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VwGH | Ansässigkeit bei Doppelwohnsitz - Was zählt wirklich?

Von ICON am

Haselauer Wieland | Loizenbauer Tamara

Der VwGH hat in seinem Erkenntnis Ra 2023/13/0186-8 vom erneut zum Mittelpunkt der Lebensinteressen als Kriterium für die abkommensrechtliche Ansässigkeit Stellung genommen und einige neue, interessante Aspekte hervorgebracht.

Im Sachverhalt ging es um eine ursprünglich auf drei Jahre befristete Entsendung eines Österreichers in die USA, mit der Option auf Verlängerung um zwei Jahre. Der Dienstnehmer eines österreichischen Unternehmens wurde von seiner Ehefrau und Kindern begleitet. Nach zwei Jahren wurde die Entsendung frühzeitig „durch äußere Umstände“ beendet und die Familie ist nach Österreich zurückgekehrt. Fraglich war, ob sich während des Aufenthalts in den USA der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich oder den USA befunden hat.

Im Falle eines Doppelwohnsitzes gilt nach der sog. „Tie-Breaker-Regelung“ des Art 4 Abs 2 OECD-MA der Mittelpunkt der Lebensinteressen als entscheidendes Kriterium für die abkommensrechtliche Ansässigkeit eines Steuerpflichtigen. Besonders im Falle von Doppelbesteuerungsabkommen, die zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit die Anrechnungsmethode vorsehen (wie etwa den USA, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder der Schweiz im Falle eines in Österreich ansässigen Steuerpflichtigen), hat diese Frage besondere Brisanz, zumal sich die Gesamtsteuerlast dann nach dem höheren Steuersatz der beiden Länder bemisst - was nicht selten der österreichische ist.

Der Begriff des „Mittelpunktes der Lebensinteressen“ ist zwar nicht legaldefiniert, der OECD-Musterkommentar präzisiert diesen Begriff aber wie folgt: „Der Ausdruck ‚Mittelpunkt der Lebensinteressen‘ bezieht sich auf die engen persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen einer Person. Bei der Bestimmung des Mittelpunkts der Lebensinteressen sind alle relevanten Faktoren zu berücksichtigen, einschließlich der familiären und sozialen Beziehungen, der beruflichen Tätigkeit, der politischen, kulturellen oder sonstigen Aktivitäten, des Ortes, von dem aus die Person ihre Vermögensverwaltung betreibt, und des Ortes, von dem aus die Person ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt.“

Für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Staat) der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat, ist auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Von Bedeutung sind dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen, aber auch die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements. Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus.

Im vorliegenden Fall hat das Gericht festgestellt, dass etwa der Familienwohnsitz, das laufende Gehaltskonto wie auch die Urlaube für eine Ansässigkeit in den USA sprächen, während als Anknüpfungspunkte an Österreich der Nebenwohnsitz (Eigenheim), die durchgehende österreichische Sozialversicherung, Überweisungen auf ein österreichisches Sparkonto sowie der grundsätzlich schon bei Wegzug bestehende Plan, die Kinder in Österreich einzuschulen, bestünden.

Weiters wurden einige allgemeine Grundsätze der Rechtsprechung im Urteil erneut zitiert:

  • Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend ist, „welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist“ (vgl. ; , 2011/13/0091).

  • Dabei ist auf einen längeren (dh idR mehrjährigen) Beobachtungszeitraum abzustellen (vgl. , mwN).

  • Eine zeitlich begrenzte Auslandstätigkeit lässt den Mittelpunkt der Lebensinteressen auch dann im Inland bestehen, wenn die Familie an den Arbeitsort im Ausland mitzieht, die Wohnung im Inland aber beibehalten wird (vgl. ).

Die österreichische Finanzverwaltung geht regelmäßig von folgender, widerlegbarer Vermutung aus: „Bei kurzfristigen Auslandsaufenthalten (im Ausmaß von weniger als zwei Jahren) wird idR davon auszugehen sein, dass keine Verlagerung des Mittelpunktes der Lebensinteressen in das Ausland erfolgt. Bei länger als fünf Jahre dauernden Aufenthalten im Ausland wird hingegen die äußere Vermutung für die Verlegung des Mittelpunktes der Lebensinteressen in das Ausland sprechen, wenn auch der Ehegatte und die haushaltszugehörigen Kinder in das Ausland übersiedeln. Für Zeiträume dazwischen wird die Frage im Einzelfall an Hand der besonderen Umstände des Einzelfalls zu klären sein.“ (vgl. Rz 7596 EStR).

Folgende zwei Aspekte sind in der Entscheidung besonders hervorgehoben worden:

  • Die Tatsache, dass der Steuerpflichtige keine Ansässigkeitsbescheinigung in den USA angefordert hat, spreche dafür, „dass auch die US-Behörden von keiner steuerlichen Ansässigkeit in den USA ausgegangen seien“.

  • Die vorzeitige Rückkehr nach zwei Jahren (anstatt drei), bedingt durch die Einschuldung der beiden Kinder, spreche dafür, „dass auch während der Dauer des USA-Aufenthaltes die engeren Bindungen zu Österreich bestanden“ habe: „...gerade der Umstand, dass der Wiedereingliederung der Kinder ein wesentlich höherer Stellenwert eingeräumt wurde als der Fortsetzung des gemeinsamen Aufenthaltes in den USA, wobei die wesentliche Bedeutung dieser schulischen Weiterentwicklung der Kinder für den Mitbeteiligten von Anfang an vorgelegen war.“

Bereits im Jahr 2010 hat der VwGH (2009/15/0198 vom ) zur Rolle der Kinder und deren Schulbesuch geurteilt und festgestellt, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen eines Steuerpflichtigen, dessen Kinder in Österreich zur Schule gehen und dort ihren Lebensmittelpunkt haben, ebenfalls in Österreich liegt.

FAZIT

Die Entscheidung des VwGH (Ra 2023/13/0186-8) betont die Bedeutung einer umfassenden Prüfung des Mittelpunktes der Lebensinteressen bei Doppelwohnsitzen und zeitlich befristeten Auslandstätigkeiten. Im vorliegenden Fall führten die frühzeitige Rückkehr nach Österreich, die Einschulung der Kinder und das Fehlen einer US-Ansässigkeitsbescheinigung dazu, dass die engeren Bindungen des Steuerpflichtigen trotz des Aufenthalts in den USA weiterhin in Österreich gesehen wurden. Dies steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung, wonach eine begrenzte Auslandstätigkeit bei Beibehaltung eines Wohnsitzes in Österreich nur in eher seltenen Fällen zu einer tatsächlichen Verlagerung des Mittelpunkt der Lebensinteressen führt.

Die Entscheidung unterstreicht, dass persönliche Beziehungen und familiäre Planungen regelmäßig mehr Gewicht haben als wirtschaftliche Bindungen. Für die Praxis ist es essenziell, alle relevanten Faktoren sorgfältig zu dokumentieren und zu bewerten, da das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse entscheidend bleibt.

Autoren

Haselauer Wieland

Loizenbauer Tamara

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XAAAF-43092