Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer mangels Vorliegens der Voraussetzungen für eine Befreiung nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994
Entscheidungstext
Im Namen der republik
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch ***V***, ***V-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Feldkirch Wolfurt (nunmehr Zollamt Österreich) vom , Zahl ***1***, betreffend Einfuhrumsatzsteuer und Verzugszinsen, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass die Festsetzung von Verzugszinsen (D00) aufgehoben wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Gegenüberstellung:
[...]
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit dem als "Mitteilung nach Art. 102 Zollkodex" bezeichneten Bescheid vom , Zahl ***1***, teilte das Zollamt der Beschwerdeführerin zu näher bezeichneten sechs Zollanmeldungen die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt € 237.725,40 mit und setzte Verzugszinsen gemäß § 114 UZK in Höhe von € 3.947,77 fest, weil die Voraussetzungen für die in den Zollanmeldungen beantragte Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 nicht vorliegen würden.
Mit Schriftsatz vom erhob die Beschwerdeführerin dagegen Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass im Fall des bulgarischen Warenempfängers die formalen Steuerbefreiungsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 vorliegen würden. Soweit das Zollamt meine, dass hier die sogenannte "Betrugsbekämpfungsklausel" des EuGH greife, verkenne es, dass diese Formel zwei kumulative Voraussetzungen habe, die das Zollamt nachzuweisen habe und nicht nur vermuten dürfe. Erstens, das nachweisliche Vorliegen einer vorwerfbaren, also schuldhaft begangenen Steuerhinterziehung und zweitens, das nachweisliche Wissen oder Wissen hätte müssen der Beschwerdeführerin hiervon. Hier fehle es bereits an der ersten Voraussetzung. Aus den zitierten Ermittlungsergebnissen ergebe sich nicht, dass das zuständige bulgarische Finanzamt die Erwerbsteuer mit Bescheid festgesetzt habe. Es würden Feststellungen fehlen, dass die zuständigen Behörden und Gerichte eine vorwerfbare Steuerhinterziehung festgestellt und sanktioniert hätten. Aus einer etwaigen Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten in Bulgarien oder Kroatien folge in keiner Weise eine vorwerfbare Steuerhinterziehung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH. Im Fall der kroatischen Firma widerspreche auch die Ansicht des Zollamtes, dass mangels Vorliegens einer vernünftigen Lieferadresse trotz gültiger UID-Nr. diese nicht Erwerberin im Sinne des Art. 9 Abs. 1 MwSt-SystRL sei, der Rechtsprechung des EuGH.
Nach Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens wies das Zollamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zahl ***2***, als unbegründet ab.
Das Zollamt führte aus, dass sich die Verweigerung der Steuerbefreiung aus dem Mehrwertsteuer- und hier auch Zollrecht ergebe, sodass jeglicher Hinweis auf das Strafrecht in Leere gehe. Die Beschwerdeführerin verkenne, dass die kroatische Firma eine "conduit company" (Zwischengesellschaft) sei, die Waren im Mitgliedstaat A an "Missing Trader" im Mitgliedstaat B verkaufe. Aufgrund der gesamten objektiven Umstände und nicht nur, weil es an einer "vernünftigen" Lieferadresse fehle, sei es für das Zollamt erwiesen, dass die kroatische Firma gewusste hat oder wissen hätte müssen, dass sie sich an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteilige. Es sei hingegen nicht Voraussetzung, dass die Beschwerdeführerin davon wissen hätte müssen, denn diese schulde die Abgaben als Anmelderin
Hinsichtlich der bulgarischen Firma habe die Steuerbehörde festgestellt, dass die Waren nie nach Bulgarien gelangt seien. Trotz Vorliegen eines Frachtbriefes habe sich die tatsächliche Beförderung der Waren nach Bulgarien als falsch erwiesen. Die Empfängerin sei in fiktive Transaktionen verwickelt.
Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.
Ergänzend brachte die Beschwerdeführerin vor, dass dem Bescheid nicht klar zu entnehmen sei, welcher Sachverhalt zur Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer und Verzugszinsen in Höhe von insgesamt € 241.603,17 geführt habe. Zudem werde die Rechtsprechung des EuGH verkannt. Danach sei jeder Umsatz für sich zu betrachten und würden vorausgehende oder nachfolgende Ereignisse nichts am Charakter eines bestimmten Umsatzes in der Lieferkette verändern. Damit seien die Umsätze der Empfänger völlig irrelevant für die Beurteilung der Umsätze der Beschwerdeführerin. Insbesondere sei damit irrelevant, was diese Personen wussten oder wissen hätten müssen. Entscheidend sei allein, dass die Umsätze der Beschwerdeführerin nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet seien. Der Umsatz der Beschwerdeführerin sei nicht Bestandteil einer angeblich betrügerischen Lieferkette. Dieser bestehe vielmehr im Erbringen einer Dienstleistung, nämlich in der Erledigung der Grenzformalitäten. Der maßgebliche Umsatzsteuerbetrug der Kroaten oder Bulgaren könne der Beschwerdeführerin also nur dann zugerechnet werden, wenn sie davon zumindest wissen hätte müssen.
Das Zollrecht und das Mehrwertsteuerrecht seien zwei völlig verschiedene Rechtsgebiete, sodass eine EUSt-Befreiung niemals vom Zollrecht abhängig sein könne. Das verstehe sich ganz alleine vor dem Hintergrund, dass die streitige Steuerbefreiung ihren ausschließlichen Rechtsgrund in Art. 143 Abs. 1 lit. d der Mehrwertsteuerrichtlinie i.V.m. Art. 6 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz und nicht auch im Zollrecht habe.
Die indirekte Vertretung ermögliche, dass neben dem Anmelder auch die vertretene Person Zollschuldner werde. Diese Zollschuldentstehung gelte sinngemäß nach § 26 Abs. 1 UStG i.V.m. § 2 Abs. 1 ZollR-DG auch für die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung. Art. 6 Abs. 3 UStG verhindere dieses Ergebnis aber nun gerade für die Einfuhrumsatzsteuer. Der Anmelder werde danach eben gerade nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer. Der Anmelder könne in Österreich nur dann Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer werden, wenn die Voraussetzungen des § 54 ZollR-DG vorlägen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Zollamt aber nicht dargetan. Zudem sei § 54 ZollR-DG wegen Vorrangs des Unionsrechts unanwendbar.
Soweit das Zollamt auf das Erkenntnis des zu RV/5200234/2013 Bezug nehme, genüge der Hinweis, dass ein Vertretungsverhältnis aus dem Vertreter und dem Vertretenen nicht eine einzige Person mache (keine Personenidentität). Der indirekte Vertreter könne unmöglich allein aufgrund des Art. 18 i.V.m. Art. 15 Abs. 2 UZK zu einem kriminellen Steuerhinterzieher werden, wenn die vertretene Person in vorwerfbarer Weise Steuern hinterzogen habe. Mit anderen Worten eine automatische Wissenszurechnung nach Zollrecht im Rahmen der umsatzsteuerrechtlichen Betrugsbekämpfung des EuGH sei widersinnig.
Es entspreche zwar dem Zollrecht, dass dem Zollschuldner auch Kenntnisse seines Vertreters zugerechnet werden können. Grund dafür ist nach der Rechtsprechung des EuGH, dass der Zollschuldner durch Beauftragung Dritter sich der Verantwortung gegenüber den Zollbehörden nicht entziehen können dürfe. Dieser Grundgedanke für die Wissenszurechnung im Zollrecht passe hier gar nicht und ganz offensichtlich auch nicht zum Steuersystem der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung; er gelte zudem auch nicht umgekehrt für eine Wissenszurechnung vom Vertretenen auf den Vertreter.
Das Zollamt schließe aus einer angeblichen Erwerbsteuerhinterziehung in Kroatien und Bulgarien auf eine EUSt-Hinterziehung in Österreich durch diese Personen, denn letzteres ist Voraussetzung dafür, dass die Steuerbefreiungvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 in Person der vertretenen Bulgaren und Kroaten nicht vorlägen. Dies einmal hypothetisch unterstellt läge ein Gesamtschuldverhältnis nach Art. 84 UZK vor. Dann habe das Zollamt zu begründen, warum es allein die Beschwerdeführerin in Anspruch nehme. Denn sie war objektiv und subjektiv an irgendwelchen Steuerbetrügereien nicht beteiligt. Alleine die Nichtausübung des Auswahlermessens macht den von uns angegriffenen Bescheid rechtswidrig
Mit Eingabe vom zeigte die ***V*** den Wechsel der Vertretung an.
Im ergänzenden Schriftsatz vom brachte die Beschwerdeführerin ergänzend vor, dass davon auszugehen sei, dass sie rechtskonform als indirekte Vertreterin der kroatischen und rumänischen (richtig wohl bulgarischen) Empfänger aufgetreten sei. Es genüge hierfür die Glaubhaftmachung durch die Vorlage der auf den Vertretenen lautenden Frachtpapiere. Davon ausgehend habe man die Risikofaktoren laut Arbeitsrichtlinie ZK 4200 für das Fehlen der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 UStG geprüft und sei überzeugt, dass die Beschwerdeführerin in sämtlichen Einfuhrfällen sorgfältig gehandelt habe. Der Rückgriff des Zollamtes auf das Italmoda sei verfehlt. Das Wissen oder Wissen müssen der indirekt vertretenen Empfänger könne nicht der Beschwerdeführerin zugerechnet werden.
Im Falle, dass die Beschwerdeführerin nicht rechtmäßig als indirekte Vertreterin der Empfänger aufgetreten ist, sei die Festsetzung der österreichischen EUSt im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache FedEx abzulehnen. Daraus sei nämlich abzuleiten, dass die Einfuhrumsatzsteuer nicht in Österreich, sondern in Kroatien und Rumänien (gemeint wohl Bulgarien) entstanden sei.
Für den Fall, dass das Bundesfinanzgericht davon ausgehe, dass die Einfuhr in Österreich verwirklicht worden sei, lasse sich vertreten, dass der Beschwerdeführerin die Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen könne. Das Abstellen auf die Verfügungsmacht über den Gegenstand sei unionsrechtswidrig.
Im Rahmen der am im Wege der elektronischen Bild- und Tonübertragung durchgeführten mündlichen Verhandlung (§ 48j BAO) wurden die bisherigen Vorbringen wiederholt.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Zu Spruchpunkt I.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin, ein Speditionsunternehmen, beantragte mit den nachstehend angeführten 6 (sechs) Zollanmeldungen als indirekte Vertreterin der ***3*** d.o.o, Umag, Kroatien (Zollanmeldungen Nr. 1 bis 5) und der ***5***, Sofia, Bulgarien (Zollanmeldung Nr. 6), beim Zollamt Feldkirch Wolfurt, Zollstelle Tisis, die Überführung verschiedener Waren in den zollrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung (Verfahrenscode 42):
[...]
Die Zollanmeldungen wurden wie angemeldet angenommen und die Waren überlassen. Die Einfuhrumsatzsteuer wurde zunächst nicht festgesetzt.
In den Einfuhrfällen Nr. 1 bis 5 war jedoch die in Kroatien ansässige Erwerberin, die die Waren an Erwerber in Italien weiterveräußerte, wissentlich als Zwischengesellschaft (conduit company) in einen in Italien begangenen Missing-Trader-Betrug eingebunden. Sie meldete in Kroatien nur geringe Vorauszahlungen an. Von den italienischen Erwerbern meldete keiner die innergemeinschaftlichen Erwerbe an und auch die Umsatzsteuer wurde nicht entrichtet. Die Waren gelangten auf diese Weise steuerfrei in den Wirtschaftskreislauf der Union.
Die mit der unter der Nr. 6 angeführten Zollanmeldung abgefertigten Waren wurden zuvor in Italien zur Ausfuhr in die Schweiz angemeldet und anschließend in das gemeinsame Versandverfahren T2 übernommen. In der Schweiz wurde das Versandverfahren beendet und die Waren neuerlich in das Versandverfahren T2 mit Bestimmungsstelle Tisis übergeführt und in Österreich zur Überführung in den freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung (Verfahren 42) angemeldet. Im Anschluss an die Abfertigung wurden die Waren nach Spanien umgeleitet. Die Identität des neuen Empfängers wurde den österreichischen Behörden nicht bekannt gegeben.
Beweiswürdigung
Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer (steuerbefreiten) innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung trägt derjenige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft ( Rz 67, "Enteco Baltic".
Die Warenempfänger erwarben die Waren unter der Lieferbedingung "DDU" (Delivered Duty Unpaid). Diese Klausel umfasst nicht die Zollabfertigung und die Übernahme der Eingangsabgaben durch den jeweiligen schweizerischen Lieferer. Die Erklärung der Beschwerdeführerin die Warenempfänger indirekt zu vertreten begegnet somit keinen Bedenken.
Einfuhrfälle Nr. 1 bis 5:
Nach den im Wege der Amtshilfe gemäß den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom eingeholten Informationen handelte es sich bei der kroatischen Erwerberin, die gleichzeitig auch Verbringerin der Waren war, um eine Gesellschaft, die an der Adresse eines Buchhaltungsunternehmens registriert war und selber kein Personal beschäftigte. Die verantwortliche Person ist slowenische Staatsbürgerin. Das Unternehmen wurde als "dubios" und als "conduit" identifiziert. Die UID-Nr. wurde in der Folge am widerrufen.
Die Waren wurden laut den vorgelegten Frachtbriefen ab November 2015 und somit im hier maßgeblichen Zeitraum zum Lager des Transportunternehmens (***8***) verbracht. Für die Annahme des Zollamtes, dass dies für einzelne Transporte nicht zutreffe, finden sich keine konkreten Anhaltspunkte.
Die Geschäftsabwicklung entspricht einem sogenannten "Missing Trader-Betrug". Die Waren wurden unter Inanspruchnahme der Einfuhrumsatzsteuerbefreiung gemäß Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 steuerfrei nach Österreich eingeführt und im Rahmen einer anschließenden (steuerfreien) innergemeinschaftlichen Lieferung (hier innergemeinschaftlichen Verbringen) nach Kroatien verbracht. Die als sogenannte Zwischengesellschaft fungierende kroatische Gesellschaft erklärte trotz umfangreicher Einfuhren und innergemeinschaftlichen Erwerben gegenüber der kroatischen Steuerbehörde nur geringe Vorauszahlungen. Die im Verfahren 42 eingeführten Waren wurden nach Italien weiterveräußert. Die italienischen Erwerber erwiesen sich als "Missing Trader", die die Waren weder anmeldeten, noch die Steuer entrichteten. Im Ergebnis sind die Waren durch diese Vorgangsweise steuerfrei in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt. Die Gesellschaft wurde noch während der Prüfung nach einem Schnellkonkursverfahren aufgelöst. Die Möglichkeit auf die Vorwürfe zu antworten wurde von der verantwortlichen Person der ***3*** d.o.o. nicht wahrgenommen.
Aufgrund der gegebenen Gesamtumstände, insbesondere der gegebenen Personenidentität zwischen Verbringer und Erwerber und der dargestellten Geschäftsabwicklung, ist das Bundesfinanzgericht zur Überzeugung gelangt, dass die ***3*** d.o.o. in die Steuerhinterziehung in Italien von Anfang an eingebunden war, davon also wusste oder zumindest wissen hätte müssen.
Einfuhrfall Nr. 6
In diesem Einfuhrfall ergibt sich der relevante Sachverhalt aufgrund der vorliegenden Zolldokumente. Die Waren wurden demnach nicht aus einem Drittland eingeführt, sondern lediglich im Rahmen einer gebrochenen Durchfuhr von einem Ort der Union zu einem anderen Ort der Union befördert.
Die Tatsache der Umleitung der Sendung nach der Durchführung der Einfuhrförmlichkeiten nach Spanien ergibt sich nach der im Amtshilfeweg durchgeführten Vernehmung des polnischen Lenkers des Transportfahrzeuges und bestätigt sich auch dadurch, dass nach den Erkenntnissen der bulgarischen Behörden die Waren nicht wie erklärt nach Bulgarien gelangt sind.
Rechtslage:
Art. 204 der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 302 vom , (Zollkodex - ZK), lautet:
"Artikel 204
(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den in Artikel 203 genannten Fällen
a) eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, oder
b) eine der Voraussetzungen für die Überführung einer Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird,
es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.
(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Pflicht, deren Nichterfüllung die Zollschuld entstehen lässt, nicht mehr erfüllt wird, oder dem Zeitpunkt, in dem die Ware in das betreffende Zollverfahren übergeführt worden ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine der Voraussetzungen für die Überführung dieser Ware in das Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht wirklich erfüllt war.
(3) Zollschuldner ist die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat."
§ 2 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) in der hier ebenfalls noch anzuwendenden Fassung vor dem AbgÄG 2015, BGBl.-Nr. I Nr. 163/2015, lautet:
"§ 2. (1) Das im § 1 genannte Zollrecht der Union, dieses Bundesgesetz und die in Durchführung dieses Bundesgesetzes ergangenen Verordnungen sowie die allgemeinen abgabenrechtlichen Vorschriften und das in Österreich anwendbare Völkerrecht, soweit sie sich auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben beziehen (Zollrecht im Sinn des Artikels 1 des Zollkodex), gelten weiters in allen nicht vom Zollkodex erfassten unionsrechtlich und innerstaatlich geregelten Angelegenheiten des Warenverkehrs über die Grenzen des Anwendungsgebietes, einschließlich der Erhebung von Abgaben (sonstige Eingangs- oder Ausgangsabgaben) und anderen Geldleistungen, soweit in diesem Bundesgesetz oder in den betreffenden Rechtsvorschriften die Vollziehung der Zollverwaltung übertragen und nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist."
§ 5 ZollR-DG lautet:
"§ 5. Wer im Verfahren der Zollbehörden eine abgabenrechtliche Begünstigung oder eine Verfahrenserleichterung in Anspruch nehmen will oder einen Wegfall der Folgen einer Zollzuwiderhandlung anstrebt, hat dies geltend zu machen und das Vorliegen der hiefür maßgebenden Voraussetzungen der Zollbehörde nachzuweisen. Wenn der Nachweis nach den Umständen nicht zumutbar ist, genügt die Glaubhaftmachung."
§ 71a. ZollR-DG lautet:
§ 71a. In den Fällen einer Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Artikel 6 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1994 schuldet eine nach Artikel 204 Abs. 1 ZK entstehende Einfuhrumsatzsteuerschuld auch der Anmelder, wenn er nicht bereits nach Artikel 204 Abs. 3 ZK als Schuldner in Betracht kommt.
Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 lautet:
"(3) Steuerfrei ist die Einfuhr der Gegenstände, die vom Anmelder im Anschluß an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen (Art. 7) verwendet werden; der Anmelder hat das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 7 buchmäßig nachzuweisen. Die Befreiung ist nur anzuwenden, wenn derjenige, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist, die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung tätigt.
Weiters ist Voraussetzung für die Anwendung der Steuerbefreiung, dass der Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer zum Zeitpunkt der Einfuhr den Zollbehörden die unter lit. a und b) genannten Angaben zukommen lässt und den unter lit. c genannten Nachweis erbringt:
a) seine im Inland erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer seines Steuervertreters;
b) die in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers im Falle der innergemeinschaftlichen Lieferung nach Art. 7 Abs. 1 oder seine eigene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer im Falle des der Lieferung gleichgestellten Verbringens nach Art. 7 Abs. 2;
c) den Nachweis, aus dem hervorgeht, dass die eingeführten Gegenstände dazu bestimmt sind, vom Inland in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versendet zu werden.
Art. 7 UStG 1994 lautet auszugsweise:
"Art. 7. (1) Eine innergemeinschaftliche Lieferung (Art. 6 Abs. 1) liegt vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen vorliegen:
1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet;
2. der Abnehmer ist
a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
b) ... oder
c) ...
3. der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung ist beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat steuerbar.
...
(2) ...
(3). Die Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 müssen vom Unternehmer buchmäßig nachgewiesen sein. Der Bundesminister für Finanzen kann durch Verordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat, dass der Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet worden ist.
(4) Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach Abs. 1 nicht vorliegen, so ist die Lieferung als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtige Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. In diesem Fall schuldet der Abnehmer die entgangene Steuer. In Abholfällen hat der Unternehmer die Identität des Abholenden festzuhalten."
§ 26 Abs. 1 erster Satz UStG 1994 in der bis zum geltenden Fassung lautet:
"§ 26. (1) Soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, gelten für die Einfuhrumsatzsteuer die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß; ausgenommen sind die Vorschriften über den aktiven Veredlungsverkehr nach dem Verfahren der Zollrückvergütung und über den passiven Veredlungsverkehr."
Die Steuerfreiheit nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 (BMR) beruht auf der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABlEU Nr. L 347 vom (im Folgenden: MwSt-SystRL).
Im Titel IX "Steuerbefreiungen" der MwSt-SystRL lautet unter Kapitel 1 "Allgemeine Bestimmungen" der Art. 131:
"Artikel 131
Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewähreistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen."
Im Kapitel 4 "Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen" des Titels IX der MwSt-SystRL lautet Art. 138 Abs. 1:
"Artikel 138
(1) Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt."
Artikel 143 Abs. 1 Buchst. d MwSt-SystRL lautet auszugsweise:
"Artikel 143
(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
d) die Einfuhr von Gegenständen, die von einem Drittgebiet oder einem Drittland aus in einen anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung versandt oder befördert werden, sofern die Lieferung dieser Gegenstände durch den gemäß Art. 201 als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur bewirkt wird und gemäß Art. 138 befreit ist;"
Rechtliche Erwägungen
Die mit Bescheid vom vorgenommene Nacherhebung der zunächst unerhoben gebliebenen Einfuhrumsatzsteuer wurde vom Zollamt zutreffend auf den am wirksam gewordenen Art. 102 UZK gestützt. Im Hinblick darauf, dass die dem Beschwerdefall zu Grunde liegenden Einfuhren im Zeitraum vom bis erfolgten, waren dabei aber noch die in diesem Zeitraum geltenden materiell-rechtlichen Bestimmungen des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK) weiter anzuwenden
Die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 setzt einerseits eine Einfuhr aus einem Drittland oder einem Drittgebiet und andererseits eine sich an die Einfuhr anschließende (steuerfreie) innergemeinschaftliche Lieferung voraus, wobei ein innergemeinschaftliches Verbringen einer Lieferung gleichgestellt ist (Art. 3 Abs. 1 UStG 1994).
Bei Erfüllung der Voraussetzungen wird die Umsatzsteuer in Form der Erwerbsteuer auf die aus einem Drittland in die Union versandten oder beförderten Gegenstände grundsätzlich zum ersten Mal nicht in dem Mitgliedstaat geschuldet, in den sie zuerst eingeführt wurden, sondern in dem Mitgliedstaat, in dem die Versendung oder Beförderung endet. Diese Bestimmung bezweckt eine Vereinfachung, die darin besteht, den grenzüberschreitenden Austausch dadurch zu erleichtern, dass aufgrund der Steuerbefreiung der Einfuhr der andernfalls gegebene Vorsteuerabzug hinsichtlich der ansonsten anfallenden Einfuhrmehrwertsteuer entfallen kann (vgl. "Vetsch Int. Transporte GmbH", Rn 40).
Soweit die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf das , "Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung", ins Treffen führt, dass in den hier zu beurteilenden Einfuhrfällen keine Steuerbarkeit der Einfuhr vorliege, weil die Waren bei einer innergemeinschaftlichen steuerfreien Lieferung mit nachweisbarer Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat nicht in Österreich in den Wirtschaftskreislauf gelangt seien, ist entgegenzuhalten, dass die in Rede stehenden Waren ja gerade in Österreich in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind (Art. 60 der MwSt-SystRL) und nicht mehr einem Verfahren im Sinn des Art. 61 Abs. 1 der MwSt-SystRL unterlagen. Dass die Waren dann im freien Verkehr in einen anderen Mitgliedstaat befördert worden sind, ändert nichts daran. Andernfalls wäre die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung nach Art. 143 Abs. 1 Buchstabe d) der MwSt-SystRL inhaltsleer, weil sie die grundsätzliche Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer im Einfuhrmitgliedstaat erfordert, um unter den dort genannten Voraussetzungen von dieser Einfuhrumsatzsteuer wieder zu befreien (vgl. , mwH). Auch die Rechtsprechung des EuGH zum Art. 143 Abs. 1 Buchst. d) der MwSt-SystRL geht offensichtlich nicht davon aus, dass bei Anwendung des Verfahrens 42 die Einfuhrumsatzsteuer jedenfalls erst im Mitgliedstaat, in dem die Beförderung endet, zum ersten Mal entstehen würde (vgl. , "Enteco Baltic"; , "Milan Božičevič Ježovnik".
Nach § 1 Abs. 3 UStG 1994 liegt eine Einfuhr nämlich dann vor, wenn ein Gegenstand aus einem Drittlandsgebiet in das Inland, ausgenommen die Gebiete Jungholz und Mittelberg, gelangt (vgl. Ruppe/Achatz, UStG6, § 1 Tz 442). Das entspricht der unionsrechtlichen Grundlage des Einfuhrbegriffs (Art. 30 der MwSt-SystRL), wonach als Einfuhr die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Artikels 24 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr Art. 29 AEUV) befindet, in die Gemeinschaft bestimmt ist. Als im freien Verkehr eines Mitgliedstaats befindliche Waren gelten diejenigen Waren aus dritten Ländern, für die in dem betreffenden Mitgliedstaat die Einfuhrförmlichkeiten erfüllt sowie die vorgeschriebenen Zölle und Abgaben gleicher Wirkung erhoben und nicht ganz oder teilweise rückvergütet worden sind.
Im Falle des Nichterfüllens der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit einer innergemein-schaftlichen Anschlusslieferung bzw. eines gleichgesetzten innergemeinschaftlichen Verbringens wird die Einfuhrumsatzsteuer deshalb in dem Mitgliedstaat geschuldet, in den die Waren (zuerst) eingeführt worden sind.
Soweit die Beschwerdeführerin einen Vorsteuerabzug als Speditionsgesellschaft, die selber nicht Verfügungsmacht über die Waren erlangt, für zulässig erachtet, ist darauf zu verweisen, dass Sache des gegenständlichen Verfahrens die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer, nicht jedoch ein allfälliger Vorsteuerabzug ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung eines Gegenstands dann anwendbar, wenn das Recht, wie ein Eigentümer über diesen Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist, wenn der Lieferer nachweist, dass der fragliche Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist, und wenn der Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat (vgl. , "Teleos u.a.", Rn. 42; , "Mecsek-Gabona", Rn. 31; , "Traum",Rn. 24; , "Enteco Baltic", Rn 66).
Die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung ist aber zu versagen, wenn sich der Steuerpflichtige an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat, die das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdet hat, und indem er damit nicht im guten Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich zu vergewissern, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt oder wenn die Nichtbeachtung formeller Erfordernisse den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt worden sind (vgl. , "Euro Tyre", Rn 39f mwH; , "Enteco Baltic", Rn 59).
Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 verwendet den Begriff des Anmelders. Dieser Begriff ist dem Zollrecht entnommen. Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der MwSt-SystRL spricht allerdings von dem als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur, das ist gemäß Art. 201 MwSt-SystRL die nach nationalem Recht als Steuerschuldner bezeichnete oder anerkannte Person. Durch den Verweis auf das Zollrecht im § 2 Abs. 1 Zoll RDG und § 26 Abs. 1 UStG 1994 ist der Zollschuldner der Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer (; ).
Der Zollschuldner ist nach Art. 201 Abs. 3 ZK, wenn Waren in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt werden, der Anmelder und im Falle der indirekten Vertretung auch die Person, für deren Rechnung die Zollanmeldungen abgegeben wird. Die Vertretung kann nach Art. 5 Abs. 2 ZK indirekt sein, wenn der Vertreter in eigenem Namen, aber für Rechnung eines anderen handelt.
Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 ist daher richtlinienkonform so auszulegen, dass sowohl der selbst als Anmelder auftretende Importeur, aber auch der vom Anmelder indirekt vertretene Importeur den Tatbestand des Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 erfüllen und die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung ausführen können (siehe ebenfalls ; ).
Gemäß § 3 Abs. 8 UStG 1994 gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer beginnt. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter. Aufgrund der in den gegenständlichen Einfuhrfällen vereinbarte Lieferbedingung "DDU" begegnet die Erklärung der Beschwerdeführerin die genannten Empfänger indirekt vertreten zu haben, keinen Bedenken, zumal es in diesem Fall Sache des Abnehmers ist, die Zollanmeldung vorzunehmen; dieser kann mit der Abwicklung einen Dritten beauftragen, der auch wieder der liefernde Unternehmer sein kann (vgl. Ruppe/Achatz, UStG6, § 3 Tz 172).
Daraus folgt, dass mit Ausnahme des Einfuhrfalles Nr. 6 eine anschließendes innergemeinschaftliches Verbringen (Verbringen zur eigenen Verfügung) vorliegt. Zwischen dem Verbringer und dem Abnehmer besteht Personenidentität. Das Beschwerdevorbringen, dass das Zollamt fälschlicherweise eine Personenidentität zwischen der Beschwerdeführerin und der Vertretenen annehme, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen.
Es ist zwar zutreffend, dass nach der Rechtsprechung des EuGH (siehe "Vetsch Int. Transporte GmbH") die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der MwSt-SystRL normierte Einfuhrumsatzsteuerbefreiung dem gemäß Art. 201 dieser Richtlinie als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur nicht zu versagen ist, wenn der Empfänger, der im Anschluss an diese Einfuhr erfolgenden innergemeinschaftlichen Verbringung bei einem späteren Umsatz, der mit der Verbringung in keinem Zusammenhang steht, eine Steuerhinterziehung begeht. Hierfür darf es jedoch keinen Anhaltspunkt dafür geben, dass der Importeur wusste oder hätte wissen müssen, dass dieser spätere Umsatz in eine vom Empfänger begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.
Der gegenständliche Beschwerdefall ist jedoch anders gelagert. Nach dem EuGH ist die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass einem Steuerpflichtigen im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung das Recht auf Vorsteuerabzug, auf Mehrwertsteuerbefreiung oder auf Mehrwertsteuererstattung zu versagen ist, sofern anhand objektiver Umstände nachgewiesen wird, dass dieser Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch den Umsatz, auf den er sich zur Begründung des betreffenden Rechts beruft, an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat und diese Rechte ungeachtet der Tatsache versagt werden können, dass die Steuerhinterziehung in einem anderen Mitgliedstaat als dem begangen wurde, in dem diese Rechte beansprucht werden, und dass der Steuerpflichtige in letzterem Mitgliedstaat die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen formalen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Recht erfüllt hat (siehe , "Schoenimport "Italmoda" Marino Prviti vof".
Aufgrund der festgestellten Beteiligung der kroatischen Warenempfängerin an einem sogenannten Missing-Trader-Betrug (Einfuhrfälle Nr. 1 bis 5), wovon sie als Verbringerin und gleichzeitig Erwerberin und aufgrund ihrer Rolle als Zwischengesellschaft ("conduit company) wissen musste oder zumindest wissen hätte müssen, war daher die Steuerbefreiung für das im Anschluss an die Einfuhr innergemeinschaftliche Verbringen der Waren von Österreich nach Kroatien schon aus diesem Grund zu versagen. Darauf, ob die Waren in jeden Einfuhrfall tatsächlich physisch (zunächst)nach Kroatien gelangt sind, kommt es hier deshalb nicht mehr an.
Im Einfuhrfall Nr. 6 liegt die für eine Einfuhrumsatzsteuerbefreiung nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 erforderliche Einfuhr aus einem Drittland nicht vor. Eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer als Rückware nach § 6 Abs. 4 Z 8 UStG 1994 ist ausgeschlossen, weil die Waren im Rahmen einer steuerfreien Lieferung aus dem Unionsgebiet ausgeführt wurden und diese Lieferung nicht von demjenigen bewirkt worden ist, der die Gegenstände zurückerhält (lit. c).
Die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer ist in diesem Einfuhrfall aber auch deshalb nicht zu gewähren, weil die Befreiung für eine innergemeinschaftliche Anschlusslieferung nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn den zuständigen Behörden die Identität des neuen Erwerbers bekannt ist. Dies ergibt sich aus dem "Enteco Baltic", in dem der EuGH ein Fortbestehen der Steuerbefreiung davon abhängig macht, dass der Importeur die zuständige Behörde immer ordnungsgemäß über die Änderungen der Identität der Erwerber informiert und der zuständigen Behörde des Einfuhrmitgliedstaates sämtliche Informationen über die Identität des neuen Erwerbers mitgeteilt hat. Der Verzicht auf die Identität des Empfängers würde die Gefahr eines unversteuerten Letztverbrauchs der eingeführten Gegenstände mit sich bringen und daher den Zielen der MwSt-SystRL zuwiderlaufen (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom , VII R 10/21). Das trifft im Beschwerdefall zu.
In allen hier zu beurteilenden Einfuhrfällen liegen somit die Voraussetzungen für eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Anschlusslieferung nicht vor. Es fehlt deshalb an den Voraussetzungen für die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer.
Steuerschuldner der Einfuhrumsatzsteuer, die nach § 26 Abs. 1 UStG 1994 iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG und Art. 204 Abs. 1 ZK entstanden ist, ist nach Art. 204 Abs. 3 ZK die Person, welche die Pflichten aus der Inanspruchnahme dieses Verfahrens oder die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Verfahren zu erfüllen hat. Hier also die Warenempfängerin (vgl. ).
Die Beschwerdeführerin schuldet als Anmelderin die Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 71a ZollR-DG, wenn sie nicht bereits nach Art. 204 Abs. 3 ZK als Schuldnerin in Betracht kommt. Sie ist Gesamtschuldnerin. Die behauptete Gutgläubigkeit der Beschwerdeführerin gegenüber den Warenempfängern mag in einem Verfahren auf Erlass oder Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 239 ZK in Verbindung mit § 83 ZollR-DG zu prüfen sein, welches zum Erlöschen der Zollschuld auch nur gegenüber einem Gesamtschuldner führen kann (vgl. , "Marc Berel u.a."), jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist (vgl. ).
Soweit die Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit darin erblickt, dass das Zollamt das Auswahlermessen nicht entsprechend ausgeübt habe, ist hinsichtlich der Einfuhrfälle Nr. 1 bis 5 festzustellen, dass die kroatische Warenempfängerin bereits im Jahr 2017 nach einem Schnellkonkursverfahren aufgelöst und aus dem Unternehmensregister gestrichen worden ist. Die Durchsetzung des Anspruches gegenüber der Warenempfängerin erweist sich daher als unrealistisch. Es steht somit nur noch die Beschwerdeführerin als Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer zur Verfügung. Auch im Einfuhrfall Nr. 6 erweist sich die Festsetzung der nachzuerhebenden Einfuhrumsatzsteuer gegenüber der Beschwerdeführerin aus Zweckmäßigkeitsgründen geboten. Da die Beschwerdeführerin bei Beachtung des Status der Waren, welcher sich klar aus den ihr im Zeitpunkt der Abfertigung zur Verfügung stehenden Zolldokumenten ergab, die nachträgliche Belastung mit der Einfuhrumsatzsteuer selbst vermeiden hätte können, erweist sich ihre Inanspruchnahme als Schuldnerin auch diesbezüglich nicht als unbillig.
Verzugszinsen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , Ra 2017/16/0098, ausgesprochen, dass die Aufhebung des § 108 Abs. 1 ZollR-DG durch das Abgabenänderungsgesetz 2015 mit (§ 120 Abs. 1v ZollR-DG) nur für jene Sachverhalte gelten soll, die ab diesem Zeitpunkt verwirklicht würden, jedoch § 108 Abs. 1 ZollR-DG für vor dem verwirklichte Sachverhalte seine Maßgeblichkeit behalten soll. Damit werde die Annahme eines unter dem Blickwinkel der Abgabenerhöhung sanktionslosen Zeitraumes bis zur vollen Wirksamkeit der entsprechenden Bestimmung des Art. 114 Abs. 2 UZK vermieden.
Da die Zollanmeldungen im Zeitraum vom bis angenommen wurden und somit die Sachverhalte vor dem verwirklicht worden sind, war auf die sich daraus ergebenden Nachforderungen an Einfuhrumsatzsteuer Art. 114 Abs. 2 UZK noch nicht anzuwenden.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der im Beschwerdefall aufgeworfenen Rechtfragen ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH und des VwGH. Tatsachenfragen sind einer Revision im Allgemeinen nicht zugänglich. Die (ordentliche) Revision war daher als unzulässig zu erklären.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | Art. 6 Abs. 3 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 3 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 1 Abs. 3 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.1200010.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at