Nachweis der Gläubigergleichbehandlung nicht erbracht; Überwachungsmaßnahmen bei Kompetenzverteilung nicht gesetzt
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch DDr. Jaklitsch & Mag. Picej Steuerberatungsgesellschaft mbH, Pischeldorfer Straße 107, 9020 Klagenfurt/Wörthersee, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Haftung gemäß § 9 iVm. §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung (BAO) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit des Schriftführers ***SF*** zur Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Strittig ist, ob bzw. in welcher Höhe der Beschwerdeführer infolge der Insolvenz der ***PS*** GmbH (Primärschuldnerin) als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftenden Abgabenschulden zur Haftung herangezogen werden kann.
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer war neben ***GF2*** Geschäftsführer der ***PS*** GmbH (Primärschuldnerin). Mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom tt.mm.2022 wurde über das Vermögen der Primärschuldnerin zur GZ ***123*** der Konkurs eröffnet, welcher mit rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplanes mit Beschluss vom tt.mm.2023 aufgehoben wurde.
Mit Schreiben vom setzte die belangte Behörde den Beschwerdeführer von der Absicht der Inanspruchnahme zur Haftung gemäß § 9 i.V.m. §§ 80 ff. BAO in Kenntnis und ersuchte den Beschwerdeführer unter ausführlicher Darlegung der Rechtslage um Angabe der Gründe für die nicht (ordnungsgemäße) Entrichtung der Abgaben, um Darstellung der finanziellen Mittel und deren Verwendung in der Zeit vom bis tt.mm.2022. Weiters wurde um Darstellung der Zahlungseingänge im genannten Zeitraum bzw. zu den jeweiligen Fälligkeitstagen sowie um Auskunft, welcher Verwendung diese Zahlungen zugeführt wurde, ebenso um Darstellung der anderen Verbindlichkeiten (neben den Abgabenschulden) und deren Abdeckung sowie der Entwicklung der Gesamtverbindlichkeiten ersucht.
Nach mehreren Fristverlängerungsanträgen führte der Beschwerdeführer in seiner Eingabe vom aus, dass die Primärschuldnerin in den 12 Monaten vor Konkurseröffnung die Gleichbehandlung der Gläubiger gewahrt und sämtliche Gläubiger entsprechend der Quote befriedigt habe. Die ziffernmäßige Darstellung habe ergeben, dass das Finanzamt leicht bevorteilt worden sei. Da ein Softwarefehler die Übermittlung behindere, werde diese Berechnung am vorgelegt werden.
Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, dass die Aufgaben innerhalb der Geschäftsführung geteilt gewesen seien und er für die finanziellen Angelegenheiten zuständig gewesen sei.
Am erließ die belangte Behörde den streitgegenständlichen Haftungsbescheid für aushaftende Abgabenschuldigkeiten in Höhe von 56.163,64 €. Begründend wurde ausgeführt, dass im Ermittlungsverfahren bloß pauschal Behauptungen aufgestellt und keinerlei Nachweise vorgelegt worden seien. Die Quote des Sanierungsverfahrens sei bereits in Abzug gebracht worden.
Mit Eingabe vom erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde und brachte vor, dass die vorhandenen Mittel auf alle Gläubiger gleichmäßig verteilt worden seien. Eine detaillierte Berechnung werde innerhalb der nächsten 14 Tage nachgereicht. Es wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab und führte aus, dass bis zu diesem Zeitpunkt kein Nachweis für die vom Beschwerdeführer behauptete Gläubigergleichbehandlung erbracht worden sei. Da der Beschwerdeführer auf Grund der Geschäftsverteilung in der Gesellschaft für den finanziellen Bereich und für die Überweisungen an das Finanzamt zuständig und für das Bankkonto zeichnungsberechtig gewesen sei, würde er als Vertreter insbesondere zur Darstellung der wirtschaftlichen Situation der Primärschuldnerin zum Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeiten der Haftungsschuldigkeiten verpflichtet sein. Das Vorbringen, dass die wirtschaftliche Existenz des Beschwerdeführers durch die Haftungsinanspruchnahme zerstört werden würde, könnte die gesetzlichen Bedingungen zur Erlassung des Haftungsbescheides nicht entkräften.
Mit dem am eingebrachten Vorlageantrag legte der Beschwerdeführer zum Beweis der Gleichmäßigkeit der Entrichtung monatliche Saldenlisten für den Zeitraum August 2020 bis August 2022 vor und beantragte abermals die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.
Am legte die belangte Behörde die Beschwerde gegen den streitgegenständlichen Bescheid dem Bundesfinanzgericht (BFG) vor. Im Vorlagebericht der belangten Behörde wurde ausgeführt, dass die Vorlage der monatsweisen Saldenlisten keine Berechnung der durchschnittlichen Monatsquoten ermögliche, da die vorhandenen Mittel nicht bekannt gegeben worden seien. Ebenso blieben die laufenden und neu eingegangenen Verbindlichkeiten unberücksichtigt. Die Beurteilung der Gleichbehandlung des Abgabengläubigers könne mangels vollständiger Darstellung der Liquiditätssituation nicht vorgenommen werden.
Mit Schreiben vom ersuchte das BFG um Erbringung eines ordnungsgemäßen Gleichbehandlungsnachweises betreffend die im Zeitraum bis tt.mm.2022 fälligen und im Schreiben einzeln aufgelisteten Abgaben mit Berechnung der entsprechenden Quoten hinsichtlich einer Gläubigergleichbehandlung.
Daraufhin wurde eine Aufstellung für die Jahre 2020, 2021 und 2022 vorgelegt, aus welcher hervorgeht, wie hoch die jährlich geleisteten Zahlungen an die gesamten Lieferanten (als eine Summe), an das FA, an Kommunalsteuer, an die ÖGK, an die Mitarbeiter, an die Gesellschafter und an die SVA waren und wie sich die geleisteten Zahlungen zueinander verhalten. Das errechnete Verhältnis wurde als Quote bezeichnet. Diese Quotenberechnung ergäbe eine bevorzugte Bedienung der Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt.
Dieser Berechnung waren ein Auszug des Finanzamtskontos für den Zeitraum bis , monatliche Personensaldenlisten der Lieferanten für die Jahre 2020 bis 2022 sowie monatliche Periodensaldenlisten der Jahre 2020 bis August 2022 beigelegt.
Am fand die beantragte mündliche Verhandlung statt.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde das im Ermittlungsverfahren zu GZ RV/4100270/2023 (Haftungsverfahren hinsichtlich des zweiten Geschäftsführers) vorgelegte Schreiben des steuerlichen Vertreters samt der Geschäftsverteilungsvereinbarung (abgeschlossen am zwischen den beiden Geschäftsführern) zum Akt genommen. Nach dem Inhalt dieser Geschäftsverteilungsvereinbarung sei ausschließlich der zweiter Geschäftsführer (entgegen dem bisherigen Vorbringen) für die kaufmännische Führung der Gesellschaft, Preisfindung und Angebotslegung, Rechnungslegung, Rechnungsprüfung und Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Organisation Belegwesen und Steuermeldungen, Anmeldung und Abrechnung zur Sozialversicherung, Verwaltung des Bankkontos bar oder Bankanweisung zuständig und verantwortlich.
Der Beschwerdeführer hingegen sei für die technische Abwicklung der Geschäftsfälle mit Abnahme des Aufmaßes, Materialbestellung und Anlieferung, Einbau der Produkte, Reklamationsmanagement, Behebung von mangelhaften Montagen, Materialentsorgung und Lagerwesen, Prüfung der Waren, Anlieferung und Freigabe zur Bezahlung durch den Beschwerdeführer zuständig und verantwortlich.
Aus diesem Schreiben des steuerlichen Vertreters ging hervor, dass entgegen dem bisherigen Vorbringen der Beschwerdeführer zwar Zeichnungsberechtigter am Bankkonto gewesen sei, aber tatsächlich keinen Zahlungsverkehr abgewickelt habe. Der Beschwerdeführer verfüge zudem über keine Bankkarte für das Firmengeschäftskonto.
Der zweite Geschäftsführer wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung als Zeuge befragt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Beschwerdeführer war seit selbständiger handelsrechtlicher Geschäftsführer der ***PS*** GmbH (Primärschuldnerin). Ebenso war ***GF2*** seit selbständiger handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin.
Zwischen den Geschäftsführern wurde schriftlich am eine Geschäftsverteilung vereinbart, wonach der zweite Geschäfstführer ausschließlich für die kaufmännische Führung der Gesellschaft, Preisfindung, Angebots- und Rechnungslegung, Rechnungsprüfung, Abwicklung des Zahlungsverkehrs (Bar oder Bankanweisung), Organisation Belegwesen und Steuermeldungen, Anmeldungen und Abrechnung zur Sozialversicherung sowie Verwaltung des Bankkontos zuständig und verantwortlich war.
Der Beschwerdeführer war ausschließlich für die technische Abwicklung der Geschäftsfälle, mit Abnahme des Aufmaßes, Materialbestellung und Anlieferung, Einbau der Produkte, Reklamationsmanagement, Behebung von mangelhaften Montagen, Materialentsorgung und Lagerwesen, Prüfung der Waren Anlieferung und Freigabe zur Bezahlung durch den Beschwerdeführer zuständig und verantwortlich.
Diese schriftlich vereinbarte Geschäftsverteilung wurde auch umgesetzt.
Über das Vermögen der Primärschuldnerin wurde mit Beschluss vom tt.mm.2022 zu GZ ***123*** des Landesgerichts Klagenfurt der Konkurs eröffnet. Mit Beschluss vom tt.mm.2023 wurde ein Sanierungsplan rechtskräftig bestätigt und der Konkurs aufgehoben.
Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens waren folgende Abgaben nach Berücksichtigung der im Sanierungsplan festgelegten Quoten fällig:
Der Haftungsbescheid gegenüber dem Beschwerdeführer wurde am erlassen.
Der Beschwerdeführer legte weder Unterlagen noch Berechnungen vor, die geeignet gewesen wären, eine Gläubigergleichbehandlung nachzuweisen. Der Beschwerdeführer zeigte auch nicht auf, in welchem prozentuellem Ausmaß die Verbindlichkeiten der belangten Behörde befriedigt worden wären, wenn alle Verbindlichkeiten gleichmäßig bedient worden wären.
Der Beschwerdeführer wusste spätestens Ende des Jahres 2021 von der nicht ordnungsgemäßen Entrichtung der Abgaben.
Der Beschwerdeführer führte zu keinem Zeitpunkt Kontroll- oder Überprüfungsmaßnahmen als nicht für die finanziellen Angelegenheiten Zuständiger gegenüber dem mit der Abgabenentrichtung betrauten oder hierfür verantwortlichen Geschäftsführer durch.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt hinsichtlich der Geschäftsführung ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Firmenbuch sowie aus der im Rahmen des Ermittlungsverfahrens vorgelegten Geschäftsverteilungsvereinbarung und aus den übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und des einvernommenen Zeugen.
Die Feststellungen betreffend das Insolvenzverfahren der Primärschuldnerin basieren auf der Einsichtnahme des BFG in den Insolvenzakt der Primärschuldnerin und in das Firmenbuch.
Das Bestehen des Abgabenanspruches und dessen Höhe ist zwischen den Parteien unstrittig und ergibt sich auch klar aus dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin. Für das BFG ergeben sich keine Anhaltspunkte, am Bestehen des Abgabenanspruches und dessen Höhe zu zweifeln.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keinen Nachweis des Gleichbehandlungsgebotes erbracht hat, wurde unter anderem deshalb getroffen, da der Beschwerdeführer keine Unterlagen hinsichtlich des Zeitraumes vom bis vorlegte; dies obwohl das BFG im Vorhalt vom dazu aufgefordert hat. Im Zusammenhang mit der Fälligkeit in den Jahren 2018 und 2019 wurde auch kein Vorbringen erstattet.
Unterlagen hinsichtlich des Kassakontos für den gesamten relevanten Zeitraum wurden nicht vorgelegt, sodass die auf diesem Konto zur Verfügung stehenden Mittel und die Höhe der von diesem Konto getätigten Zahlung im Unklaren blieben.
Weiters konnte der Beschwerdeführer nicht nachweisen, dass eine volle Bezahlung von Zug-um-Zug-Geschäften über den relevanten Zeitraum (zB. Konto betreffend "A1"; Stand EB Jänner 2020: 0 €; Stand Endsaldo 8/2022: 0 €) unterblieb. Dass diese Zahlungen möglicherweise zum Teil während des Betrachtungszeitraumes verspätet geleistet wurden, ändert nichts daran, dass am Ende des Betrachtungszeitraumes eine vollständige Bezahlung zumindest eines Gläubigers (zB. Gläubiger "A1") stattgefunden hat. Eine Verletzung des Gleichbehandlungs-grundsatzes kann sich aber nicht nur bei der Tilgung bereits bestehender Verbindlichkeiten, sondern auch bei sogenannten Zug-um-Zug-Geschäften ergeben ().
Das vom Beschwerdeführer errechnete (und von ihm als Quote bezeichnete) Verhältnis der jährlichen Zahlungen an sämtliche Lieferanten, an das Finanzamt, an Kommunalsteuer, an die ÖGK, an Mitarbeiter, an die Gesellschafter und an die SVA zueinander erbringt keinen Nachweis einer Gläubigergleichbehandlung entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur.
Die Feststellung hinsichtlich des Kenntnisstandes des Beschwerdeführers über die (Nicht) Entrichtung der Abgaben wurde aufgrund der übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und des Zeugen in der mündlichen Verhandlung getroffen. Beide gaben an, dass sie über die nicht ordnungsgemäße Entrichtung miteinander sprachen und der Beschwerdeführer im Rahmen dieser Gespräche auch Einsicht in das Finanzamtskonto der Primärschuldnerin bekam. Der Zeuge erklärte, dass diese Gespräche 2021 stattgefunden haben. Die Aussage des Zeugen erscheint dem Gericht glaubhaft, da der Beschwerdeführer den Zeitpunkt zwar nicht benennen konnte, jedoch angab, dass dieser mit dem Zeitpunkt der Zahlungsprobleme der Primärschuldnerin gegenüber den Lieferanten zusammenfiel. Aus den vorgelegten Periodensaldenlisten ist erkennbar, dass sich die Verbindlichkeiten gegenüber den Lieferanten von 79.979 € auf 124.238 € im Laufe des Jahres 2021 erhöhten.
Dass der Beschwerdeführer weder Kontroll- noch Überwachungsmaßnahmen gegenüber dem für die finanziellen Angelegenheiten zuständigen Geschäftsführer durchführte, ergab sich insbesondere aus folgenden Überlegungen:
Einerseits konnte der Beschwerdeführer selbst in seiner Befragung durch das Gericht nicht angeben, wie er sich abgesichert habe, dass der zweite Geschäftsführer sämtliche abgabenrechtlichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erfülle. Andererseits erklärte der zweite Geschäftsführer, dass auch nach der Bekanntgabe der nicht ordnungsgemäßen Abgabenentrichtung gegenüber dem Beschwerdeführer, dieser keine Maßnahmen ergriffen habe, um eine gesetzeskonforme Entrichtung der Abgaben sicherzustellen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
§ 80 BAO lautet:
(1) Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
(2) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die im Abs. 1 bezeichneten Pflichten und Befugnisse.
(3) Vertreter (Abs. 1) der aufgelösten Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach Beendigung der Liquidation ist, wer nach § 93 Abs. 3 GmbHG zur Aufbewahrung der Bücher und Schriften der aufgelösten Gesellschaft verpflichtet ist oder zuletzt verpflichtet war.
Gemäß § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs. 1) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen. Beantragt der Haftungspflichtige die Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches, so gilt § 245 Abs. 2, 4 und 5 sinngemäß.
Voraussetzung für die Inanspruchnahme als Haftender nach den § 9 und § 80 BAO ist
-) die Stellung als Vertreter,
-) eine Abgabenforderung, deren Zahlungstermin in die Zeit der Vertretertätigkeit fällt, gegen den Vertretenen,
-) die Uneinbringlichkeit dieser Abgabenforderung,
-) eine Pflichtverletzung des Vertreters,
-) ein Verschulden des Vertreters an der Pflichtverletzung und
-) die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ().
Maßgebend für die Vertreterhaftung gemäß § 9 BAO ist die gesellschaftsrechtliche Stellung als Geschäftsführer der GmbH. Dies gilt unabhängig davon, ob die betreffende Person tatsächlich als Geschäftsführer tätig ist (Ritz/Koran, BAO7, § 9 Tz 1 mwN).
Wie unter Punkt II.1. angeführt, war der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben unstrittig Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Er gehört damit zu dem in § 80 Abs. 1 BAO angeführten Personenkreis. Er kann daher gemäß § 9 BAO grundsätzlich zur Haftung für ausständige Abgabenrückstände herangezogen werden.
Die Haftung ist subsidiär und akzessorisch. Eine Person darf demnach nur dann als Haftende in Anspruch genommen werden, wenn der Hauptschuldner seiner Verbindlichkeit nicht nachkommt und diese Verbindlichkeit beim Hauptschuldner uneinbringlich ist (Subsidiarität).
Die Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgabenforderung bei der Primärschuldnerin ergibt sich aufgrund der Aufhebung des Konkursverfahrens mit Bestätigung des Sanierungsplanes. Die aufgrund des Sanierungsplanes zu zahlende Quote wurde im Haftungsbetrag berücksichtigt.
Die Haftung nach § 9 BAO ist einem zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch nachgebildet. Es ist gemäß § 1298 ABGB Sache des Vertreters, die Gründe darzutun, aus denen ihm die Erfüllung seiner Pflichten gemäß § 9 und § 80 BAO unmöglich war, widrigenfalls die Behörde zu der Annahme berechtigt ist, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist (; , 2011/16/0184).
Zur Haftungsinanspruchnahme genügt der Vorwurf bloßen - vom Geschäftsführer zu widerlegendem - Verschuldens (). Die Schuldhaftigkeit iSd § 9 Abs. 1 BAO erfasst jede Form des Verschuldens und damit auch die leichte Fahrlässigkeit (; , Ra 2019/13/0046). Zu den Pflichten des Beschwerdeführers als Geschäftsführer der Gesellschaft in jenem Zeitraum, in welchem er die Vertreterstellung innehatte, gehörten nicht nur die Pflicht zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen sowie deren Aufbewahrung, die Erfüllung der Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten der Gesellschaft, die Abgabenerklärungspflicht, sondern insbesondere auch die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft sowie die Vorsorge, für die Entrichtung der Abgaben der Gesellschaft aus den verwalteten Mitteln zu sorgen ().
Wird eine Abgabe nicht entrichtet, weil der Vertretene überhaupt keine liquiden Mittel hat, so verletzt der Vertreter dadurch keine abgabenrechtliche Pflicht (; ).
Im gegenständlichen Fall wurde nicht behauptet, dass dem Beschwerdeführer keine Mittel zur Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben zur Verfügung gestanden wären.
Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden sind, hierzu nicht ausreichen; es sei denn, er weist nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet, die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als andere Verbindlichkeiten ().
Am Vertreter, dem als Geschäftsführer der Primärschuldnerin ausreichend Einblick in die Gebarung zustand, ist es dabei gelegen, das Ausmaß der quantitativen Unzulänglichkeit der zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen (), da nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen hat, sondern der zur Haftung herangezogene Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel ().
Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, hat es der Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall unterlassen Unterlagen hinsichtlich des Zeitraumes vom bis vorzulegen, dies obwohl das Bundesfinanzgericht im Vorhalt vom dazu aufgefordert hat.
Weiters konnte der Beschwerdeführer nicht nachweisen, dass eine volle Bezahlung von Zug um Zug Geschäften über den relevanten Zeitraum (zB. Konto betreffend "A1"; Stand EB Jänner 2020: 0 €; Stand Endsaldo 8/2022: 0 €) unterblieb. Dass diese Zahlungen möglicherweise zum Teil während des Betrachtungszeitraumes verspätet geleistet wurden, ändert nichts daran, dass am Ende des Betrachtungszeitraumes eine vollständige Bezahlung zumindest eines Gläubigers (zB Gläubiger "A1") stattgefunden hat. Der Grundsatz, dass kein einziger Gläubiger dem Abgabengläubiger vorgezogen werden darf (), wurde daher nicht erfüllt.
Das vom Beschwerdeführer errechnete (und von ihm als Quote bezeichnete) Verhältnis der jährlichen Zahlungen an sämtliche Lieferanten, an das Finanzamt, an Kommunalsteuer, an die ÖGK, an Mitarbeiter, an die Gesellschafter und an die SVA zueinander ist in der Rechtsprechung zum Nachweis einer Gläubigergleichbehandlung irrelevant.
Die Erbringung des Gläubigernachweises ist aufgrund der vorliegenden Mängel nicht gelungen.
Weist der Haftungspflichtige nach, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, dann haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag ().
Da der Beschwerdeführer keine Behauptung und Konkretisierung des Ausmaßes der quantitativen Unzulänglichkeit der in den Fälligkeitszeitpunkten zur Verfügung gestandenen Mittel zur Erfüllung der vollen Abgabenverbindlichkeiten erhoben hat, kommt eine Beschränkung der Haftung des Beschwerdeführers bloß auf einen Teil der von der Haftung betroffenen Abgabenschulden nicht in Betracht ().
Den im Rahmen dieser Behauptungs- und Konkretisierungspflicht zur Feststellung des für die aliquote Erfüllung der Abgabenschuld zur Verfügung stehenden Teiles vom Gesamtbetrag der liquiden Mittel geforderte Liquiditätsstatus - in Form einer Gegenüberstellung von liquiden Mitteln und Verbindlichkeiten ab den jeweiligen im Gleichbehandlungsersuchen vom aufgelisteten Entrichtungstagen der haftungsgegenständlichen Abgaben bis zur Konkurseröffnung, wobei es auf die Abgabenverbindlichkeiten einerseits und die Summe der übrigen Verbindlichkeiten andererseits ankommt - hat der Beschwerdeführer jedoch nicht aufgestellt.
Bei mehreren Vertretern können die Aufgaben verteilt werden. Eine Arbeitsaufteilung bewirkt jedoch, selbst bei großer Spezialisierung, nicht, dass ein Geschäftsführer sich nur noch auf sein eigenes Arbeitsgebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Geschäftsführer nicht mehr zu kümmern braucht ().
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH verletzt der mit steuerlichen Angelegenheiten nicht Befasste bei Vorliegen von Abgrenzungsabreden allerdings lediglich dann seine abgabenrechtlichen Pflichten, wenn er trotz Unregelmäßigkeiten bei der Tätigkeit des zur Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten Bestellten nichts unternahm, um Abhilfe zu schaffen, es sei denn, er brächte triftige Gründe vor, die ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gemacht hätten. Eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Abgabenentrichtung betrauten oder hierfür verantwortlichen Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer kommt nur in Betracht, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln ( mwN). Diesfalls muss der Vertreter sich einschalten, um nicht selbst ersatzpflichtig zu werden ().
Die Befragung des Beschwerdeführers sowie des Zeugen durch das Gericht ergab, dass der Beschwerdeführer, obwohl er von der nicht ordnungsgemäßen Abfuhr der Abgaben an den Abgabengläubiger Bescheid wusste, keine Überwachungsmaßnahmen durchgeführte. Gründe, die ihn daran hinderten, brachte der Beschwerdeführer nicht vor. Durch dieses Verhalten verletzte der Beschwerdeführer seine abgabenrechtlichen Pflichten.
Bei schuldhafter Pflichtverletzung spricht die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben (; , Ra 2020/13/0027).
Da der Beschwerdeführer auch in diesem Zusammenhang keine gegenteiligen Nachweise vorlegen konnte, ist der ständigen Rechtsprechung des VwGH folgend von einer Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Beschwerdeführers und der Uneinbringlichkeit der Abgabe auszugehen.
Ermessen:
Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen.
Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Beschwerdeführers beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch ihn verursacht worden ist. Dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" kommt die Bedeutung öffentliches Interesse an der Einhebung der Abgabe zu. Die Zweckmäßigkeit der Geltendmachung der Haftung liegt darin, dass nur durch diese Maßnahme eine Einbringlichkeit der angeführten Abgaben gegeben ist und nur so dem öffentlichen Interesse an der Erhebung der Abgaben nachgekommen werden kann.
Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits wäre ein Umstand, der bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht gelassen werden darf. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt aber vom Einzelfall ab ().
Im vorliegenden Fall sind keine Gründe evident, die das BFG zu einer Ermessensübung für die in der Haftung verbliebenen Beträge im Sinne des Beschwerdeführers veranlassen würden, zumal die Haftung sehr zeitnah zum Untergang der Primärschuldnerin geltend gemacht wurde.
Eine allfällige Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung ().
Das pauschale Vorbringen des Beschwerdeführers in der Vorbehaltsbeantwortung gegenüber der belangten Behörde, wonach er obsorgepflichtig für seine Familie sei und deren wirtschaftliche Existenz zerstört werden würde, geht somit ins Leere und ist im Rahmen der Ermessensübung nicht zu berücksichtigen.
Wenn im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein Mitverschulden der Abgabenbehörde an der Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgabenschuld vorgebracht wird, so entspricht es der ständigen Rechtsprechung des VwGH, dass bei Inanspruchnahme der Haftung eines Geschäftsführers gemäß § 9 BAO iVm § 80 BAO die Frage, ob die Behörde allenfalls bei gehöriger Aufmerksamkeit die Folgen einer Pflichtverletzung eines Geschäftsführers verhindern hätte können, keine Rolle spielt ( mwN).
Es war spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die vorliegende Entscheidung beruht auf der zitierten, ständigen Rechtsprechung des VwGH. Im Verfahren vor dem BFG waren ausschließlich Tatsachenfragen und Ermessensfragen zu beurteilen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Klagenfurt am Wörthersee, am
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.4100271.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
ECLI Nummer:
ECLI:AT:BFG:2024:RV.4100271.2023
Fundstelle(n):
LAAAF-44483