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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.01.2025, RV/7103097/2024

Geschäftsführerhaftung für Abgabenfälligkeiten vor der Übernahme der Geschäftsführung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Markus Knechtl LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Wolfgang Anton Winkler, Ditscheinergasse 2 Tür 4, 1030 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Haftung als Geschäftsführer zur Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Haftungsvorhalt

Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt Österreich (belangte Behörde) dem Beschwerdeführer mit, dass am Abgabenkonto der ***AB*** ein Abgabenrückstand in Höhe von € 171.281,40 aushaftet, wobei die belangte Behörde von der Uneinbringlichkeit ausging. Die einzelnen Abgaben waren tabellarisch mit Bezeichnung der Abgabenart, der Fälligkeit und des Abgabenbetrages aufgelistet. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass er einen Gläubigergleichbehandlungsnachweis vorlegen könne.

Mit Schreiben vom gab der Vertreter des Beschwerdeführers bekannt, dass der Beschwerdeführer niemals Geschäftsführer der insolventen ***AB*** gewesen wäre.

Haftungsbescheid

Mit Haftungsbescheid vom zog die belangte Behörde den Beschwerdeführer zur Haftung als (ehemaligen) Geschäftsführer der ***AB*** (Primärschuldnerin) im Ausmaß von € 171.281,40 heran. In dieser Summe sind auch € 142,52 an Körperschaftsteuer 10-12/2017 mit dem Fälligkeitsdatum enthalten.
In der Begründung wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer von bis handelsrechtlicher Geschäftsführer der Beschwerdeführerin gewesen sei und die Vertreterhaftung auch für Abgabenschulden, deren Zahlungstermine vor der Tätigkeit des Vertreters lagen, bestehe.

Dem Haftungsbescheid waren ein Bericht über eine Außenprüfung vom betreffend lohnabhängiger Abgaben, ein Bericht über eine Außenprüfung vom betreffend Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer sowie zahlreiche Bescheide beigelegt.

Beschwerde

Am erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde gegen den Haftungsbescheid vom (und auch gegen Grundlagenbescheide). Darin wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer ab selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin war und nach dem Erkennen der wirtschaftlichen Auswirkungen der im Herbst 2016 abgeschlossenen abgabenbehördlichen Prüfung bereits im Jänner 2017 einen Insolvenzantrag gestellt habe. Insofern treffe den Beschwerdeführer kein Verschulden.

Beschwerdevorentscheidung

Mit Beschwerdevorentscheidung vom gab die belangte Behörde der Beschwerde teilweise Folge und reduzierte den Haftungsbetrag von € 171.281,40 auf € 171.138,88. In der Begründung wird diesbezüglich ausgeführt, dass im Zeitraum TT.1.2017 bis TT.12.2017 ein Konkursverfahren offen gewesen wäre und daher keine Haftungsinanspruchnahme für die Körperschaftsteuer 10-12/2017 erfolgen soll.

Vorlageantrag

Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer einen Vorlageantrag.

Vorlagebericht

Im Vorlagebericht verweist die belangte Behörde unter anderem darauf, dass der Beschwerdeführer von bis handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin war und vom Beschwerdeführer kein Gleichbehandlungsnachweis vorgelegt wurde.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Primärschuldnerin wurde im Jahr 2012 ins Firmenbuch eingetragen. Der Beschwerdeführer war ab als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin tätig. Am TT.1.2017 wurde über das Vermögen der Primärschuldnerin ein Konkursverfahren eröffnet und ein Masseverwalter bestellt. Am TT.11.2017 wurde der Konkurs wieder aufgehoben. Im April 2019 erfolgte die Löschung der Primärschuldnerin infolge Vermögenslosigkeit.

Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführer am für folgende Abgabenforderungen zur Haftung herangezogen.


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Abgabenart
Zeitraum
Fällig am
Betrag
DB
2014
5.112,97
DZ
2014
474,47
Lohnsteuer
2014
10.490,60
DB
2015
790,79
DZ
2015
70,29
Lohnsteuer
2015
502,44
DB
2016
259,20
DZ
2016
23,04
Anspruchszinsen
2013
783,84
Anspruchszinsen
2014
863,53
Körperschaftsteuer
10-12/2017
142,52
Körperschaftsteuer
1-3/2018
437,00
Körperschaftsteuer
4-6/2018
437,00
Körperschaftsteuer
7-9/2018
437,00
Körperschaftsteuer
10-12/2018
15.11.218
439,00
Körperschaftsteuer
1-3/2019
109,00
Körperschaftsteuer
4-6/2019
109,00
KESt
31-12/13 (!)
2.252,53
Umsatzsteuer
2013
23.934,58
KESt
31-12/14 (!)
42.945,45
KESt
31-12/15 (!)
7.277,75
Umsatzsteuer
2015
1.884,06
Körperschaftsteuer
2013
20.752,00
Körperschaftsteuer
2014
45.952,00
Aussetzungszinsen
2017
228,53
Aussetzungszinsen
2017
135,74
Aussetzungszinsen
2019
4.217,07
Körperschaftsteuer
07-09/19
109,00
Körperschaftsteuer
10-12/19
110,00
Körperschaftsteuer
2019
1,00
171.281,40

Die belangte Behörde hat am KESt-Haftungsbescheide, Körperschaftsteuerbescheide, Anspruchszinsenbescheide und Umsatzsteuerbescheide im Anschluss an eine abgabenbehördliche Prüfung erlassen. Gegen diese Erledigungen wurde das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben und die Nachforderungen wurden bescheidmäßig ausgesetzt.

Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens im November 2017 beabsichtigte das Handelsgericht Wien die Primärschuldnerin wegen Vermögenslosigkeit zu löschen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Primärschuldnerin vermögenslos. Die belangte Behörde hat der beabsichtigten Löschung widersprochen. Schließlich erfolgte die amtswegige Löschung aus dem Firmenbuch im April 2019.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur Geschäftsführertätigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf die Eintragungen im Firmenbuch und wurden zuletzt vom Beschwerdeführer auch nicht mehr bestritten.

Die Feststellungen zum Insolvenzverfahren gründen sich zunächst auf die Eintragungen in der Ediktsdatei und im Firmenbuch. Aus der Ediktsdatei ist ersichtlich, dass mit TT.1.2017 das Konkursverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin eröffnet wurde und ein Masseverwalter bestellt wurde.
Im September 2017 übermittelte das Insolvenzgericht (Handelsgericht Wien) die Anberaumung der Schlussrechnungstagsatzung an die belangte Behörde, in der bereits festgehalten wurde, dass die Insolvenzgläubiger keine Quote erhalten werden.
Im Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens vom TT.11.2017 ist ausdrücklich angeführt, dass das Insolvenzverfahren "nach Verteilung an die Massegläubiger" aufgehoben wurde. Hinsichtlich der Masseforderungen hat das Finanzamt mit Schreiben vom gegenüber dem Masseverwalter bekannt gegeben, dass keine Masseforderungen bestehen, weil seit Konkurseröffnung weder Lohnabgaben noch Umsätze (vom Masseverwalter) gemeldet wurden. Dazu passt auch ein Schreiben des Masseverwalters vom , in dem dieser dem Finanzamt mitteilte, dass das Unternehmen der Primärschuldnerin "ab Ende 2015 faktisch geschlossen war".

Die Abgabenarten, Höhen und Fälligkeiten sind im angefochtenen Haftungsbescheid dargestellt; diesem Haftungsbescheid waren auch Abgabenbescheide und Berichte über zwei Außenprüfungen angehängt.

Die Feststellung, dass das Firmenbuchgericht die Primärschuldnerin bereits unmittelbar nach Aufhebung des Konkursverfahrens im Firmenbuch löschen wollte, gründet sich auf den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom TT.12.2017. Bereits in diesem Beschluss hat das Firmenbuchgericht dargelegt, dass von der Vermögenslosigkeit der Primärschuldnerin auszugehen ist. Mit Schreiben vom des Finanzamts, in das Einsicht genommen wurde, hat sich das Finanzamt gegen die Löschung ausgesprochen, weil "noch abschließende Bescheide anzufertigen [sind], die bei einer Löschung des gegenständlichen Subjektes aus dem Firmenbuch nicht mehr rechtskräftig zugestellt werden könnten."
Im Schreiben vom - ebenfalls an das Firmenbuchgericht - wurde zunächst auf das Schreiben vom verwiesen und sodann zum Vermögen der Primärschuldnerin ausgeführt: "Beigefügt wird eine Aufstellung der ,ausgesetzten Beträge', welche im Falle einer stattgebenden Erledigung zu einer Gutschrift in dieser Höhe auf dem Abgabenkonto zur Folge hätte. Der Nachweis von Vermögen ist somit erbracht." Allerdings hat das Finanzamt bereits mit Schreiben vom - unter Berufung auf einen vollstreckbaren Rückstandsausweis - Abgabenforderungen in Höhe von € 174.571,59 im Insolvenzverfahren angemeldet.
Es mag zwar zutreffen, dass im Falle einer stattgebenden Erledigung in einem Beschwerdeverfahren eine "Gutschrift" am Abgabenkonto zu verbuchen ist (wenn der zuvor angefochtene Bescheid eine Nachforderung ausweist). Zu einem Guthaben, das auch rückzahlbar wäre, kann es aber nur dann kommen, wenn die (ausgesetzte) Nachforderung auch bezahlt wurde. Wäre die Abgabennachforderung bezahlt worden, hätte es keiner Anmeldung von Abgabenforderungen im Konkursverfahren bedurft. Schließlich hat auch das Bundesfinanzgericht in seiner Erledigung vom , RV/7103046/2017 festgehalten, dass am Abgabenkonto ein Rückstand in Höhe von € 21.481,69 aushaftet und zusätzlich ein Abgabenrückstand von € 145.362,64 ausgesetzt war und die strittigen Abgabenforderungen niemals entrichtet wurden.

Rechtslage

§ 9 BAO lautet:

§ 9. ( 1) Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

(2) Notare, Rechtsanwälte und Wirtschaftstreuhänder haften wegen Handlungen, die sie in Ausübung ihres Berufes bei der Beratung in Abgabensachen vorgenommen haben, gemäß Abs. 1 nur dann, wenn diese Handlungen eine Verletzung ihrer Berufspflichten enthalten. Ob eine solche Verletzung der Berufspflichten vorliegt, ist auf Anzeige der Abgabenbehörde im Disziplinarverfahren zu entscheiden.

§ 80 BAO lautet:

2. Vertreter.

§ 80. (1) Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

(2) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die im Abs. 1 bezeichneten Pflichten und Befugnisse.

(3) Vertreter (Abs. 1) der aufgelösten Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder Flexiblen Kapitalgesellschaft nach Beendigung der Liquidation ist, wer nach § 93 Abs. 3 GmbHG zur Aufbewahrung der Bücher und Schriften der aufgelösten Gesellschaft verpflichtet ist oder zuletzt verpflichtet war.

§ 224 BAO lautet:

2. Geltendmachung von Haftungen.

§ 224. (1) Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

(2) Die Bestimmungen des Einkommensteuerrechtes über die Geltendmachung der Haftung für Steuerabzugsbeträge bleiben unberührt.

(3) Die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anläßlich der Erlassung eines Haftungsbescheides gemäß Abs. 1 ist nach Eintritt der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe nicht mehr zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Tatbestand:
Voraussetzung für die Inanspruchnahme als Haftender nach den §§ 9 und 80 BAO ist eine Abgabenforderung, deren Zahlungstermin in die Zeit der Vertretertätigkeit fällt, gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit dieser Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, ein Verschulden des Vertreters an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit (). Die Haftung nach § 9 BAO ist einem zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch nachgebildet ().

Die Haftung nach § 9 BAO stellt nicht die Haftung für einen Schaden dar, welcher dem Abgabengläubiger bei Gesamtbetrachtung der Abgabenschulden mehrerer Abgabenschuldner entstanden ist, sondern der Tatbestand des § 9 BAO stellt darauf ab, dass Abgabenschulden eines Abgabepflichtigen nicht eingebracht werden können. Als Geschäftsführer der Primärschuldnerin war der Beschwerdeführer ihr Vertreter.

Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (). Aus der Konkurseröffnung allein ergibt sich noch nicht zwingend die Uneinbringlichkeit. Diese ist erst dann anzunehmen, wenn im Lauf des Insolvenzverfahrens feststeht, dass die Abgabenforderung im Konkurs mangels ausreichenden Vermögens nicht befriedigt werden kann; schließlich würde selbst eine geringe Quote die Haftung betragsmäßig entsprechend vermindern (zB ). Die Zahlungsunfähigkeit wurde bereits durch das Handelsgericht Wien als Insolvenzgericht festgestellt. Somit ist auch die Vermögenslosigkeit evident.

Pflichtverletzung:
Gemäß § 18 GmbHG wird die GmbH durch die Geschäftsführer vertreten. Ein bestellter Geschäftsführer hat die abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft zu erfüllen oder seine Funktion unverzüglich niederzulegen. Hat er dies nicht getan, dann muss er die haftungsrechtlichen Konsequenzen tragen (vgl. zB ).

Zu den Pflichten des Geschäftsführers gehört,
- für die Entrichtung der Abgaben Sorge zu tragen (Abgabenzahlungspflicht);
- die Erfüllung der den Vertretenen treffenden gesetzlichen Buchführungs- und Aufzeichnungs-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten;
- andere Personen (Angestellte), die er mit den steuerlichen Agenden betraut, zu kontrollieren (Auswahl- und Kontrollpflichten);
- sich bei Geschäftsübernahme zu informieren;
- Zurücklegung der Geschäftsführungsfunktion bei Behinderung/Beschränkung der Befugnisse.

Die Inanspruchnahme der gemäß § 9 BAO bestehenden Haftung setzt voraus, dass die schuldhafte Pflichtverletzung kausal für die Uneinbringlichkeit ist. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde mangels dagegen sprechender Umstände davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (zB ; ; ; ). Eine bestimmte Schuldform ist hiefür nicht erforderlich (zB ). Daher reicht leichte Fahrlässigkeit aus (zB ; ).

Der Vertreter hat darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung iSd § 9 Abs 1 BAO angenommen werden darf (zB ).

Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob den Vertreter die Pflicht zur Abgabenentrichtung getroffen hat, bestimmt sich danach, wann die Abgabe nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wäre. Bei Selbstbemessungsabgaben ist für die Frage der Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten eines Vertreters des Abgabepflichtigen maßgebend, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten oder abzuführen gewesen wäre ().

Folgende Abgabenschulden wurden bereits zu einem Zeitpunkt fällig, als der Beschwerdeführer noch nicht Geschäftsführer war:


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Abgabenart
Zeitraum
Fällig am
Betrag
DB
2014
5.112,97
DZ
2014
474,47
Lohnsteuer
2014
10.490,60
DB
2015
790,79
DZ
2015
70,29
Lohnsteuer
2015
502,44
KESt
31-12/13 (!)
2.252,53
Umsatzsteuer
2013
23.934,58
KESt
31-12/14 (!)
42.945,45
KESt
31-12/15 (!)
7.277,75
Umsatzsteuer
2015
1.884,06
95.735,93

Selbst die bescheidmäßige Geltendmachung dieser Abgabenforderungen mit Abgaben- und Haftungsbescheiden vom bzw erfolgte vor der Geschäftsführerbestellung des Beschwerdeführers.

Den GmbH-Geschäftsführer trifft die Verpflichtung gemäß § 80 Abs. 1 BAO nur für jenen Zeitraum, in dem er die Vertreterstellung innehat. Nur in diesem Zeitraum kann er eine haftungsrelevante Pflichtverletzung begehen (UFS Wien , RV/3058-W/09). Trifft den Vertreter keine Verpflichtung zur Abfuhr der Abgaben, weil er im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben (noch) nicht Vertreter war, kann ihm grundsätzlich nicht angelastet werden, diese Abgabenschuldigkeiten bei Fälligkeit nicht abgeführt zu haben.
Allerdings besteht eine Haftung nicht nur für Abgaben, deren Zahlungstermin in die Zeit der Vertretertätigkeit fällt. Sie besteht auch für die noch offenen Abgabenschuldigkeiten aus davorliegenden Zeiträumen, weil die Pflicht zur Entrichtung von Abgabenschuldigkeiten erst mit deren Abstattung endet (). Die GesmbH bleibt verpflichtet, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr oder Einzahlung sie in Rückstand geraten ist, zu erfüllen, und zur Erfüllung dieser Verpflichtung ist der Geschäftsführer der GesmbH verhalten (vgl. etwa , bis 0007, und ). Der Geschäftsführer hat sich demnach darüber zu unterrichten, welchen Stand das Abgabenkonto der Gesellschaft im Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführerfunktion hat, und die Pflicht, die Beträge eines allfälligen Rückstandes, wie er am Abgabenkonto ausgewiesen (verbucht) ist, zu entrichten ().

Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerde dargelegt, dass er nach Erkennen der wirtschaftlichen Auswirkungen der im Dezember 2016 abgeschlossenen Prüfung einen Insolvenzantrag gestellt hatte und das Konkursverfahren tatsächlich am TT.1.2017 eröffnet wurde. Es ist für das Bundesfinanzgericht nicht ersichtlich, welche Pflichtverletzung der Beschwerdeführer hinsichtlich jener Abgaben, die bereits vor seiner Geschäftsführerbestellung fällig würden, begangen haben könnte. Zutreffend ist zwar, dass der Beschwerdeführer keinen Gleichbehandlungsnachweis vorgelegt hatte, der sich aber nur auf den Zeitraum zwischen TT.12.2016 und Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jänner 2017 beziehen könnte. Allerdings hat der Masseverwalter gegenüber der Abgabenbehörde bekannt gegeben, dass das schuldnerische Unternehmen bereits seit 2015 faktisch geschlossen war und dass die Insolvenzgläubiger letztlich keine Quote erhielten. Insofern entspricht es nicht der Lebenserfahrung, dass es in der kurzen Zeit der Vertretungsbefugnis des Beschwerdeführers zu einer Gläubigerbenachteiligung der Finanzverwaltung gekommen ist. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch noch, dass genau diese Abgaben auf Grund einer Beschwerde der Primärschuldnerin von der Einhebung (zumindest teilweise) ausgesetzt wurden. Hinsichtlich der lohnabhängigen Abgaben, deren Fälligkeit vor der Geschäftsführerbestellung des Beschwerdeführers lag, ist anzumerken, dass deren bescheidmäßige Geltendmachung erst gegenüber dem Masseverwalter erfolgte. Abgesehen von einer fehlenden Pflichtverletzung ist somit auch kein Verschulden des Beschwerdeführers erkennbar. Im Gegenteil: der Beschwerdeführer hat sehr zeitnah zur Übernahme der Geschäftsführung das Insolvenzverfahren beantragt. Darüber hinaus ging er wohl von der Richtigkeit der zuvor selbst berechneten Abgaben aus; anderenfalls wäre eine dagegen gerichtete Beschwerde (vom ) auch nicht erklärbar. Letztlich ist auch zu bedenken, dass die Insolvenzgläubiger keine Quoten erhalten hatten. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass im insolvenzrechtlichen Anfechtungszeitraum auch keine Zahlungen mehr geleistet wurden, die der Masseverwalter (erfolgreich) zurückverlangen hätte können.
Der Beschwerde war somit in diesem Punkt Folge zu geben.

Gemäß § 2 IO treten die Rechtswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Beginn des Tages ein, der der öffentlichen Bekanntmachung des Inhalts des Insolvenzedikts folgt. Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird das gesamte der Exekution unterworfene Vermögen, das dem Schuldner zu dieser Zeit gehört oder das er während des Insolvenzverfahrens erlangt (Insolvenzmasse), dessen freier Verfügung entzogen. Der Insolvenzverwalter ist für die Zeit seiner Bestellung betreffend die Insolvenzmasse - soweit die Befugnisse des Schuldners beschränkt sind - gesetzlicher Vertreter des Schuldners iSd § 80 BAO (vgl zB ; Knechtl/Mitterlehner, SWK-Spezial Die Körperschaftsteuererklärung 2023; Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 84 Rz 47). Insofern kann den Beschwerdeführer keine Pflichtverletzung an der Nichtentrichtung von Nebenansprüchen treffen, wenn er über das Vermögen der Primärschuldnerin gar nicht verfügen darf. Somit konnte der Beschwerdeführer ab diesem Zeitpunkt keine Zahlungen für die Primärschuldner mehr vornehmen. Für Abgaben, die nach diesem Zeitpunkt fällig wurden, kann der Vertreter nicht zur Haftung herangezogen werden. Es ist nicht ersichtlich, noch entspricht es der Lebenserfahrung, dass eine Primärschuldnerin nach Abschluss des Konkursverfahrens noch über Vermögenswerte verfügen sollte. Somit ist der Beschwerde für folgende Abgaben Folge zu geben:


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Abgabenart
Zeitraum
Fällig am
Betrag
DB
2016
259,20
DZ
2016
23,04
Anspruchszinsen
2013
783,84
Anspruchszinsen
2014
863,53
Körperschaftsteuer
2013
20.752,00
Körperschaftsteuer
2014
45.952,00
Aussetzungszinsen
2017
228,53
Aussetzungszinsen
2017
135,74
68.997,88

Für nachfolgende haftungsgegenständliche Abgaben ist die Fälligkeit nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens, aber vor der Löschung im Firmenbuch entstanden:


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Abgabenart
Zeitraum
Fällig am
Betrag
Körperschaftsteuer
10-12/2017
142,52
Körperschaftsteuer
1-3/2018
437,00
Körperschaftsteuer
4-6/2018
437,00
Körperschaftsteuer
7-9/2018
437,00
Körperschaftsteuer
10-12/2018
439,00
Körperschaftsteuer
1-3/2019
109,00
Körperschaftsteuer
10-12/2019
110,00
2.111,52

Die KStR 2013 Rz 1559 erblicken das Ende der Mindestkörperschaftsteuerpflicht in jenem Zeitpunkt, in dem die amtswegige Löschung eingeleitet wird. Die Aufhebung des Konkurses nach Verteilung des Massevermögens ist ein Indiz dafür, dass die GmbH vermögenslos ist (). Auf diesen Umstand hat das Firmenbuchgericht im Beschluss vom TT.12.2017 auch hingewiesen. Im Antwortschreiben der belangten Behörde vom ist lediglich angeführt, dass die Primärschuldnerin als Bescheidadressatin benötigt werde und daher nicht gelöscht werden mögen. Ein Nachweis für noch vorhandenes Vermögen wurde vom Finanzamt weder angeboten noch erbracht. Da die Ausführungen im Schreiben vom hinsichtlich einer möglichen Gutschrift im Falle einer stattgebenen Beschwerdeerledigung nicht zutreffen, weil die diesbezügliche Nachforderung (die ausgesetzt wurde) nie entrichtet wurde, finden sich auch in diesem Schreiben keine Anhaltspunkte für ein Vermögen der Primärschuldnerin. Es ist somit weiterhin davon auszugehen, dass die Primärschuldnerin vermögenslos ist. Wenn die Primärschuldnerin vermögenslos ist, kann den Geschäftsführer aber keine Haftung treffen; dies gilt auch für jene Abgaben, die vor Aufhebung des Konkursverfahrens fällig waren. Insofern war der Beschwerde auch hinsichtlich dieses Teiles des Haftungsbetrages Folge zu geben.

Hinsichtlich folgender Abgaben trat die Fälligkeit erst zu einem Zeitpunkt ein, als die Primärschuldnerin bereits als dem Firmenbuch wegen Vermögenslosigkeit gelöscht wurde:


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Abgabenart
Zeitraum
Fällig am
Betrag
Körperschaftsteuer
109,00
Aussetzungszinsen
2019
4.217,07
Körperschaftsteuer
109,00
Körperschaftsteuer
2019
1,00
4.436,07

Bei Vermögenslosigkeit können Kapitalgesellschaften gem § 40 FBG auf Antrag - etwa des zuständigen Finanzamtes - oder von Amts wegen gelöscht werden. Eine Abwicklung findet nicht statt, weil es bei Vermögenslosigkeit kein Vermögen gibt, das verteilt werden könnte. Die unbeschränkte Steuerpflicht endet somit mit der Löschung im Firmenbuch. Damit geht die Kapitalgesellschaft als Rechtssubjekt unter. Die Vollbeendigung führt zum Verlust der Rechtspersönlichkeit und der Parteifähigkeit. Mit der Löschung gem § 40 Abs 1 FBG ist konstitutiv der Wegfall der organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft verbunden (vgl Knechtl/Mitterlehner, SWK-Spezial: Die Körperschaftsteuererklärung 2023 (2024), 62). Wenn nun der Beschwerdeführer gar kein organschaftlicher Vertreter der Primärschuldnerin mehr war, scheidet auch eine Haftung nach § 9 BAO aus. Somit war der Beschwerde auch in diesem Punkt Folge zu geben.

Ermessen:
Die Inanspruchnahme zur Haftung liegt im Ermessen (§ 20 BAO). Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen. Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist. Allerdings ist bei der Ermessensübung auch auf den Grad des Verschuldens des Haftenden Bedacht zu nehmen. Gerade hinsichtlich des Verschuldens ist nicht ersichtlich, dass den Beschwerdeführer überhaupt ein Verschulden trifft: er hat innerhalb weniger Tage (nach Abzug von Wochenenden und Feiertagen) nach der Übernahme der Geschäftsführungsfunktion das Insolvenzverfahren für die Gesellschaft beantragt. Darüber hinaus wurde auch eine Beschwerde samt Antrag auf Aussetzung der Einhebung beantragt, die auch bewilligt wurde; somit bestand für die Primärschuldnerin während aufrechter Aussetzung der Einhebung gar keine Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben.
Schließlich ist im Rahmen des Ermessens auch noch zu berücksichtigen, dass es vor der Übernahme der Geschäftsführertätigkeit durch den Beschwerdeführer zwei andere Geschäftsführer gab (die ebenfalls zur Haftung herangezogen wurden) und in deren Geschäftsführungszeitraum der überwiegende Teil der Sachverhaltes verwirklicht wurde, welche zur den Abgabennachforderungen geführt hatte. Schließlich darf auch ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits nicht außer Betracht gelassen werden darf (). Die Uneinbringlichkeit stand spätestens im Dezember 2017 fest, wobei es sich um Abgabenansprüche handelt, die teilweise in das Jahr 2013 zurückreichen. Die Geltendmachung mit dem angefochtenen Haftungsbescheid erfolgte erst im Jahr 2023 (somit bis zu 10 Jahre später). Sofern von der belangten Behörde die Ansicht vertreten wird, dass den Beschwerdeführer die Verpflichtung getroffen habe, nach Aufhebung des Konkursverfahrens bis zur Löschung im Firmenbuch, die haftungsgegenständlichen Abgaben, die zu diesem Zeitpunkt bereits fällig waren, zu entrichten, ist auch im Rahmen der Ermessensübung zu berücksichtigen, dass sich die Löschung aus dem Firmenbuch aus Umständen verzögerte, die alleine von der belangten Behörde zu vertreten sind.
Im Ergebnis ist auch aus Ermessensgründen von einer Haftungsinanspruchnahme abzusehen.

Revisionszulassung

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, es liegt daher kein Grund für eine Revisionszulassung vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.7103097.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at