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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.01.2025, RV/7100647/2018

Umsatzsteuerpflicht für nicht konsumierte (weil infolge Zahlungsverzugs gesperrte) Leistungen im Rahmen eines Abovertrages

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7100647/2018-RS1
Für die Frage der Qualifikation als umsatzsteuerpflichtige Leistung macht es keinen Unterschied, ob der Vertrag in Folge einer vom Leistungsempfänger zu vertretenden Leistungsstörung beendet wird und der Leistungsempfänger die bis zum Ablauf der Mindestvertragsdauer noch ausstehenden (Monats)Beträge entrichten muss, oder ob der Vertrag zwar weiterhin aufrecht ist, der Leistungserbringer jedoch für die Zeit der vom Leistungsempfänger zu vertretenden Leistungsstörung sein Angebot deaktiviert.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel Philip Pfau in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Deloitte - MPD - QUINTAX Steuerberatungs Gmbh, Ignaz-Rieder-Kai 13a, 5020 Salzburg, über die Beschwerden vom

1. 18. Juli 2017 gegen die Bescheide des Finanzamtes Waldviertel vom , betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2012 bis 2014 und

2. gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel vom , betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2015,

Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:

I. Die Beschwerden zu 1. und 2. werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Die Bescheide zu 1. werden (entsprechend der Beschwerdevorentscheidung) abgeändert. Die Umsatzsteuer für die Jahre 2012 bis 2014 wird wie folgt festgesetzt (Beträge in Euro):


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Jahr
2012
2013
2014
Gesamtbetrag der Bemessungsgrundlagen für Lieferungen und sonstige Leistungen (einschließlich Anzahlungen)
9.737.240,16
8.410.503,24
7.996.349,83
Festgesetzte Umsatzsteuer
1.575.142,51
1.348.094,23
1.304.625,96

III. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Bisheriger Verfahrensgang

Die beschwerdeführende Partei bietet als Organträger über Vertriebstöchter kostenpflichtige Internetdienstleistungen im Bereich "Adult Entertainment" an. Interessenten können dabei zwischen verschiedenen Abonnement-Modellen wählen. Im Falle eines Zahlungsverzuges wird der Vertragspartner (Kunde) zunächst gemahnt und in weiterer Folge sein Serverzugang (Account) gesperrt. Die vertraglich vereinbarte Leistung kann somit nicht mehr abgerufen werden. Dennoch ist der Kunde verpflichtet, weiterhin den aus seinem Abonnement entstehenden Zahlungsverpflichtungen nachzukommen; auch für jene Zeiträume in denen er "gesperrt" war.

Hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2012 bis 2015 ist nunmehr strittig, ob eine umsatzsteuerpflichtige Leistung seitens der beschwerdeführenden Partei auch dann vorliegt, wenn der Vertragspartner aufgrund der Sperrung seines Accounts keine Leistung abrufen konnte und diese auch nicht mehr nachträglich in Anspruch genommen werden kann.

Die beschwerdeführende Partei hat ihren Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit ihrer Eingabe vom zurückgezogen. Der belangten Behörde wurde mit hg Beschluss vom Gelegenheit gegeben binnen einer zweiwöchigen Frist, zur Zurückziehung des Antrages auf mündliche Verhandlung Stellung zu nehmen und ein allfälliges für die mündliche Verhandlung geplantes Vorbringen schriftlich zu erstatten. Innerhalb der Frist langte keine weitere Stellungnahme der belangten Behörde ein.

II. Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Sachverhalt

Die beschwerdeführende Gesellschaft (Organträger) bietet über ihre Vertriebsgesellschaften (Organgesellschaften: ***1*** GmbH, ***2*** GmbH sowie ***3*** GmbH, im Folgenden: Anbieter) registrierten Kunden verschiedene Online-Unterhaltungsmöglichkeiten aus dem Bereich Erotik an. Neben den für den Beschwerdefall nicht relevanten Modellen ("Kostenlose" Mitgliedschaft mit eingeschränktem Nutzungsumfang und Nutzung mittels zuvor gekauftem und bezahltem Wertguthaben) bietet die beschwerdeführende Gesellschaft entgeltliche Mitgliedschaften mit unterschiedlichen Tarifmodellen (zB Paket für 14,90 Euro / Monat mit einer Mindestlaufzeit von 6 Monaten) an. Im Falle eines vom Kunden zu vertretenden Zahlungsverzuges wird dieser zunächst unter Setzung einer zweiwöchigen Nachfrist darüber informiert. Begleicht der Kunde nicht innerhalb der in dieser Nachricht mitgeteilten Frist seinen Zahlungsrückstand, setzt ein Mahnungsverfahren ein und der Anbieter ist zur Zurückbehaltung weiterer Leistungen bis zur Erbringung der vom Kunden geschuldeten Gegenleistung berechtigt. Insbesondere können sämtliche mit der Mitgliedschaft verbundenen Dienste und Inhalte für die Dauer des Zahlungsrückstandes eingefroren werden. Die Nichteinhaltung von Verbindlichkeiten des Kunden enthebt diesen keinesfalls von seinen Zahlungsverpflichtungen. Im Zusammenhang mit derartigen Zahlungsverzügen hat die beschwerdeführende Partei bei mehreren Kunden den Zugang gesperrt und solcherart die Leistung ihrerseits verweigert. Die Kunden wurden unter einem sowohl über die erfolgte Sperrung ihres Zugangs infolge Zahlungsverzuges als auch über den weiterhin aufrechten, zur Zahlung verpflichtenden Vertrag gegenüber dem Anbieter informiert. Eine Vertragskündigung erfolgte jedoch nicht.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat die belangte Behörde die Bemessungsgrundlage der mit dem 20% Normalsteuersatz zu versteuernden Lieferungen und Leistungen dahingehend geändert, dass neben den Umsätzen der zur Organschaft der beschwerdeführenden Partei gehörenden Vertriebstochter ***1*** GmbH auch jene der Vertriebstöchter ***2*** GmbH sowie ***3*** GmbH erfasst wurden. Das hat die Bemessungsgrundlage wie folgt geändert:


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Jahr
2012
2013
2014
BMG 1. Bescheid
9.423.806,17
8.138.770,78
7.830.565,55
Änderung
301.109,02
266.804,72
163.804,25
BMG BVE
9.724.915,19
8.405.575,50
7.994.369,80

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und den diesem angeschlossenen Beilagen (insbesondere AGB des Anbieters; Screenshot über die Sperre des Zugangs; Screenshot Kaufmaske) und sind zwischen den Parteien nicht strittig.

Insbesondere die von der belangten Behörde im Zuge der Beschwerdevorentscheidung vorgenommene Änderung der Bemessungsgrundlage (zusätzliche Erfassung der Umsätze der Vetriebstöchter ***2*** GmbH sowie ***3*** GmbH) wurde von der beschwerdeführenden Partei nicht bestritten.

Auch für das Bundesfinanzgericht haben sich - in Wahrnehmung seiner amtswegigen Ermittlungspflicht - keine Anhaltspunkte ergeben, an der Richtigkeit des festgestellten Sachverhaltes zu zweifeln. Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen annehmen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Strittig ist im Beschwerdefall, ob eine umsatzsteuerpflichtige Leistung seitens der beschwerdeführenden Partei auch dann vorliegt, wenn während des aufrechten Vertragsverhältnisses der Vertragspartner aufgrund der Sperrung seines Accounts keine Leistung abrufen konnte und diese auch nicht mehr nachträglich in Anspruch genommen werden kann.

Rechtlicher Rahmen

Österreichisches UStG

Das - in Umsetzung der 6. Richtlinie 77/388/EWG ergangene - UStG 1994 normiert in § 1 Abs. 1 Z. 1 UStG 1994, dass Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer unterliegen.

Unionsrecht

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sieht vor, dass "Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt", der Mehrwertsteuer unterliegen.

Art. 64 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

"Geben Lieferungen von Gegenständen … und Dienstleistungen zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass, gelten sie jeweils als mit Ablauf des Zeitraums bewirkt, auf den sich diese Abrechnungen oder Zahlungen beziehen."

Art. 66 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

"Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:

a) spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;

…"

Art. 73 der Richtlinie lautet:

"Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen."

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes lag dem Rechtstreit in der Rechtssache MEO, MEO - Serviços de Comunicações e Multimédia, C-295/17, ein dem gegenständlichen Beschwerdefall hinsichtlich der Frage, ob auch die innerhalb einer Vertragsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger deaktivierten Dienste (gesperrten Accounts) die Erbringung einer umsatzsteuerpflichtigen Leistung darstellen, vergleichbare Sach- und Rechtslage zu Grunde.

In dem der Rs MEO, C-295/17, zugrundeliegenden Beschwerdefall ging es im Wesentlichen darum, dass der Leistungserbringer mit seinen Kunden Verträge über die Erbringung von Telekommunikations-, Internetzugangs-, Fernseh- und Multimediadienstleistungen abgeschlossen hat, die zum Teil Mindestbindungsfristen vorsahen. Teil des zwischen MEO und seinen Kunden abgeschlossenen Vertrages war ua die Vereinbarung, dass MEO im Fall einer Deaktivierung der vertragsgegenständlichen Produkte oder Dienste vor Ablauf der vereinbarten Mindestbindungsfrist auf Ersuchen des Kunden oder aus einem ihm zuzurechnenden Grund Anspruch auf eine Ausgleichszahlung in Höhe eines vertraglichen Monatsentgelts, multipliziert mit der Differenz zwischen der vereinbarten Mindestbindungsfrist und der Dauer der tatsächlichen Leistungserbringung in Monaten hat. Der Kunde schuldete diesen Betrag auch dann, wenn die Dienste vor dem Ablauf der Mindestbindungsfrist deaktiviert wurden, insbesondere wenn der Kunde gegen seine Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Monatsentgelte verstoßen hat.

Sowohl nach der Mehrwertsteuerrichtlinie als auch nach dem UStG 1994 unterliegen Leistungen, die ein Unternehmer im Gebiet eines Mitgliedstaates gegen Entgelt erbringt der Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer). Die nationale Bestimmung ist in weiterer Folge richtlinienkonform iSd Judikatur des EuGH zu interpretieren. Inhaltlich hat dieser in der Rs MEO, C-295/17, ausgeführt:

"44 Soweit MEO gemäß den im Ausgansverfahren gegenständlichen Verträgen im Fall der Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist Anspruch auf Zahlung desselben Betrags hat, den sie als Entgelt für die Dienstleistungen erhalten hätte, zu deren Erbringung sie verpflichtet gewesen wäre, wenn der Kunde den Vertrag nicht beendet hätte - was gegebenenfalls vom vorlegenden Gericht zu überprüfen sein wird -, ändert die vorzeitige Vertragsauflösung durch den Kunden bzw. aus einem ihm zuzurechnenden Grund nichts an der wirtschaftlichen Realität des Verhältnisses zwischen MEO und ihrem Kunden.

45 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der Gegenwert des vom Kunden an MEO entrichteten Betrags in dem Anspruch des Kunden auf Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Dienstleistungsvertrag durch diesen Betreiber besteht, auch wenn der Kunde diesen Anspruch aus einem ihm zuzurechnenden Grund nicht wahrnehmen will oder kann. Im vorliegenden Fall versetzt MEO den Kunden nämlich in die Lage, diese Leistung im Sinne der in Rn. 40 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung in Anspruch zu nehmen, wobei die Einstellung dieser Dienstleistung ihr nicht zuzurechnen ist.

46 Hinzu kommt in diesem Zusammenhang, dass, wenn dieser Betrag als Ausgleichszahlung zum Ersatz des von MEO erlittenen Schadens zu qualifizieren wäre, sich die Natur der vom Kunden erbrachten Gegenleistung danach richten würde, ob dieser sich dazu entschließt, die betreffende Dienstleistung während des vertraglich vorgesehenen Zeitraums zu nutzen oder nicht.

47 So würden Kunden, die Dienstleistungen während der gesamten vertraglich vereinbarten Mindestbindungsfrist in Anspruch genommen haben, und solche, die den Vertrag vor Ablauf dieser Frist beenden, mehrwertsteuerlich unterschiedlich behandelt.

48 Folglich ist davon auszugehen, dass der für die Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist geschuldete Betrag als Entgelt für die von MEO erbrachten Leistungen dient, unabhängig davon, ob der Kunde diese Dienste bis zum Ende der Mindestbindungsfrist in Anspruch nimmt oder nicht.

49 Zum Erfordernis, dass die entrichteten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Dienstleistung darstellen, ist auszuführen, dass die zu erbringende Leistung sowie der dem Kunden bei Vertragsbeendigung vor Ablauf der Mindestbindungsfrist berechnete Betrag bereits bei Vertragsabschluss festgelegt werden.

50 Somit ist der für die Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist zu zahlende Betrag als integraler Bestandteil des in Monatsentgelte aufgeteilten Gesamtpreises für die Erbringung von Dienstleistungen anzusehen, der im Fall der Nichterfüllung der Zahlungspflicht sofort fällig wird."

Auch in der Rs Vodafone Portugal, C-43/19, stützt sich der EuGH im Zusammenhang mit der Frage der umsatzsteuerpflichtigen Leistung im Falle einer vorzeitigen Leistungsstörung eines Vertrages mit einer Mindestvertragsdauer auf die Rechtsprechung in der Rs MEO und führt dazu aus:

"31 Eine Dienstleistung wird nur dann "gegen Entgelt" im Sinne dieser Bestimmung erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für eine dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (Urteil vom , MEO - Serviços de Comunicações e Multimédia, C-295/17, EU:C:2018:942, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32 Was den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der dem Leistungsempfänger erbrachten Dienstleistung und dem tatsächlich erhaltenen Gegenwert angeht, hat der Gerichtshof entschieden, dass der Gegenwert des beim Abschluss eines Dienstleistungsvertrags entrichteten Preises in dem sich daraus ergebenden Recht des Kunden besteht, in den Genuss der Erfüllung der sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen zu kommen, unabhängig davon, ob er dieses Recht auch wahrnimmt. So erbringt der Dienstleister diese Leistung bereits, sobald er den Kunden in die Lage versetzt, diese Leistung in Anspruch zu nehmen, so dass das Bestehen des erwähnten unmittelbaren Zusammenhangs nicht durch den Umstand beeinträchtigt wird, dass der Kunde dieses Recht nicht wahrnimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , MEO - Serviços de Comunicações e Multimédia, C-295/17, EU:C:2018:942, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33 Der Gerichtshof hat festgestellt, dass ein im Vorhinein festgelegter Betrag, den ein Wirtschaftsteilnehmer im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer Mindestbindungsfrist durch seinen Kunden oder aus einem diesem zuzurechnenden Grund bezieht und der dem Betrag entspricht, den dieser Wirtschaftsteilnehmer ohne diese vorzeitige Beendigung für die restliche Laufzeit erhalten hätte, als Gegenleistung für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung anzusehen ist und als solche der Mehrwertsteuer unterliegt, selbst wenn diese Beendigung die Deaktivierung der vertragsgegenständlichen Produkte oder Dienste vor dem Ende der vereinbarten Mindestbindungsfrist impliziert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , MEO - Serviços de Comunicações e Multimédia, C-295/17, EU:C:2018:942, Rn. 12, 45 und 57, und vom , UniCredit Leasing, C-242/18, EU:C:2019:558, Rn. 70)."

Einmal mehr unterstreicht der EuGH in dem genannten Urteil die Bedeutsamkeit der "wirtschaftlichen Realität", die ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt (vgl Rn. 40 in C-43/19). Im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise bestimmt der Betreiber nämlich den Preis für seine Dienstleistung und die Monatsraten unter Berücksichtigung der Kosten für diese Dienstleistung und der Mindestlaufzeit der vertraglichen Verpflichtung. Wie der EuGH in der Rs Vodafone - Portugal (Rn. 39) ausgeführt hat, ist der im Fall einer vorzeitigen Beendigung geschuldete Betrag als integraler Bestandteil des Preises zu betrachten, zu dessen Zahlung sich der Kunde für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen durch den Dienstleistungserbringer verpflichtet hat.

Gleiches gilt auch im Beschwerdefall. Aus Sicht des Bundesfinanzgerichtes macht es für die Frage der Qualifikation als umsatzsteuerpflichtige Leistung keinen Unterschied, ob der Vertrag in Folge einer vom Leistungsempfänger zu vertretenden Leistungsstörung beendet wird und der Leistungsempfänger die bis zum Ablauf der Mindestvertragsdauer noch ausstehenden (Monats)Beträge entrichten muss, oder ob der Vertrag - wie im Beschwerdefall - zwar weiterhin aufrecht ist, der Leistungserbringer jedoch für die Zeit der vom Leistungsempfänger zu vertretenden Leistungsstörung sein Angebot deaktiviert.

Die Parteien haben mit dem Abschluss des Vertrages und der damit verbundenen Akzeptanz der Vertragsbedingungen (Zahlungsverpflichtung einer monatlichen Gebühr, Sperrung des Accounts und Verpflichtung zur Zahlung für vergangene Abrechnungszeiträume, in denen sperrbedingt keine Leistung konsumiert werden konnte) ein Rechtsverhältnis mit Rechten und Pflichten begründet, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden. Wie in der dem zugrundeliegenden Rechtssache Apcoa Parking Danmark A/S, C-90/20, besteht auch im Beschwerdefall ein unmittelbarer Zusammenhang.

Sofern die beschwerdeführende Partei offensichtlich diesen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der vom Leistungsempfänger erbrachten Dienstleistung und dem tatsächlich erhaltenen Gegenwert bestreitet, kommt das Bundesfinanzgericht zu dem Schluss, dass sowohl die zu erbringende Dienstleistung als auch die Gegenleistung für das Recht auf Nutzung dieser Dienstleistung bei Abschluss des Vertrags zwischen der beschwerdeführenden Partei und ihren Kunden bestimmt worden sind. Aus dem dem Bundesfinanzgericht vorgelegten Verwaltungsakt und in den Feststellungen auszugsweise wiedergegeben Unterlagen geht insbesondere hervor, dass die Gegenleistung für die Dienstleistung nach genau festgelegten Kriterien bestimmt wird, die sowohl die Monatsraten als auch die Art und Weise, wie im Fall eines Zahlungsverzuges durch den Kunden vorgegangen wird (Mahnung, Sperre, Aufrechtbleiben des Vertragsverhältnisses und weiter bestehende Zahlungsverpflichtung), festlegen (vgl Rs Vodafone Portugal, C-43/19, Rn. 43).

Sofern die beschwerdeführende Partei die Rechtssache Vodafone Portugal (C-43/19) als mit dem Beschwerdefall deshalb nicht vergleichbar erachtet, weil in diesem Fall vom Leistungserbringer (Vodafone) neben der Dienstleistung auch noch eine Ware (Mobiltelefon) Vertragsbestandteil war und "[d]ie Gegenleistung demnach (…) die Ware bzw verbilligte Dienstleistung [dar]stellt", ist darauf zu verweisen, dass der EuGH im Fall Vodafone Portugal davon ausgeht, dass die in Rede stehenden Beträge als Teil der Vergütung anzusehen sind, die der Betreiber für die Dienstleistungen erhält. Eine Unterscheidung zwischen jenen Beträgen die auf die Waren (bspw Mobiltelefon) und die Dienstleistung entfällt, nimmt der EuGH gerade nicht vor. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der EuGH in der Rs Vodafone Portugal auf jene Aussagen aus der Rs MEO verweist, die für den gegenständlichen Beschwerdefall vergleichbar sind.

Sofern die beschwerdeführende Partei zur Stützung ihres Vorbringens weiters auf die Umsatzsteuerrichtlinien (Rz 15) verweist, ist darauf hinzuweisen, dass aus diesen keine über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehenden Rechte abgeleitet werden können. Im Übrigen vermag auch der Hinweis auf die Kommentarstellen nicht zu überzeugen, da es sich im gegenständlichen Fall nicht um Schadenersatz oder Rücktritt vom Vertrag handelt. Die Parteien sind trotz Nichtzahlung des vereinbarten Entgeltes weiterhin in einer vertraglichen Beziehung zueinander. Insofern unterscheidet sich der Beschwerdefall auch von den von der beschwerdeführenden Partei mit Verweis auf die einschlägigen Kommentare vergleichsweise herangezogenen Fälle.

Der geschuldete Betrag ist als integraler Bestandteil des Preises zu betrachten, zu dessen Zahlung sich der Kunde für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen durch den Dienstleistungserbringer verpflichtet hat und somit besteht im Lichte der zitierten Urteile des EuGH auch im Beschwerdefall kein Zweifel am Vorliegen einer umsatzsteuerpflichtigen Leistung, weshalb die Beschwerde hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2012 bis 2015 abzuweisen ist.

3.2. Zu Spruchpunkt II (Abänderung der angefochtenen Bescheide für die Jahre 2012 bis 2014)

In Folge der Organträgereigenschaft der beschwerdeführenden Partei ist diese Umsatzsteuersubjekt und sind ihr sämtliche Umsätze ihrer Organgesellschaften zuzurechnen.

Sofern die belangte Behörde in der (gesondert ergangenen) Begründung der Beschwerdevorentscheidung betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2012 bis 2014 ausgeführt hat, dass sich im Zuge des Rechtsmittelverfahrens herausgestellt hat, dass die Bemessungsgrundlagen der angefochtenen Bescheide falsch - weil die Umsätze der zur umsatzsteuerlichen Organschaft gehörenden Organgesellschaften ***3*** GmbH und ***2*** GmbH nicht in die Bemessungsgrundlage Eingang gefunden hatten - ermittelt wurden und in weiterer Folge eine Korrektur vorgenommen und diese zahlenmäßig aufgeschlüsselt hat, ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdevorentscheidung Vorhaltscharakter zukommt (vgl sowie zur insoweit vergleichbaren Rechtslage vor dem (§ 276 Abs 1 BAO idF vor FVwGG 2012) ).

Im Lichte der von der beschwerdeführenden Partei dem Grunde und der Höhe nach unbestritten gebliebenen Änderung der Bemessungsgrundlage wird die Umsatzsteuer für die Jahre 2012 bis 2014 wie in Spruchpunkt II. ersichtlich festgesetzt.

3.3. Zu Spruchpunkt III. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Rechtsfrage, ob eine umsatzsteuerpflichtige Leistung seitens des Leistungserbringers auch dann vorliegt, wenn der Leistungsempfänger aufgrund einer ihm zuzurechnenden Verletzung seiner vertraglichen Pflichten die Leistung nicht abrufen konnte und diese auch nicht mehr nachträglich konsumiert werden kann, ist - soweit ersichtlich - bisher nicht durch den Verwaltungsgerichtshof geklärt, weshalb die Revision für zulässig erklärt wird.

Im Übrigen, nämlich hinsichtlich jenes Teiles der Entscheidung mit dem die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2014 der Höhe nach geändert wurden (Spruchpunkt II.), ist darauf hinzuweisen, dass der fallbezogenen Auslegung von Parteienerklärungen - wie hier dem Verschweigen seitens der beschwerdeführenden Partei (im Vorlageantrag) zu der von der belangten Behörde in der Beschwerdevorentscheidung durchgeführten Korrektur der Bemessungsgrundlage - keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 2 Abs. 1 Buchstabe c RL 2006/112/EG, ABl. Nr. L 347 vom S. 1
§ 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.7100647.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at