Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe; VO 883/2004
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch Mag. Martin Kasbauer, Franz-Keim-Straße 17, 4600 Wels, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung im Zeitraum 04/2021 bis 01/2022 zum Ordnungsbegriff ***OB*** zu Recht:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
A. Antrag, Ergänzungsersuchen, Bescheid
Mit Schreiben vom wurde seitens des Erwachsenenvertreters des Beschwerdeführers formlos die "Nachzahlung der Familienbeihilfe und der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum April 2021 bis einschließlich Jänner 2022" für den Beschwerdeführer in der Form eines Eigenantrages beantragt.
Mit Schreiben des belangten Finanzamtes vom wurde der Beschwerdeführer um die Übermittlung von zusätzlichen Unterlagen sowie den entsprechenden Formblättern für den Antrag auf (erhöhte) Familienbeihilfe ersucht.
Mit Schreiben vom wurden seitens des Erwachsenenvertreters des Beschwerdeführers die ausgefüllten Antragsformulare sowie ein Gutachten des Sozialministeriumservice vom übermittelt, aus dem sich betreffend den am ***GebDat*** geborenen Beschwerdeführer ein Grad der Behinderung von 50% sowie das Vorliegen der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ergeben. Sowohl der Grad der Behinderung als auch das Vorliegen der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, liegen gemäß dem Gutachten seit 06/2017 vor.
Mit Bescheid vom wurde der (Eigen)Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Antragszeitraum im Haushalt der Eltern gelebt habe oder dass die Eltern dem Beschwerdeführer überwiegenden den Lebensunterhalt finanziert hätten. Aus diesem Grund habe der Beschwerdeführer selbst keinen Anspruch auf Familienbeihilfe (Verweis auf § 6 Abs. 5 FLAG 1967).
B. Beschwerde, Ergänzungsersuchen, Beschwerdevorentscheidung, Vorlageantrag
Mit Schreiben vom wurde durch den Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers Beschwerde gegen den obig angeführten Bescheid erhoben. Begründend wurde darauf verwiesen, dass seitens des belangten Finanzamtes der Sachverhalt unrichtig festgestellt worden. Zusätzlich sei eine unrichtige rechtliche Beurteilung erfolgt. So habe der Beschwerdeführer im Zeitraum April 2021 bis Jänner 2022 in Deutschland, und somit gerade nicht im Haushalt seiner Mutter, gelebt. Er sei während dieser Zeit überwiegend selbst für seinen Lebensunterhalt aufgekommen, dies vor allem durch Gelegenheitsjobs in Deutschland. Belege oder Zahlungsnachweise für diesen Zeitraum würden keine existieren. Daraus ergebe sich, dass der Beschwerdeführer selbst Anspruch auf Familienbeihilfe im Antragszeitraum gehabt hätte, da er selbst für seinen Lebensunterhalt aufgekommen sei und nicht im Haushalt seiner Eltern gelebt habe.
Mit Schreiben vom wurde der Beschwerdeführer durch das belangte Finanzamt zur Übermittlung von Nachweisen betreffend den tatsächlichen Aufenthalt in Deutschland im Antragszeitraum ersucht.
Mit Schreiben vom wurde durch den Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers darauf hingewiesen, dass solche Nachweise nicht existieren würden, da sich der Beschwerdeführer im besagten Zeitraum in einer Notschlafstelle in Berlin aufgehalten habe.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Begründend wurde - nach Anführung der einschlägigen gesetzlichen Normen - ausgeführt, dass im streitgegenständlichen Zeitraum keine ZMR-Meldung des Beschwerdeführers in Österreich vorliege und die geforderten Nachweise betreffend den Aufenthalt in Deutschland nicht vorgelegt worden seien. Da im gegenständlichen Fall Sachverhaltselemente ihre Wurzeln im Ausland (Deutschland) hätten, treffe den Beschwerdeführer - unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des VwGH - eine erhöhte Mitwirkungs- und Offenlegungspflicht, da die behördlichen Ermittlungsmöglichkeiten geringer seien. Es bestehe daher - nach der Rechtsprechung des VwGH - eine Beweismittelbeschaffungspflicht und eine Vorsorgepflicht.
Da trotz Aufforderung kein Nachweis darüber erbracht worden sei, dass sich der Beschwerdeführer im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich im EU/EWR-Raum bzw. der Schweiz aufgehalten habe, sei die Beschwerde abzuweisen gewesen.
Mit Schreiben vom wurde durch den Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers ein Vorlageantrag eingebracht.
C. Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht
Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Schreiben vom wurde durch den Erwachsenenvertreter ein Dokument (ein sogennanntes "Vorgangsdeckblatt" der Polizei Berlin) übermittelt. Gemäß diesem Dokument wurden gegen den Beschwerdeführer aufgrund eines am in Berlin stattgefundenen Ereignisses Ermittlungen der Polizei Berlin aufgenommen.
Mit Schreiben vom wurde dieses Vorgangsdeckblatt - gemeinsam mit weiteren Ausführungen - an das belangte Finanzamt zur Kenntnis- und Stellungnahme übermittelt. Insbesondere wurde darauf verwiesen, dass durch dieses Vorgangsdeckblatt dokumentiert sei, dass sich der Beschwerdeführer innerhalb des streitgegenständlichen Zeitraumes (d.h. am ) in Berlin aufgehalten habe und dies mit den Ausführungen des Erwachsenenvertreters des Beschwerdeführers insofern übereinstimme, als dieser vorbringe, dass sich der Beschwerdeführer im Zeitraum 04/2021 bis 01/2022 in Berlin aufgehalten und in einer dortigen Notschlafstelle übernachtet habe.
Im Rahmen eines Telefonats vom wurde von der Vertreterin des belangten Finanzamtes mitgeteilt, dass einer Stattgabe der Beschwerde zugestimmt werde.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist am ***GebDat*** geboren und österreichischer Staatsbürger. Beim Beschwerdeführer liegt seit 06/2017 ein Grad der Behinderung von 50% sowie die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor.
Am hat der Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers die Gewährung der Familienbeihilfe sowie des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum 04/2021 bis 01/2022 im Wege eines Eigenantrages beantragt. In diesem Zeitraum hat der Beschwerdeführer nicht bei seiner Mutter in Österreich, sondern in Berlin gelebt. Seinen Unterhalt in dieser Zeit hat er selbst finanziert, er hat weder Arbeitslosengeld/Notstandshilfe noch Waisenpension erhalten.
Die Mutter des Beschwerdeführers hat im streitgegenständlichen Zeitraum in Österreich gewohnt, eine Alterspension sowie einen Witwenversorgungsgenuss in Österreich bezogen und war in diesem Zusammenhang in Österreich sozialversichert.
2. Beweiswürdigung
Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.
Die Feststellung betreffend das Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus der im Akt ersichtlichen Sozialversicherungsnummer. Die Feststellung betreffend die österreichische Staatsbürgerschaft ergibt sich aus dem ZMR. Die Feststellung, wonach beim Beschwerdeführer ein Grad der Behinderung von 50% sowie eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vorliegt (beides jeweils seit 06/2017), ergibt sich aus dem Gutachten des Sozialministeriumservice vom (siehe dazu die nachfolgenden Ausführungen).
Der Gesetzgeber hat durch die Bestimmung des (unten zitierten) § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Frage des Grades der Behinderung und auch die damit in der Regel unmittelbar zusammenhängende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen ().
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden sind und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten einander nicht widersprechen (z.B. ; und , mwN).
Sowohl das Gutachten vom als auch das Vorgutachten aus 10/2017 sind betreffend den Grad der Behinderung (50%) als auch betreffend das Vorliegen der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, zum gleichen Ergebnis gekommen - nämlich, dass sowohl der Grad der Behinderung als auch die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, seit 06/2017 vorliegen. Im bisherigen Verfahren wurde weder die Unschlüssigkeit noch die Unvollständigkeit dieser Gutachten vorgebracht, noch wurde ein Widerspruch zwischen diesen Gutachten eingewendet. Da sich auch für den zuständigen Richter keine Zweifel an der Tauglichkeit der Gutachten ergeben, wurden die Gutachten (insbesondere das aktuellere Gutachten vom ) der konkreten Entscheidung zugrunde gelegt. Insbesondere vermag die nur wenige Monate andauernde Berufstätigkeit ( bis , laut dem Sozialversicherungsauszug betreffend den Beschwerdeführer vom ) nicht zum Ergebnis zu führen, dass dadurch die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ausgeschlossen wäre (vgl. zu dieser Frage ).
Die Feststellungen betreffend das Datum des Antrages sowie des Antragszeitraumes ergeben sich aus dem Antrag selbst.
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer in Antragszeitraum nicht bei seiner Mutter, sondern in Berlin gelebt und sich seinen Unterhalt selbst finanziert hat, ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
Im Schreiben vom wurde seitens des Erwachsenenvertreters des Beschwerdeführers ausgeführt, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Berlin in einer dortigen Notunterkunft (Storkower Straße 133A, 10407 Berlin) aufgehalten habe. Dass sich an dieser Adresse tatsächlich eine Notunterkunft befindet, wurde durch den erkennenden Richter mittels Internetrecherche verifiziert (https://www.berlin.de/ba-pankow/aktuelles/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1143537.php, abgerufen am ; https://www.pankow-hilft.de/index.php/wer-wir-sind/unterstuetzungskreise/gu-10-storkower-strasse, abgerufen am ). Dass eine solche Notunterkunft keine "Aufenthaltsbestätigungen" oder ähnliches ausstellt, entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, zumal solche Angebote möglichst "niederschwellig" sein sollen, um eine Inanspruchnahme so leicht wie möglich zu gestalten.
Zusätzlich wurde durch den Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers mit Schreiben vom ein von der Polizei Berlin erstelltes "Vorgangsdeckblatt" übermittelt. Aus diesem Dokument ist ersichtlich, dass von der Polizei Berlin Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer eingeleitet wurden, dies aufgrund eines Ereignisses am Ludolfingerplatz 1, 13465 Berlin-Frohnau am . Durch dieses Vorgangsdeckblatt ist klar dokumentiert, dass sich der Beschwerdeführer an einem Tag innerhalb des gegenständlichen Antragszeitraumes (d.h. 04/2021 bis 01/2022), nämlich am , tatsächlich in Berlin befunden hat. Es erscheint somit das Vorbringen des Erwachsenenvertreters, wonach sich der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum in Berlin befunden hat, durch dieses Dokument als zumindest plausibel und wahrscheinlich. Dies vor allem auch unter Bedachtnahme auf die monetäre bzw. psychische Situation des Beschwerdeführers. Wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt, hat der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum keinerlei staatliche Unterstützung (d.h. kein Arbeitslosengeld, keine Notstandshilfe und keine Waisenpension) erhalten. Es erscheint somit durchaus plausibel, dass er seinen Unterhalt während des Aufenthaltes in Deutschland - wie vom Erwachsenenvertreter vorgebracht - durch Gelegenheitsjobs bestritten hat. Zusätzlich ergibt sich aus dem Gutachten des Sozialministeriumservice vom , dass sich der psychische Zustand des Beschwerdeführers deutlich verschlechtert, wenn er die zur Behandlung verschriebenen Medikamente nicht einnimmt. Dies ergibt sich aus dem im Gutachten zitierten Kurzarztbriefes des Klinikums Wels-Grieskirchen, Abteilung Psychiatrie aus 01/2022, in dem als Aufnahmegrund "chronisch psychotische Störung, erneute Exazerbation unter Medikamentenkranz" angeführt ist. Dieser im Kurzarztbrief vermerkte Aufnahmegrund lässt darauf schließen, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Antragszeitraum seine Medikamenteneinnahme vernachlässigt und somit beträchtliche psychotische Symptome entwickelt hat. Im Kurzarztbrief ebenfalls angeführt ist "Polytoxikomanie", d.h. der gleichzeitige Konsum von verschiedenen psychotrop wirkenden Substanzen. Somit ergibt sich für den erkennenden Richter das folgende Bild:
Durch das bereits erwähnte "Vorgangsdeckblatt" der Polizei Berlin steht fest, dass der Beschwerdeführer sich am in Berlin befunden hat. Dies steht im Einklang mit den Ausführungen des Erwachsenenvertreters, der als Aufenthaltsort des Beschwerdeführers im streitgegenständlichen Zeitraum ebenfalls Berlin genannt hat. Zusätzlich erscheint es - unter Bedachtnahme auf die obig dargestellte monetäre (Gelegenheitsjobs) und psychische Situation (chronisch psychotische Störung, Drogenkonsum) des Beschwerdeführers - unwahrscheinlich, dass dieser im streitgegenständlichen Zeitraum eine umfassende Reisetätigkeit entfaltet hat. Im Ergebnis steht für den erkennenden Richter fest, dass sich der Beschwerdeführer im Zeitraum 04/2021 bis 01/2022 tatsächlich in Deutschland aufgehalten hat. Zwar ist diesbezüglich anzumerken, dass die Beweislage sehr dünn ist, allerdings erscheint das Vorbringen des Beschwerdeführers (bzw. seines Erwachsenenvertreters) aus den angeführten Gründen als die wahrscheinlichste Variante.
Die Feststellung, wonach er im streitgegenständlichen Zeitraum weder Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder eine Waisenpension bezogen hat, ergibt sich aus dem Sozialversicherungsauszug betreffend den Beschwerdeführer vom . Die Feststellungen betreffend den Pensions- sowie Witwenversorgungsgenuss der Mutter des Beschwerdeführers beruht auf einem entsprechenden Sozialversicherungsauszug vom . Die Feststellung betreffend den Wohnort der Mutter ergibt sich aus dem ZMR und die Tatsache, dass sie während des streitgegenständlichen Zeitraumes in Österreich sozialversichert war, ergibt sich aus dem auf den fraglichen Einkommensteuerbescheiden ersichtlichen Werbungskostenabzug im Zusammenhang mit den Sozialversicherungsbeiträgen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
A. Rechtliche Grundlagen
§ 2 FLAG 1967 lautet auszugsweise:
(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
[…]
c) für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen,
[…]
(2)Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
(3)Im Sinne dieses Abschnittes sind Kinder einer Person
a)deren Nachkommen,
b)deren Wahlkinder und deren Nachkommen,
c)deren Stiefkinder,
d)deren Pflegekinder (§§186 und 186a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches).
[…]
(8)Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.
[…]
Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.
§ 6 FLAG 1967 lautet auszugsweise:
(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie
[…]
d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden, oder
[…]
(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).
[…]
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967 lautet:
Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.
Artikel 1 VO 883/2004 lautet auszugsweise:
Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
[…]
i) "Familienangehöriger"
1. i) jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;
ii) in Bezug auf Sachleistungen nach Titel III Kapitel 1 über Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft jede Person, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie wohnt, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt wird oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;
2. unterscheiden die gemäß Nummer 1 anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind, so werden der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder als Familienangehörige angesehen;
3. wird nach den gemäß Nummern 1 und 2 anzuwendenden Rechtsvorschriften eine Person nur dann als Familien- oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Versicherten oder dem Rentner in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von dem Versicherten oder dem Rentner bestritten wird;
j) "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person;
k) "Aufenthalt" den vorübergehenden Aufenthalt
[…]
z) "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I.
Artikel 2 VO 883/2004 lautet:
Persönlicher Geltungsbereich
(1) Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.
(2) Diese Verordnung gilt auch für Hinterbliebene von Personen, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten galten, und zwar ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit dieser Personen, wenn die Hinterbliebenen Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge in einem Mitgliedstaat wohnen.
Artikel 3 VO 883/2004 lautet auszugsweise:
Sachlicher Geltungsbereich
(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:
[…]
j) Familienleistungen.
Artikel 7 VO 883/2004 lautet:
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach denRechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlensind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.
Artikel 67 VO 883/2004 lautet:
Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.
Artikel 60 Abs. 1 VO 987/2009 lautet:
(1) Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.
B. Erwägungen
a) Innerstaatliches Recht
Gemäß dem festgestellten Sachverhalt besteht beim Beschwerdeführer ein Grad der Behinderung von 50% sowie eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Beides besteht bereits seit 06/2017 und somit deutlich vor der - in § 2 Abs. 1 lit. c. FLAG 1967 normierten - Altersgrenze von 21 Jahren (der Beschwerdeführer war im Juni 2017 19 Jahre alt).
Weiters ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass der Beschwerdeführer im streitgegenständlichen Zeitraum nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter gewohnt hat und auch sein Unterhalt nicht überwiegend von seiner Mutter finanziert wurde. Der Beschwerdeführer hätte somit - bei Vorliegen eines rein innerstaatlichen Sachverhaltes und gemäß § 6 Abs. 1 und 2 iVm § 6 Abs. 5 FLAG 1967 - Anspruch auf Familienbeihilfe sowie Anspruch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung.
Zu prüfen ist nunmehr, welche Auswirkung die Tatsache hat, dass sich der Beschwerdeführer im streitgegenständlichen Zeitraum nicht im Inland, sondern in Deutschland aufgehalten hat, dies unter Beachtung der (bereits obig auszugsweise zitierten) VO 883/2004.
b) Anwendbarkeit der VO 883/2004
aa) Allgemeine Ausführungen
Einleitend ist zunächst auf die Ausführungen von Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 3, Rz 182g zu verweisen:
Die VO (EG) 883/2004 ist unabhängig vom Vorliegen einer Erwerbstätigkeit oder eine dieser gleichgestellten Situation anzuwenden. Art 67 VO (EG) 833/2004, wonach eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden, hat (s Rz 182o), ist generell anwendbar. Es kommt nicht darauf an, ob die Person in diesem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, noch, ob sie von ihm aufgrund oder infolge einer Beschäftigung eine Geldleistung bezieht.
Ein in Irland wohnender rumänischer Staatsbürger hat daher für seine in Rumänien wohnenden Kinder Anspruch auf irische Familienleistungen, wenn er die irischen Voraussetzungen für den Bezug von Familienleistungen erfüllt (vgl C-322/17, Bogatu).
Das Unionsrecht gewährleistet, dass den Familienangehörigen eines den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegenden Erwerbstätigen, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, die ihnen die in den anwendbaren Rechtsvorschriften des Staates der Erwerbstätigkeit vorgesehenen Familienleistungen gewährt werden (vgl C-245/94 und C-312/94, Hoever und Zachow). Die nach Art 67 VO (EG) 883/2004 iVm Art 60 Abs 1 Satz 2 VO (EG) 987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird ( C-378/14, Tomisław Trapkowski; BFH , III R 62/12; RV/7101889/2016), und zwar iSd Art 68 VO (EG) 883/2004 sowohl bei vorrangig als auch bei nachrangig geschuldeten Familienleistungen ( C-32/18, Moser). Ist die VO (EG) 883/2004 anzuwenden, ist daher zu fingieren, dass sowohl die Voraussetzung des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (§ 2 Abs 1 FLAG) als auch die Voraussetzung des Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet (§ 2 Abs 8 FLAG) hinsichtlich aller Mitglieder der jeweiligen Familie ("beteiligten Personen") vorliegt, auch wenn einzelne oder alle Mitglieder dieser Familie tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat der Union (des EWR oder in der Schweiz) wohnen und dort ihren Lebensmittelpunkt haben (; , RV/7103786/2015).
Die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten gilt grundsätzlich nicht für Familienleistungen ( verb. Rs C-245/94 und C-312/94, Hoever und Zachow, Rn 33). Die Frage, wie die im anderen Mitgliedstaat lebende Kindesmutter ihr Anspruchsrecht vom im zuständigen Mitgliedstaat anspruchsberechtigten Kindesvater ableitet und ob sich eine solche Rechtsableitung rechtlich begründen lässt, stellt sich daher nicht (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 53, Rz 286 unter Verweis auf , Trapkowski).
bb) Persönlicher Anwendungsbereich
Gemäß dem obig zitierten Artikel 2 VO 883/2004 gilt diese VO für "Staatsangehörige eines Mitgliedstaats […] sowie für ihre Familienangehörigen […]". Sowohl die Mutter des Beschwerdeführers als auch der Beschwerdeführer selbst sind österreichische Staatsbürger. Die Mutter des Beschwerdeführers verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum - gemäß dem festgestellten Sachverhalt - über einen Wohnort im Inland, der Beschwerdeführer selbst zumindest über einen (vorübergehenden) Aufenthalt in Deutschland.
Ein Kind, das zumindest einen Elternteil hat, der vom persönlichen Geltungsbereich gemäß § 2 der VO 883/2004 erfasst ist, fällt als Familienangehöriger iSd Artikel 1 Buchstabe i) der VO selbst in den persönlichen Anwendungsbereich der VO (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 53, Rz 123 unter Verweis auf , Hosse, Rn 56, im Falle eines Kindes mit Eigenberechtigung zum Antrag auf Pflegegeld nach dem SPGG).
Gemäß den obigen Ausführungen ist der persönliche Anwendungsbereich der VO 883/2004 für den Beschwerdeführer eröffnet.
cc) Sachlicher Anwendungsbereich
Gemäß dem obig zitierten Artikel 3 VO 883/2004 gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften, die die aufgezählten Zweige der sozialen Sicherheit betreffen. Die Familienleistungen sind in Artikel 3 Abs. 1 lit. j) VO 883/2004 als Zweig der sozialen Sicherheit genannt und werden in Art. 1 lit. z) als "alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I" legaldefiniert. Damit stellt sich die Frage nach dem Normzweck des FLAG. Gemäß § 1 werden die im FLAG vorgesehenen Leistungen "zur Herbeiführung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familie gewährt". Somit erfüllen - unter anderem - die Familienbeihilfe sowie der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung den Begriff der Familienleistungen iSd Artikel 3 VO 883/2004 im gegenständlich angesprochenen Kontext (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 53, Rz 148).
Gemäß den obigen Ausführungen ist der sachliche Anwendungsbereich der VO 883/2004 für den Beschwerdeführer eröffnet.
dd) Räumlicher Anwendungsbereich
Der räumliche Anwendungsbereich findet in der VO 883/2004 keinen ausdrücklichen Niederschlag, doch ergibt sich dieser unmittelbar aus dem primären Unionsrecht selbst, wenn eine Person, die den persönlichen Anwendungsbereich eröffnet, die Personenfreizügigkeit ausübt.
Ein grenzüberschreitender Sachverhalt entsteht auch dadurch, dass der Wohnort aus dem einen Mitgliedstaat in einen anderen wegverlegt wird und ein Elternteil im erstgenannten Mitgliedstaat weiterhin beschäftigt bleibt (, Fassbender-Firman, Rn 10). Sämtliche Rückkehrkonstellationen eröffnen den räumlichen Anwendungsbereich der Verordnung (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 53, Rz 154f).
Der EuGH hat in seinem Urteil Eugen Bogatu () wie folgt ausgeführt:
21In Anbetracht dieser Situation ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt, dass eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats hat, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.
22Wie sich aus [dem] Wortlaut [des Art 67 der VO 883/2004] ergibt, bezieht sich dieser Artikel auf die einer "Person" zuerkannten Rechte, ohne indessen zu verlangen, dass eine solche Person über eine besondere Stellung und somit insbesondere über die Stellung eines Arbeitnehmers verfügt. Allerdings legt er nicht selbst die Anforderungen fest, denen der Anspruch dieser Person auf Familienleistungen unterliegen kann, sondern verweist in diesem Punkt auf die Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats.
[…]
26Was sodann das mit Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 verfolgte Ziel angeht, ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber insbesondere bestrebt war, mit dem Erlass dieser Verordnung deren Anwendungsbereich auf andere Kategorien von Personen als Arbeitnehmer, die unter die Verordnung Nr. 1408/71 fielen, und insbesondere auf nicht erwerbstätige Personen, die von dieser nicht erfasst waren, zu erstrecken.
27Dieses Ziel geht allgemein aus der Entscheidung des Unionsgesetzgebers hervor, in Art. Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 klarzustellen, dass diese Verordnung u. a. auf "Staatsangehörige eines Mitgliedstaats" Anwendung findet, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, während Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 vorsah, dass diese frühere Verordnung auf "Arbeitnehmer und Selbständige" Anwendung fand, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten.
28Im besonderen Fall der Familienleistungen kommt dieses Ziel dadurch zum Ausdruck, dass in Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 dort, wo in Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71, den er abgelöst hat, auf einen "Arbeitnehmer" Bezug genommen wurde, der Begriff "Person" verwendet wird. Insoweit spiegelt Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 den Willen des Unionsgesetzgebers wider, den Anspruch auf Familienleistungen nicht mehr nur auf Arbeitnehmer zu beschränken, sondern ihn auf andere Kategorien von Personen auszuweiten.
29Vor diesem Hintergrund ist Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass eine bestimmte Person im zuständigen Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, um dort Anspruch auf Familienleistungen haben zu können.
30Zweitens ergibt sich aus Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, auf den das vorlegende Gericht in seiner Frage Bezug nimmt, dass eine Person, die aufgrund oder infolge einer Beschäftigung eine Geldleistung bezieht, also eine Geldleistung, die ihren Ursprung in der früheren Ausübung einer Beschäftigung hat, für die Zwecke der Bestimmung der auf diese Person anwendbaren Rechtsvorschriften als diese Beschäftigung ausübend anzusehen ist.
[…]
33Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 883/2004, insbesondere ihr Art. 67 in Verbindung mit ihrem Art. 11 Abs. 2, dahin auszulegen ist, dass für den Anspruch einer Person auf Familienleistungen im zuständigen Mitgliedstaat in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens weder Voraussetzung ist, dass diese Person in diesem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, noch, dass sie von ihm aufgrund oder infolge einer Beschäftigung eine Geldleistung bezieht.
Auf Basis der obigen Ausführungen ergibt sich somit, dass der räumliche Anwendungsbereich der VO 883/2004 für den Beschwerdeführer eröffnet ist. Seine Mutter (d.h. eine Familienangehörige iSd VO) hat im beschwerdegegenständlichen Zeitraum über einen Wohnort im Inland verfügt, eine Pension im Inland bezogen und war im Inland sozialversichert. Der Beschwerdeführer selbst hat im beschwerdegegenständlichen Zeitraum über einen zumindest vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat (Deutschland) verfügt. Weitere Anforderungen sind an den Beschwerdeführer - etwa betreffend eine Erwerbstätigkeit - im Einklang mit der obig zitierten Rechtsprechung des EuGH nicht zu stellen.
c) Conclusio
Die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten gilt grundsätzlich nicht für Familienleistungen ( verb. Rs C-245/94 und C-312/94, Hoever und Zachow, Rn 33). Die Frage, wie die im anderen Mitgliedstaat lebende Kindesmutter ihr Anspruchsrecht vom im zuständigen Mitgliedstaat anspruchsberechtigten Kindesvater ableitet und ob sich eine solche Rechtsableitung rechtlich begründen lässt, stellt sich daher nicht (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 53, Rz 286 unter Verweis auf , Trapkowski).
Der EuGH hat bereits ausgesprochen, dass die VO 987/2009 und 883/2004 nicht bestimmen, welche Personen Anspruch auf Familienleistungen haben, auch wenn sie die Regeln festlegen, nach denen diese Personen bestimmt werden können. Welche Personen Anspruch auf Familienleistungen haben, bestimmt sich, wie aus Art. 67 der VO 883/2004 klar hervorgeht, nach dem nationalen Recht ( mit Verweis auf , Tomislaw Trapkowski, Rn. 43-44).
Aufgrund der obigen Ausführungen steht fest, dass dem Beschwerdeführer - im Falle eines rein innerstaatlichen Sachverhaltes - sowohl der Anspruch auf Familienbeihilfe als auch jener auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung zustehen würde. Nichts Anderes kann - aufgrund der dargestellten Anwendbarkeit der VO 883/2004 und der Rechtsprechung des EuGH - im konkreten Beschwerdefall gelten. Die bloße Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer nicht in Österreich, sondern im EU/EWR-Raum aufgehalten hat, ändert nichts an dem - nach innerstaatlichem Recht - bestehenden Anspruch auf Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung.
Ein Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe - so er nicht ausdrücklich befristet ist - erstreckt sich bis zum letzten Anspruchszeitraum (§ 10 Abs. 2 FLAG 1967), in dem der Anspruch erlischt (Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 10, Rz 8). Im konkreten Fall wurde der Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe sowie den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für einen von vornherein befristeten Zeitraum, nämlich für 04/2021 bis 01/2022 gestellt. Für den Zeitraum ab 02/2022 besteht ein Antrag der Mutter des Beschwerdeführers, der bereits positiv erledigt wurde und somit laufend die (erhöhte) Familienbeihilfe ausbezahlt wird.
Da gemäß § 13 FLAG 1967 nur in jenen Fällen, in denen einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ein Bescheid zu erlassen ist, war der angefochtene Bescheid zur Gänze aufzuheben. Dies daher, da der Antrag von vornherein auf den Zeitraum 04/2021 bis 01/2022 befristet und diesem Antrag - gemäß den obigen Ausführungen - vollinhaltlich zu entsprechen war.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Beschwerdefall lag keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukam. Die im Beschwerdefall zu lösenden Rechtsfragen beschränkten sich einerseits auf Rechtsfragen, welche bereits in der bisherigen (oben zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie des EuGH beantwortet wurden oder sich aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes sowie den angesprochenen EU-Verordnungen ergeben. Im Übrigen hing der Beschwerdefall von der Lösung von nicht über den Einzelfall hinausgehenden Sachverhaltsfragen ab, etwa betreffend den Grad der Behinderung sowie die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, auf Ebene des Beschwerdeführers oder die Frage zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im EU/EWR-Raum im streitgegenständlichen Zeitraum.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 Art. 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 § 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 Art. 3 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 7 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100340.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at