Geschäftsführerhaftung (§ 9 BAO): Keine Bescheidwirksamkeit bei Zustellung an den Haftungspflichtigen anstelle seines bekannt gegebenen rechtsanwaltlichen Vertreters
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/2100717/2024-RS1 | Gemäß § 78 Abs. 3 BAO haben Personen die Rechtsstellung einer Partei dann und insoweit, als sich die Tätigkeit einer Abgabenbehörde auf sie bezieht. Mit dem Vorhaltschreiben zur geplanten Haftungsinanspruchnahme wurde die Beschwerdeführerin zur Partei des Haftungsverfahrens. |
RV/2100717/2024-RS2 | Die Berufung auf die Vollmacht durch einen Rechtsanwalt kann auch dadurch erfolgen, dass die Eingabe "in rechtsfreundlicher Vertretung" eines Mandanten eingebracht wird (vgl. zur Eingabe "namens" oder "auftrags" eines Mandanten: ). |
RV/2100717/2024-RS3 | Nach der stRsp des VwGH umfasst eine allgemeine Vollmacht auch die Zustellungsbevollmächtigung (). |
RV/2100717/2024-RS4 | Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist (§ 9 Abs. 3 Zustellgesetz). Erfolgte keine Übermittlung des beschwerdegegenständlichen Bescheides an den zustellungsbevollmächtigten Vertreter im Original, sondern wurde er vom Beschwerdeführer per E-Mail an diesen weitergeleitet, ist das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten nicht tatsächlich zugekommen. |
RV/2100717/2024-RS5 | Gemäß § 103 Abs. 1 BAO können im Einhebungsverfahren ergehende Erledigungen aus Gründen der Zweckmäßigkeit, insbesondere zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens, trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung wirksam dem Vollmachtgeber unmittelbar zugestellt werden. Kann das Bundesfinanzgericht keine Gründe erkennen, die die unmittelbare Zustellung an die Beschwerdeführerin zweckmäßig sein ließen und hat die Abgabenbehörde das Vorliegen von Zweckmäßigkeitsgründen zwar behauptet, aber selbst keine Zweckmäßigkeitsgründe genannt, wurde die als Bescheid gedachte Erledigung der Abgabenbehörde nicht wirksam zugestellt und hat daher keine Bescheidqualität. |
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Einzelrichter*** über die Beschwerde der ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch die LIKAR Rechtsanwälte GmbH, Pestalozzistraße 1, 8010 Graz, vom gegen die Erledigung des Finanzamtes Österreich vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO beschlossen:
Die Bescheidbeschwerde wird als nicht zulässig zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
Die Bescheidbeschwerde ist (gemäß § 272 Abs. 4 BAO vom Berichterstatter) mit Beschluss (§ 278) zurückzuweisen, wenn sie nicht zulässig eingebracht wurde (§ 260 Abs. 1 lit. a BAO).
Eine Bescheidbeschwerde ist ua. unzulässig bei mangelnder Bescheidqualität (vgl. Ritz, BAO7, § 260 Tz. 5).
Gemäß § 78 Abs. 3 BAO haben Personen die Rechtsstellung einer Partei dann und insoweit, als sich die Tätigkeit einer Abgabenbehörde auf sie bezieht.
Mit dem Vorhaltschreiben vom wurde die Beschwerdeführerin zur Partei des Haftungsverfahrens.
Der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin hat mit Vorhaltbeantwortungsschreiben vom die "rechtsfreundliche Vertretung" der Beschwerdeführerin gegenüber der Abgabenbehörde bekanntgegeben.
Die Berufung auf die Vollmacht durch einen Rechtsanwalt kann auch dadurch erfolgen, dass die Eingabe "in rechtsfreundlicher Vertretung" eines Mandanten eingebracht wird (vgl. zur Eingabe "namens" oder "auftrags" eines Mandanten: ).
Nach der stRsp des VwGH umfasst eine allgemeine Vollmacht auch die Zustellungsbevollmächtigung ().
Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist (§ 9 Abs. 3 Zustellgesetz).
Wie die Abgabenbehörde dem Bundesfinanzgericht mit Schreiben vom mitgeteilt hat, hat erfolgte keine Übermittlung des beschwerdegegenständlichen "Haftungsbescheides" an den Vertreter im Original, sondern wurde dieser von der Beschwerdeführerin per E-Mail weitergeleitet. Somit ist das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten nicht tatsächlich zugekommen.
Gemäß § 103 Abs. 1 BAO können im Einhebungsverfahren ergehende Erledigungen aus Gründen der Zweckmäßigkeit, insbesondere zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens, trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung wirksam dem Vollmachtgeber unmittelbar zugestellt werden.
Das Bundesfinanzgericht kann im Beschwerdefall keine Gründe erkennen, die die unmittelbare Zustellung an die Beschwerdeführerin zweckmäßig sein ließen. Die Abgabenbehörde hat das Vorliegen von Zweckmäßigkeitsgründen in ihrem Schreiben vom zwar behauptet, aber selbst keine Zweckmäßigkeitsgründe genannt.
Die als Haftungsbescheid gedachte Erledigung der Abgabenbehörde wurde daher nicht wirksam zugestellt und hat daher keine Bescheidqualität.
Die Bescheidbeschwerde war daher als nicht zulässig zurückzuweisen.
Von der mündlichen Verhandlung war abzusehen, weil die Abgabenbehörde Gelegenheit zur Äußerung gehabt hat (und diese Gelegenheit auch wahrgenommen hat), womit die Sache für die gegenständliche Erledigung vollumfänglich geklärt ist.
Abschließend wird darauf hingewiesen, dass die gegenständliche Zurückweisung der Bescheidbeschwerde einer umgehenden wirksamen Erlassung des Haftungsbescheides durch Zustellung an den rechtsanwaltlichen Vertreter nicht entgegensteht (die Abgabenbehörde geht im Vorlagebericht von keiner Dringlichkeit im Hinblick auf die Einhebungsverjährung aus).
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da diese Voraussetzung nicht vorliegt, war auszusprechen, dass die Revision nicht zulässig ist.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 260 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 78 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 9 Abs. 3 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 § 103 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 83 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 8 Abs. 1 RAO, Rechtsanwaltsordnung, RGBl. Nr. 96/1868 § 77 Abs. 11 WTBG, Wirtschaftstreuhandberufsgesetz, BGBl. I Nr. 58/1999 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.2100717.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at