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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.12.2024, RV/7100316/2024

Beschwerdevorbringen durch Beweisverfahren in Verhandlung widerlegt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Mahmut Şahinol, Salesianergasse 3 Tür E1, 1030 Wien, Rechtsanwalt, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , betreffend Rückforderung von nach mit Beschwerdevorentscheidung vom ausgesprochener teilweiser Aufhebung verbliebenem Rückforderungsanspruch von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum 02.2020 bis 08.2021, Ordnungsbegriff ***1***, nach Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung am im Beisein der Schriftführerin Nadine Preißl zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO zur Gänze stattgegeben. Der angefochtene Bescheid wird im zeitlichen Restumfang Februar 2020 bis August 2021 aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf) und die Tochter sind türkische Staatsbürger. Beide verfügen über den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU".

Mit Bescheid vom forderte die belangte Behörde von der Beschwerdeführerin (Bf) die im Zeitraum Jänner 2020 bis August 2022 für ihre minderjährige Tochter ***T*** gewährte Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbeträgen gemäß § 26 Abs 1 FLAG iVm § 33 Abs 3 EStG 1988 zurück, weil die zur Berufsausbildung abverlangten Unterlagen für den genannten Zeitraum nicht nachgereicht worden seien (ON1).

Auf das zuvor ergangene Übersprüfungsschreiben vom hatte die Bf mit der Vorlage von Lehrgangsbestätigung und Zeugnis des UIKZ für das Schuljahr 2022/23 reagiert, die außerhalb des Verfahrenszeitraumes lagen (ON 8,9).

Bescheidbeschwerde

In der vom Rechtsanwalt unter Berufung auf die erteilte Vollmacht form- und fristgerecht erhobenen Beschwerde, mit der der angefochtene Bescheid zur Gänze angefochten und dessen Aufhebung begehrt wurde, wurde zunächst darauf hingewiesen, dass §§ 58 Abs 2 AVG und § 60 AVG in Verbindung mit § 67 AVG bestimmte Anforderungen an eine Bescheidbegründung verlangen, die im gegenständlichen Fall nicht erfüllt seien, weil sich daraus nicht ergebe, welcher Mitwirkungspflicht konkret die Bf nicht nachgekommen sei. Tatsächlich habe die Bf sämtliche Urkunden vorgelegt.

Aus den vorgelegten Beweisen ergab sich, dass die Tochter ihre Ausbildung in islamischer Theologie teilweise in der Türkei und teilweise in Österreich absolviert hatte. Die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

Beschwerdevorentscheidung

Sachverhaltsbezogen ging das Finanzamt davon aus, dass sich die Tochter vom Februar 2020 bis August 2021 ständig in der Türkei aufgehalten hat (ON3). Für den auf die im Inland erfolgte Berufsausbildung entfallenden Zeitraum gab die belangte Behörde der Beschwerde statt und hob vom als Sammelbescheid zu betrachtenden Rückforderungsbescheid die Bescheide für die Monate Jänner 2020 und September 2021 bis August 2022 auf. Im Übrigen wies sie die Beschwerde als unbegründet ab, weil für die Tochter wegen ihres ständigen Aufenthaltes in der Türkei gemäß § 5 Abs 3 FLAG 1967 kein Beihilfenanspruch bestehe. Wörtlich wurde in der Begründung nach Wiedergabe der §§ 5 Abs 3 FLAG, 26 Abs 2 BAO ausgeführt:

"Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der ständige Aufenthalt im Sinne des § 5 Abs. 3 FLAG 1967 unter den Gesichtsprunkten des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 26 Abs. 2 BAO zu beurteilen (vgl. 2012/16/0008, mwN, sowie Nowotny in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 5 Rz 9 zweiter Absatz). Die Frage des ständigen Aufenthaltes iSd § 5 Abs. 3 FLAG 1967 ist nicht nach subjektiven Gesichtspunkten sondern nach den objektiven Kriterien der grundsätzlichen körperlichen Anwesenheit zu beantworten (vgl. das zitierte Erkenntnis des und Nowotny, aaO, § 5 Rz 9 erster Absatz)." (ON4,5)

Vorlageantrag (ON6)

Unter Berufung auf die erteilte Vollmacht machte der Rechtsanwalt mit frist- und formgerechtem Vorlageantrag namens der Bf gegen die Beschwerdevorentscheidung inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend und beantragte die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung. Der angefochtene Bescheid verletze die Bf in ihrem subjektiven Recht auf Auszahlung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags im vollen Umfang bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen.

Zum Auslandssachverhalt wurde vorgetragen:

Die Bf habe vier Kinder, mit denen sie gemeinsam mit ihrem Ehemann in Wien wohne. Die Tochter sei ihrer Schulbesuchspflicht durchgängig nachgekommen. Im Streitzeitraum habe sie begonnen, sich außerhalb des Prüfungszentrums für die externen Prüfungen zum Erwerb des türkischen Gymnasialabschlusses vorzubereiten. Diese Ausbildungsform habe keinen Präsenzunterricht angeboten. Vielmehr sei es notwendig gewesen, dass sich die Schüler selbständig auf ihre Prüfungen mit Lernmaterialen vorbereiten. Die Tochter habe alle notwendigen Kurse im Schuljahr 2020/2021 sowie im ersten Semester des Schuljahres 2021/2022 erfolgreich abgelegt.

Weiter wörtlich: "Sie lebte während dieser Zeit bei ihrer Tante in der Türkei (***2***), besuchte aber regelmäßig ihre Familie in Wien und legte ihre externen Prüfungen im Schuljahr 2020/2021 sowie im ersten Semester des Schuljahres 2021/2022 in Wien ab."

Absolvierung der schulischen Teilleistungen in den Jahren 2020 und 2021 habe die Tochter der Türkei den Rücken gekehrt und sei endgültig bei ihren Eltern in Wien verblieben. Dort habe sie in der Folge einen Ausbildungslehrgang für Islamische Theologie der "Kultusgemeinde der Union Islamischer Kulturzentren in Österreich begonnen, um nach Absolvierung des Kurses im Bereich der islamischen Theologie beruflich tätig sein zu können.

Folgende Beweise (ON wurden zum Sachverhalt vorgelegt:

  • PV;

  • Türkische Schulzeugnisse aus den Jahren 2020 und 2021 (Beilage ./2);

  • Schulbesuchsbestätigung des türkischen Ferngynasiums vom (Beilage ./3)

  • Einsicht in das ZMR (historische Melderegisterauskunft)

  • weitere Beweise vorbehalten.

Zur inhaltliche Rechtswidrigkeit wurde ausgeführt:

Diese sei gegeben, weil obiger Sachverhalt nicht die Annahme zulasse, die Tochter sei im Streitzeitraum in der Türkei aufhältig gewesen und habe aus diesem Grund keinen Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe.

Wörtlich wurde vorgetragen:

"Voraussetzung für einen Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe ist gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967, dass die den Anspruch geltend machende Person den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet hat und dass sich die Kinder ständig in Österreich aufhalten. Bei der Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensinteressen ist das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse entscheidend, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt (vgl. 2008/15/0114). Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln (vgl. VwGH29.1.2015, Ra 2014/15/0059). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) ist der ständige Aufenthalt im Sinne des § 5 Abs. 3 FLAG unter den Gesichtspunkten des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 26 Abs. 2 Bundesabgabenordnung (BAO) zu beurteilen.

Danach hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Abgabevorschriften dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Wer sich in einem Land unter erkennbaren Umständen aufhält, dass er dort nicht nur vorübergehend verweilt, von dem muss bei objektiver Betrachtung angenommen werden, dass er sich in diesem Land ständig aufhält (vgl 2008/15/0323, 2008/13/0072).

In seinem Erkenntnis vom (GZ 2002/14/0103) hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass ein auf voraussichtlich fünf Jahre angelegter Schulbesuch im Ausland keinesfalls als "vorübergehender" Aufenthalt im Ausland im Sinne von § 5/3 FLAG gewertet werden kann.

Es ist festzuhalten, dass es keinesfalls geplant war dass die Tochter der Beschwerdeführerin länger als eineinhalb Jahre im Ausland aufhältig ist.

Dass sich die Tochter während ihres Türkeiaufenthalts selbständig auf die externen Prüfungen vorbereitete, schadete ihrem Aufenthalt im Bundesgebiet im strittigen Zeitraum vom Februar 2020 bis zum August 2021 nicht, zumal sie regelmäßig ihre Familie besuchte. Das Familienlastenausgleichsgesetz enthält keine nähere Umschreibung des Begriffes "Berufsausbildung".

[…]

Im Ausschussbericht (AB 290 BlgNR 26. GP) wird zur Novelle des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (BGBl I 83/2018) ausdrücklich festgehalten, dass der Ausschuss "davon ausgeht", dass Familien bzw. Eltern, die ihren Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich haben und deren haushaltszugehörige Kinder nur vorübergehend für Ausbildungszwecke im Ausland studieren, weiterhin Anspruch auf die volle Familienbeihilfe für diese Kinder haben. In diesem Zusammenhang gilt die Haushaltszugehörigkeit - unabhängig von der Dauer des Studiums - nicht als aufgehoben.

Das Studium im Ausland ist - so der Ausschussbericht - als Berufsausbildung wie ein Studium im Inland anzusehen und ist analog zu den Bestimmungen des FLAG für die Absolvierung von Studien in Österreich zu prüfen und zu beurteilen (insb in Bezug auf die Studiendauer und den Studienerfolg; vgl. Bleyer/Tuma in LexisNexis Rechtsnews 26457).

Nachdem es sich bei einem Studium um eine höhere Berufsausbildung handelt, muss das zur Nichtaufhebung der Haushaltszugehörigkeit Gesagte umso mehr für einen Schulbesuch einer allgemeinbildenden Schule gelten (argumentum a maiore ad minus).

Nach Absolvierung der schulischen Teilleistungen in den Jahren 2020 und 2021 kehrte die Tochter der Beschwerdeführerin der Türkei den Rücken und verblieb endgültig bei ihren Eltern in 1020 Wien. In der Folge begann sie einen Ausbildungslehrgang für Islamische Theologie der "Kultusgemeinde der Union Islamischer Kulturzentren in Österreich", um nach Absolvierung des Kurses im Bereich der islamischen Theologie beruflich tätig sein zu können.

Es wird festgehalten, dass [die Tochter] während der Zeit der ausbildungsbezogenen Abwesenheit von Österreich ihren Niederlassungswillen für das Bundesgebiet nie aufgegeben hat.

Aus advokatorischer Vorsicht wird zudem darauf hingewiesen, dass die Anwendung des § 5 Abs 3 FLAG verfassungswidrig ist. Im Hinblick auf die im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom herausgearbeitete Funktion der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages als Äquivalent für eine dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechende Berücksichtigung von Unterhaltslasten ist der Ausschließungsgrund vom Bezug der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages sachlich nicht zu rechtfertigen: Ein in Österreich unbeschränkt Steuerpflichtiger ist unabhängig vom Aufenthaltsort seines Kindes zur Unterhaltsleistung gesetzlich verpflichtet.

Rechtspolitische Überlegungen wie bspw. die besondere Förderung von Familien österreichischer Staatsbürger gehen fehl, weil die Familienbeihilfe lediglich auf den Aufenthalt im Bundesgebiet abstellt. Der Ort des ständigen Aufenthaltes des Kindes ist kein dem Gesetzeszweck entsprechendes Differenzierungsmerkmal und führt zur Gleichbehandlung von Personen mit Unterhaltsverpflichtungen mit Personen ohne Unterhaltsverpflichtungen. Der ständige Aufenthalt im Ausland als Ausschließungsgrund wäre nur in Kombination mit einer dadurch erlangten Berechtigung zum Bezug einer vergleichbaren ausländischen Beihilfe gerechtfertigt (vgl. Farmer, Verlust der Familienbeihilfe bei Auslandsstudium verfassungswidrig? RdW 1998, 498 mwN). Eine der Familienbeihilfe gleichkommende staatliche Leistung hat die Beschwerdeführerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht erhalten und sie musste ihrer Tochter in diesem Zeitraum - trotz vorübergehender Abwesenheit der Tochter - weiterhin Unterhaltszahlungen leisten."

Folgende Beweise wurden zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit vorgelegt:

  • wie bisher;

  • weitere Beweise bleiben vorbehalten.

Die Beilage ./1 bezieht sich auf den Nachweis der Rechtzeitigkeit des Vorlageantrages.

Vorlagebericht:

Mit Bericht vom 29. Jänner 204 wird die Beschwerde mitsamt Bezug habenden Aktenteilen dem BFG in elektronischer Form vorgelegt und beantragt, der Beschwerde iSd Beschwerdevorentscheidung teilweise stattzugeben.

[…] Gemäß § 2 Abs 1 lit. a FLAG 1967 stehe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder Familienbeihilfe zu. Kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe für Kinder, die sich dauernd im Ausland aufhalten (§ 5 Abs 3 leg. cit.). Die Problematik des ständigen oder dauernden Aufenthaltes sei nach den Kriterien eines gewöhnlichen Aufenthaltes, wie er in § 26 Abs 1 BAO definiert wird, zu beurteilen (vgl. ; , 2007/15/0055; , 2002/14/0103). Dabei spielten subjektive Momente wie die Frage nach dem Mittelpunkt der Lebensinteressen keine Rolle, stattdessen sei auf das objektive Kriterium der körperlichen Anwesenheit abzustellen. Aus der Notwendigkeit der körperlichen Anwesenheit folge, dass eine Person nur einen Aufenthalt haben kann, allerdings muss eine Person nicht ununterbrochen an einem Ort anwesend sein, um dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu haben. Bei vorübergehender Abwesenheit werde der Zustand des Verweilens nicht unterbrochen und damit auch nicht der gewöhnliche Aufenthalt (vgl. ). Dieses Verweilen gelte dann nicht mehr als vorübergehend, wenn sich der Aufenthalt über einen längeren Zeitraum erstrecke (). Die bloße Tatsache, dass ein Aufenthalt zeitlich begrenzt sei, mache diesen nicht zu einem vorübergehenden Aufenthalt (). Ein Aufenthalt von fünf Monaten im Ausland könne als gerade noch vorübergehend angesehen werden, ein einjähriger Schulbesuch im Ausland führe hingegen zu einem ständigen Auslandsaufenthalt (vgl. Lenneis/Wanke, FLAG2, Rz 9 zu § 5).

Zum ins Treffen geführten Ausschussbericht wurde keine Stellungnahme abgegeben.

Mündliche Verhandlung am

Die beantragte Verhandlung fand am am Sitz des BFG, Hintere Zollamtsstraße 2b, 1030 Wien, Saal 1F05, in der Zeit von 10:10 bis 11.30 Uhr statt. Die Bf und die als Zeugin geladene Tochter sind erschienen. Der Rechtsanwalt erschien nicht.

Die Bf war vom BFG zur Mitnahme des Reisepasses der Tochter aufgefordert worden und legte diesen vor. Vom Reisepass wurden Kopien angefertigt, wovon eine der Amtspartei ausgehändigt wurde.

Die Tochter (nicht fremd, rechtsbelehrt und wahrheitserinnert) war zu einer Zeugenaussage bereit und gab an, dass sie sich während des gesamten Zeitraumes 02.2020 bis 08.2022 in Österreich aufgehalten habe.

Diese Aussage ist durch die Stempel im Reisepass der Tochter belegt, der für den Streitzeitraum keine Stempeleinträge ausweist, jedoch für Zeiträume davor und danach.

Die Beweisaufnahme ergab, dass die vom Rechtsanwalt im Vorlageantrag gemachten Ausführungen nicht den Tatsachen entsprachen, sondern sich auf Zeiten ab September 2022 beziehen. Während des gesamten Rückforderungszeitraumes laut angefochtenem Bescheid hat sich die Tochter in Österreich aufgehalten. Das gaben Tochter und die Bf übereinstimmend an. Die Amtsvertreterin hat ebenfalls Einsicht in den vorgelegten Reisepass genommen und den Inlandsaufenthalt der Tochter im hg anhängigen Streitzeitraum 02.2020 bis 08.2021 als erwiesen angesehen. Sie beantragte die Stattgabe der Beschwerde und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die mündliche Verhandlung schloss mit der Verkündung des Erkenntnisses, mit dem die Aufhebung des angefochtenen Bescheides ausgesprochen und die ordentliche Revision nicht zugelassen wurden.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Bescheidbeschwerde und Vorlageantrag sind form- und fristgerecht. Die Beschwerde ist überdies berechtigt.

Zunächst sei erwähnt, dass in Abgabenverfahren die Bundesabgabenordnung die einschlägige Prozessordnung ist.

Der Rückforderungsbescheid nach § 26 FLAG 1967 ist ein Sammelbescheid. Gibt die Beihilfebehörde einer gegen den Rückforderungsbescheid gemäß § 26 FLAG 1967, der als Sammelbescheid anzusehen ist, gerichteten Bescheidbeschwerde hinsichtlich einiger Zeiträume statt, weil nach der Sachlage für diesen Zeitraum ein Rückforderungsbescheid nicht hätte ergehen dürfen, so hat der Spruch der Beschwerdevorentscheidung gemäß § 263 Abs 1 BAO auf Aufhebung der isoliert rechtskraftfähigen Monatsbescheide zu lauten ().

Im Beschwerdefall gelangte die belangte Behörde zu der Ansicht, dass der Rückforderungsbescheid für bestimmte Monate nicht hätte ergehen dürfen und sprach mit Beschwerdevorentscheidung die Aufhebung der Monatsbescheide Jänner 2020 und September 2021 bis Auguste 2022 aus. Damit sind diese Monatsbescheide bereits in formale Rechtskraft erwachsen, sodass dem Antrag laut Vorlagebericht auf Entscheidung iSd BVE nicht entsprochen werden kann. Über formal rechtskräftig gewordene Einzelbescheide eines Sammelbescheides kann im selben Beschwerdeverfahren nicht nochmals abgesprochen werden (nochmals BFG RV/7100390/2019). Mit der BVE wurde im Übrigen die Abweisung der Beschwerde ausgesprochen. Durch die Abweisung der Beschwerde über den Zeitraum Februar 2020 bis August 2021 wurde der ursprüngliche Sammelbescheid im zeitlich eingeschränkten Umfang im Rechtsbestand belassen. Darin ist keine Abänderung des Sammelbescheides iSd § 263 Abs 1 BAO zu erblicken, wie sie in der BVE neben Aufhebung und Abweisung weiters ausgesprochen wurde.

Mit dem Spruch der BVE korrespondierend, wurde mit dem Vorlageantrag nur mehr Vorbringen zum verbliebenen Streitzeitraum erstattet und nur in diesem zeitlich reduzierten Umfang hat das BFG aufgrund des Vorlageantrages sachliche Zuständigkeit zur Entscheidung über die den Sammelbescheid erhobene Beschwerde erlangt. In diesem reduzierten Umfang bildet der Spruch des ursprünglich ergangenen Sammelbescheides den Beschwerdegegenstand des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens.

1. Rechtsgrundlagen:

Gemäß § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 (Familienlastenausgleichsgesetz 1967) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für ihre minderjährigen Kinder.

Gemäß § 2 Abs 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. […]

Nach § 2 Abs 5 FLAG 1967 gehört ein Kind dann zum Haushalt einer Person, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt ua nicht als aufgehoben, wenn

a) sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält,

b) das Kind für Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt,

[….]

Gemäß § 2 Abs 8 FLAG 1967 haben nur Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben.

§ 3 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

(1) "Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

(2) Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG oder nach § 54 AsylG 2005 rechtmäßig in Österreich aufhalten.

..."

Nach § 5 Abs 3 FLAG 1967 besteht für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten, kein Anspruch auf Familienbeihilfe.

§ 26 Abs 1 FLAG 1967 lautet:

"Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat diese entsprechenden Beträge zurückzuzahlen."

Nach § 33 Abs 3 EStG 1988 steht für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, kein Kinderabsetzbetrag zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.

§ 26 Abs 2 Bundesabgabenordnung (BAO) sieht vor:

"Den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn der Abgabenvorschriften hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt."

2.1. Sachverhalt

Die Bf und ihre Tochter sind türkische Staatsbürger und im Besitz der Karte "Daueraufenthalt-EU". Beide sind in Wien gemeldet und leben in Wien in einem gemeinsamen Haushalt. Die Tochter hat im gegenständlichen Streitzeitraum ihre Ausbildung im Inland in Form eines Fernstudiums betrieben. In der Türkei hielt sie sich erst ab September 2022 auf.

2.2. Beweiswürdigung

Beweismittel: Niederschriften von der Verhandlung und der Zeugenaussage, Zeugnis ON7, Reisepass der Tochter

Die Einsichtnahme in den Reisepass ergab keine Reisebewegung für eine Ausreise aus Österreich im Februar 2022 und keinen Nachweis für Aufenthalte in der Türkei, die über die Dauer eines üblichen Urlaubs (vorwiegend im August) hinausgingen. Der Aufenthalt bei der Tante in der Türkei iZm der Ausbildung der Tochter ist erst nach dem August 2022 erfolgt.

Die vom Rechtsanwalt im Vorlageantrag gemachten Angaben, die Tochter der Bf habe im Streitzeitraum in der Türkei bei ihrer Tante gelebt, stehen in Widerspruch zu den in der Verhandlung erhobenen Beweisen. Auch die umfassenden rechtlichen Ausführungen zur Unschädlichkeit des Auslandsaufenthaltes lassen erkennen, dass die rechtliche Vertretung von einem Auslandsaufenthalt der Tochter ausging, wofür die Bf Unterhaltszahlungen geleistet haben soll.

Das BFG geht von einem Missverständnis zwischen Partei und rechtsfreundlicher Vertretung aus, was die ZEITLICHE EINORDNUNG der Fakten betrifft.

Die Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Bescheid erweist sich ebenso als unschlüssig, weil ein Fernstudium an einer in der Türkei gelegenen Einrichtung mit einem Auslandsaufenthalt in der Türkei grundsätzlich nicht ein Einklang steht. Das bereits aktenkundige und von der belangten Behörde im Zuge der Beschwerdevorlage vorgelegte Zeugnis (ON7) wurde von der türkischen Botschaft in Wien ausgestellt, weil es sich um ein Fernstudium handelte, wodurch ein Aufenthalt in der Türkei nicht erforderlich war und auch nicht erfolgt ist. Ohne nähere Ausführungen hätte ein Präsenzstudium einen Türkeiaufenthalt erklären können, jedoch nicht ein Fernstudium. Der nachfolgende Auslandsaufenthalt mit Wohnmöglichkeit bei der Tante, der regelmäßig durch Besuche nach Österreich unterbrochen wurde, erfolgte nach Aussage der Tochter, weil sie infolge schulischen Misserfolges Nachhilfe benötigt hat. Von der Nachhilfe in Form des Präsenzunterrichts vor Ort habe sie besser profitiert als durch Nachhilfe per Fernunterricht.

3. Rechtliche Beurteilung

a. Zu Spruchpunkt I.

Die Bf und die Tochter erfüllen laut Sachverhalt sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach dem FLAG 1967, wie die Amtsvertreterin in der Verhandlung selbst eingeräumt hat. Somit erweist sich die Rückforderung als rechtswidrig.

Eine allgemeine Vollmacht umfasst auch die Zustellvollmacht. Die Bf wurde informiert, dass die Zustellung nicht an sie erfolgen könne. Ungeachtet des Nichterscheinens der rechtsfreundlichen Vertretung zur mündlichen Verhandlung ist das Erkenntnis dem Rechtsanwalt zuzustellen.

b. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der Beschwerdefall hat keine Rechtsfrage in obigem Sinn aufgeworfen. Das BFG hat aufgrund des Ergebnisses des durchgeführten Ermittlungsverfahrens den Sachverhalt neu festgestellt.

Wien, am

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