Keine Berufsausbildung in quantitativer Hinsicht
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***BE*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Jänner 2022 bis Juli 2022, OB ***2***, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt von der Beschwerdeführerin (kurz: Bf) Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge im Gesamtbetrag von 1.399,30 Euro mit der Begründung, die angeforderten Unterlagen seien nicht übermittelt worden, zurück.
Mit als Beschwerde gewertetem Schreiben der Bf vom führte die Bf aus, dass das Schulsystem ihrer Tochter ein modulares System sei und es daher lediglich Zeugnisse für die jeweiligen Winter- und Sommersemester gebe. Da sie die angeforderten Unterlagen (Sommersemesterzeugnis 2022) fristgerecht eingereicht habe, lehne sie die Rückzahlung ab. Gleichzeitig legte sie die Semesterzeugnisse vom und vom vor.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Nach Darstellung der Rechtslage samt Judikatur des VwGH und des BFG wurde ausgeführt, dass die Tochter im Wintersemester 2021/22 in zehn Wochenstunden beurteilt worden sei, wobei lediglich vier davon positiv abgeschlossen worden seien. Im Sommersemester 2022 seien zwölf positive Wochenstunden erbracht worden. Eine ernsthafte und zielstrebige Berufsausbildung sei deshalb alleine aufgrund der zeitlichen Inanspruchnahme des Kindes nicht gegeben.
Mit als Vorlageantrag gewertetem Schreiben der Bf vom übermittelte die Bf unter Bezugnahme auf ein mit dem Bearbeiter des Finanzamtes geführtes Telefonat eine Bestätigung des ***3*** vom , wonach im dritten Semester der Abendhandelsakademie für Berufstätige Unterricht im Ausmaß von 25 Wochenstunden (von Montag bis Freitag) stattfindet und die Tochter der Bf zum damaligen Zeitpunkt die 3AKB besuchte, das Ansuchen um Einrechnungen für das Wintersemester 2021/22 vom sowie das vorläufig korrigierte Semesterzeugnis über das Wintersemester 2021/22. Der Schulbesuch sei bis dato positiv abgeschlossen worden, ihre Tochter befinde sich nun im dritten Semester der Ausbildung.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die im Jahr 2003 geborene Tochter der Bf war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits volljährig. Sie besuchte ab dem Wintersemester 2021/22 am ***3*** die Handelsakademie für Berufstätige am Abend.
Das Wintersemester 2021/22 umfasste 10 Pflichtgegenstände (Module) im Umfang von 25 Wochenstunden. Davon wurden der Tochter 6 Gegenstände im Umfang von 15 Wochenstunden angerechnet. 4 Gegenstände im Umfang von 10 Wochenstunden wurden besucht und beurteilt (2 Gegenstände mit 4 Wochenstunden positiv und 2 Gegenstände mit 6 Wochenstunden negativ). In den negativ beurteilten Gegenständen war die Tochter zur Ablegung eines Kolloquiums berechtigt.
Das Sommersemester 2022 umfasste 9 Pflichtgegenstände im Umfang von 25 Wochenstunden. Davon wurden der Tochter 4 Gegenstände im Umfang von 13 Wochenstunden angerechnet. 5 Gegenstände im Umfang von 12 Wochenstunden wurden besucht und positiv beurteilt. Mit am und bestandenen Kolloquien besserte die Tochter die im Wintersemester 2021/22 negativ beurteilten Gegenständen aus.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vom Finanzamt vorgelegten Akt und ist unstrittig.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
Gemäß § 26 Abs 1 FLAG 1967 hat derjenige, der Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gemäß § 33 Abs 3 EStG 1988 idgF steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag für jedes Kind zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.
Allgemein fallen unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (jedenfalls) alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird (vgl zB , mwN). Zur Berufsausbildung gehört (ihrem Inhalt nach) zweifellos die allgemein bildende Schulausbildung ().
Um von einer Berufsausbildung sprechen zu können, ist außerhalb des in § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 besonders geregelten Besuchs einer Einrichtung iSd § 3 StudFG nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH das ernstliche, zielstrebige und nach außen erkennbare Bemühen um einen Ausbildungserfolg erforderlich (vgl ; , mwN).
Zur Qualifikation als Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 kommt es nach der stRsp des VwGH allerdings nicht nur auf das ernstliche und zielstrebige Bemühen um einen Ausbildungserfolg an, sondern die Berufsausbildung muss auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen (vgl zB , ). Betreffend das quantitative Erfordernis kann nach der in der Literatur vertretenen Ansicht ein dem Begriff der Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 genügender Zeitaufwand generell nur dann vorliegen, wenn ein wöchentlicher Zeitaufwand für Kurse und Vorbereitungszeit von mindestens 30 Stunden anfällt (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke [Hrsg], FLAG2 § 2 Rz 40). Das Bundesfinanzgericht nimmt bei Schulen für Berufstätige einen erforderlichen wöchentlichen Zeitaufwand von durchschnittlich 20 bis 25 Stunden zuzüglich Hausaufgaben an, dh. insgesamt von mindestens 30 Wochenstunden, um von einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG zu sprechen (vgl. zB mwN).
In Anlehnung an die Rechtsprechung des BFG kann davon ausgegangen werden, dass beim Besuch einer Abend-HAK nach allgemeiner Lebenserfahrung bei einem wöchentlichen Unterricht von durchschnittlich 20 bis 25 Wochenstunden rund 10 Wochenstunden für Lernaufwand, Hausübungen und Vor- und Nachbereitung von Unterrichtsstunden sowie Prüfungsvorbereitungen anfallen () und damit 40 bis 50% der in Präsenz absolvierten Wochenstunden angesetzt werden kann (vgl , , , ).
Bei der Handelsakademie für Berufstätige handelt es sich zweifellos um eine Ausbildungsform, die grundsätzlich Berufsausbildung im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sein kann. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Besuch nach außen erkennbar ernsthaft und zielstrebig erfolgt und die volle Zeit in Anspruch nimmt.
Die Tochter der Bf besuchte im Wintersemester 2021/22 vier Pflichtgegenstände (Module) im Umfang von zehn Wochenstunden, wobei zwei Gegenstände im Umfang von vier Wochenstunden positiv und zwei Gegenstände im Umfang von sechs Wochenstunden negativ beurteilt wurden. Von den in diesem Semester insgesamt zehn zu absolvierenden Modulen mit 25 Wochenstunden wurden sechs Module mit 15 Wochenstunden angerechnet, was die quantitativ zu erbringende Leistung dementsprechend verringerte.
Wenn die Tochter der Bf im Wintersemester 2021/22 von insgesamt zehn Modulen mit 25 Wochenstunden lediglich vier Module mit zehn Wochenstunden besucht hat und davon zwei Gegenstände mit sechs Wochenstunden negativ beurteilt worden sind, ist nicht davon auszugehen, dass die Berufsausbildung die volle Zeit der Tochter (mindestens 30 Wochenstunden) in Anspruch genommen hat.
Im Sommersemester 2022 wurden der Tochter von insgesamt neun Modulen mit 25 Wochenstunden vier Modulen mit 13 Wochenstunden angerechnet. Sie besuchte fünf Module im Umfang von 12 Wochenstunden, die auch positiv beurteilt wurden, daneben legte sie im März und Juni zwei Kolloquien ab.
Mit den fünf besuchten Modulen im Ausmaß von 12 Wochenstunden wird unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Zeitaufwands für Hausübungen, Vor- und Nachbereitung der Unterrichtsstunden, Lernen und Prüfungsvorbereitung in Höhe von 50 % der Präsenzstunden der zeitliche Mindestaufwand von durchschnittlich 30 Stunden pro Woche bei weitem nicht erreicht. Auch mit dem noch zu berücksichtigenden, großzügig mit 50 % der Wochenstunden bemessenen, Zeitaufwand für die im März und Juni abgelegten Kolloquien, kann im Sommersemester 2022 ebenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass die Schulausbildung die volle Zeit der Tochter in Anspruch genommen hat.
Eine Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 lag somit vor dem Hintergrund obiger Ausführungen im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vor.
Somit bestand im strittigen Zeitraum kein Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag. Die Rückforderung erfolgte daher zu Recht.
Es war spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Ob ein Kind eine Berufsausbildung absolviert, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine Tatfrage, die in freier Beweiswürdigung zu beantworten ist (vgl. zB ). Tatfragen sind eine Revision nicht zugänglich.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7101304.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at