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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.11.2024, RV/5100225/2024

Familienbeihilfe; voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht bescheinigt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff: ***OB***, betreffend (erhöhte) Familienbeihilfe für die Zeiträume ab August 2023
zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden werden gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit den Formblättern Beih 100 und Beih 3 vom beantragte der Beschwerdeführer (Bf.) die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages "ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahre ab Antragstellung".
Als erhebliche Behinderung bzw. Erkrankung gab er "emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Depr., Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten, V.a. komb. Persönlichkeitsstörung, V.a. ADHS im Erwachsenenalter" an.

Das Finanzamt veranlasste eine Untersuchung des Bf. durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) und wies die Anträge ohne Vorliegen eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) mit Bescheiden vom für die Zeiträume ab August 2023 ab.
Der Bf. habe Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn er voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sei. Die Erwerbsunfähigkeit müsse vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Beim Bf. treffe dies nicht zu. Es seien keine Feststellungen möglich gewesen, da die Ladung zur Untersuchung unzustellbar gewesen sei.
Der Erhöhungsbetrag wegen einer erheblichen Behinderung werde als Zuschlag zur allgemeinen Familienbeihilfe gewährt. Da dem Bf. die allgemeine Familienbeihilfe nicht zustehe, könne auch der Erhöhungsbetrag nicht ausgezahlt werden.

Die dagegen erhobenen Beschwerden vom wies das Finanzamt nach Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nach der Einschätzungsverordnung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) vom , VOB: ***ZweitGA***, mit Beschwerdevorentscheidungen vom als unbegründet ab.
Der Bf. habe keinen Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, da laut Bescheinigung des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen eine Behinderung von 30% ab und keine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden sei.
Da dem Bf. die allgemeine Familienbeihilfe nicht zustehe, könne auch der Erhöhungsbetrag nicht ausgezahlt werden.

Mit Eingabe vom beantragte der Bf., die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen (Vorlageantrag).
Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass er sich nicht als selbsterhaltungsfähig sehe. Er schaffe es nicht, sich aus eigener Kraft in die Gesellschaft zu integrieren bzw. sei dies immer mit Angst verbunden. Diese Angst zeige sich in sehr kalten, schwitzenden Gliedmaßen, einer Art inneren Lähmung, Atembeschwerden und sehr unregelmäßigen Herztakten. Zudem habe er große Schamgefühle. Er schaffe es nicht, aus eigener Kraft zu einem Arzt zu gehen, obwohl er sich körperlich und psychisch krank fühle.
Am sei er wegen möglicher Selbstgefährdung in ein Krankenhaus eingewiesen worden, wo er zuerst viereinhalb Wochen in der geschlossenen Station untergebracht gewesen sei. Nach einer weiteren Woche in der offenen Station habe er alle Therapien abgebrochen und das Krankenhaus am verlassen.
Seine gesundheitliche Situation habe sich seit 2017 massiv verschlechtert. Sein Bekanntenkreis habe sich drastisch verkleinert, er gehe nicht mehr außer Haus, auch nicht zu Familientreffen, ausgenommen ins Lebensmittelgeschäft oder zur Post.
Im Rahmen des Untersuchungstermins beim Sozialministeriumservice am sei auf seine Situation nicht ausreichend eingegangen worden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum sich die Beschwerdevorentscheidung auf das Gutachten von 2017 berufe, obwohl er der Ärztin gesagt habe, dass bei ihm jetzt gar nichts mehr funktioniere. Die untersuchende Ärztin, eine Fachärztin für Anästhesie, habe sich zu seiner Lage mit "zu Hause ist es doch gemütlicher" geäußert. Nach zehn Minuten sei der Termin beendet gewesen.
Schon während der Schulzeit seien Probleme aufgetreten. Generell sei der Bf. immer auffällig gewesen. Seine Lehrer hätten einen Verdacht auf ADHS gehabt, seine Mutter habe ihn jedoch nicht untersuchen lassen, sodass kein Befund aufliege. Aus heutiger Sicht sei dies ein Fehler gewesen.
Die Lehrzeit habe er nur ein Jahr geschafft, aus dem Berufsschulinternat sei er hinausgeworfen worden. Sein sehr lückenhafter Versicherungsdatenauszug zeige, dass er es nicht geschafft habe, beruflich Fuß zu fassen. Er sei daher nicht selbsterhaltungsfähig. Im Zuge der Stellungsuntersuchung am 21. und sei er aufgrund der Diagnose "emotional instabile Persönlichkeitsstörung" als untauglich eingestuft worden.
Aufgrund seiner Ängste und den daraus resultierenden Folgen habe er es bis heute nicht geschafft, in Gruppen zu agieren. Gegenüber der Gesellschaft habe er sich immer mehr verschlossen.
Dem Bf. liege weder das Gutachten des Sozialministeriumservice aus dem Jahr 2017 noch das aktuelle Gutachten vom Dezember 2023 vor. Es sei ihm nicht erlaubt worden, diese persönlich bei Sozialministeriumservice abzuholen. Die vom Finanzamt angeforderten Gutachten seien bis heute nicht an seiner Meldeadresse eingetroffen.

In der Folge forderte das Finanzamt unter Anschluss des Vorlageantrages samt Beilagen ein neuerliches Gutachten beim Sozialministeriumservice an.
Das Sozialministeriumservice teilte daraufhin in einer "BSB-Bescheinigung" mit, dass "der Kunde keinen Termin wolle" und das Verfahren seitens des Sozialministeriumservice "ohne Bescheinigung beendet" worden sei.

Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

In einem zwischenzeitlich erstellten weiteren Gutachten nach der Einschätzungsverordnung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) vom , VOB: ***DrittGA***, wurde beim Bf. ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 30 v.H., vorliegend ab März 2017 festgestellt, nicht jedoch eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit.

Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht wurden dem Bf. mit Beschluss vom die Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle ***, vom , VOB: ***ErstGA***, vom , VOB: ***ZweitGA***, und vom , VOB: ***DrittGA***, zur Kenntnis gebracht und ihm die Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern.

Zusammen mit dem am eingelangten Schreiben legte der Bf. daraufhin zwei arbeitsmedizinische Gutachten des Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrums Österreich (BBRZ) vom und vom vor und äußerte sich zum Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom sinngemäß wie folgt:
Zwischen 2018 und 2021 sei laut ärztlichem Gutachten eine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen, die möglicherweise einen Anspruch auf Familienbeihilfe begründe. Die relevanten Gutachten sowie der Vermerk seien beigelegt.
Für die Überprüfung des rückwirkenden Anspruchs habe sich der Bf. zuerst mündlich anlässlich seines Untersuchungstermins am an die untersuchende Ärztin gewandt. Dies sei jedoch leider nicht beachtet worden. Unter Berücksichtigung dieser Anfrage könnte ein rückwirkender Anspruch von bis - insgesamt 30 Monate und 5 Tage umfassen. Dieser Zeitraum schließe sowohl das Gutachten zur Arbeitsunfähigkeit von 2018 als auch den Nachweis der erneuten Arbeitsfähigkeit im Jahr 2021 ein.
Falls stattdessen das Datum des schriftlichen Antrags vom als maßgeblicher Zeitpunkt herangezogen werde, würde dies einen kürzeren rückwirkenden Berechtigungszeitraum zur Folge haben, nämlich vom bis zum (22 Monate und 28 Tage).
Beide Berechnungen würden sich auf die gesetzliche Regelung, die eine rückwirkende Nachzahlung von bis zu fünf Jahren ermögliche, stützen. Da sich jedoch durch die mündliche Anfrage am ein längerer berechtigter Zeitraum ergebe, ersuche der Bf. um Berücksichtigung dieser Berechnung als Grundlage für die Anspruchsberechnung.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer vollendete das 21. Lebensjahr am ***Dat21LJ***. Er befand sich in der Folge bis zum vollendeten 25. Lebensjahr nicht in einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967.
Das Bundesfinanzgericht sieht es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer bei einem festgestellten Grad der Behinderung von 30 v.H. nicht wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

2. Beweiswürdigung

Der dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Verwaltungsakten, insbesondere aus den im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle *** (Sozialministeriumservice) erstellten Sachverständigengutachten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei.

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die Voraussetzung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, nämlich der Nachweis einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretenen voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung selbst den Unterhalt zu verschaffen, für einen (zeitlich unbegrenzten) Familienbeihilfenanspruch vorliegt.

Beim Bf. wurde eine zu einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit führende Behinderung vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht bescheinigt.

Diese Annahme stützt sich im Wesentlichen auf die von der belangten Behörde angeforderten medizinischen Sachverständigengutachten (nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010) des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle ***, vom , VOB: ***ErstGA***, vom , VOB: ***ZweitGA***, und vom , VOB: ***DrittGA***.

Im zuletzt erwähnten ärztlichen Sachverständigengutachten vom heißt es (auszugsweise):

"[…]

[...]

Herr ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Wie im Vorgutachten laut BBRZ-Gutachten 06/2021 ist Herr ***Bf1*** auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar.

Dauerzustand

Gutachten erstellt am von […]

Gutachten vidiert am von […]"

Im Vorgutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle ***, vom , VOB: ***ZweitGA***, heißt es auszugsweise:

"[…]

[...]

GdB liegt vor seit: 03/2017

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
laut Vorgutachten.

Herr ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Laut BBRZ-Gutachten 06/21 ist der Kunde auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar.

Dauerzustand

Gutachten erstellt am von […]

Gutachten vidiert am von […]"

In einem weiteren Vorgutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle ***, vom , VOB: ***ErstGA***, heißt es auszugsweise:

[…]

[...]

[…]

[…]

GdB liegt vor seit: 03/2017

Herr ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
-

[…]

Gutachten erstellt am von […]

Gutachten vidiert am von […]"

Im arbeitsmedizinischen Gutachten des BBRZ Österreich vom wird in Punkt 9. ("Arbeitsmedizinisches Leistungskalkül und Zusammenfassung") festgestellt:

"Der Klient ist: arbeitsunfähig.

In Zusammenschau mit dem psychiatrischen Gutachten von Frau Dr. ***Dr1*** vom wird Folgendes eingeschätzt:
Der Klient ist für schwere körperliche Tätigkeiten, in vorwiegend allen Körperhaltungen und überwiegend allen Zwangshaltungen einsetzbar.

Langjährige Drogenanamnese, aber auch Hinweise auf Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, passend zur Verdachtsdiagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Hat seit dem Vorjahr jegliche fachärztliche Behandlung abgebrochen, Psychotherapie oder drogenspezifische Behandlung wird nicht gewünscht.
Am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar, Maßnahmenfähigkeit gegeben.
Zumutbar wäre eine Stabilisierungsmaßnahme mit niedrigem Anspruch unter Einforderung von begleitender Psychotherapie. Zurzeit jedoch ohne jegliche Motivation.

Folgende medizinische Maßnahmen sind empfehlenswert:
Regelmäßige Psychotherapie
Regelmäßige neuropsychiatrische Therapie
"

Im arbeitsmedizinischen Gutachten des BBRZ Österreich vom wird in Punkt 9. ("Arbeitsmedizinisches Leistungskalkül und Zusammenfassung") festgestellt:

"Der Kunde ist grundsätzlich am allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar.
In Bezug auf die Vermittelbarkeit wird Folgendes eingeschätzt:

In Zusammenschau mit der neuropsychiatrischen Begutachtung durch Frau Dr. ***Dr1*** vom ergibt sich folgende Einschätzung:
Der Kunde ist für leichte, leicht bis mittelschwere, mittelschwere und schwere körperliche Arbeit einsetzbar. Keine Einschränkung bei Körperhaltungen und Zwangshaltungen

AMS-Fragestellung:
Ist Fließbandarbeit möglich?
Wie ist die Einsetzbarkeit vom Kunden?
Wochenstundenausmaß?
Schichtarbeit möglich?
Bitte um Abklärung ob Kunde am allgemeinen Arbeitsmarkt bzw. am 2 Arbeitsmarkt einsetzbar ist.

Gegenüber der Voruntersuchung vor 3 1/2 Jahren zeigt sich eine Reduktion des Suchtmittelkonsums auf nun nur mehr Cannabis, zwischenzeitlich sind auch mehrere Vorstrafen getilgt und es ist in Hinblick auf das Suchtverhalten eine gewisse Besserung eingetreten.
Die soziale Situation ist weiterhin kritisch, der Kunde ist wohnungslos und lebt bei Freunden und von finanziellen Zuwendungen des Vaters neben niedriger Mindestsicherung.
Ein Arbeitsversuch scheiterte an seiner geringen sozialen Kompetenz.
Der Kunde ist völlig motivationslos, will an dem Cannabiskonsum nichts ändern, ist jedoch für eine teilzeitige Beschäftigung bereit.
Arbeit ohne Nacht- und Schichtbelastung, mit nur durchschnittlichem Zeitdruck im Ausmaß von 20-25 Wochenstunden.
Maßnahmenfähigkeit ist gegeben, z. B. Standup.
Psychotherapie und suchtspezifische niedrigschwellige Begleitung ist erforderlich und zumutbar
."

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis , ausgeführt, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ergebe, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (bereits seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden könne. Damit könne auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung (siehe etwa , oder ) der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen.

Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind sohin die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. etwa ; und , mwN).

Auch das Bundesfinanzgericht hat somit für seine Entscheidung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen, sofern diese als schlüssig und vollständig anzusehen sind.

Die medizinische Sachverständige des Sozialministeriumservice stellte im Drittgutachten vom in Übereinstimmung mit den Vorgutachten vom und einen Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 30 v.H., vorliegend ab März 2017 fest.

Der Bf. vollendete das 21. Lebensjahr am ***Dat21LJ***. Er befand sich in der Folge bis zum vollendeten 25. Lebensjahr nicht in einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967.
In den vorliegenden Sachverständigengutachten wurde bei ihm eine vor Vollendung des 21. Lebensjahres zur voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit führende Behinderung nicht bescheinigt.

Dies wurde im Drittgutachten vom unter Verweis auf das Vorgutachten vom damit begründet, dass der Bf. laut BBRZ-Gutachten 06/2021 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei.
Im arbeitsmedizinischen Gutachten des BBRZ Österreich vom wird diese Feststellung in Punkt 9. ("Arbeitsmedizinisches Leistungskalkül und Zusammenfassung") bestätigt: Demnach ist der Bf. grundsätzlich am allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar.

Der Bf. bringt in der am beim Bundesfinanzgericht eingelangten Stellungnahme sinngemäß vor, dass laut BBRZ-Gutachten 02/2018 zwischen 2018 und 2021 eine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen sei, die möglicherweise einen Anspruch auf Familienbeihilfe begründe.

Dem ist entgegen zu halten, dass im erwähnten BBRZ-Gutachten 02/2018 zwar die Nichteinsetzbarkeit des Bf. am allgemeinen Arbeitsmarkt, sohin seine Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde, allerdings auch eine beim Bf. gegebene Maßnahmenfähigkeit angenommen wurde. Es wurden etwa Stabilisierungsmaßnahmen mit niedrigem Anspruch unter Einforderung von begleitender Psychotherapie als zumutbar erachtet.
Das BBRZ-Gutachten 02/2018 lässt somit nicht auf das Vorliegen einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit schließen. Die Annahme, dass beim Bf. keine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, wird auch durch das nachfolgenden BBRZ-Gutachten 06/2021 bestätigt, wonach der Bf. grundsätzlich am allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar ist.

Zum Vorbringen im Vorlageantrag, dass Beeinträchtigungen bereits in der Schul- und Lehrzeit vorgelegen seien, ist zu bemerken, dass es nicht entscheidend ist, dass etwa eine psychische Erkrankung des Bf. bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres vorlag. Es kommt bei der Beurteilung des Beihilfenanspruchs weder auf den Zeitpunkt an, an dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, bei dem diese Krankheit zu irgendeiner Behinderung führt, sondern einzig auf den Zeitpunkt des Eintritts der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit.

In diesem Zusammenhang wird auch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes , hingewiesen, in dem zur Frage der dauernden Erwerbsunfähigkeit Folgendes ausführt wird:
"§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 stellt darauf ab, dass der Vollwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt."

Wie sich etwa aus dem Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom (Drittgutachten) ergibt, wurde der Bf. eingehend untersucht und es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß eingegangen. Die ärztlichen Sachverständigen haben in den vorliegenden Gutachten sämtliche vom Bf. vorgelegten Unterlagen und Befunde berücksichtigt. Einbezogen wurden etwa die arbeitsmedizinischen BBRZ-Gutachten 02/2018 und 06/2021, das Schreiben der Stellungskommission Oberösterreich vom sowie das ärztliche Begleitschreiben und der Kurzarztbrief über den Krankenhausaufenthalt von bis (siehe Zusammenfassung der relevanten Befunde im Zweitgutachten vom ).

Der Bf. hat nicht aufgezeigt, aufgrund welcher weiterer Beweismittel (etwa Befunde) die Sachverständigen des Sozialministeriumservice zum Ergebnis hätten kommen müssen, eine (in den Gutachten nicht zugestandene) voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit als Folge einer körperlichen oder geistigen Behinderung wäre vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten.

Die vom Sozialministeriumservice eingeholten Gutachten sind daher schlüssig und vollständig, sodass das Bundesfinanzgericht diese Bescheinigungen des Sozialministeriumservice dem gegenständlichen Erkenntnis zu Grunde zu legen hat.

3. Rechtslage und rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

§ 6 Abs. 5 und 6 FLAG 1967 lauten:

"(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

(6) § 6 Abs. 5 gilt nicht für Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden."

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG 1967).

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nach der Bestimmung des § 8 Abs. 7 FLAG 1967 gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe kann nur für höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden (§ 10 Abs. 3 FLAG 1967).

Ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe besteht für minderjährige (§ 6 Abs. 1) und volljährige (§ 6 Abs. 2) Vollwaisen sowie für (ebenfalls minderjährige oder volljährige) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die aus diesem Grund den Vollwaisen gleichgestellt sind (§ 6 Abs. 5; sog "Sozialwaisen"; vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 6 Rz 2).

§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 regelt (bezüglich des Eigenanspruches), unter welchen Voraussetzungen bei Behinderungen der Grundbetrag an Familienbeihilfe gewährt werden kann.
Dieser steht für volljährige Kinder bzw. volljährigen Kindern zu, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Hierbei ist auch eine Behinderung im psychischen Bereich als geistige Behinderung iSd obigen Bestimmungen anzusehen (; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 17).

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht. Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder - im Beschwerdefall nicht relevant - während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 18 u. 19).

Dem Bf. wurde in den vorliegenden medizinischen Gutachten des Sozialministeriumservice eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht bescheinigt.

Die Gutachten wurden, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zur Beweiswürdigung ergibt, als schlüssig und vollständig erachtet, sodass das Bundesfinanzgericht an diese vom Sozialministeriumservice erstellten ärztlichen Gutachten gebunden ist.

Liegen - wie gegenständlich - die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 für den Bezug des Grundbetrages an Familienbeihilfe nicht vor, kann auch der Erhöhungsbetrag nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 nicht gewährt werden.

Die Abweisungen der Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung erweisen sich daher als zu Recht erfolgt.

Die Beschwerden waren daher als unbegründet abzuweisen.

4. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das vorliegende Erkenntnis beruht im Wesentlichen auf der Beweiswürdigung, ob beim Beschwerdeführer eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor dem 21. Lebensjahr vorlag. Weder die im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen noch die einzelfallbezogene rechtliche Beurteilung weisen eine Bedeutung auf, die über den Beschwerdefall hinausgeht. Da sohin keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen waren, ist eine Revision nicht zulässig.

Linz, am

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ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100225.2024

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