Zeitpunkt des Eintritts der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff: ***OB***, betreffend Familienbeihilfe für ***K.***, VNR: ***VNR***, für den Zeitraum "ab Juni 2017" zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt einen Antrag der Beschwerdeführerin (Bf.) vom auf Gewährung der Familienbeihilfe für ihren Sohn ***K.***, VNR: ***VNR***, für die Zeiträume "ab Juni 2017" ab. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass ein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe, wenn der Sohn der Bf. voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sei. Die Erwerbsunfähigkeit müsse vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Beim Sohn der Bf. treffe dies nicht zu.
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom . Dies im Wesentlichen mit folgender Begründung:
Die Ablehnung der Familienbeihilfe richte sich nach der Formulierungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides scheinbar an den Sohn der Bf. und auch die darin zitierte Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 sei nicht anzuwenden, da der Sohn der Bf. kein Vollwaise sei.
Zur Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag sei Folgendes festzuhalten:
Der Sohn der Bf. (Geburtsdatum: ***GebDat***) habe bis Dezember 2015 eine Berufsausbildung absolviert (zuletzt eine Lehre als Bäcker und Konditor von August 2012 bis November 2015). Danach habe er von März 2016 bis Juli 2017 als Bäcker gearbeitet. Aus gesundheitlichen Gründen habe er die Bäckerarbeit nicht weiter ausgeüben können. Danach seien Zeiten der Erwerbslosigkeit bzw. weitere schulische Ausbildungen (WIFI, abgebrochenes Fernstudium Online Marketing gefolgt.
Die psychische Beeinträchtigung sei deutlich vor dem 25. Geburtstag eingetreten, wie dem Krankheitsverlauf zu entnehmen sei. Sämtliche ärztliche Befunde (***KH1***; ***Dr.1*** - ***; ***Dr.2*** - ***KH2***; ***KH3***; ***Dr.4*** Fachärztin für Psychiatrie 2017; ***Mag.1*** Klinische Psychologin 2020; ***Dr.5*** FA f. Neurologie und Psychiatrie ab 2020), die die Bf. aus vertraulichen Gründen online nicht mitsenden wolle, könnten - wie bereits im Erstantrag vom angeführt - bei Bedarf vorgelegt werden.
In der Folge wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab.
Zur Begründung führte die Behörde sinngemäß aus, dass in einem Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice - vom eine vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretene voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht festgestellt worden sei.
In der als "Beschwerde" bezeichneten und als Vorlageantrag zu wertenden Eingabe vom brachte die Bf. vor, dass dem Sachverständigengutachten vom klar zu entnehmen sei, dass der Sohn der Bf. voraussichtlich dauerhaft außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Aus den vorgelegten ärztlichen Befunden, die auch im Sachverständigengutachten vom angeführt seien, gehe hervor, dass die Erkrankung bzw. Beeinträchtigung ihres Sohnes bereits deutlich vor dem 21. Geburtstag vorgelegen sei.
Mit der fristgerechten Einbringung der als Vorlageantrag zu beurteilenden Eingabe vom gilt die Bescheidbeschwerde wiederum als unerledigt (§ 264 Abs. 3 BAO).
Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Beschluss vom beauftragte das Bundesfinanzgericht das Finanzamt gemäß § 269 Abs. 2 BAO, ein die bisherigen Gutachten ergänzendes ärztliches Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice - zur Frage einzuholen, zu welchem Zeitpunkt beim Sohn der Bf. diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintrat, welche die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bewirkte.
In einer daraufhin beim Bundesfinanzgericht eingelangten Stellungnahme des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice - vom , VOB: ***GA3***, heißt es:
Stellungnahme zu Vorgutachten ***Dr.3*** vom :
Korrektur zum Beginn einer andauernden Erwerbsunfähigkeit - Herr ***K.*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA,
Dies besteht seit: 10/2020;
Ab diesem Zeitpunkt wurde sowohl im Vorgutachten vom als auch im Vorgutachten vom in Anlehnung der vorliegenden Befunde eine erhebliche Beeinträchtigung festgestellt, welche ab diesem Zeitpunkt zu einer Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen geführt hat. Eine Stellungnahme zum Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit vor diesem Zeitpunkt ist aufgrund fehlender aussagekräftiger Fachbefunde und Brückenbefunde 2014 -2020 nicht möglich."
Mit Beschluss vom wurde den Verfahrensparteien die erwähnte Stellungnahme des Sozialministeriumservice vom zur Kenntnis gebracht und ihnen die Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern.
Die Bf. brachte in einer Stellungnahme vom dazu Folgendes vor:
"In der zuvor angeführten Stellungnahme des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen wird auf die im Beschluss GZ. RV/5100830/2023 vom gestellt Frage, "… zu welchem Zeitpunkt bei ***K.***, VNR:***VNR***, diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintrat, welche die voraussichtliche dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bewirkte" aus meiner Sicht keine Antwort gegeben.
Es wird dazu lediglich festgestellt, dass eine Stellungnahme zum Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit vor dem Zeitraum 10/2022 aufgrund fehlender aussagekräftiger Fachbefunde und Brückenbefunde 2014 - 2020 nicht möglich ist und dass meinem Sohn ***K.*** voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Zu den fehlenden Befunden für den Zeitraum 2014 -2020 wird im Gutachten vom festgehalten, dass deshalb ein früherer Anrechnungsbeginn für 50% nicht vorgenommen werden kann. Dazu habe ich bereits in meiner Beschwerde vom Stellung genommen. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass It. §2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 die eingetretene körperliche oder geistige Behinderung vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag von Entscheidung ist. Der Nachweis, dass die Behinderung vor dem 21. Geburtstag meines Sohnes eingetreten ist, ist auf Grund der vorgelegten ärztlichen Befunde nachvollziehbar."
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der am ***GebDat*** geborene Sohn der Beschwerdeführerin (Bf.) absolvierte im Zeitraum von August 2012 bis Juni 2015 eine Lehre als Bäcker und Konditor, die er am mit der Lehrabschlussprüfung beendete. Bis war er bei seinem ehemaligen Lehrherrn als Arbeitnehmer weiter beschäftigt. In der Folge war er von bis beim AMS als arbeitssuchend gemeldet und von bis wieder in einem Arbeitsverhältnis als Bäcker tätig. Danach war er laut Sozialversicherungsdatenauszug in folgenden Zeiträumen beim AMS als arbeitssuchend gemeldet: bis , bis , bis , bis , bis , bis , bis und ab . Im Sozialversicherungsdatenauszug sind beispielsweise folgende Zeiten mit Arbeitslosengeldbezug angegeben: bis , bis , bis .
Das Bundesfinanzgericht sieht es als erwiesen an, dass beim Sohn der Bf. bei einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H., vorliegend ab Oktober 2020, zwar eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung selbst den Unterhalt zu verschaffen, vorliegt, eine solche zur voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit führende Behinderung jedoch nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
2. Rechtslage
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG 1967).
Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe kann nur für höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden (§ 10 Abs. 3 FLAG 1967).
Die für den Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der in § 8 Abs. 5 FLAG 1967 genannten Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung), BGBl. II Nr. 261/2010, lauten (in der Fassung BGBl. II Nr. 251/2012):
"§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
…"
"§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
…"
"§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heranzuziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten."
In der Anlage zur Verordnung werden die Rahmensätze für die einzelnen Erkrankungen verbindlich angegeben. Zu Punkt 03.07 heißt es:
"03.07 Schizophrene Störungen
Schizophrenie, schizoide Persönlichkeitsstörung, schizoaffektive Erkrankungen, akut psychotische Zustandsbilder
[…]
[…]"
3. Beweiswürdigung
Der unter Punkt 1. dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Verwaltungsakten, aus den im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle ***** (Sozialministeriumservice) erstellten Sachverständigengutachten, sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei.
Im Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage nach der Einschätzungsverordnung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle ***** (Sozialministeriumservice), vom , VOB: ***GA1***, heißt es (auszugsweise):
"[…]
[...]
Dies besteht seit: 10/2020
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
kann sich aktuell den Unterhalt nicht selber verschaffen, mit Besserung durch Therapien ist zu rechnen.
[…]
Gutachten erstellt am von ***Dr.6***
Gutachten vidiert am von ***Dr.7***"
Im Sachverständigengutachten mit Untersuchung nach der Einschätzungsverordnung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle ***** (Sozialministeriumservice), vom , VOB: ***GA2***, ist (auszugsweise) Folgendes angeführt:
"[…]
[...]
Herr ***K.*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Dies besteht seit: 09/2020
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Kann sich bislang nicht am ersten Arbeitsmarkt etablieren.
[…]
Gutachten erstellt am von ***Dr.3***
Gutachten vidiert am von ***Dr.7***"
In der nach Ergehen des Ermittlungsauftrages des Bundesfinanzgerichtes vom eingelangten Stellungnahme des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice - vom , VOB: ***GA3***, heißt es:
Stellungnahme zu Vorgutachten ***Dr.3*** vom :
Korrektur zum Beginn einer andauernden Erwerbsunfähigkeit - Herr ***K.*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA,
Dies besteht seit: 10/2020;
Ab diesem Zeitpunkt wurde sowohl im Vorgutachten vom als auch im Vorgutachten vom in Anlehnung der vorliegenden Befunde eine erhebliche Beeinträchtigung festgestellt, welche ab diesem Zeitpunkt zu einer Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen geführt hat. Eine Stellungnahme zum Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit vor diesem Zeitpunkt ist aufgrund fehlender aussagekräftiger Fachbefunde und Brückenbefunde 2014 -2020 nicht möglich."
Der Sohn der Bf. vollendete das 21. Lebensjahr am ***Dat21*** und das 25. Lebensjahr am ***Dat25***.
Im Beschwerdefall ist entscheidend, ob die im Aktengutachten vom , VOB: ***GA1***, im Sachverständigengutachten mit Untersuchung vom , VOB: ***GA2***, und in der Stellungnahme vom , VOB: ***GA3***, des Sozialministeriumservice dem Sohn der Bf. zugestandene Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung wie auch die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) nachzuweisen.
Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 hat der Gesetzgeber die Feststellung des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (). Daraus folgt, dass grundsätzlich eine Bindung an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (Sozialministeriumservice) erstellten Gutachten gegeben ist und eine Prüfung nur insoweit erfolgen darf, ob die Gutachten schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (z.B. mit Hinweis auf , und ; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 29).
Die Bf. hat in der Stellungnahme vom zu den von den ärztlichen Sachverständigen angesprochenen fehlenden Fach- und Brückenbefunden 2014 bis 2020 auf ihr bisheriges Vorbringen in der Eingabe vom verwiesen und die Auffassung vertreten, dass nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 die eingetretene körperliche oder geistige Behinderung vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag entscheidend sei und der Nachweis des Eintritts der Behinderung vor dem 21. Geburtstag ihres Sohnes auf Grund der bereits vorgelegten ärztlichen Befunde nachvollziehbar sei.
Dieses Vorbringen vermag aus nachstehend angeführten Gründen nicht aufzuzeigen, dass die Sachverständigen des Sozialministeriumservice zum Ergebnis hätten kommen müssen, auch der Eintritt der in den Gutachten zugestandenen Erwerbsunfähigkeit wäre vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres erfolgt:
Der Eintrittszeitpunkt einer Krankheit führt nicht automatisch dazu, dass mit Beginn einer Krankheit eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit einhergeht. Krankheiten können seit der Geburt vorliegen, auch wenn sie sich erst später manifestieren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) kann eine zu einer solchen Erwerbsunfähigkeit führende geistige oder körperliche Behinderung Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl. etwa , mwN).
Dieser Zeitpunkt wurde von der ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice in der erwähnten Stellungnahme vom , VOB: ***GA3***, in Übereinstimmung mit dem Erstgutachten (Aktengutachten) und unter Korrektur des Vorgutachtens (in dem dieser Zeitpunkt mit 09/2020 angegeben war) mit Beginn des Monats Oktober 2020 festgelegt.
Die ärztlichen Sachverständigen stützten sich in den vorliegenden Gutachten auf die von der Bf. vorgelegten medizinischen Befunde, insbesondere auf den fachärztlichen Befund 06/22 ***Dr.5***, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Verlaufsbericht 10/20 bis 06/22.
In der Stellungnahme des Sozialministeriumservice vom wird erläuternd ausgeführt, dass ab Oktober 2020 sowohl im Vorgutachten vom als auch im Erstgutachten vom in Anlehnung an die vorliegenden Befunde eine erhebliche Beeinträchtigung festgestellt worden sei, welche ab diesem Zeitpunkt zu einer Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen geführt habe. Eine Stellungnahme zum Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit vor diesem Zeitpunkt sei aufgrund fehlender aussagekräftiger Fachbefunde und Brückenbefunde 2014 - 2020 nicht möglich.
Die Parteien haben die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde oder dem Gericht aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass etwa durch die Vorlage von weiteren Befunden die Schlüssigkeit der vom Sozialministeriumservice eingeholten Gutachten widerlegt werden könnte (z.B. ; ).
Die Bf. verwies in ihrer Stellungnahme vom auf die bereits vorgelegten ärztlichen Befunde. Im Sachverständigengutachten vom , VOB: ***GA2***, sind die von der Bf. vorgelegten bzw. nachgereichten medizinischen Befunde angeführt. Daraus ist ersichtlich, dass im Zeitraum zwischen dem nachgereichten fachärztlichen Befund, "***Dr.8***, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, 01/14" und dem fachärztlichen Befund "09/20 ***Dr.5***, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie" bzw. "06/22 ***Dr.5***, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Verlaufsbericht 10/20 bis 06/22" ein Krankheitsverlauf, der Rückschlüsse auf den Eintritt einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit zuließe, durch entsprechende ärztliche Befunde nicht dokumentiert ist. In diesem Zeitraum von 2014 bis 2020 absolvierte der Sohn der Bf. im Übrigen auch eine Lehre als Bäcker und Konditor (bis Juni 2015) und war danach bis Dezember 2015 und von März 2016 bis Juli 2017 als Bäcker erwerbstätig.
Dass bestimmte Befunde oder Unterlagen nicht berücksichtigt worden wären, behauptet die Bf. nicht, sodass daher auch insoweit keine Unvollständigkeit des Gutachtens vorliegt.
Die Bf. legte auch keine neuen Befunde mehr vor, aus denen der Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr bzw. während einer Berufsausbildung vor dem 25. Lebensjahr hätte abgeleitet werden können.
Dass der Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit im Sachverständigengutachten nach der Einschätzungsverordnung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle ***** vom , VOB: ***GA2***, in Verbindung mit der Stellungnahme vom , VOB: ***GA3***, unter Bezugnahme auf den fachärztlichen Befund 06/22 ***Dr.5***, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Verlaufsbericht 10/20 bis 06/22, mit Oktober 2020 angenommen wurde, erweist sich bei dieser Sach- und Beweislage daher als schlüssig.
Es ist sohin schlüssig nachvollziehbar, dass eine weiter zurückreichende Bestätigung einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit auf Grund fehlender Befunde ("Fach- und Brückenbefunde") nicht möglich war.
Auch ein Sachverständiger kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand eines Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen ist oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen kann. Der Sachverständige kann in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt etwa eine erhebliche Behinderung oder eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen eingetreten ist. Somit wird es primär an den Beschwerdeführern liegen, den behaupteten Sachverhalt, nämlich die bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. 25. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 32).
Es würde dem Gutachten vielmehr an Schlüssigkeit fehlen, wenn der untersuchende Sachverständige den Beginn der Erwerbsunfähigkeit ohne Untermauerung durch entsprechende Befunde zu einem bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt, festgestellt hätte (vgl. z.B. ). Schlüssig ist vielmehr, den Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit unter Zuhilfenahme der von der Bf. vorgelegten Befunde zu bestimmen.
Die vom Sozialministeriumservice eingeholten Gutachten sind daher schlüssig und vollständig, sodass das Bundesfinanzgericht diese Bescheinigungen des Sozialministeriumservice sowie die dazu ergangene Stellungnahme vom dem gegenständlichen Erkenntnis zu Grunde zu legen hat.
4. Rechtliche Beurteilung
§ 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 regelt, unter welchen Voraussetzungen bei Behinderungen der Grundbetrag an Familienbeihilfe gewährt werden kann.
Dieser steht für volljährige Kinder bzw. volljährigen Kindern zu, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Hierbei ist auch eine Behinderung im psychischen Bereich als geistige Behinderung iSd obigen Bestimmungen anzusehen (; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 17).
Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht. Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 18 u. 19).
Ausschlaggebend hierfür ist somit ausschließlich, ob die in § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 normierten Voraussetzungen erfüllt sind.
Dem Sohn der Bf. wurde in den vorliegenden medizinischen Gutachten des Sozialministeriumservice keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr bzw. vor dem 25. Lebensjahr bescheinigt.
Die Gutachten wurden, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zur Beweiswürdigung ergibt, als schlüssig erachtet, sodass das Bundesfinanzgericht an diese vom Sozialministeriumservice erstellten ärztlichen Gutachten gebunden ist.
Damit lagen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 für den Bezug des Grundbetrages an Familienbeihilfe nicht vor.
Die mit dem angefochtenen Bescheid vom ausgesprochene Abweisung des Antrages vom auf Gewährung der Familienbeihilfe erweist sich daher als zu Recht erfolgt.
Aus den dargelegten Gründen war somit die gegenständliche Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
5. Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das vorliegende Erkenntnis beruht im Wesentlichen auf der Beweiswürdigung, ob beim Sohn der Bf. eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor dem 21. Lebensjahr bzw. während einer Berufsausbildung vor dem 25. Lebensjahr vorlag. Weder die im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen noch die einzelfallbezogene rechtliche Beurteilung weisen eine Bedeutung auf, die über den Beschwerdefall hinausgeht. Da sohin keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen waren, ist eine Revision nicht zulässig.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010 § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100830.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at