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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 20.01.2025, RV/7103637/2024

Ist § 16 Abs. 1 COFAG-NoAG hinsichtlich der Verzinsung der Rückerstattung ab dem Zeitpunkt der Auszahlung verfassungswidrig?

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7103637/2024-RS1
Die in § 16 Abs. 1 COFAG-NoAG normierte Verzinsung des Rückerstattungsbetrages ab dem Zeitpunkt der Auszahlung ist nach allgemein gültiger Rechtslage nicht verfassungswidrig im Sinne einer Verletzung des Gleichheitssatzes, weil sie keinen atypischen Vermögenseingriff von erheblichem Gewicht darstellt und die Empfänger rechtswidrig bezogener Beihilfen nicht auf eine Zinsenfreiheit oder eine spätere Auslösung des Zinsenlaufes vertrauen durften.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri***

in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Wirtschaftstreuhand Tirol Steuerbe- ratungsgesellschaft m.b.H & Co KG, Rennweg 18, 6020 Innsbruck,

betreffend die Bescheide des ***FA*** vom

hinsichtlich Verzinsung der Rückerstattung zu den Auszahlungszeitpunkten (zu Lockdown-Umsatzersatz für 11/2020) , (zu Lockdown-Umsatzersatz für 12/2020), (zu Lockdown-Umsatzersatz für 11/2020), (zu Fixkostenzuschuss I), (zu Ausfallsbonus III für 11/2021), (zu Verlustersatz) sowie (zu Verlustersatz II), Steuernummer ***BF1StNr1***,

zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

Die beschwerdeführende Gesellschaft wandte sich durch ihre steuerliche Vertretung im Beschwerdewege gegen die Bescheide, mit denen Zinsen für COFAG-Rückerstattungen festgesetzt worden waren. Rechtsgrundlage dafür sei § 16 COFAG-NoAG, wonach der Rückerstattungsbetrag ab dem Zeitpunkt der Auszahlung bis zur Bekanntgabe des Festsetzungsbescheides mit einem Zinssatz von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz pro Jahr zu verzinsen wäre.

Der Beginn der Zinsenpflicht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung sei aus zwei Gründen verfassungswidrig:

Erstens sei eine echte Rückwirkung, also die nachträgliche Änderung von Rechtsnormen, die in abgeschlossene Sachverhalte eingriffen, verfassungsrechtlich unzulässig. Zweitens sei im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten das Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verankert. Bürger und Unternehmen müssten darauf vertrauen können, dass einmal geltendes Recht nicht nachträglich zu ihrem Nachteil geändert werde.

Bis zum seien freiwillige oder verpflichtende Rückerstattungen von erhaltenen COFAG-Beihilfen "ohne Zinsen zu leisten" gewesen. Keine der verschiedenen Verordnungen des Bundesministers für Finanzen gemäß § 3b Abs. 3 des ABBAG-Gesetzes, "beinhalte eine Pflicht zur Verzinsung von Rückerstattungsansprüchen". Daraus sei abzuleiten, dass für alle freiwilligen oder verpflichtenden Rückerstattungen von erhaltenen COFAG-Beihilfen eine mögliche Zinsenpflicht erst "mit Inkrafttreten des COFAG-NoAG am " beginnen könne.

Da in der Beschwerde ausschließlich die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes vorgebracht wurde, erließ die Abgabenbehörde keine Beschwerdevorentscheidung, sondern legte die Bescheidbeschwerde gemäß § 262 Abs. 3 BAO unverzüglich dem Bundesfinanzgericht vor.

Ein vorerst gestellter Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vor dem gesamten Senat wurde zurückgezogen und in einem Schriftsatz ergänzend ausgeführt:

Es sei auf mehrere Fälle in Österreich hinzuweisen, in denen Gesetze aufgrund ihrer Rückwirkung als verfassungswidrig aufgehoben worden wären. Bürger müssten darauf vertrauen können, dass Gesetze nicht rückwirkend in einer Weise angewendet würden, die ihre Rechte beeinträchtigten. Beispielhaft wurden genannt: Erkenntnis vom , V 54/99 und Erkenntnis vom , V1/90. Darin habe der VfGH die rückwirkende Inkraftsetzung von Verordnungen mangels gesetzlicher Ermächtigung als Grund für Aufhebungen herangezogen.

Fehle - wie im Streitfall - eine gesetzliche Ermächtigung zur rückwirkenden Inkraftsetzung von Gesetzen, so verstoße eine rückwirkende Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz und sei somit verfassungswidrig.

Das Rückwirkungsverbot beruhe auf dem Rechtsstaatsprinzip mit den darin verankerten Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Eine Rückwirkung komme nur dann in Betracht, wenn das Vertrauen des Bürgers nicht schutzwürdig sei, d. h., er mit einer Neuerung rechnen musste, wenn er überhaupt nicht vertrauen durfte, wenn er mit der Neuregelung ausschließlich bessergestellt wird, wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls die Rückwirkung erfordern, wenn ein nichtiges Gesetz durch eine neue Regelung ersetzt werde oder wenn die bisherige Rechtslage unklar sei.

In der Norm des § 16 COFAG-NoAG liege eine echte Rückwirkung, weil der Beginn der Verzinsung mit dem Zeitpunkt der Auszahlung normiert werde. Die Rechtslage vor dem am in Kraft getretenen COFAG-NoAG habe keine Verzinsung von Rückerstattungsbeträgen vorgesehen. Insofern liege eine Verfassungswidrigkeit vor.

Auch aus den Bestimmungen des ABGB lasse sich keine Zinsenpflicht ab dem Zeitpunkt der Auszahlung ableiten, vielmehr sehe § 1000 ABGB eine Verzinsung - sofern keine andere Vereinbarung getroffen worden sei - nur dann vor, wenn die Forderung auf Zinsen gerichtet sei, z.B. ein Darlehen, oder wenn der Schuldner in Verzug gerate (Verzugszinsen). Wurden keine Zinsen vereinbart, dann schaffe auch § 1000 ABGB keine für die Vertragsparteien verpflichtende Verzinsung, in welcher Form und Höhe auch immer.

Die beschwerdeführende Gesellschaft habe in zwei am - also rund zwei Wochen vor Inkrafttreten des COFAG-NoAG - an die COFAG gerichteten Selbstanzeigen offengelegt, dass zwei Förderanträge unrichtig und deren Berechnungen zu hoch gewesen seien. Sie habe die Beträge i.H.v. € 90.731,34 und € 189.059,09 der COFAG bekannt gegeben und Schriftverkehr zur Rückzahlung geführt. Darin sei nur über die Nominalbeträge, nicht aber über allfällige Zinsen gesprochen worden.

Im Weiteren verwies der steuerliche Vertreter der beschwerdeführenden Gesellschaft auf ein Informationsblatt der COFAG mit dem Stand über häufig gestellte Fragen zu Rückforderungen, in welchem ausdrücklich nur der jeweilige Zuschussbetrag, nie aber eine Verzinsung desselben, erwähnt werde.

Zusammenfassend sei festzustellen, dass bis zum die Rückzahlung von zu hoch gewährten COVID-Förderungen an die COFAG zinsenfrei gewesen sei. Erst durch den wegen Verfassungswidrigkeit bekämpften § 16 COFAG-NoAG sei rückwirkend eine Verzinsung von Rückforderungen für Zeiträume vor dem eingeführt worden.

Das Informationsblatt der COFAG "Aktuelle Informationen zu Rückforderungen, Häufig gestellte Fragen und Antworten" wurde beigelegt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung

Die Beweiswürdigung gründet sich auf unstrittigen Akteninhalt.

2. Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Beurteilung

2.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Das COFAG-NoAG wurde am in Art. 1 des COFAG-Sammelgesetzes, BGBl. I Nr. 86/2024, kundgemacht und trat am in Kraft.

Gemäß § 1 Abs. 1 COFAG-NoAG werden nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes die nach § 2 Abs. 2 Z. 7 i.V.m. Abs. 2a des ABBAG-Gesetzes, BGBl I Nr. 51/2014 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 228/2021, der COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG) obliegenden Aufgaben neu geordnet.

Gemäß § 2 Abs. 1 COFAG-NoAG ist ein Förderantrag im Sinne dieses Bundesgesetzes ein Antrag auf Abschluss eines Fördervertrages nach den Bestimmungen der in Abs. 9 angeführten Verordnungen des Bundesministers für Finanzen.

Gemäß § 2 Abs. 2 COFAG-NoAG ist ein Fördervertrag im Sinne dieses Bundesgesetzes ein auf Grundlage eines Förderantrages mit der COFAG oder dem Bund abgeschlossenes Rechtsgeschäft.

Gemäß § 2 Abs. 4 COFAG-NoAG ist Vertragspartner im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer aus einem Förderantrag nach Abs. 2 vertraglich berechtigt ist, war oder als berechtigt behandelt wurde.

Gemäß § 13 COFAG-NoAG entsteht, soweit ein Vertragspartner zu Unrecht finanzielle Leistungen erhalten hat, ab in diesem Ausmaß ein öffentlich- rechtlicher Rückerstattungsanspruch. Der Vertragspartner ist verpflichtet, den Rückerstattungsbetrag nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen an den Bund zu leisten.

Gemäß § 14 Abs. 1 COFAG-NoAG hat das zuständige Finanzamt nach den Abgabenvorschriften (§ 3 Abs. 3 BAO) zu prüfen, ob ein Rückerstattungsanspruch besteht und diesen zu erheben (§ 1 Abs. 3 BAO). Für Zwecke der Anwendung der Abgabenvorschriften gilt der Rückerstattungsanspruch als Abgabe im Sinne des § 3 Abs. 1 BAO.

Gemäß Abs. 2 leg cit. errechnet sich ein Rückerstattungsanspruch

1. aus dem Differenzbetrag zwischen dem Auszahlungsbetrag und jenem Betrag, der aufgrund des verwirklichten Sachverhalts und der für den Förderbetrag maßgeblichen Verordnungen (§ 2 Abs. 9) zugestanden wäre, oder

2. dem Differenzbetrag zwischen dem Auszahlungsbetrag und jenem Betrag, der dem Vertragspartner beihilfenrechtlich als finanzielle Leistung zusteht, oder

3. dem gesamten Auszahlungsbetrag, wenn sich der Vertragspartner nicht steuerlich wohlverhalten hat …

Der Rückerstattungsanspruch vermindert sich um jene Beträge, die vom Vertragspartner darauf bereits an die COFAG oder den Bund geleistet wurden.

Gemäß § 15 Abs. 1 COFAG-NoAG entsteht der Rückerstattungsanspruch

1. für Auszahlungen, die vor dem erfolgt sind, am ;

2. für alle späteren Auszahlungen mit dem auf die Auszahlung folgenden Tag.

Gemäß Abs. 2 leg cit. ist die Rückerstattung vom zuständigen Finanzamt mit Bescheid festzusetzen, wenn der Rückerstattungsanspruch die in den einschlägigen Verordnungen (§ 2 Abs. 9) enthaltenen Betragsgrenzen für die Rückforderung übersteigt.

Gemäß Abs. 3 leg cit. wird der Rückerstattungsanspruch mit Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe des Festsetzungsbescheides fällig.

Gemäß Abs. 4 leg cit. beträgt die Verjährungsfrist für den Rückerstattungsanspruch abweichend von § 207 und 208 BAO zehn Jahre und beginnt frühestens mit zu laufen.

Gemäß § 16 Abs. 1 COFAG-NoAG ist der Rückerstattungsbetrag ab dem Zeitpunkt der Auszahlung bis zur Bekanntgabe des Festsetzungsbescheides mit einem Zinssatz von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz pro Jahr zu verzinsen. Abweichend davon ist der Rückerstattungsbetrag ab dem Zeitpunkt der Auszahlung bis zur Entrichtung mit einem Zinssatz von einem Prozentpunkt über dem Basiszinssatz pro Jahr zu verzinsen, soweit es sich um einen Betrag gemäß § 14 Abs. 2 Z. 2 handelt. Stundungs- und Aussetzungszinsen (§ 212, § 212a BAO) gehen dieser Verzinsung insoweit vor.

Gemäß Abs. 2 leg cit. ist im Fall mehrerer Auszahlungsteilbeträge jeder Teilbetrag ab dem Zeitpunkt der jeweiligen Zahlungsanweisung der BHAG zu verzinsen …

Gemäß Abs. 3 leg cit. sind die Zinsen Nebenansprüche im Sinne des § 3 Abs. 2 BAO und mit Bescheid festzusetzen. Zinsen, die den Betrag von € 50 nicht erreichen, sind nicht festzusetzen.

Gemäß § 17 Abs. 1 COFAG-NoAG ist für die Erhebung des Rückerstattungsanspruchs jenes Finanzamt zuständig, dass für die Erhebung der Umsatzsteuer zuständig ist …

Gemäß Abs. 2 leg cit. ist für das ordentliche Rechtsmittelverfahren das Bundesfinanzgericht das zuständige Verwaltungsgericht.

Den Beschwerden liegen Förderverträge nach den Bestimmungen der in § 2 Abs. 9 COFAG-NoAG (zuvor: § 3b Abs. 3 ABBAG-Gesetz) angeführten Verordnungen des Bundesministers für Finanzen betreffend Fixkostenzuschüsse, Lockdown-Umsatzersätze, Verlustersätze und Ausfallsbonuszahlungen zugrunde.

Entsprechend der jeweiligen Präambel, Punkt 1.2., zu den genannten Verordnungen handelt es sich bei den in diesen Richtlinien vorgesehenen finanziellen Maßnahmen um Beihilfen gemäß Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union).

Unter Punkt 7.4. bzw. 7.6. wird in der jeweiligen Verordnung dargelegt, dass der Fixkostenzuschuss, Lockdown-Umsatzersatz, Verlustersatz oder die Ausfallsbonuszahlung aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung, nämlich eines Fördervertrages zwischen der COFAG und dem Antragsteller, gewährt wird.

Unter Punkt 8.3. bzw. 8.4. wird geregelt, unter welchen Voraussetzungen die verpflichtende Rückforderung der gewährten Zuschüsse zu erfolgen hat. Nähere Modalitäten der Rückzahlung, wie etwa eine Verzinsung, werden nicht umschrieben.

Strittig ist:

Ist der Beginn der Verzinsung mit dem Zeitpunkt der Auszahlung gemäß § 16 Abs. 1 COFAG-NoAG verfassungswidrig, weil darin eine echte Rückwirkung zu erblicken ist und es sich um eine Verletzung der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes handelt?

Ein explizites Rückwirkungsverbot findet sich in der österreichischen Rechtsordnung lediglich in der Verfassungsnorm des Art. 7 Abs. 1 EMRK im Strafrecht. Darüber hinaus ist dieser Gedanke positivrechtlich in § 5 ABGB verankert: "Gesetze wirkten nicht zurück; sie haben daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluss." Dieser allgemeine Grundsatz des ABGB gilt als Leitgedanke der österreichischen Rechtsordnung, womit er nach herrschender Ansicht auch für das Steuerrecht maßgeblich ist. Die einfachgesetzliche Regelung des § 5 ABGB wird aber durch jede anderslautende rückwirkende Bestimmung derogiert. Auf verfassungsgesetzlicher Ebene fehlt es gänzlich an einem allgemeinen Verbot rückwirkender Gesetze: Weder das Legalitätsprinzip des Art. 18 B-VG, noch die Kundmachungsvorschrift des Art. 49 B-VG, noch andere Bestimmungen untersagen dem Gesetzgeber die Erlassung von Vorschriften, die ein "Vertrauen" des Rechtsunterworfenen auf die bestehende Rechtslage enttäuschen könnten.

Art. 49 Abs. 1 B-VG enthält die verfassungsrechtliche Vorgabe, die den Beginn des zeitlichen Geltungsbereichs von Bundesgesetzen regelt: "Die Bundesgesetze sind vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt kundzumachen. Soweit nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, treten sie mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung in Kraft und gelten für das gesamte Bundesgebiet." Der Regelfall ist im Steuerrecht jedoch die Ausnahme des Art. 49 Abs. 1 B-VG ("ausdrücklich anderes bestimmt"). Die Festlegung des zeitlichen Geltungsbereichs erfolgt nämlich sehr häufig in Form von Schlussbestimmungen, in denen der Termin für das "Inkrafttreten" des betreffenden Gesetzes- und damit eventuell eine Legisvakanz oder eben eine Rückwirkung- festgelegt wird.

Der verfassungsgesetzliche Nicht-Ausschluss einer Rückwirkung in Art. 49 Abs. 1 BVG rechtfertigt aber noch nicht den Umkehrschluss, dass dem Gesetzgeber in dieser Hinsicht freie Hand gegeben wird. Dem Gesetzgeber werden sehr wohl verfassungsrechtliche Schranken auferlegt. Die Rechtsprechung und ein erheblicher Teil der Lehre sehen die Schranken des allgemeinen Gleichheitssatzes für anwendbar (vgl. Klokar, Die Zeit im Ertragsteuerrecht, 2023).

Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 7 BVG liegt dann vor, wenn die Abgabepflichtigen

  • durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht

  • in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht werden

  • und nicht besondere Umstände (vor allem selbst wiederum nach dem Gleichheitssatz) die Rückwirkung verlangen

(Tanzer/Unger in BAO - Einführung in das Recht der Bundesabgabenordnung, 7. Auflage, Januar 2021).

Streitfallbezogen ergibt sich:

Der Fachartikel "Das COFAG-Neuordnungs- und Abwicklungsgesetz- ein kritischer Überblick" von GeorgEisenberger und Julia Holzmann in SWK 28, , Seite 1178, mit Hinweisen auf die EuGH-Rechtsprechung, enthält den Passus:

"Die Verpflichtung, unionsrechtswidrige Beihilfen mit Zinsen zurückzufordern, ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH. Nur wenn eine rechtswidrige Beihilfe mit Zinsen zurückgefordert wird, kann der zu Unrecht erlangte Wettbewerbsvorteil neutralisiert werden."

Es obliegt den nationalen Gerichten, das innerstaatliche Recht soweit wie möglich in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen, wobei der ihnen bei der Ausgestaltung zukommende Entscheidungsspielraum im Sinne des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität anzuwenden ist (vgl. etwa Stephanie Holzmann, AVR 2021, 88, ad Rs CS und technoRent International GmbH, EuGH C-844/19).

Vor dem Hintergrund des innerstaatlichen Rechts betrachtet, ergibt sich, dass Zinsen ein zumeist in Geld zu leistendes Entgelt für die Überlassung vertretbarer Sachen sind. Die Zinsenhöhe wird in Bruchteilen (Prozenten) des Kapitals berechnet.

Zinsen sind Nebengebühren iSd § 912 ABGB, die regelmäßig das Schicksal des Kapitals teilen (Akzessorietät): Die Entstehung einer Zinsenschuld setzt eine Kapitalschuld voraus und der Zinsenlauf endet auch gemeinsam mit der Kapitalschuld.

Soweit der steuerliche Vertreter in seinem ergänzenden Schreiben vom Jänner 2025 vorbringt, § 1000 Abs. 1 ABGB beziehe sich nur auf "vereinbarte Zinsen", das heiße, wenn keine Zinsen vereinbart wurden, schaffe auch § 1000 ABGB keine für die Vertragsparteien verpflichtende Verzinsung in welcher Form und Höhe auch immer, ist diese Verantwortung unvollständig.

Abs. 1 leg. cit. spricht nämlich nicht nur von Zinsen, die ohne Bestimmung der Höhe vereinbart worden sind, sondern auch von Zinsen, die aus dem Gesetz gebühren.

Gesetzliche Zinsen stehen dem Gläubiger unabhängig von einer vertraglichen Übereinkunft zu. Hierunter fallen insbesondere Verzugszinsen, Verwendungszinsen und Vergütungszinsen:

Vergütungszinsen gebühren im Falle unrechtmäßiger Bereicherung dem Entreicherten ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Bereicherung zumindest in Höhe der gesetzlichen Zinsen des § 1000 Abs. 1 ABGB (vgl. Zauner, Zinsen, in RDB Keywords1, Stand , rdb.at, Tz 1-13).

Wenn jemand fremdes Geld für eigene Zwecke verwendet, hat er Vergütungszinsen zu leisten. Diese Vergütungszinsenstehen dem Entreicherten mindestens in der Höhe zu, wie er sie erzielt hätte, wenn er für diesen Zeitraum einem Dritten ein Darlehen gewährt hätte (OGH 3 Ob 521/84).

Wer durch die Möglichkeit bereichert ist, über fremdes Geld zu verfügen, schuldet nach ständiger Rechtsprechung stets zumindest vierprozentige "Vergütungszinsen" (Kellner in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4, § 1000, Tz 12).

Auch eine analoge Anwendung des § 1333 Abs. 1 ABGB wird in der Lehre zur Thematik vertreten - wenn dem Gläubiger mit Verzugseintritt Verzugszinsen in Höhe von jedenfalls 4 % zustehen, dann liegt dem der Gedanke zugrunde, dass die Möglichkeit, über einen Geldbetrag zu verfügen, jedenfalls einen Nutzen in dieser Höhe lukrieren lässt. Angewendet auf denjenigen, dem ein Geldbetrag zugekommen ist, der ihm nicht zusteht, führt dieser Gedanke aber zwingend dazu, auch diesfalls von einem derartigen Mindestnutzen, nunmehr auf Seiten des Bereicherungsschuldners, auszugehen (Georg Graf in VbR 2018/71).

Umgelegt auf den Streitfall wurde daher die beschwerdeführende Gesellschaft durch die später als rechtswidrig erkannten Beihilfen bereichert, sie erlangte einen Wettbewerbsvorteil. Die Rückforderung mit Zinsen entspricht insofern den oben dargelegten, dem innerstaatlichen Recht immanenten, bereicherungsrechtlichen Regeln bzw. dem unionsrechtlichen Postulat zur Neutralisierung eines ungerechtfertigt erlangten Wettbewerbsvorteils.

Nach Klarstellung der grundsätzlichen Rechtskonformität einer Verzinsung, ist zu untersuchen, ab wann Zinsen zu berechnen sind:

Da Zinsen die Vergütung für die Überlassung der Nutzung vertretbarer Sachen sind, hängt die Höhe der insgesamt zu zahlenden Zinsensumme üblicherweise von der Nutzungsdauer ab. Dabei sind zwar unterschiedliche Berechnungsperioden denkbar (Zinsen per annum, per mensem, per diem etc.), in jedem Fall ist für diese Berechnung aber der Zinsenlauf zu bestimmen, also der Zeitraum, für den dem Gläubiger Zinsen gebühren.

Der gesetzliche Zinsenlauf umfasst grundsätzlich den Tag des fristauslösenden Ereignisses.

Den Zinsenlauf löst im Zweifel die Überlassung des Kapitals aus. Allerdings können für den Zeitraum davor sogar Bereitstellungszinsen vereinbart werden (Kellner in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4, § 1000, Tz 47-49).

Auch das UGB kennt als innerstaatliches Regelungswerk die Berechnung von Zinsen als angemessenes Entgelt: Gemäß § 354 Abs. 1 UGB gilt, wenn in einem Geschäft kein Entgelt bestimmt ist und auch nicht Unentgeltlichkeit vereinbart ist, ein angemessenes Entgelt als bedungen. Gemäß Abs. 2 leg cit. können für Darlehen, Vorschüsse, Auslagen und andere Verwendungen vom Tag der Leistung an Zinsen berechnet werden.

Die Auslösung des Zinsenlaufes mit der Überlassung des Kapitals bzw. mit dem Eintritt der Bereicherung ließe sich daher, wäre sie streitfallbezogen nicht ausdrücklich in § 16 Abs. 1 COFAG-NoAG normiert, auch aus der allgemein geltenden Gesetzeslage ableiten.

Die Verantwortung der steuerlichen Vertretung, wonach "freiwillige oder verpflichtende Rückerstattungen" von erhaltenen COFAG-Beihilfen "bis zum Inkrafttreten des COFAG-NoAG am " ohne Zinsen zu leisten gewesen wären, weil keine der verschiedenen Verordnungen des Bundesministers für Finanzen gemäß § 3b Abs. 3 des ABBAG-Gesetzes (§ 2 Abs. 9 COFAG-NoAG) "eine Pflicht zur Verzinsung von Rückerstattungsansprüchen beinhaltet habe", trifft insofern nicht den Kern der Sache. Allein die Nichterwähnung einer Verzinsung, wie sie nach obenstehenden Ausführungen einer objektiven Rechtsfolge der allgemeinen Rechtslage entspricht, um mögliche Zinsvorteile auszugleichen, schließt keineswegs das Zustehen von gesetzlichen Zinsen aus. Dasselbe gilt für die Selbstanzeige der Beschwerdeführerin hinsichtlich zweier unrichtiger, zu hoch berechneter Förderanträge, über deren Rückzahlung eine Korrespondenz geführt wurde, ohne dass über allfällige Zinsen gesprochen wurde und für das Informationsblatt "Aktuelle Informationen zu Rückforderungen", welches auf eine allfällige Verzinsung keinen Bezug nimmt. In keiner der gegenständlich relevanten Verordnungen gemäß § 2 Abs. 9 COFAG-NoAG wird übrigens eine Verzinsung explizit ausgeschlossen und wurde solches auch nicht behauptet.

Die zitierten, innerstaatlich in Geltung stehenden Rechtsnormen samt darauf bezogener Lehre und Rechtsprechung befinden sich daher im Einklang mit dem Unionsrecht, wenn dieses zu Unrecht gewährte Beihilfen mit Zinsen zurückfordert, wodurch der Empfänger den Vorteil verliert, den er auf dem Markt gegenüber seinen Mitbewerbern besaß und dadurch die Lage vor der Zahlung der Beihilfe, somit die steuerliche Neutralität, wiederherstellt.

§ 16 Abs. 1 COFAG-NoAG verwirklicht also, indem er die Verzinsung der Rückerstattung ab dem Zeitpunkt der Auszahlung explizit ausspricht, keine verfassungsrechtlich verpönte, "echte" Rückwirkung eines Steuergesetzes, die nachträglich an schon früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen knüpfen und dadurch die Rechtsposition des Steuerpflichtigen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern würde.

Ein verfassungsrechtlich bedenklicher Verstoß gegen den Gleichheitssatz kann zusammenfassend nicht festgestellt werden,

  • weil eine Verzinsung ab dem Tag der Überlassung des Kapitals dem normalen Ergebnis der allgemeinen Rechtslage entspricht und keinen atypischen Vermögenseingriff von erheblichem Gewicht verwirklicht, also ein Vertrauen auf eine Zinsenfreiheit oder einen anderen zinsenauslösenden Zeitpunkt sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig ist (vgl. auch BFH IV R 22/23),

  • weil - vor dem Hintergrund dieser Rechtslage - die beschwerdeführende Gesellschaft bereits im Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfe davon ausgehen musste, dass sie diese im Falle eines rechtswidrigen Empfangs mit Zinsen ab Kapitalüberlassung zurückzahlen würde müssen, weshalb eine Verletzung des Vertrauensschutzgedankens nicht mit Aussicht auf Erfolg behauptet werden kann (vgl. ua) und

  • weil darüber hinaus dem Gesetzgeber auch noch - wie der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Gewährung finanzieller Maßnahmen durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG) wiederholt zum Ausdruck gebracht hat - bei der Ausgestaltung staatlicher Beihilfen sowie bei der Beurteilung sozialer Bedarfslagen und daran anknüpfender, vom Staat gewährter Maßnahmen, von Verfassungs wegen ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet ist ( ua).

Da insofern eine verfassungswidrige Verletzung des Gleichheitssatzes in der Rückforderung gesetzwidriger Beihilfen mit Zinsen ab Auszahlung nicht erblickt werden kann, erübrigt sich ein Eingehen auf die seitens der steuerlichen Vertretung zitierten VfGH-Judikate , V 54/99 und , V 1/90, welche die rückwirkende Inkraftsetzung zweier Verordnungen zur Kanalbenützungsgebühr bzw. Entschädigung des Bürgermeisters zum Inhalt haben. Der VfGH hat Wortfolgen dieser Verordnungen aufgehoben, weil eine Rückwirkung von Verordnungen nur dann zulässig ist, wenn das Gesetz ausdrücklich dazu ermächtigt. Auch grundsätzlich läge damit eine Vergleichbarkeit nicht vor, wurde doch mit § 16 Abs. 1 COFAG-NoAG eine Gesetzesbestimmung - nicht eine Verordnung - als verfassungswidrig in Streit gezogen.

Insgesamt war spruchgemäß zu entscheiden.

2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung berühren keine vom VwGH im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu lösende Rechtsfrage, weshalb eine Revision nicht zulässig ist.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. C 202 vom S. 47
§ 3 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 16 Abs. 1 COFAG-NoAG, COFAG-Neuordnungs- und Abwicklungsgesetz, BGBl. I Nr. 86/2024
Art. 7 Abs. 1 EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 210/1958
§ 5 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
Art. 18 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
Art. 49 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
§ 912 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 354 Abs. 1 UGB, Unternehmensgesetzbuch, dRGBl. S 219/1897
§ 3 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1000 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
Verweise


BFH , IV R 22/23
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.7103637.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
SAAAF-44472