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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.10.2024, RV/3100775/2020

Eintritt der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen - mehrere ärztliche Gutachten

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/3100775/2020-RS1
Das Finanzamt und auch das Bundesfinanzgericht sind grundsätzlich an die Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen gebunden und dürfen diese nur hinsichtlich Schlüssigkeit, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit prüfen (vgl zB , oder ).
RV/3100775/2020-RS2
Sachverständige haben fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen (vgl zB ).
RV/3100775/2020-RS3
Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl , , , und ).
RV/3100775/2020-RS4
Der Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Rehabilitationsgeld setzt voraus, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine dauernde Erwerbsunfähigkeit bestanden hat.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Familienbeihilfe ab Juni 2014

zu Recht erkannt:

I.

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Eingabe vom begehrte der Antragsteller die Gewährung des Grundbetrages an Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung im Eigenbezug rückwirkend ab 2014. Beigelegt war dieser Eingabe eine Aufstellung der monatlichen Lebenshaltungskosten, eine Meldebestätigung, ein Staatsbürgerschaftsnachweis, eine Ausweiskopie, eine Mietvertragsverlängerung, eine Mietenbestätigung, die Bewilligung einer Mietzinsbeihilfe, eine Kopie des Behindertenpasses samt dem diesem zugrundeliegenden ärztlichen Gutachten, eine Rehabilitationsgeldbestätigung, eine ärztliche Bestätigung eines Krankenhauses sowie eine Bestätigung der Kindesmutter, dass sie keine Unterhaltsleistungen erbringe.

Das Finanzamt ersuchte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen um Erstellung einer auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten basierenden Bescheinigung über die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Daraufhin wurde ein ärztliches Gutachten erstellt, nach welchem der Grad der Behinderung ab Oktober 2019 60% betrage und der Antragsteller voraussichtlich dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Diese Unfähigkeit sei nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten.

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom ab. Einerseits wäre eine rückwirkende Gewährung für maximal fünf Jahre möglich, andererseits wäre nach dem ärztlichen Gutachten die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten und habe sich der Antragsteller nach Vollendung des 21. Lebensjahres nicht mehr in Berufsausbildung befunden.

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Der Antrag wurde insoweit konkretisiert, dass die Gewährung der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag ab Juni 2014 begehrt werde. Begründet wurde die Beschwerde unter den Überschriften "Inhaltliche Anforderungen an Gutachten des Sozialministeriumsservice" und "Kenntnis des vollständigen Gutachtens" im Wesentlichen mit der Zitierung der Rechtsprechung und eines Auszuges aus einer Zeitschrift. Im Weiteren wurde sodann ausgeführt, dass die Erkrankung, die letztlich zur voraussichtlich dauernden Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen führte, bereits vor dem 21. Lebensjahr bestanden habe, jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt diagnostiziert worden sei.
Beigelegt wurden der Beschwerde der bekämpfte Bescheid vom , das ärztliche Sachverständigengutachten vom , eine ärztliche Bestätigung aus dem Jahr 2019 und Befundberichte aus den Jahren 2014 und 2015 sowie der in der Beschwerde zitierte Zeitschriftenartikel.

Wiederum wurde das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen befasst. Aus dem neu erstellten ärztlichen Gutachten vom und der darauf basierenden Bescheinigung ergibt sich nunmehr (für den vorliegenden Fall relevant), dass die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen bereits vor dem vollendeten 21. Lebensjahr eingetreten ist.
Mit Mail vom wurde das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Hinweis auf die Begutachtungen aus dem Jahr 2005, 2012, 2019 und 2020 um eine ergänzende Stellungnahme ersucht.
Als Reaktion auf dieses Mail wurde ein ärztliches Gutachten vom übermittelt, mit welchem bestätigt wurde, dass die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen bereits vor dem vollendeten 21. Lebensjahr eingetreten ist.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab. Es hielt fest, dass der Beschwerdeführer im März 2014 das 21. Lebensjahr vollendet habe und ärztliche Gutachten vom (gemeint wohl: ), , , und vorliegen würden. Der Beschwerdeführer habe im streitgegenständlichen Zeitraum Kranken- bzw Arbeitslosengeld bezogen und sei ab 2018 tageweise bei einer Sicherheitsfirma beschäftigt gewesen.
Befunde über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers lägen erst ab Dezember 2014 vor. In den letzten beiden Gutachten wäre jedoch ausgeführt worden, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass die "dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr" eingetreten sei. Festzustellen sei, dass es außer Streit stehe, dass der Beschwerdeführer unter bestimmten Erkrankungen gelitten habe. Es wäre aber die Frage zu beantworten, wann sich die Erkrankungen in Kombination derart manifestiert hätten, "dass sie die Erwerbsunfähigkeit beim Bf. ausgelöst" hätten. Diese Frage wäre weder im letzten, noch im vorletzten Gutachten beantwortet worden. Im Gegensatz dazu wäre im Gutachten vom angeführt, dass eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr nicht festgestellt werden könne, da keine Befunde vorhanden seien. Zudem wäre im Gutachten vom ein Behinderungsgrad von lediglich 30% festgestellt und die dauernde Erwerbsunfähigkeit verneint worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer 19 Jahre alt gewesen und wäre es nicht nachvollziehbar, dass sich sein Zustand binnen zwei Jahren derart stark verändert habe zumal auch keine Befunde darüber vorlägen.

Daraufhin beantragte der Einschreiter die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Es läge der Behörde sehr wohl ein Beweis dafür vor, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei. Die Antwort auf die Frage, ob die einer selbständigen Unterhaltsverschaffung entgegenstehende Behinderung vor oder nach dem im Gesetz genannten Zeitpunkt eingetreten sei, ergebe sich aus dem in der abweisenden Beschwerdevorentscheidung zitierten Gutachten, wonach mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit auf Grund der dort beschriebenen Symptomatiken und dem Drogenmissbrauch bereits vor dem 21. Lebensjahr bestanden habe.

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte die Abweisung.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer wurde am xx. März 1993 geboren und vollendete das 21. Lebensjahr somit am xx. März 2014. Er ist österreichsicher Staatsbürger, ledig und lebt in einem eigenen Haushalt.

In den Jahren 2014 und 2015 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld und war beim AMS als arbeitssuchend gemeldet, von Oktober 2015 bis Mai 2020 bezog er Rehabilitationsgeld, ab Juni 2020 eine Berufsunfähigkeitspension.

Mit und nach Vollendung des 21. Lebensjahres stand der Beschwerdeführer nicht mehr in Berufsausbildung.

Dass der Beschwerdeführer bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres voraussichtlich dauernd außer Stande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist nicht nachgewiesen.

2. Beweiswürdigung

Die persönlichen Daten ergeben sich unstrittig aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes. Die Feststellungen zum Bezug von Rehabilitationsgeld und Berufsunfähigkeitspension beruhen auf den Daten des sozialversicherungsrechtlichen Auskunftsverfahrens.

Der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres nicht mehr in Berufsausbildung befand, ergibt sich aus den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen im Abweisungsbescheid vom .

Zur Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist ebenso unstrittig, dass diese im Zeitpunkt der letzten drei Gutachtenserstellungen (in den Jahren 2019 bzw 2020) zu bejahen war.
Hinsichtlich des Zeitpunktes, zu welchem die Beeinträchtigung ein Maß erreicht hat, welches dazu führt, dass der Beschwerdeführer voraussichtlich dauernd außer Stande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, liegen unterschiedliche Aussagen in den ärztlichen Gutachten, welche die Grundlage für die Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen bilden, vor.
Im Einzelnen befinden sich folgende, auf ärztlichen Gutachten basierende, Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen im Akt bzw wurde das Gutachten aus dem Jahr 2017 vom Bundesfinanzgericht beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen angefordert:
1. Bescheinigung vom
2. Bescheinigung vom
3. Sachverständigengutachten vom
4. Bescheinigung vom
5. Bescheinigung vom
6. Bescheinigung vom
Während in der ersten und zweiten Bescheinigung festgestellt wird, dass keine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen besteht und im ärztlichen Sachverständigengutachten aus dem November 2017 (zur Erlangung eines Behindertenpasses) darauf Bezug genommen wird, dass keine Hinweise auf einen sozialen Abstieg oder soziale Isolation vorlägen und eine Erwerbstätigkeit (auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem integrativen Betrieb) möglich ist, wird die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen in der dritten Bescheinigung bejaht, der Eintritt dieser Unfähigkeit jedoch erst mit einem Zeitpunkt nach Vollendung des 21. Lebensjahres festgelegt. In der vierten und fünften Bescheinigung wird die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ebenfalls bejaht und deren Eintritt mit einem Zeitpunkt vor Vollendung des 21. Lebensjahres festgelegt.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerde auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach das Finanzamt und auch das Bundesfinanzgericht grundsätzlich an die Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen gebunden sind und diese nur hinsichtlich Schlüssigkeit, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit prüfen dürfen (vgl zB , oder ). Weiters hat der Beschwerdeführer selbst darauf hingewiesen, dass sich aus der Rechtsprechung ergibt, dass Sachverständige fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen haben und ihre Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen dürfen (vgl zB ).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine zu einer Erwerbsunfähigkeit führende geistige oder körperliche Behinderung Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 2 Abs 1 lit c bzw § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl , , , und ).
Es liegt primär an den Beschwerdeführern, den behaupteten Sachverhalt, nämlich ihre bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene(voraussichtlich) dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 32).
Unter diesen Gesichtspunkten sind die vorliegenden ärztlichen Gutachten und die auf Basis derer erstellten Bescheinigungen zu prüfen.
Dazu ist festzuhalten, dass im gegenständlichen Fall sechs ärztliche Gutachten vorliegen, fünf davon wurden im Familienbeihilfenverfahren, eines in einem Verfahren zur Erlangung eines Behindertenpasses erstellt. Von den auf den Gutachten im Familienbeihilfenverfahren basierenden Bescheinigungen wurden zwei zu einem Zeitpunkt vor Vollendung des 21. Lebensjahres, drei nach Vollendung des 21. Lebensjahres, erstellt.
Das ärztliche Gutachten im Passverfahren wurde im Jahr 2017 und damit drei Jahre nach Vollendung des 21. Lebensjahres erstellt. Die letzten drei Bescheinigungen wurden in den Jahren 2019 und 2020 und somit mehr als fünf Jahre nach Vollendung des 21. Lebensjahres erstellt.
In den Bescheinigungen aus dem Jahr 2005 und dem Jahr 2012 wird ein Gesamtgrad der Behinderung von 20 bzw 30% festgestellt. Zudem wurde keine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen attestiert.
Im ärztlichen Gutachten aus dem Jahr 2017 wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 50% festgestellt und die Fähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem integrativen Betrieb bejaht.
In der Bescheinigung aus dem Jahr 2019 wird auf Grund einer paranoiden Schizophrenie und dem Verweis auf die im Verlauf zunehmende Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Grad der Behinderung auf 60% erhöht und festgestellt, dass der Beschwerdeführer voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dass dieser Umstand vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist, wird nicht bescheinigt. Es würde zwar dem Arztbrief vom entnommen werden können, dass bereits zu diesem Zeitpunkt psychiatrische Behandlungen und Vorstellungen bzw "eventuell" auch stationäre Aufnahmen vorgekommen seien. Somit könnte bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eine deutliche Einschränkung durch den damaligen Suchtmittelmissbrauch vorgelegen haben. Es würden jedoch keine Befunde vorliegen, die eindeutig das Vorliegen einer schizophrenen Erkrankung vor Vollendung des 21. Lebensjahres bestätigen würden.
Unter Berücksichtigung der im Zuge der Beschwerde vorgelegten Befunde wurde am eine neue Bescheinigung erstellt. Dieser liegt das ärztliche Sachverständigengutachten vom zu Grunde, mit welchem ein Schreibfehler aus dem Vorgutachten (hinsichtlich der erstmaligen Diagnose einer paranoiden Schizophrenie) korrigiert wird. Hinsichtlich der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen wurde diese wiederum bejaht, der Eintritt als vor dem vollendeten 21. Lebensjahr angenommen. Es lägen zwar weiterhin keine Befunde vor, die das Bestehen einer schizophrenen Krankheitssymptomatik oder Diagnose bereits zu Beginn des Jahres 2014 bestätigen würden, aus den Befunden lasse sich aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Schluss ableiten, dass bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres erste psychotisch-schizophrene Symptome mit entsprechendem Leistungsknick und Leistungseinbußen bestanden hätten.
Daraufhin kam es zu einem neuerlichen ärztlichen Gutachten und einer weiteren Bescheinigung vom . Die Feststellungen blieben zum Vorgutachten unverändert. Begründet wurde hinsichtlich der Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, dass zwar weiterhin keine Befunde vorliegen würden, die einen Krankheitsbeginn vor Vollendung des 21. Lebensjahres bestätigen würden, aber Vieles darauf hinweisen würde. Der erste psychiatrische Befund, welcher eine Drogenerkrankung und eine psychotische Störung feststellt, stamme aus dem Dezember 2014. Erfahrungsgemäß würden sich solche Störungen bereits einige Zeit entwickeln, bevor medizinische Hilfe in Anspruch genommen werde und würde die Inanspruchnahme adäquater ärztlicher Behandlung meist erheblich zeitverzögert beginnen. Es könne daher gesagt werden, dass - unter Beachtung der Krankengeschichte - bereits vor dem 21. Geburtstag erhebliche psychische Krankheitssymptome und damit Arbeitsunfähigkeit vorgelegen haben.

Damit bewegen sich die ärztlichen Aussagen in den letzten zwei Gutachten jedoch mangels konkreter Beweismittel im Bereich der Spekulation und lassen fundierte und auf konkreten Feststellungen beruhende wissenschaftlich belegbare Aussagen vermissen. Dies umso mehr, als nach der gängigen Lehre im Bereich der antragsgebundenen Familienbeihilfe primär die Antragstellerin oder der Antragsteller selbst dafür verantwortlich sind, entsprechende Beweismittel vorzulegen, die Rückschlüsse auf Gegebenheiten, die längere Zeit zurückliegen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels zulassen. Zudem kommt dem Zeitpunkt, zu dem eine oder mehrere Gesundheitsschädigungen (erstmals) eingetreten sind, keine entscheidende Bedeutung zu. Vielmehr ist ausschließlich der Zeitpunkt relevant, ab dem die Gesundheitsschädigung ein Ausmaß erreicht, das dazu führt, dass die Betroffene bzw der Betroffene voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Weiters ist zu beachten: Nach § 7 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG), BGBl 609/1977, besteht Anspruch auf Arbeitslosengeld unter anderem unter der Voraussetzung, dass die betroffene Person arbeitsfähig und arbeitswillig ist. Nach § 8 Abs 1 AlVG ist arbeitsfähig, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist. Diese Voraussetzungen müssen auch für den Bezug von Notstandshilfe vorliegen (§ 33 Abs 2 AlVG). Wenn der Pensionsversicherungsträger im Zuge der Antragstellung auf Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension keine dauerhafte, aber eine mindestens sechs Monate andauernde Invalidität oder Berufsunfähigkeit feststellt, ist es Aufgabe der Krankenversicherung Unterstützung bei der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zu gewähren. Zur finanziellen Unterstützung während dieses Zeitraumes wird Rehabilitationsgeld an die Betroffenen bezahlt (§ 143a ASVG).

Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Beschwerdeführer bereits in seiner Jugend an gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leiden hatte, welche im Wesentlichen auf (damals diagnostiziertem) Suchtmittelmissbrauch und ADHS zurückgeführt wurden. In den Jahren 2014 und 2015 erfolgte über viele Monate Arbeitslosengeldbezug und war der Beschwerdeführer als Arbeit suchend gemeldet, was nach den gesetzlichen Vorschriften des AlVG Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit voraussetzt.
Im Akt liegt auch ein Befundbericht vom auf, in welchem (erstmals) die Diagnose "Paranoide Schizophrenie" gestellt wurde. Diesem Befundbericht ist einerseits zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer sich empfohlenen Therapien verweigert, andererseits aber auch, dass von den behandelnden Ärzten empfohlen wird, einen Antrag auf Rehabilitationsgeld zu stellen. Eine derartige Empfehlung setzt in Kenntnis der gesetzlichen Vorschriften voraus, dass keine dauerhafte Berufsunfähigkeit festgestellt wurde. Dass Rehabilitationsgeld sodann ab Oktober 2015 auch (über mehrere Jahre) gewährt wurde, ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine dauerhafte Berufsunfähigkeit bestanden hat, da nicht davon auszugehen ist, dass die zuständigen Stellen in völliger Missachtung der gesetzlichen Vorgaben Arbeitslosengeld oder Rehabilitationsgeld gewähren würden, wenn zu den damaligen (nach Vollendung des 21. Lebensjahres gelegenen) Zeitpunkten tatsächlich (schon) eine voraussichtlich dauernde Arbeitsunfähigkeit bestanden hätte.

In der Bescheinigung vom wird zur Begründung der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und zu deren Eintritt vor Vollendung des 21. Lebensjahres ausgeführt, dass sich aus den Befunden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ableiten lasse, "dass bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht nur eine ADS-Symptomatik und ein Drogenmissbrauch, sondern bereits erste psychotisch-schizophrene Symptome mit entsprechendem Leistungsknick und Leistungseinbußen bestanden" hätten und "von einer kontinuierlichen Entwicklung psychotischer Symptome und einer entsprechenden Symptomatik bereits vor Diagnoseerstellung ausgegangen werden" könne. Dadurch wird jedoch keine Aussage dazu getroffen, ob die Krankheit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres zu einer derart erheblichen Behinderung geführt hat, dass bereits damals eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt wurde. Das der Bescheinigung zu Grunde liegende ärztliche Gutachten ist daher in diesem Punkt weder schlüssig noch nachvollziehbar.
Aus diesem Grund hat das Finanzamt mit Mail vom auch um weitere Aufklärung ersucht. In dem der Bescheinigung vom zu Grunde liegenden ärztlichen Gutachten wurde zur Begründung der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und zu deren Eintritt vor Vollendung des 21. Lebensjahres ergänzend ausgeführt, dass für die Annahme für einen "Krankheitsbeginn" spreche, dass sich solche Störungen erfahrungsgemäß bereits einige Zeit bevor medizinische Hilfe in Anspruch genommen werde, "entwickeln" würden. Der in der Folge gezogene Schluss, dass unter Berücksichtigung der zusätzlichen Erkrankungen bereits vor dem 21. Geburtstag erhebliche Krankheitssymptome vorgelegen haben mögen, ist grundsätzlich (auch für einen medizinischen Laien) aus den Befundberichten ableitbar. Ebenso mag es sein, dass eine "Arbeitsunfähigkeit" bestanden hat (lt Befundbericht Krankenstand und Anleitung zur Beantragung von Rehabilitationsgeld). Dass diese aber bereits zum damaligen Zeitpunkt voraussichtlich dauernd sein werde, lässt sich schlüssig daraus nicht ableiten. Gerade das Gegenteil ist der Fall, weil dem oben bereits erwähnten Befundbericht aus dem Jahr 2015 (seitens des Beschwerdeführers nicht in Anspruch genommene) Therapieangebote zu entnehmen sind und der Bezug von Rehabilitationsgeld (siehe oben) klar gegen eine bereits damals vorgelegene dauernde Berufsunfähigkeit spricht. Damit ist auch die zweite Bescheinigung aus dem Jahr 2020 unschlüssig und kann dieser Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden.

Somit verbleibt die Bescheinigung vom . In dieser und dem zu Grunde liegenden ärztliche Sachverständigengutachten wird festgehalten, dass deutliche Einschränkungen auf Grund der Krankheitssymptome bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres aufgetreten sein können, mangels Vorliegen von entsprechenden (zeitpunktbezogenen) Befunden das Bestehen einer voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, zu einem Zeitpunkt bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres aber nicht festgestellt werden kann. Diese Bescheinigung und das ärztliche Gutachten sind schlüssig und nachvollziehbar. Sie berücksichtigen auch den offensichtlichen Krankheitsverlauf, der über die Jahre zu einem Ansteigen der auf Grund der Krankheit bestehenden Beeinträchtigungen führte. Dies ergibt sich auch aus dem Anstieg des Grades der Behinderung bis ins Jahr 2017. Dazu kommt, dass seitens des begutachtenden Arztes in beiden Gutachten des Jahres 2020 explizit ausgeführt wurde, dass aus den im Zuge der Beschwerde vorgelegten weiteren medizinischen Unterlagen kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn (für den relevanten Zeitpunkt im Jahr 2014) zu erzielen ist.
Damit ist die Bescheinigung aus dem Jahr 2019 für die gegenständliche Entscheidung relevant und sind daraus die rechtlichen Schlüsse zu ziehen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Nach § 6 Abs 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
Abs 2 lit d der in Rede stehenden Gesetzesbestimmung lautet: Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
Nach Abs 4 leg cit gelten als Vollwaisen Personen, deren Vater verstorben, verschollen oder nicht festgestellt und deren Mutter verstorben, verschollen oder unbekannt ist. Nach Abs 5 leg cit haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs 1 bis 3).

Nach § 8 Abs 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, um einen gesetzlich festgelegten Betrag.

Gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl Nr 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl II Nr 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Abs 6 leg cit normiert, dass der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen ist. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.
Die Abs 4 bis 6 gelten nach Abs 7 leg cit sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich klar, dass als einzig möglicher Anspruchsgrund für die Gewährung der Familienbeihilfe an den Beschwerdeführer § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 in Frage kommt. Weiters ist gesetzlich eindeutig geregelt, dass der Beschwerdeführer beim vorliegenden Sachverhalt ua bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres voraussichtlich dauernd außer Stande hätte sein müssen, um die Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen. Dieser Umstand muss durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachgewiesen werden.
Liegt eine derartige Bescheinigung nicht vor, kann Familienbeihilfe (und in der Folge auch der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe nach § 8 Abs 4 FLAG 1967 aus diesem Anspruchsgrund nicht gewährt werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Feststellung des Grades der Behinderung oder der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, im Rahmen des § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist die Behörde (bzw das Verwaltungsgericht) an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumsservice) zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (vgl ; vgl auch , jeweils mwN). Bei sich widersprechenden Gutachten hat die Abgabenbehörde bzw das Verwaltungsgericht die Beweiskraft der einzelnen Gutachten in freier Beweiswürdigung zu prüfen.

Bereits das Finanzamt hat in der Beschwerdevorentscheidung auf die unzureichende Qualität der ärztlichen Gutachten hinsichtlich des entscheidungswesentlichen Zeitpunktes verwiesen. Auch das Bundesfinanzgericht sieht in den Bescheinigungen aus dem Jahr 2020 aufgrund der Unschlüssigkeit (siehe oben) der beiden ärztlichen Gutachten keine Grundlage für die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres voraussichtlich dauernd außer Stande gewesen ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Damit liegt aber keine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vor, die geeignet ist, den entscheidungswesentlichen Umstand unter Beweis zu stellen.

Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht hat den vorliegenden Sachverhalt in freier Beweiswürdigung festgestellt und unter Beachtung der Rechtsprechung des VwGH (vgl die oben zitierten Erkenntnisse) die gegenständliche Entscheidung getroffen. Eine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, war nicht zu lösen.

Innsbruck, am

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ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.3100775.2020

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