Maßgeblichkeit der amtlichen Bescheinigung für den Behindertenfreibetrag
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***RI*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, ***Bf-Adr*** vertreten durch ***Bf-Vertreter***, ***Bf-Vertreter-Adr***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des damaligen Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg, nun Finanzamt Österreich, vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2010 bis 2014 Steuernummer ***Bf-StNr1*** nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beisein des Schriftführers ***SF*** am zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit der Erklärung der Arbeitnehmerveranlagung für die Jahre 2010, 2011, 2012, 2013 und 2014, vom erklärte der Beschwerdeführer (Bf.) außergewöhnliche Belastungen für eine eigene 25 %-ige Behinderung. Außerdem wurde der pauschale Freibetrag für Diätverpflegung wegen Zuckerkrankheit beansprucht.
Da die Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen über das Vorliegen einer 50 %-igen Behinderung erst für einen Zeitraum ab gilt, wurden sowohl der Freibetrag als auch das Diätpauschale im Rahmen der Veranlagung durch das Finanzamt nicht berücksichtigt.
Im Rahmen der Beschwerde vom bzw. des Vorlageantrages vom wurde vorgebracht, dass die Voraussetzungen der Behinderung schon lange vor dem bestanden hätten (Verweis auf Bezug erhöhter Familienbeihilfe) und diesbezüglich auch bereits ein Anspruch auf Freibetrag und Diätpauschale vorläge.
Im Rechtsmittelverfahren wurde der Beschwerdeführer mit Ergänzungsersuchen vom aufgefordert, eine Bescheinigung über das Vorliegen einer Behinderung für die Jahre 2010 bis 2014 beizubringen. In der Beantwortung dieses Ersuchens vom wurden ausführliche Befundberichte übermittelt, welche aber die Voraussetzungen gemäß § 35 Abs. 2 EStG 1988 (sowohl idF vor dem als auch idF ab ) nicht erfüllen.
Die gegenständliche Beschwerde wurde dem BFG am vorgelegt.
Das gegenständliche Beschwerdeverfahren wurde mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom im Zuge einer Altaktenumverteilung dem erkennenden Richter zur Erledigung übertragen.
Am fand ein Erörterungstermin statt, zu dem sowohl ein Vertreter der belangten Behörde als auch der Bf. mit Vertreter erschienen sind. Der Vertreter des Bf. gab an, Nachweise für eine Behinderung für den beschwerdegegenständlichen Zeitraum innerhalb einer Woche zu übermitteln. Trotz erfolgter Urgenz durch das Bundesfinanzgericht vom wurden keine Nachweise übermittelt.
Der mündlichen Verhandlung, welche am stattfand, blieb der Bf. sowie sein Vertreter fern.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Im Rahmen der Einreichung der Arbeitnehmerveranlagungen für die Jahre 2010 bis 2014 wurden ein Freibetrag für eine Behinderung im Ausmaß von 25 % sowie das Krankendiätverpflegungspauschale für Zucker beantragt.
Da keine geeigneten Nachweise vorgelegt wurden, wurden der Freibetrag für eine Behinderung im Ausmaß von 25 % sowie das Krankendiätverpflegungspauschale für Zucker in den Einkommensteuerbescheiden 2010-2014 durch das Finanzamt nicht berücksichtigt.
Im Jahr 2015 wurde erstmalig seitens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (BASB) - nunmehr Sozialministeriumsservice (SMS) - sowohl ein Behinderungsgrad von 50 Prozent für das Jahr 2015 als auch die Diätverpflegungen gemäß § 35 Abs. 8 EStG 1988 festgestellt.
In den streitgegenständlichen Jahren 2010 bis 2014 erfolgten keine elektronischen Übermittlungen seitens des BASB iSd § 35 Abs. 8 EStG 1988 an die Abgabenbehörde. Für die streitgegenständlichen Jahre liegen keine Bestätigungen vor, die die Voraussetzungen nach § 35 Abs. 2 EStG 1988 bzw. § 124b Z 111 EStG 1988 erfüllen. Rückwirkende Feststellungen über eine Behinderung des Beschwerdeführers in der Vergangenheit wurden nicht getroffen.
Im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens wurde der Beschwerdeführer mit Ergänzungsersuchen der belangten Behörde, vom aufgefordert, eine Bescheinigung über das Vorliegen einer Behinderung für die Jahre 2010 bis 2014 beizubringen. In der Beantwortung dieses Ersuchens vom wurden ausführliche Befundberichte übermittelt, welche aber die Voraussetzungen gemäß § 35 Abs. 2 EStG 1988 (sowohl idF vor dem als auch idF ab ) nicht erfüllen.
Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht wurden, weder im Zuge des Erörterungstermins vom noch in der vom Bf. beantragten mündlichen Verhandlung vom , Bescheinigungen über das Vorliegen einer Behinderung für die beschwerdegegenständlichen Jahre vorgelegt.
2. Beweiswürdigung
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den vom Finanzamt vorgelegten Veranlagungsakt, insbesondere die im Verfahrensgang dargestellten Bescheide des Finanzamtes und Schriftsätze des Beschwerdeführers und der Feststellung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zum Vorliegen eines Behinderungsgrades von 50 % ab sowie der Diätverpflegung gemäß § 35 Abs. 8 EStG 1988 ab .
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
§ 34 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung bestimmte:
(1) Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muß folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Sie muß außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muß zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.
(2) - (3) [...]
(4) Die Belastung beeinträchtigt wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt. Der Selbstbehalt beträgt bei einem Einkommen
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von höchstens 7 300 Euro | 6%. |
mehr als 7 300 Euro bis 14 600 Euro | 8%. |
mehr als 14 600 Euro bis 36 400 Euro | 10%. |
mehr als 36 400 Euro | 12%. |
Der Selbstbehalt vermindert sich um je einen Prozentpunkt
wenn dem Steuerpflichtigen der Alleinverdienerabsetzbetrag oder der Alleinerzieherabsetzbetrag zusteht
wenn dem Steuerpflichtigen kein Alleinverdiener- oder Alleinerzieherabsetzbetrag zusteht, er aber mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragener Partner ist und vom (Ehe-)Partner nicht dauernd getrennt lebt und der (Ehe-)Partner Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt
für jedes Kind (§ 106).
(5) Sind im Einkommen sonstige Bezüge im Sinne des § 67 enthalten, dann sind als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für Zwecke der Berechnung des Selbstbehaltes die zum laufenden Tarif zu versteuernden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, erhöht um die sonstigen Bezüge gemäß § 67 Abs. 1 und 2, anzusetzen.
(6) Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:
Aufwendungen zur Beseitigung von Katastrophenschäden, insbesondere Hochwasser-, Erdrutsch-, Vermurungs- und Lawinenschäden im Ausmaß der erforderlichen Ersatzbeschaffungskosten.
Kosten einer auswärtigen Berufsausbildung nach Abs. 8.
Aufwendungen für die Kinderbetreuung im Sinne des Abs. 9.
Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5).
Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.
§ 35 EStG in der für die Streitjahre gültigen Fassung bestimmte:
(1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen
durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners (§ 106 Abs. 3),
ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners, wenn er mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragener Partner ist und vom (Ehe-)Partner nicht dauernd getrennt lebt und der (Ehe-)Partner Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt,
durch eine Behinderung eines Kindes (§ 106 Abs. 1 und 2), für das keine erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 gewährt wird,
und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.
(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,
1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,
2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.
Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:
Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).
Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.
In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von
Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.
(3) Es wird jährlich gewährt
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bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von | ein Freibetrag von Euro |
25% bis 34% | 75 |
35% bis 44% | 99 |
45% bis 54% | 243 |
55% bis 64% | 294 |
65% bis 74% | 363 |
75% bis 84% | 435 |
85% bis 94% | 507 |
Ab 95% | 726 |
(4)Haben mehrere Steuerpflichtige Anspruch auf einen Freibetrag nach Abs. 3, dann ist dieser Freibetrag im Verhältnis der Kostentragung aufzuteilen. Weist einer der Steuerpflichtigen seine höheren Mehraufwendungen nach, dann ist beim anderen Steuerpflichtigen der Freibetrag um die nachgewiesenen Mehraufwendungen zu kürzen.
(5)Anstelle des Freibetrages können auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6).
Eine rückwirkende Berücksichtigung der Pauschbeträge nach § 35 Abs 3 EStG und der Beträge nach der Verordnung BGBl 303/1986, die vor dem in der Bescheinigung nach § 35 Abs 2 EStG angegebenen Zeitraum liegen, etwa mit dem Hinweis, die Behinderung habe schon früher bestanden, ist wegen der Bindungswirkung nicht möglich.
Die Berücksichtigung einer Behinderung des Beschwerdeführers für die Jahre 2010 - 2014 ist daher rechtlich wegen der Bindungswirkung der amtlichen Bescheinigung nicht möglich.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im Beschwerdefall liegt keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die zu lösenden Rechtsfragen beschränken sich einerseits auf Rechtsfragen, welche bereits in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beantwortet wurden und solche, welche im Gesetz eindeutig gelöst sind. Im Übrigen hängt der Beschwerdefall von der Lösung von nicht über den Einzelfall hinausgehenden Sachverhaltsfragen ab. Tatfragen sind kein Thema für eine ordentliche Revision. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zuzulassen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 35 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 34 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 35 Abs. 8 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7105682.2015 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at