1. Abflusszeitpunkt von bescheidmäßig abgesprochenen Pensionsrückzahlungen 2. Keine Analogie, wenn keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vorliegt
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Heidemarie Winkler über die Beschwerde der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom , gegen den Bescheid des vormaligen Finanzamtes Wien 4/5/10, nunmehr Finanzamt Österreich, vom , betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2015, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin (in Folge BF) erhob am gegen den am ergangenen Einkommensteuerbescheid Beschwerde, da Werbungskosten in Höhe von EUR 31.922,93 infolge Rückzahlung von Pensionszahlungen an die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt wurden.
Mittels Vorhalt vom ersuchte das Finanzamt (belangte Behörde) um weiterführende Informationen zu den beantragten Ausgaben.
Mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom wurde die Beschwerde abgewiesen, da das Ergänzungsersuchen vom nicht beantwortet wurde.
In dem dagegen eingebrachten Vorlageantrag vom bringt die BF vor, dass sie die zur Vorhaltsbeantwortung gesetzte Frist irrtümlich übersehen habe. Aufgrund rechtlicher Änderungen in Deutschland habe sie - nach einem jahrelangen Rechtsstreit - die in den Vorjahren zu viel erhaltenen Beträge aus dem Titel der Witwenpension an die deutsche Pensionskasse zurückzahlen müssen. Dem Rechtsmittel beigelegt waren sämtliche Unterlagen zum Rückzahlungsverfahren sowie das Urteil des Verwaltungsgerichtes Köln vom (***2***).
Im Vorlagebericht an das Bundesfinanzgericht vom begehrt die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde, da gemäß § 19 EStG 1988 Rückzahlungen an Pensionen, die bescheidmäßig festgesetzt wurden, das Einkommen in dem Kalenderjahr mindern, für das die Rückzahlung geleistet wurde. Die Rückzahlung im Jahr 2015 mindere daher die Einkommen der Jahre 2007-2009. Für 2015 bleibe das Einkommen unverändert.
Durch den Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom wurde der gegenständliche Fall der unbesetzten Gerichtsabteilung 1024 abgenommen und zum Stichtag der Gerichtsabteilung 1078 neu zugeteilt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die BF ist Witwe des am tt.01.2004 verstorbenen ***1***.
Mit Bescheid der setzte die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesfinanzdirektion West, die der BF ab dem nach § 19 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) zu zahlenden Versorgungsbezüge fest.
Mit Rückforderungsbescheid vom , ***3***, wurde die BF aufgefordert, die überzahlten Versorgungsbezüge der Vorjahre zurückzuzahlen.
Dagegen legte die BF am Widerspruch ein und es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit.
Mit rechtskräftigem Urteil des Verwaltungsgerichtes Köln, GZ: ***2***, vom , wurde die BF dazu verpflichtet, EUR 31.992,93 an Pensionsübergenuss zurückzuzahlen.
Der Übergenuss betrifft folgenden Jahre:
2007: EUR 10.846,28
2008: EUR 10.759,67
2009: EUR 10.316,98
Die Rückzahlung (Überweisung) erfolgte am .
Die BF machte die gesamte Rückzahlung über 31.992,93 in der Einkommensteuerklärung 2015 geltend.
2. Beweiswürdigung
Die unstrittigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem Vorbringen der BF und der von ihr vorgelegten Unterlagen.
Die Beschwerde wirft die Rechtsfrage auf, zu welchem Zeitpunkt die Pensionsrückzahlung nach dem Einkommensteuerrecht zu erfassen ist.
3. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
3.1. Rechtsgrundlagen
Die einschlägigen Bestimmungen des EStG 1988 lauten:
§ 16 EStG idF BGBl. I Nr. 118/2015
(1) Werbungskosten sind die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Aufwendungen und Ausgaben für den Erwerb oder Wertminderungen von Wirtschaftsgütern sind nur insoweit als Werbungskosten abzugsfähig, als dies im folgenden ausdrücklich zugelassen ist. Hinsichtlich der durchlaufenden Posten ist § 4 Abs. 3 anzuwenden. Werbungskosten sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind
[…]
(2) Zu den Werbungskosten zählt auch die Erstattung (Rückzahlung) von Einnahmen, sofern weder der Zeitpunkt des Zufließens der Einnahmen noch der Zeitpunkt der Erstattung willkürlich festgesetzt wurde. Steht ein Arbeitnehmer in einem aufrechten Dienstverhältnis zu jenem Arbeitgeber, dem er Arbeitslohn zu erstatten (rückzuzahlen) hat, so hat der Arbeitgeber die Erstattung (Rückzahlung) beim laufenden Arbeitslohn als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Zeitliche Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben
§ 19 EStG idF BGBl. I Nr. 112/2011 lautet:
(1) Einnahmen sind in jenem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Abweichend davon gilt:
1. Regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die dem Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zugeflossen sind, gelten als in diesem Kalenderjahr bezogen.
2. In dem Kalenderjahr, für das der Anspruch besteht bzw. für das sie getätigt werden, gelten als zugeflossen:
- Nachzahlungen von Pensionen, über deren Bezug bescheidmäßig abgesprochen wird,
- Nachzahlungen im Insolvenzverfahren sowie- Förderungen und Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln im Sinne des § 3 Abs. 4, mit Ausnahme der in § 3 Abs. 2 genannten Bezüge.
3. Bezüge gemäß § 79 Abs. 2 gelten als im Vorjahr zugeflossen. Die Lohnsteuer ist im Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung einzubehalten. Für das abgelaufene Kalenderjahr ist ein Lohnzettel gemäß § 84 an das Finanzamt zu übermitteln.
(2) Ausgaben sind für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Für regelmäßig wiederkehrende Ausgaben gilt Abs. 1 zweiter Satz. Die Vorschriften über die Gewinnermittlung bleiben unberührt.
3.2. Rechtliche Beurteilung
Die Rückzahlung des Pensionsübergenusses im Jahr 2015 kann zu Werbungskosten führen. So zählt gemäß § 16 Abs 2 EStG 1988 zu den Werbungskosten auch die Erstattung (Rückzahlung) von Einnahmen, sofern weder der Zeitpunkt des Zufließens der Einnahmen noch der Zeitpunkt der Erstattung willkürlich festgesetzt wurde.
Für Nachzahlungen von Pensionen, über deren Bezug bescheidmäßig abgesprochen wird, wird gemäß § 19 Abs 1 EStG das Zuflussprinzip (IST-Prinzip) durchbrochen und die Erfassung nach dem Perioden-/Anspruchsprinzip (SOLL-Prinzip) angeordnet.
Anders verhält es sich jedoch für Rückzahlungen. Auf Seiten des Abflusses von Ausgaben sieht das Gesetz (für den Beschwerdezeitraum/Rechtslage alt iSd BGBl. I Nr. 112/2011) keine solche Durchbrechung des IST-Prinzips vor, sodass die Rückzahlung der rückgeforderten Witwenpenison im Zeitpunkt ihres Abflusses zu erfassen ist.
Rückzahlungen von Einnahmen in den Folgejahren sind Änderungen, die den einmal erfolgten Zufluss nicht mehr rückgängig machen können (; 300/63; ; ; ; ebenso BFH, BStBl. 1996 II 201 zur Rückzahlung von zu Unrecht ausbezahltem Arbeitslosengeld; BFH, BStBl. 2006 II 832 zu irrtümlich ausgezahlten Krankenbezügen trotz Bezuges einer Berufsunfähigkeitsrente und anschließender Rückzahlung durch den Arbeitnehmer; vgl. auch Mayr/Hayden in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG24 § 19 Tz 11 und Hofstätter/Reichel, EStG, § 19 Tz 47); dies selbst dann nicht, wenn schon im Zeitpunkt des Zuflusses feststehen sollte, dass die Einnahme in späteren Kalenderjahren ganz oder teilweise zurückzuzahlen ist (; ; vgl. auch Jakom/Vock, EStG, 2018, § 19 Rz 15).
Wenn sich die belangte Behörde im Erstbescheid sowie im Vorlagebericht ohne näheres Eingehen auf eine gesetzliche Grundlage auf das Anspruchsprinzip beruft, so stützt sie diese Rechtsauffassung offensichtlich auf die "Lohnsteuerrichtlinien 2002" (LStRL) des Bundesministeriums für Finanzen (GZ 07 2501/4-IV/7/01 idF GZ BMF-010222/0084-VI/7/2014 vom ).
In der Rz 631a LSt-RL ist dazu folgendes geregelt: "Nachzahlungen von Pensionen gelten in den Kalendermonaten als zugeflossen, für die der Anspruch besteht. Bei der Rückzahlung von Übergenüssen ist analog vorzugehen. Diese Vorschrift ist auch bei der Veranlagung von Nachzahlungen bzw. Rückzahlungen entsprechender ausländischer Pensionen, für die Österreich das Besteuerungsrecht hat, sowie bei Berechnung des Progressionsvorbehaltes anzuwenden".
Die Rechtsprechung des VwGH hat die grundsätzliche Zulässigkeit der Analogie auch im öffentlichen Recht wiederholt anerkannt. Voraussetzung für die analoge Anwendung verwandter Rechtsvorschriften ist freilich das Bestehen einer echten Rechtslücke; im Zweifel ist eine auftretende Rechtslücke als beabsichtigt anzusehen (Hinweis E , 970/75, VwSlg 9677 A/1978). Wo die gesetzlichen Bestimmungen eindeutig sind, d.h. keine planwidrige Unvollständigkeit erkennen lassen, ist für die Anwendung der Gesetzesanalogie kein Raum (Hinweis E , 85/09/0006, VwSlg 11787 A/1985).
Entgegen der Ansicht/den Richtlinien des BMF (vgl zur damaligen Rechtslage: LStR 2002 (14. Fassung, Rz 631a ff) sind nur Nachzahlungen von Pensionen abweichend vom Zuflussjahr im Jahr des Anspruchs steuerwirksam. Im Ausgabenfall (Rückzahlung) wird eine Abweichung vom Abflussprinzip nur für wiederkehrende Einnahmen normiert, betreffend (Pensions)Rückzahlungen fehlt ein gleichlautender Verweis auf § 19 Abs 1 EStG.
Wie der VwGH in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, begründen Erlässe und Richtlinien der Finanzverwaltung keine subjektiven Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen (vgl. zB.: , VwSlg 7787 F/2003, oder , 2010/13/0138). Sie stellen lediglich die Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Finanzen dar. Die Einkommen-/Lohnsteuer-Richtlinien weisen in ihrer Einleitung sogar selbst darauf hin, dass aus ihnen über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten nicht abgeleitet werden können (). Die Lohnsteuerrichtlinien 2002 stellen einen Auslegungsbehelf zum Einkommensteuergesetz 1988 dar, der im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise mitgeteilt wird. Die Lohnsteuerrichtlinien sind als Zusammenfassung des geltenden Lohnsteuerrechts und somit als Nachschlagewerk für die Verwaltungspraxis und die betriebliche Praxis anzusehen.
Es kann zudem keine planwidrige Unvollständigkeit sein, wenn Ausgaben anders geregelt sind als Einnahmen. Dass auf die Rückzahlung von Übergenüssen einfach vergessen wurde, kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.
Zurückgezahlte Einnahmen sind daher gemäß § 16 Abs 2 EStG 1988 - unter der Bedingung, dass weder der Zeitpunkt des Zufließens der Einnahmen, noch der Zeitpunkt der Erstattung willkürlich festgesetzt wurden - im Zeitpunkt der tatsächlichen Rückzahlung (§ 19 Abs 2 EStG 1988) als Werbungskosten zu berücksichtigen ().
Im vorliegenden Fall ist die unterschiedliche Behandlung vom Gesetzgeber gewollt und liegt keine mittels Analogie zu schließende Regelungslücke vor (, ). Der (alte) Gesetzeswortlaut ist demnach eindeutig, er geht den Richtlinien vor und ist auf das Streitjahr anzuwenden. Es konnte keine Willkür bezüglich des Rückzahlungszeitpunktes festgestellt werden und es war spruchgemäß zu entscheiden.
Hinweis: Auch wenn es zwischenzeitig zu einer Gesetzesänderung kam (Abgabenänderungsgesetz 2022 - AbgÄG 2022, BGBl I 2022/108) und sich die hier maßgebliche Bestimmung des § 19 Abs 2 EStG dahingehend änderte, als das nun auch Pensionsrückzahlungen dem Anspruchsprinzip folgen (vgl.: "Rückzahlungen von Einnahmen gemäß Abs. 1 Z 2 erster und zweiter Teilstrich gelten in dem Kalenderjahr als abgeflossen, für das der Anspruch bestand bzw. für das sie getätigt wurden") ist diese Bestimmung explizit erst ab anwendbar ("Die Änderungen sollen für Zahlungen, Nachzahlungen und Rückzahlungen ab gelten", Erläuterungen zur Regierungsvorlage, Nr. 1534 der Beilagen XXVII. GP; Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 19). Demzufolge ist die Neuregelung denklogisch für die Vergangenheit und somit für die vorliegende Beschwerde eben nicht anwendbar.
Finanzamt Österreich
§ 323b Abs 1 bis 3 BAO lautet i. d. F. BGBl. I Nr. 99/2020 (2. FORG)
§ 323b (1) Das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe treten für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes. Das Zollamt Österreich tritt am an die Stelle der am zuständig gewesenen Zollämter.
(2) Die am bei einem Finanzamt oder Zollamt anhängigen Verfahren werden von der jeweils am zuständigen Abgabenbehörde in dem zu diesem Zeitpunkt befindlichen Verfahrensstand fortgeführt.
(3) Eine vor dem von der zuständigen Abgabenbehörde des Bundes genehmigte Erledigung, die erst nach dem wirksam wird, gilt als Erledigung der im Zeitpunkt des Wirksamwerdens für die jeweilige Angelegenheit zuständigen Abgabenbehörde.
Die gegenständliche Entscheidung ergeht daher an das Finanzamt Österreich.
3.3. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Der VwGH hat das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betreffend gegenständlicher Fallkonstellation bereits mit Beschluss vom , Zl. 2012/13/0098 verneint.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 19 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 16 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 19 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7101547.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at