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Verfahrenshilfe – Einzel – Beschluss, BFG vom 19.11.2024, VH/7100003/2024

Verfahrenshilfe

Entscheidungstext

Beschluss-Verfahrenshilfe

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** über den Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe des Antragstellers ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom für das Beschwerdeverfahren betreffend Beschwerde gegen den Haftungsbescheid des ***FA*** vom beschlossen:

Der Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO wird abgewiesen.

Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Sachverhalt

Der Antragstellerin wurde mit Haftungsbescheid vom die Haftung für Abgabenschulden iHv EUR 27.695,21 der ***1*** vorgeschrieben. Die Haftung wurde laut Bescheid aufgrund der Geschäftsführerstellung der Antragstellerin vorgeschrieben.

Mit Antrag vom brachte die Beschwerdeführerin mittels des vorgesehenen Formulars einen Antrag auf Verfahrenshilfe ein.

Als Begründung der Rechtswidrigkeit führte die Antragstellerin folgende Punkte an:

  • Verletzung rechtliches Gehör (Zustellmangel)

  • Unrichtige rechtliche Beurteilung (kein Verschulden)

Dem Antrag war auch ein Vermögensbekenntnis zur Erlangung der Verfahrenshilfe angeschlossen. Aus dem Vermögensbekenntnis ergibt sich, dass die Antragstellerin über kein nennenswertes Vermögen verfügt.

Als Einkommen gibt die Antragstellerin ein Nettogehalt von EUR 2.300,00 an. Dieses wurde mit einem beigelegten Lohnzettel nachgewiesen. Aus dem sich ergibt, dass die Antragstellerin als Geschäftsführerin einer GmbH ein Bruttogehalt von EUR 3.242,63 verdient, was schlussendlich in dem angegebenen Nettogehalt von EUR 2.300,00 resultiert.

Neben der monatlichen Miete (EUR 935,00) und den laufenden Lebenshaltungskosten gibt die Antragstellerin folgende monatliche Verbindlichkeiten an:


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EUR
Monatliche Rückzahlung Kartenrahmen
100,00
Wien Energie
75,99
ÖGK
31,62
Cashpresso
71,93
Drei
150,00
Agila
60,00

Weiter Unterhaltsverpflichtungen bestehen laut dem Vermögensverzeichnis nicht.

Rechtliche Würdigung

Die Bestimmung des § 292 BAO über die Gewährung von Verfahrenshilfe lautet wie folgt:

"§ 292.Auf Antrag einer Partei (§ 78) ist, wenn zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen, ihr für das Beschwerdeverfahren Verfahrenshilfe vom Verwaltungsgericht insoweit zu bewilligen,

1. als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und

2. als die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

(2) Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt.

[…]"

Nach § 292 Abs. 1 BAO ist zunächst Voraussetzung für die Bewilligung von Verfahrenshilfe, dass die zu entscheidenden Rechtsfragen "besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art" aufweisen.

Die Antragstellerin hat in einer Beschwerde gegen den Haftungsbescheid von sich aus darzulegen, dass sie an der Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten kein Verschulden trifft, sie keine abgabenrechtlichen Pflichten verletzt und den Abgabengläubiger gegenüber den anderen Gläubigern nicht benachteiligt hat. Diesbezüglich kann für Teile der streitgegenständlichen Abgaben (z.B. Umsatzsteuer, nicht aber z.B. Lohnsteuer) ein Gläubigergleichbehandlungsnachweis erbracht werden, in dem dargelegt wird, dass der Abgabengläubiger im Verhältnis zu anderen Gläubigern nicht benachteiligt wurde (vgl. die auch in der Revision zitierten hg. Erkenntnisse vom , 2009/15/0127, und vom , 2009/16/0108).

Der von der Antragstellerin im Haftungsverfahren zu erbringende Nachweis, keine abgabenrechtlichen Pflichten verletzt zu haben, weist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art auf, insbesondere im Zusammenhang mit der Erstellung des Gleichbehandlungsnachweises und durch Hinzutreten insolvenzrechtlicher Bestimmungen.

Es liegen daher im vorliegenden Fall grundsätzlich Rechtsfragen vor, die besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art iSd § 292 Abs. 1 BAO aufweisen.

Allerdings ist es gem § 292 BAO auch notwendig, dass die Antragstellerin außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten.

Als notwendiger Unterhalt iSd § 292 Abs. 1 Z 1 BAO ist ein zwischen dem "notdürftigen" und dem "standesgemäßen" Unterhalt liegender anzusehen, der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbstständig Erwerbstätigen und dem Existenzminimum liegt und unter Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (vgl. ).

Der unpfändbare Freibetrag ("Existenzminimum") beträgt im Jahr 2024 EUR 1.217,96 (Quelle: Informationsbroschüre für Arbeitgeber:innen als Drittschuldner:innnen des Bundesministerium für Justiz, Seite 20; abgerufen auf https://www.bmj.gv.at/themen/Zivilrecht/Drittschuldnererkl%C3%A4rung.html).

Das mittlere Jahreseinkommen (Median) der unselbstständigen Erwerbstätigen betrug gem Veröffentlichung der Statistik Austria im Jahr 2022 EUR 32.834 brutto (Quelle: https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/einkommen-und-soziale-lage/jaehrliche-personeneinkommen)

Nach einer anderen Quelle (AMS) betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen in Österreich in 2022 EUR 39.060,00 brutto (Quelle: https://www.ams.at/arbeitsuchende/topicliste/durchschnittsgehalt-oesterreich#:~:text=Das%20durchschnittliche%20Bruttojahreseinkommen%20aller%20unselbstst%C3%A4ndigen,Einkommen%20von%202.790%20Euro%20brutto.)

Laut Statistik Austria entwickelte sich der Verbraucherpreisindex in den Jahren 2023 und 2024 gem der untenstehenden Aufstellung (Quelle: https://www.statistik.at/fileadmin/pages/214/2_Verbraucherpreisindizes_ab_1990.pdf).

Bei der Valorisierung des mittleren Jahreseinkommens (Median) lt Statistik Austria bzw des durchschnittlichen Jahreseinkommens lt AMS geht das Bundesfinanzgericht daher auf Basis der Daten der Statistik Austria von einer durchschnittlichen Inflationsrate für 2023 von 7,8% und für 2024 von 3,3% für 2024 aus. Vereinfachend (aber zu Gunsten der Antragstellerin) werden die Beträge aus 2022 daher wie folgt aufgewertet:

  • Valorisiertes Medianeinkommen brutto 2024(auf Basis Statistik Austria 2022): 32.834*1,078*1,033=36.563,09

  • Valorisiertes Durchschnittseinkommen brutto 2024 (auf Basis AMS 2022): 39.060*1,078*1,033=43.496,20

Das davon abgeleitete Jahresnettoeinkommen unter Berücksichtigung der besonders besteuerten Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) beträgt daher EUR 27.230,22 bzw EUR 31.410,58. Die Berechnung erfolgte mit Hilfe des Brutto-Netto-Rechners des BMF (https://onlinerechner.haude.at/BMF-Brutto-Netto-Rechner/).

Verteilt man diese Beträge auf 12 Monate kommt man auf ein monatliches Nettogehalt (inkl anteiliger Sonderzahlungen) von EUR 2.269,19 bzw EUR 2.617,55.

Daher beträgt der vom BFG ermittelte Richtwert für den notwendigen Unterhalt im Jahr 2024, den die Antragstellerin für eine einfache Lebensführung benötigt monatlich ca. EUR 1.743,57 (Mittelwert 2.269,19 und 1.217,96), wenn man das valorisierte Medianeinkommen lt Statistik Austria zugrunde legt.

Legt man in einer Alternativberechnung das durchschnittliche valorisierte Durchschnittseinkommen lt AMS zugrunde beträgt der Richtwert für den notwendigen Unterhalt 2024 EUR 1.917,75 (Mittelwert 2.617,55 und 1.217,96).

Laut Lohnzettel erhält die Antragstellerin ein Bruttomonatsgehalt von EUR 3.242,63. Hochgerechnet ergibt dieser Monatsbezug ein Nettojahresgehalt unter Berücksichtigung der besonders besteuerten Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) von etwa EUR 32.556,53. Verteilt man diese Beträge auf 12 Monate ergibt sich ein monatliches Nettogehalt (inkl anteiliger Sonderzahlungen) von rund 2.713,00.

Der durchschnittliche Monatsbezug der Antragstellerin überschreitet daher den notwendigen Unterhalt deutlich und übersteigt auch bei beiden Berechnungsmethoden (Medianeinkommen Statistik Austria/Durchschnittseinkommen lt AMS) das durchschnittliche Nettoeinkommen eines unselbstständigen Erwerbstätigen ("standesgemäßer Unterhalt").

In weiterer Folge ist zu prüfen, ob die Bezahlung eines berufsmäßigen Parteienvertreters den notwendigen Unterhalt der Antragstellerin beeinträchtigt.

Bei Prüfung der Frage, ob die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts aufgebracht werden können, ist eine Schätzung der auf Seiten des Antragstellers voraussichtlich anfallenden Kosten unerlässlich, wobei unter Berücksichtigung der zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Umständen des Einzelfalles ein durchschnittlicher Verfahrensablauf anzunehmen ist ().

Die Verfahrenskosten werden vom Bundesfinanzgericht in folgender Höhe geschätzt, wobei bei der Schätzung bereits ein zeitlicher Sicherheitspuffer berücksichtigt wurde. Angesichts des Sachverhalts (Haftung für einen relativ kurzen Zeitraum) dürfte der tatsächliche Aufwand mit aller Wahrscheinlichkeit niedriger ausfallen.

Da die Antragstellerin keine Unternehmerin iSd UStG ist, geht das Bundesfinanzgericht von Bruttostundensätzen inkl Umsatzsteuer aus. Für einen Rechtsanwalt/Steuerberater wird dabei ein Stundensatz von EUR 360,00 angesetzt. Für Rechtsanwaltsanwärter/Bilanzbuchhalter/Administrativkräfte EUR 160,00.


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Stunden
Stundensatz
Summe
Prüfung Haftungsbescheid
2,00
360,00
720,00
Erstellung Gleichbehandlungsnachweis
8,00
160,00
1.280,00
Prüfung Gläubigergleichbehandlungsnachweis
3,00
360,00
1.080,00
Erstellung Schriftsatz
6,00
160,00
960,00
Prüfung Schriftsatz
2,00
360,00
720,00
Beantwortung etwaiger Vorhalt BFG
4,00
360,00
1.440,00
mündliche Verhandlung BFG (inkl Vorbereitung)
3,00
360,00
1.080,00
allgemeine Administration
1,00
160,00
160,00
Geschätzte Kosten des Verfahrens
29,00
7.440,00

Wie im Sachverhalt festgestellt hat die Antragstellerin laut Ihren Angaben keine Unterhaltsverpflichtungen. Neben den laufenden Kosten für Miete und den üblichen Lebenshaltungskosten hat die Antragstellerin monatlich auch relativ überschaubare Beträge an Rückzahlungen zur Deckung des Kontenrahmens und anderen Verbindlichkeiten zu leisten.

Daneben bestehen laut Vermögensbekenntnis keine weiteren Verbindlichkeiten, die im konkreten Einzelfall bedient werden müssten.

Angesichts dieser Tatsachen sollte es bei einer sparsamen Lebensführung möglich sein, dass die Antragstellerin mit einem Gehalt, das das schätzungsweise valorisierte Medianeinkommen der unselbständigen Erwerbstätigen deutlich übersteigt, die Kosten für das Beschwerdeverfahren zu tragen.

Dies zeigt auch die Betrachtung der tatsächlich angegebenen monatlichen Ausgaben der Antragstellerin. Nimmt man neben der von ihr angegebenen Kosten noch zusätzliche monatliche Lebenshaltungskosten von EUR 600 an. Ergeben sich monatliche Gesamtausgaben von EUR 2.024.54.


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EUR
Miete
935,00
Monatliche Rückzahlung Kartenrahmen
100,00
Wien Energie
75,99
ÖGK
31,62
Cashpresso
71,93
Drei
150,00
Agila
60,00
Schätzung sonst Lebenshaltungskosten
600,00
2.024,54

Neben den laufenden Kosten steht der Beschwerdeführerin daher ein Betrag von EUR 688,50 (2.713,04-688,50) monatlich zur Verfügung, den sie zur Finanzierung des Beschwerdeverfahrens ansparen kann. So hätte bereits im Zeitraum Mai bis November 2024 ein Betrag von EUR 4.819,50 (688,50*7) angespart werden können. Dieser Betrag deckt bereits mehr als die Hälfte der geschätzten Beschwerdekosten. Laut der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es dem Verfahrenshilfewerber zumutbar ab Beginn des Verfahrens Rücklagen zur Deckung der voraussichtlichen Verfahrenskosten zu bilden ().

Schließlich wird auch auf die einschlägige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Verfahrenshilfe verwiesen, wonach die Verfahrenshilfeanträge bereits bei monatlichen Einkommen von € 1.300,00 (; ) und € 1.500,00 (; ) abgewiesen wurden.

Allen zitierten Entscheidungen ist gemeinsam, dass der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auf Grund der Einkommens- und Vermögensverhältnisse abgewiesen wurde, wobei alle Antragsteller (auch unter Berücksichtigung der Inflation der letzten Jahre) schlechtere Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufwiesen als die Antragstellerin im gegenständlichen Fall.

Da - ebenso wie im vorliegenden Fall - auch der VfGH die Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts durch die Kosten der Führung des Verfahrens zu prüfen hatte und die Vergleichbarkeit insoweit gegeben ist, ist auch aus vergleichender Sicht eine Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts im gegenständlichen Fall nicht erkennbar.

Abschließend kann damit festgehalten werden, dass die Antragstellerin im vorliegenden Fall nicht außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt hier nicht vor. Die Entscheidung folgt vielmehr der dargestellten Judikatur des VwGH und des VfGH.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 292 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:VH.7100003.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at