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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.10.2024, RV/7102797/2022

Polnische Familienleistung 500+ ist auf österreichische Familienbeihilfe bzw. Differenzzahlung anzurechnen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Juli 2019 bis April 2020, SVNr ***1***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der Rückforderungszeitraum wird auf die Monate Oktober 2019 bis April 2020 eingeschränkt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurden Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für die Kinder ***2*** und ***3*** i.H. von insges. € 713,08 mit der Begründung zurückgefordert, dass die österreichische Ausgleichszahlung auf Grund der Änderung der anzurechnenden ausländischen Familienleistung neu berechnet worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die innerhalb verlängerter Rechtsmittelfrist eingebrachte Beschwerde vom , in der der Bf. darauf verwies, dass er auf Grund der VO (EG) 883/2004 Anspruch auf österreichische Familienleistungen habe und um eine Neuberechnung der Differenzzahlung und um eine Begründung ersuche, was zur Rückzahlung geführt habe.

Der Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom hinsichtlich der Monate Juli 2019 bis September 2019 teilweise stattgegeben und auf die vom Beschwerdeführer (Bf.) vorgelegte polnische Entscheidung vom verwiesen, wonach der Bf. ab Oktober 2019 Anspruch auf eine polnische Beihilfe i.H. von 500 PLN für jedes Kind habe.

Mit Schreiben vom stellte der Bf. einen Vorlageantrag und beantragte die Entscheidung durch den Senat.

Im Vorlagebericht vom verwies die belangte Behörde darauf, dass sie mit dem Formular F003 der polnischen Behörden vom darüber informiert worden sei, dass dem Bf. ab Oktober 2019 500 PLN für die beiden Kinder zustünden und daher der Rückforderungszeitraum auf die Monate Oktober 2019 bis April 2020 verkürzt worden sei.

Über Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes teilte die belangte Behörde mit Schreiben vom zu folgenden Fragen mit:

a) Jene Umstände durch die die belangte Behörde vom Bezug Kenntnis erlangte,

b) Art und Höhe dieser Beihilfe sowie auch wer diese bezogen hat,

c) Sowie der Zeitraum des Bezuges:

……………. "Das Finanzamt erlangte durch einen Arbeitsauftrag einer anderen Dienststelle betreffend durchzuführender Rückforderung von der nun ausbezahlten Erziehungsleistung iHv Szloty 500+ pro minderjährigem Kind Kenntnis. Lt einer Abfrage im EGDA Web Formular F003 am - wurde die Beschäftigung in Ö sowie der darauffolgende AMS Bezug am v. ***4*** beendet sowie It. F003 die Beschäftigung der Kindesmutter ***5*** in Polen.

Ersuchen zur Entscheidung über die Zuständigkeit, Mrs ***5*** : We granted 500+ on child ***2*** and ***3*** .Zasitek rodzinny -negative Zusätzliche Informationen is

decision-income to high" Mrs ***5*** is active person in Poland.

Erwerbstätige Person: ***5***.

Bezieher der polnischen Familienleistung: ***5***.

Das grundlegende polnische Familiengeld wurde nicht gewährt, da das Einkommen zu hoch war, es wurden nur das Erziehungsgeld: die 500+ Zloty pro Kind gewährt.

Es erfolgte zuvor eine Rückforderung Juli 2019 bis Mai 2020 die dann in der Beschwerdevorentscheidung auf Oktober 2019 bis Mai 2020 reduziert wurde.

Zeitraum des Bezuges der 500+ Zloty: bis ………………"

d) Gesetzliche Grundlagen auf die sich die Rückforderung des Finanzamtes stützt:

Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 in der

ab gültigen Fassung regeln, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen

Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet ist.

Vorrangig muss grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.

Artikel 68 VO Nr. 883/2004 Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen:

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den

Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stehe stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sichdie Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübtwird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährendehöchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegtenVersicherungs- oder Wohnzelten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

Stellungnahme des Finanzamtes:

Sind die Elternteile in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig, trifft die vorrangige

Verpflichtung zur Gewährung der Familienleistungen jenen Mitgliedsstaat, in dessen Gebiet die

Familienangehörigen wohnen.

Sind die Familienleistungen im anderen Mitgliedsstaat höher, besteht dort gegebenenfalls ein

Anspruch auf Gewährung des Unterschiedsbetrages (Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr.

883/2004).

Der Betrag der österreichischen Ausgleichszahlung wurde auf Grund der Änderung der

anzurechnenden ausländischen Familienleistung laut dem Formular F003 vom neu

berechnet.

Es liegt ein mitgliedsstaatenübergreifender Sachverhalt vor, da Herr ***6*** als

Unionsbürger in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachging, während er und seine Familie in

einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Der Beschäftigungsstaat ist Österreich. Der

Beschäftigungsstaat der Kindesmutter ist Polen. Wohnsitzstaat ist Polen. Es kommen daher die

Bestimmungen Art. 68 Abs. 1 VO 883/2004 zur Anwendung, wobei auf Grund des Wohnortes des Kindes grundsätzlich Polen zur Erbringung Familienleistungen zuständig ist. Österreich ist

hingegen nach Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 zur Leistung einer Differenzzahlung verpflichtet. Seit

werden Frau ***7*** für jedes minderjährige Kind 500 PLN unabhängig vom

Familieneinkommen gewährt.

Diese Familienleistung wird zusätzlich zum bereits bestehenden "klassischen" Kindergeld in Polen gewährt - sie ist jedoch gesondert zu beantragen. Dieses klassische Kindergeld stand aufgrund zu hohen Einkommens nicht zu

§ 4 Abs. 2 FLAG 1967 iVm § 53 Abs. 1 FLAG 1967 sieht eine Ausgleichszahlung im Falle eines

Anspruchs auf eine ausländische Beihilfe in der Differenz zwischen der österreichischen

Familienbeihilfe und einer ausländischen vergleichbaren Beihilfe vor, wenn auf diese ausländische Beihilfe ein Anspruch besteht. Nach österreichischem Recht kommt es daher darauf an, ob ein Anspruch auf eine polnische Familienleistung bestanden hat - unabhängig davon, ob diese auch beantragt wurde. Laut der EGDA-Abfrage des Finanzamtes vom wurde die "+500- Leistung" ab Oktober 2010 für die Kinder TI und T2 zuerkannt. Der Rückforderungsbescheid erging daher zu Recht. Ihre Beschwerde war daher abzuweisen. Die teilweise Stattgabe für den Zeitraum Juli 2019 bis Mai 2019 erfolgte zu Recht.

Es handelt sich um eine verbliebene Rückforderung iHv € 486,21.

Aus der diesem Schreiben angefügten Tabelle ergibt sich, dass zunächst für den Zeitraum Juli 2019 bis April 2020 € 713,08 an Differenzzahlung und Kinderabsetzbeträgen (in indexierter Form) ausbezahlt worden waren. Dabei entfiel auf die Monate Juli 2019 bis September 2019 ein Betrag von insges. € 226,87, sodass in der Folge der hinsichtlich der Monate Juli 2019 bis September 2019 stattgebenden Beschwerdevorentscheidung ein Rückforderungsbetrag von € 486,21 verblieb. Dieser wurde vom Bf. entrichtet.

Die Rechtsauffassung der belangten Behörde wurde dem Bf. zuletzt mit Schreiben des Bundesfinanzgerichtes vom -nach Ermittlung der neuen Zustelladresse durch die belangte Behörde- zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt.

Per E-Mail vom erkundigte sich der Bf. mit Hilfe des bereits aus dem Finanzamtsakt bekannten Dolmetscher, ob noch ein Abgabenrückstand aushafte, da der Rückforderungsbetrag von seiner Mutter einbezahlt worden sei.

Per E-Mail vom wurde dem Bf. von der erkennenden Richterin mitgeteilt, dass weder eine Abgabenforderung noch Aussetzungszinsen offen seien.

Der Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde im Senat wurde mit Schreiben vom zurückgenommen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Österreich und Polen sind Mitglieder der Europäischen Union.

Der Bf. ist polnischer Staatsbürger und war im Rückforderungszeitraum in Österreich beschäftigt bzw. bezog Arbeitslosengeld.

Die Ehefrau war in Polen beschäftigt. Diese und die Kinder ***2*** und ***3*** wohnten in Polen.

Der Bf. hatte Anspruch auf eine vom Beschäftigungsland Österreich ausbezahlte Differenzzahlung für beide Kinder.

Ab Oktober 2019 bezog die Ehefrau die (einkommensunabhängige) polnische Familienleistung 500+, darüberhinaus aber keine weiteren Familienleistungen, da ihr Einkommen zu hoch war.

Diese Leistungen wurde bei der Berechnung der Differenzzahlung angerechnet. Da die polnische Familienleistung höher war als die bereits ausbezahlte Differenzzahlung wurde zunächst der gesamte bereits ausbezahlte Betrag zurückgefordert.

Im Zuge des Verfahrens stellte sich heraus, dass die polnische Familienleistung erst ab Oktober 2019 ausbezahlt worden war, sodass der Beginn des Rückforderungszeitraumes in der Beschwerdevorentscheidung statt bisher Juli 2019 auf Oktober 2019 abgeändert wurde.

2. Beweiswürdigung

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Nach § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe. Nach Abs. 2 leg cit hat jene Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten überwiegend für das Kind trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

§ 4 Abs. 1 FLAG 1967 normiert, dass Personen, die Anspruch auf eine gleichartige Beihilfe haben, keinen Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe haben.

In § 4 Abs. 2 FLAG 1967 ist vorgesehen, dass österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 und § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, eine Ausgleichszahlung erhalten, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.

Nach § 4 Abs. 6 FLAG 1967 gilt die Ausgleichszahlung, mit Ausnahme der Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe, als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes.

Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

In diesem Zusammenhang bestimmt jedoch § 53 Abs. 1 FLAG 1967, dass § 5 Abs. 3 FLAG 1967 in Bezug auf EU-Staatsbürger grundsätzlich nicht gilt; diese sind in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Dabei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat der Europäischen Union nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Im vorliegenden Fall liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor, da der Bf. in Österreich einer Beschäftigung nachging bzw. Arbeitslosengeld bezog und seine Ehefrau mit den gemeinsamen zwei mj. Kindern in Polen lebte und dort ebenfalls Einkünfte erzielte. Es sind daher nicht nur die innerstaatlichen Bestimmungen des FLAG 1967 zu beachten. Vielmehr ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (idF VO), die ab gilt, anzuwenden. Diese hat allgemeine Geltung, ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat ("Durchgriffswirkung"). Die VO geht dem nationalen Recht in ihrer Anwendung vor ("Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts"). Zu beachten ist weiters die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der obigen VO.

Art 11 Abs. 3 lit a VO (EG) 883/2004 normiert, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates unterliegt.

Nach Art. 67 der VO hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.

Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten die in Art 68 der VO ausgeführten Prioritätsregeln:

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge:

an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüberhinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

Die Ehefrau des Bf. hatte im Zeitraum Oktober 2019 bis April 2020 jedenfalls Anspruch auf die polnische Erziehungsleistung und damit auf Familienleistungen. Weiters hat das Bundesfinanzgericht (BFG) in seiner bisherigen Rechtsprechung die polnische "Beihilfe 500+" als eine mit der österreichischen Familienbeihilfe und dem österreichischen Kinderabsetzbetrag vergleichbare und daher gegen zu verrechnende Familienleistung angesehen (vgl. ; und vom 10..3.2022, RV/7103746/2018). Polen war daher gemäß Art. 68 Abs. 1 Buchst. b VO 883/2004 vorrangig zur Erbringung von Familienleistungen zuständig. Österreich hat gemäß Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 als nachrangig zuständiger Staat den Unterschiedsbetrag zwischen den polnischen und den österreichischen Familienleistungen zu leisten.

Nationales polnisches Recht:

Die maßgebenden Bestimmungen des polnischen Rechts (Gesetz über Familienleistungen (Ustawa o swiadczeniach rodzinnych) vom , Gesetz über die staatliche Unterstützung für die Kindererziehung (Ustawa o pomocy panstwa w wychowywaniu dzieci) vom , Gesetz zur Unterstützung von schwangeren Frauen und ihrer Familien "Für das Leben" (Ustawa o wsparciu kobiet w ciazy i rodzin "Za zyciem") vom und Gesetz über Ergänzendes Elterngeld (Ustawa o rodzicielskim swiadczeniu uzupelniajacym) vom sehen zu Familienleistungen unter anderem vor (vgl. https://www.missoc.org/missoc-information/missoc-vergleichende-tabellen-datenbank/missoc-vergleichstabellen-datenbank-ergebnisse-anzeigen/?lang=de):

Kindergeld (Zasilek rodzinny):

Die monatlichen Beträge pro Kind hängen vom Alter ab:

• unter 5 Jahren: PLN 95

• 5 -18 Jahre: PLN 124

• 18 -24 Jahre: PLN 135

Das Pro-Kopf-Nettoeinkommen der Familie darf PLN 674 (€ 151) pro Monat (PLN 764 (€ 171) im Falle von Familien mit einem behinderten Kind) nicht übersteigen.

Leistungen zur Kindererziehung (Swiadczenie wychowawcze, 500 Plus): Eine Familie mit Kindern kann Leistungen für jedes Kind unabhängig vom Einkommen erhalten. Der Monatsbetrag pro Kind liegt bei PLN 500 und ist nicht vom Alter des Kindes abhängig. Der Leistungsbetrag verändert sich nicht mit dem Familieneinkommen.

Der in § 33 Abs. 3 EStG 1988 (Einkommensteuergesetz) geregelte und gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausbezahlte Kinderabsetzbetrag zählt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes ebenfalls zu den Familienleistungen im Sinne der VO 883/2004.

§ 26 FLAG 1967 normiert:

(1) Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

(2) Zurückzuzahlende Beträge nach Abs. 1 können auf fällige oder fällig werdende Familienbeihilfen angerechnet werden.

3) Für die Rückzahlung eines zu Unrecht bezogenen Betrages an Familienbeihilfe haftet auch derjenige Elternteil des Kindes, der mit dem Rückzahlungspflichtigen in der Zeit, in der die Familienbeihilfe für das Kind zu Unrecht bezogen worden ist, im gemeinsamen Haushalt gelebt hat.

(4) Die Oberbehörde ist ermächtigt, in Ausübung des Aufsichtsrechtes das zuständige Finanzamt anzuweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre.

Aus § 26 Abs. 1 FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 EStG 1988 ergibt sich eine objektive Rückzahlungspflicht desjenigen, der Familienbeihilfe (allenfalls in Form einer Ausgleichszahlung / Differenzzahlung) und Kinderabsetzbetrag zu Unrecht bezogen hat. Es kommt nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des Bezugs der Familienleistungen an), also auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug. Subjektive Momente, wie Verschulden an der (ursprünglichen oder weiteren) Auszahlung der Familienleistungen, Gutgläubigkeit des Empfangs der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags oder die Verwendung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Gleiches gilt für den gutgläubigen Verbrauch der Beträge ().

Diese objektive Erstattungspflicht hat zur Folge, dass der Behörde, sobald die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag nicht mehr gegeben sind, hinsichtlich der Rückforderung von bereits bezogener Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag kein Ermessensspielraum bleibt (vgl. ).

Zur Rückzahlung eines unrechtmäßigen Bezuges an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag ist nach § 26 Abs. 1 FLAG 1967 derjenige verpflichtet, der Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zu Unrecht bezogen hat (vgl. ). Die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag müssen demjenigen, von dem sie zurückgefordert wird, tatsächlich ausbezahlt worden sein.

Da die polnische Familienleistung 500+ daher auf die bereits ausbezahlte österreichische Familienleistung bzw. Differenzzahlung anzurechnen war, erfolgte die Rückforderung letzterer sowie des gleichzeitig ausbezahlten Kinderabsetzbetrages (KG) für den Zeitraum Oktober 2019 bis April 2020 zu Recht.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängig, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit Rechtsfragen zu beurteilen waren, folgt das Gericht den gesetzlichen Grundlagen und der Judikatur.

Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher unzulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 26 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102797.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at