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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.11.2024, RV/4100230/2023

Außergewöhnliche Belastung - Ärztliche Verordnung für Massagen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R1 in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2021 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Einkommensteuererklärung 2021

In der Einkommensteuererklärung 2021 begehrte die Bf. u. a. eine außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt ("ag Bel ohne SB") in Höhe von € 1.876,88, bestehend aus folgenden Teilpositionen:

a. € 1.540,00 für Massagen,

b. € 240,00 für Osteopathiebehandlungen,

c. € 96,88 für Glucosamin Chondroitin Formula, 180 Kapseln X.

Die Aufwendungen sind belegmäßig dokumentiert.

Die Beschwerdeführerin (Bf.) erlitt 1987 beiderseitige Fersenbeintrümmerbrüche.

Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes vom wurde für die Bf. eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70% festgestellt. Der Bescheid erging unbefristet. Die Bf. legte auch den Behindertenpass vom , sowie den Parkausweis für Behinderte vor.

Weiters brachte sie den Befundbericht einer praktischen Ärztin vom bei, in dem es wie folgt heißt:

"Coxarthrosis gravis re
OSG-USG Arthrodese nach schwerer Arthrose bds.
posttraumatisch.
Z.n.Fersenbeintrümmerfraktur bds.

Therapievorschlag: Regelmäßige physiotherapeutische Behandlungen mit Massagen sind aus ärztlicher Sicht zur Stabilisierung der Beschwerden und Verbesserung der Mobilität notwendig."

In einem weiteren Befundbericht eines Orthopäden vom ist Folgendes festgehalten:

Einkommensteuerbescheid 2021

Im Einkommensteuerbescheid 2021 gewährte das Finanzamt - wie beantragt - den pauschalen Freibetrag aus der eigenen Behinderung gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 (€ 599,00) sowie den Pauschbetrag nach der Verordnung über die ag Bel wegen eigener Behinderung (€ 2.280,00).

Die Aufwendungen für die ag Bel ohne SB ließ das Finanzamt mit folgender Begründung nicht zum Abzug zu:

"Nahrungsergänzungsmittel, pflanzliche Mittel, Vitamine, Pflegeartikel, etc. stellen keine abzugsfähigen Krankheitskosten dar, auch wenn durch diese Mittel eine positive Wirkung auf die Gesundheit erzielt wird. Die Kosten für Glucosamin Chondroitin Formula werden somit nicht anerkannt.

Aufwendungen für Behandlungsleistungen durch nichtärztliches Personal stellen nur dann außergewöhnliche Belastung dar, wenn die Zwangsläufigkeit der Behandlungen durch Vorlage einer vor Beginn der Behandlungen ausgestellten ärztlichen Verordnung, oder durch Zuzahlung eines Trägers der gesetzlichen Sozialversicherung nachgewiesen wird.

Da hinsichtlich der Massagen und der Osteopathie kein diesbezüglicher Nachweis erbracht wurde, konnten diese Aufwendungen nicht anerkannt werden.

Die Vorlage eines Befundberichtes mit Therapievorschlag ist für die Anerkennung nicht ausreichend."

Beschwerde

Die Bf. brachte in der Beschwerde vor, die Heilbehandlungen in Anspruch zu nehmen, um weniger Schmerzen zu haben, ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten und weniger Krankenstandstage in Anspruch nehmen zu müssen. Das Finanzamt habe die ag Bel ohne SB in den Arbeitnehmerveranlagungen seit 2007 bis 2019 - also 13 Jahre lang - anerkannt. Erst mit dem Einkommensteuerbescheid 2020 vom sei ihr erstmalig mitgeteilt worden, dass für ihre Aufwendungen eine vor Beginn der Behandlung, ausgestellte ärztliche Verordnung notwendig sei und ein Befundbericht nicht ausreiche.

Abweisende Beschwerdevorentscheidung (BVE)

In der abweisenden BVE blieb das Finanzamt bei seiner bisherigen Ansicht und führte zur Nichtanerkennung des Glucosamin Chondroitin Formula X noch aus, dass für dieses kein Rezept erforderlich sei.

Bezüglich der Massagen und Osteopathiebehandlungen blieb es dabei, dass kein Nachweis (ärztliche Verordnung oder Zuzahlung der ÖGK) vorliege.

Vorlageantrag

Die Bf. brachte den Vorlageantrag ein und beantragte die gesamte ag Bel ohne SB. Ergänzend führte sie aus, dass sie erst mit dem Einkommensteuerbescheid 2020 vom in Kenntnis gesetzt worden sei, eine vor Beginn der Behandlungen ausgestellte ärztliche Verordnung zu benötigen; daher habe sie für 2021 keine solche Bestätigung. Auch im Ersuchen um Ergänzung zur Arbeitsnehmerveranlagung für 2021 vom werde eine ärztliche Verordnung bzw. Behandlungspläne zu den beantragten Kosten verlangt und nicht eine ärztliche Verordnung vor Behandlungsbeginn.

Verfahren vor dem BFG

Bezüglich des Verfahrens der Bf. betreffend Einkommensteuer 2020 war Folgendes geschehen:

Mit Erkenntnis des RV/4100539/2022, betreffend Einkommensteuer 2020 hatte das BFG die begehrte ag Bel für Massagen und Osteopathie nicht zum Abzug zugelassen. Es sei keine vor Beginn der Behandlungen ausgestellte ärztliche Verordnung vorgelegen, der Befundbericht vom sei - weil nachträglich erstellt - kein taugliches Beweismittel für den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit der Massagen und Osteopathiebehandlungen. Auch habe die Sozialversicherung keine Zuzahlung geleistet.

Mit Erkenntnis des E 2212/2023, hob der VfGH das Erkenntnis des BFG auf, es sei das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art. 7 Abs. 1 B-VG) verletzt. Er erblickte im Vorgehen des BFG, indem es den nach Behandlungsbeginn vorgelegten Befunden die Eignung eines Nachweises für die medizinische Notwendigkeit abgesprochen hat, ein willkürliches Verhalten.

Erörterungsterminbetreffend das gegenständliche Verfahren

Die Bf. gab über Befragen an, dass es für das Glucosamin Chondroitin Formula, 180 Kapseln X (€ 96,88) kein Rezept gibt und Liefer- und Rechnungsempfänger ihr Ehegatte ist.

Die Richterin wies weiters darauf hin, dass für Osteopathiebehandlungen keine ärztliche Verordnung vorliegt, als Therapievorschläge seien in den Befundberichten nur physiotherapeutische Behandlungen mit Massagen angeführt. Die Bf. erhob keinen Einwand.

Das Finanzamt blieb bei seinem bisherigen Standpunkt laut Begründung in der BVE. Die Bezahlung und die Höhe des Aufwandes stünden außer Streit.

Über Vorhalt, dass der Befundbericht vom im Veranlagungszeitraum erstellt worden sei, gab der Amtsvertreter an, dass das Finanzamt seine Ansicht darauf stütze, dass vor Behandlungsbeginn keine entsprechende ärztliche Verordnung vorgelegen sei. Zudem sei nach der Rechtsprechung des VwGH ein "Therapievorschlag" für den Abzug als ag Bel nicht ausreichend.

Die Bf. begehrte die Stattgabe.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Bf. erlitt 1987 beiderseits Fersenbeintrümmerbrüche. Sie hat seit eine MdE von 70%. Als Folge der Fersenbeinfrakturen stellten sich zunehmend Beschwerden in der rechten Hüftregion mit einhergehenden Bewegungseinschränkungen und Belastungsschmerzen ein.

Ad a. Massagen

In den Veranlagungsjahren 2007 bis 2019 - also über 13 Jahre hinweg - hatte das Finanzamt Aufwendungen für Heilbehandlung, insbesondere Massagen, erklärungsgemäß als ag Bel ohne SB anerkannt. Die Bf. hat darauf vertraut und ist ihr - wie schon im Beschwerdeverfahren 2020 hervorgekommen - nicht bewusst gewesen, dass sie vor Behandlungsbeginn eine ärztliche Verordnung einzuholen gehabt hätte.

Zur Behandlung der aufgrund der erlittenen Frakturen zunehmenden Beschwerden in der rechten Hüftregion mit andauernden Bewegungseinschränkungen und hochgradigen Bewegungsschmerzen sind regelmäßige physiotherapeutische Behandlungen mit Massagen aus orthopädischer Sicht zur Stabilisierung der Beschwerden und Verbesserung der Mobilität notwendig (wie im Befundbericht vom des Facharztes für Orthopädie attestiert).

Im Veranlagungsjahr werden eben diese Behandlungen ebenfalls zur Stabilisierung der Beschwerden und Verbesserung der Mobilität im Befundbericht der praktischen Ärztin vom attestiert.

Im Vorhalt vom betreffend die Arbeitnehmerveranlagung 2021 der Bf. hat das Finanzamt u. a. im Punkt "Nachweis" "Ärztliche Verordnung bzw. Behandlungspläne zu den beantragten Kosten" angefordert.

Betreffend 2021 sind die Massagen ärztlich verordnet und stehen die Aufwendungen in Höhe von € 1.540,00 in ursächlichem Zusammenhang mit der Behinderung. Die Sozialversicherung hat keinen Kostenersatz geleistet.

Ad b. Osteopathiebehandlungen

Die Bf. hat 2021 für Osteopathiebehandlungen € 240,00 bezahlt.

Eine ärztliche Verordnung für die Osteopathiebehandlungen für 2021 liegt nicht vor.

Ad c. Glucosamin Chondroitin Formula, 180 Kapseln X

Für das Glucosamin Chondroitin Formula, 180 Kapseln X liegt keine ärztliche Verordnung vor. Es ist ein Nahrungsergänzungsmittel und ohne Rezept erhältlich. Die Bezahlung durch die Bf. ist nicht erwiesen.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen basieren auf dem vorgelegten Akteninhalt sowie den Vorbringen der Parteien im Beschwerdeverfahren betreffend Einkommensteuer 2021 und auch 2020 sowie den Vorbringen anlässlich des abgehaltenen Erörterungstermins.

Die Feststellungen zur Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70% und der zugrundeliegenden Erkrankung sind durch den Bescheid des Landesinvalidenamtes, den Behindertenpass, den Parkausweis und die Vorbringen der Bf. hinreichend dokumentiert.

Es steht - insbesondere in Anbetracht der Ausführungen in den Befundberichten vom und vom - außer Zweifel, dass die seit 1987 bestehende Erkrankung zu zunehmenden Schmerzen in der rechten Hüftregion mit Bewegungseinschränkungen und hochgradigen Belastungsschmerzen führte. Dass in den Vorjahren die von der Bf. begehrten Heilbehandlungen als ag Bel ohne SB berücksichtigt wurden, ergibt sich einerseits aus den Einkommensteuerbescheiden und wurde auch von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellt.

Ad a. Massagen

Die Bezahlung durch die Bf. ist durch Rechnungen belegt.

Im Lichte der Ausführungen des VfGH in seinem Erkenntnis vom , E 2212/2023, kommt den Befundberichten vom und vom aufgrund ihres Inhalts der Charakter einer ärztlichen Verordnungfür Massagen zu. Dass die Massagen der Heilung und Linderung dienten, bestreitet auch das Finanzamt nicht. In Anbetracht der chronischen Erkrankung und unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes ist im vorliegenden Fall durch die Befundberichte der Nachweis der medizinischen Notwendigkeit für die in Anspruch genommenen Massagen erbracht.

Hier von einer bloßen "Empfehlung" oder einem - wenn auch so angeführt - bloßen "Therapievorschlag" ohne Verordnungscharakter zu sprechen, bleibt angesichts der Ausführungen des VfGH in seinem Erkenntnis, insbesondere aber aufgrund der chronischen und mit dauernden gesundheitlichen Beschwerden verbundenen Erkrankung kein Raum.

Ad b. Osteopathiebehandlungen

Die Bezahlung durch die Bf. ist durch die vorgelegten Belege dokumentiert.

Eine ärztliche Verordnung für Osteopathiebehandlungen ist den vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen. Der "Therapievorschlag" in den Befundberichten führt "regelmäßige Massagen", jedoch keine osteopathischen Behandlungen an. Die Bf. hat zum diesbezüglichen Vorhalt anlässlich des Erörterungstermins keinen Einwand erhoben und auch keine Vorbringen erstattet, auf die einzugehen gewesen wäre.

Ad c. Glucosamin Chondroitin Formula, 180 Kapseln X

Das Fehlen einer ärztlichen Verordnung ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen und hat die Bf. im Erörterungstermin das Fehlen einer ärztlichen Verordnung bestätigt.

Der fehlende Nachweis der Bezahlung durch die Bf. basiert auf dem von der Bf. vorgelegten Beleg, wonach "Liefer- und Rechnungsempfänger" der Ehegatte der Bf. - und nicht die Bf. - ist. Die Bf. hat anlässlich des Erörterungstermins nicht behauptet, dass sie ihrem Ehegatten das Geld für das Mittel refundiert hätte.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Teilweise Stattgabe)

Zur außergewöhnlichen Belastung aus der Behinderung

§ 34 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988 -EStG 1988), BGBl. 400, idF BGBl. I 103/2019

Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:

1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).

Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

§ 34 Abs. 2 EStG 1988

Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

§ 34 Abs. 3 EStG 1988

Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

§ 34 Abs. 6 EStG 1988

Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:

-Aufwendungen zur Beseitigung von Katastrophenschäden, insbesondere Hochwasser-, Erdrutsch-, Vermurungs- und Lawinenschäden im Ausmaß der erforderlichen Ersatzbeschaffungskosten.

-Kosten einer auswärtigen Berufsausbildung nach Abs. 8.

-Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

-Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5).

-Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.

§ 34 Abs. 7 und 8 EStG 1988 […]

§ 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl 303/1996, idF BGBl II 91/1998

(1)Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen
-durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung, (TS I)

so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

(2) Eine Behinderung liegt vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25% beträgt.

(3) Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

§ 4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen

Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Nach der stRspr des Verwaltungsgerichtshofes zählen zu den als außergewöhnliche Belastung abzugsfähigen Krankheitskosten Aufwendungen für solche Maßnahmen, die zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind ( Ra 2020/13/0062).

Werden die angefallenen Aufwendungen nicht zum Teil von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung übernommen, ist zum Nachweis der Notwendigkeit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ( 2012/15/0136) ein ärztliches Zeugnis oder ein Gutachten erforderlich.

Nahrungsergänzungsmittel (Vitaminpräparate etc) sind idR nicht abzugsfähig; Ausnahme bei ärztlicher Verordnung (; RV/0577-G/10) oder wenn sich medizinische Gründe aus medizinischer Fachliteratur und ärztlichen Befunden ergeben (); Urban ÖStZ 12/769, 401 (Jakom/Peyerl EStG, 2024, § 34 Rz. 90, ABC der ag Bel, "Nahrungsergänzungsmittel").

Zur Bindungswirkung

§ 87 Abs. 2 VfGG

Wenn der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Im Erkenntnis des Ro 2020/10/0032, führt der VwGH bezüglich der Bindungswirkung aus:

"Der angefochtene Beschluss ist im fortgesetzten Verfahren nach dem aufhebenden Erkenntnis des , ergangen. Gem § 87 Abs 2 VfGG sind, wenn der VfGH einer Beschwerde stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des VfGH entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Auf Grundlage der im § 87 Abs 2 VfGG statuierten Bindungswirkung war das VwG somit verhalten, im fortgesetzten Verfahren entsprechend der Rechtsanschauung des VfGH vorzugehen. Da § 87 Abs 2 VfGG kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht einräumt, hat der VwGH zu prüfen, ob die vom VwG im fortgesetzten Verfahren erlassene Entscheidung dem gemäß § 87 Abs 2 VfGG erteilten Auftrag entspricht. Die normative Grundlage für die Überprüfung der angefochtenen Ersatzentscheidung ist somit neben den anzuwendenden Rechtsvorschriften bezogen auf den konkreten Sachverhalt die Rechtsanschauung des aufhebenden Erkenntnisses des VfGH vor dem Hintergrund des Gebotes der Effektivität des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Bei Prüfung der vom VwG erlassenen Ersatzentscheidung ist auch der VwGH an die Rechtsauffassung des VfGH gebunden."

Der vorliegende Fall ist wie folgt zu beurteilen:

Der festgestellte Grad der Behinderung der Bf. hat im Jahr 2021 70 % betragen. Demnach kommt die zu §§ 34 und 35 EStG 1988 ergangene VO zur Anwendung; gemäß § 4 der VO sind daher nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel sowie Kosten der Heilbehandlungimnachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Im Erkenntnis des , führt der VfGH unter explizitem Verweis und unter Bezugnahme auf den Hintergrund des hier im Einzelfall zu beurteilenden Sachverhaltes u.a. aus:

"... In einem solchen Fall verletzt das Bundesfinanzgericht den Gleichheitsgrundsatz, wenn es einem medizinischen Attest zur Notwendigkeit der regelmäßigen Behandlung aus dem Jahr 2021 die Eignung eines Nachweises deshalb abspricht, weil dieses nicht zu Beginn der vergleichbaren, weiteren - im Jahr 2020 durchgeführten - Behandlung eingeholt worden sei. Da offensichtlich die Notwendigkeit einer regelmäßigen Behandlung bestanden hat, kann einem nach erfolgter Behandlung gleichsam die fortdauernde Notwendigkeit vergleichbarer Behandlungen bestätigenden Attest die Eignung eines Nachweises, zumindest aber einer Glaubhaftmachung der Notwendigkeit nicht ohne weitere Feststellungen abgesprochen werden.

Auch ist die Auffassung des Bundesfinanzgerichtes, die vorgelegten Befundberichte seien als bloße "ärztliche Empfehlungen" zu werten, mit denen der Nachweis der medizinischen Notwendigkeit nicht erbracht werden konnte, nicht nachvollziehbar, zumal diese Würdigung dem Inhalt der Befundberichte widerspricht.

Indem das Bundesfinanzgericht den nach Behandlungsbeginn vorgelegten Befunden die Eignung eines Nachweises abgesprochen hat, belastet es vor dem Hintergrund des zu beurteilenden Sachverhaltes sein Erkenntnis mit Willkür."

Ad a. Massagen

Die zuvor festgehaltenen Ausführungen des VfGH sind - zumal für die Beurteilung der ag Bel für 2021 ebenfalls die beiden zitierten Befundberichte vorliegen und die Massagen der Behandlung der chronischen Beschwerden dienten - auch für das Beschwerdeverfahren 2021 relevant.

Aufgrund der chronischen Erkrankung der Bf. bestand offensichtlich die Notwendigkeit einer regelmäßigen Behandlung, wie dies im Befundbericht des Facharztes vom attestiert wird. Wenn nun - zum Teil nach erfolgter Behandlung - im Befundbericht vom der praktischen Ärztin eine fortdauernde Notwendigkeit vergleichbarer Behandlungen bestätigt wird und die Befundberichte inhaltlich als ärztliche Verordnung zu sehen sind, kann ihnen nicht die Eignung als Nachweis für die medizinische Notwendigkeit der Massagen abgesprochen werden. Daher geht das BFG von der medizinischen Notwendigkeit der Durchführung der Massagen im Jahr 2021 aus.

Angemerkt werden darf noch, dass die Verpflichtung des Art. 87 Abs. 2 VfGG, in der Beschwerdesache den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen, nicht nur für die Verwaltungsgerichte, sondern auch für die Verwaltungsbehörden gilt. Wenn das Erkenntnis des VfGH auch zur Beschwerdesache der Bf. betreffend Einkommensteuer 2020 ergangen ist, sah sich das BFG verpflichtet, diese Grundsätze auch für den im Wesentlichen gleich gelagerten Sachverhalt betreffend Einkommensteuer 2021 anzuwenden.

Weiters darf noch bemerkt werden, dass das Finanzamt im Vorhalteverfahren nicht eine vor Beginn der Therapien ausgestellte ärztliche Verordnung, sondern nur eine "ärztliche Verordnung" anforderte.

Nach all dem Gesagten konnte der Beschwerde der Bf. in diesem Punkt Folge gegeben werden und sind € 1.540,00 als ag Bel ohne SB zum Abzug zuzulassen.

Ad b. Osteopathiebehandlungen

Zumal sich die Befundberichte nur auf "physiotherapeutische Behandlungen mit Massagen", nicht aber auf Osteopathiebehandlungen beziehen, liegen für diese keine ärztlichen Verordnungen vor. Es wurden auch keine (durch Unterlagen dokumentierte) Vorbringen erstattet, die das BFG hätten zur Auffassung kommen lassen, die medizinische Notwendigkeit dieser Behandlungen zu bejahen.

In diesem Punkt konnte der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein. € 240,00 sind daher nicht als ag Bel ohne SB zum Abzug zuzulassen.

Ad c. Glucosamin Chondroitin Formula, 180 Kapseln X

Für dieses Nahrungsergänzungsmittel liegt keine ärztliche Verordnung vor. Die Befundberichte geben keinen Hinweis auf eine medikamentöse Therapie.

Hinzu kommt noch, dass die Bezahlung durch die Bf. nicht erwiesen ist, weil sowohl die Lieferung, als auch die Rechnung auf den Ehegatten der Bf. lauten und kein Nachweis über die tatsächliche Bezahlung durch die Bf. vorliegt.

In diesem Punkt konnte dem Begehren der Bf. nicht entsprochen werden. Die Aufwendungen in Höhe von € 96,88 sind daher nicht als ag Bel zum Abzug zuzulassen.

Zusammenfassend ist nun festzuhalten:

Dem Begehren der Bf. bezüglich der ag Bel ohne SB konnte teilweise Folge gegeben werden. € 1.540,00 sind als ag Bel in Abzug zu bringen, nicht jedoch € 336,88.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berücksichtigung von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung iSd 34 EStG, dass, wenn die angefallenen Aufwendungen nicht zum Teil von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung übernommen werden, zum Nachweis der Notwendigkeit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () ein ärztliches Zeugnis oder ein Gutachten erforderlich ist.

Den Befundberichten war der Inhalt einer ärztlichen Verordnung beizumessen, die Beurteilung des Nachweises der medizinischen Notwendigkeit von Massagen und Osteopathiebehandlungen erfolgte sodann im Rahmen der freien Beweiswürdigung.

Die Nichtgewährung der Aufwendungen für das Nahrungsergänzungsmittel hat seine Grundlage bereits im fehlenden Nachweis der Kostentragung durch die Bf.

Im Gegenständlichen Fall liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Beilagen:
Berechnungsblatt Einkommensteuer 2021

Klagenfurt am Wörthersee, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996
§ 87 Abs. 2 VfGG, Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, BGBl. Nr. 85/1953
§ 34 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 34 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 34 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 34 Abs. 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 1 Außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996
§ 4 Außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996
Verweise




ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.4100230.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
GAAAF-43961