Familienbeihilfe: ausreichend Existenzmittel und umfassender Krankenversicherungsschutz
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Siegfried Fenz in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe 07.2020-03.2022 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Auf die Beschwerdevorentscheidung vom wird verwiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Am erließ das Finanzamt den beschwerdegegenständlichen Bescheid:
Abweisungsbescheid
Ihr Antrag auf Familienbeihilfe, eingebracht am , wird abgewiesen für:
Name des Kindes VNR/Geb.dat. Zeitraum
***X.*** E… … 0608 Juli 2020 - März 2022
***X.*** G… … 1009 Juli 2020 - März 2022
Begründung
Zu ***X.*** E… :
Ihr Kind hält sich nicht rechtmäßig in Österreich auf. Es besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe (§ 3 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in Verbindung mit §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes).
Im Zeitraum Juli 2020 - März 2022 liegt keine gültige Aufenthaltsberechtigung in Österreich vor.
Zu ***X.*** G… :
[wie betreffend das Kind E.]
Die Beschwerde wurde vom steuerlichen Vertreter erhoben wie folgt:
Gegen diesen Bescheid erhebe ich in offener Frist Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen wegen vorliegender Rechtswidrigkeit
Begründung
§ 3 Abs 1 FLAG lautet:
"Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. 1 Nr. 87/2012, rechtmäßig in Österreich aufhalten."
Ich bin polnische Staatsbürgerin und halte mich und hielt mich auch im relevanten Zeitraum Juli 2020 bis März 2022 gemäß § 9 NAG rechtmäßig in Österreich auf. Ich, mein Ehegatte und meine beiden Kinder sind seit in Österreich, ***Anschr.NÖ.***, hauptwohnsitzgemeldet.
Meine Anmeldebescheinigung wurde zwar erst am ausgestellt, diese hat jedoch nur deklarativen Charakter (vgl. die ständige Rechtsprechung des OGH zur Frage der Gewährung von Ausgleichszulage, zuletzt ). Mein Aufenthaltsrecht lässt sich unmittelbar aus Art 7 Abs 1 RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) ableiten:
"Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen.
Seit ich mich in Österreich aufhalte, verfüge ich über ausreichend Existenzmittel sowie einen Krankenversicherungsschutz und habe daher ein Recht auf Aufenthalt in Österreich kraft Unionsrecht.
Beweis: Beizuschaffende Akten BH Tulln, Außenstelle ***Ort.in.NÖ***, betreffend Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für die BF sowie Aufenthaltskarten für die Kinder zu den Zahlen TUS3-F-201419; TUS3-F-201422; TUS3-F-201421
Auch meine Kinder leiten ihr Aufenthaltsrecht unmittelbar aus dem Unionsrecht ab, dies aus Art 7 Abs 2 RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie):
"(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt."
Die Behörde ist daher im Unrecht, wenn sie anführt, es bedürfe der Bezug auch bei Innehabung eines deklaratorischen Rechts der Vorlage eines Aufenthaltstitels. Aus einer Aufenthaltskarte wäre keine Bindungswirkung abzuleiten, auch bei Vorlage einer solchen hätte die Behörde die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts festzustellen (; Ra 2015/09/0137).
Die Aufenthaltskarten für die Kinder wurden von der BH Tulln erst am ausgestellt.
Davor hat das Bundesfinanzgericht daher eigenständig zu beurteilen, ob ein rechtmäßiger Aufenthalt nach § 9 NAG vorliegt (sh. Wanke in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 3 Tz 160).
Ab dem Zeitpunkt ab dem ich und meine Kinder rechtmäßig in Österreich sind, das ist - wie oben ausgeführt - Juli 2020 ist die Familienbeihilfe daher zuzuerkennen.
Im Übrigen sind meine Kinder auch polnische Staatsbürger, da sie einer Mutter mit polnischer Staatsbürgerschaft entstammen. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem polnischen Staatsbürgerschaftsrecht. Somit haben meine Kinder, neben dem oben genannten Gründen, auch aufgrund von Art 7 Abs 1 lit d RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie).
Da sohin Voraussetzung zum Bezug der Familienbeihilfe ein rechtmäßiger Aufenthalt u.a. gemäß § 9 NAG ist, dieser vorliegt und dazu das Finanzamt entsprechende Erhebungen bzw eine eigenständige Beurteilung zu treffen hat, kann die Nichtvorlage eines Aufenthaltstitels eine Abweisung meines Antrags nicht begründen.
Die Zuerkennung der Familienbeihilfe für meine Kinder dient jedenfalls auch dem Kindeswohl.
Daher stelle ich den Antrag: Das Bundesfinanzgericht möge mir in Abänderung des hier angefochtenen Bescheides Familienbeihilfe für mein Kind ***X.*** E…, geb. … .06.2008 für den Zeitraum Juli 2020 bis März 2022 sowie Juni 2022 und mein Kind ***X.*** G…, geb.
… .10.2009, für den Zeitraum Juli 2020 bis März 2022 zusprechen.
Das Finanzamt erließ (am ) folgende Beschwerdevorentscheidung:
Ihrer Beschwerde vom wird teilweise stattgegeben, der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Begründung
Der Mittelpunkt der Lebensinteressen von Ihnen und Ihrer Familie liegt seit in Österreich.
Aus den Sozialversicherungsdaten geht hervor, dass Sie im Beschwerdezeitraum Juli 2020 -
März 2022 keine Bezüge im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in Österreich hatten.
Gemäß vorliegenden Informationen sind Sie für zirka 2 Wochen je Studiensemester als Gastprofessorin an der Universität … in ***europ.Land*** beschäftigt.
Ihr Gatte ***X.*** ***Vorname*** ist seit laufend als selbständig Tätiger in Österreich versichert.
Er arbeitet als ***Beruf** im Homeoffice für eine US-amerikanische ***Arbeitgeber***.
Das Einkommen Ihres Gatten wird in den Vereinigten Staaten von Amerika versteuert.
Auf Anfrage durch das Finanzamt Österreich teilte der Bereich Private Familienbeihilfe am Folgendes mit:
"Aus § 8 und § 9 NAG 2005 geht deutlich hervor, dass der Gesetzgeber zwischen Aufenthaltstiteln und Dokumentationen von bereits auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage bestehenden Aufenthaltsrechten unterscheiden wollte (vgl ; , 2009/21/0378). Bei Bestehen eines gemeinschafts- (nunmehr unions-)rechtlich begründeten Aufenthaltsrechts ist kein Aufenthaltstitel gemäß § 8 NAG auszustellen (nochmals VwGH 2009/21/0378; ).
Für einen Unionsbürger (EWR-Bürger) kommt nur ein Titel gemäß § 9 NAG in Betracht, der aber vom Gesetz als reiner Dokumentationstitel gestaltet ist und bloß deklarativen Charakter hat. Folglich kommt es für einen Unionsbürger nicht auf die Beibringung eines § 9 NAG-Titels in Form einer öffentlichen Urkunde an. Vielmehr hat die Abgabenbehörde zu prüfen, ob der Unionsbürger jene Tatbestände erfüllt, an die das Gesetz die Ausstellung eines § 9 NAG- Titels knüpft (vgl. nochmals VwGH 2008/13/0160). Ein urkundlicher § 9 NAG-Titel in Form einer Aufenthaltsbescheinigung durch die zuständige Behörde erleichtert daher allenfalls die Arbeit anderer Behörden; ihr Fehlen kann aber wegen des ohnehin nicht konstitutiven Charakters nicht zum Verlust von Rechten führen.
§ 9 Abs. 1 NAG bestimmt, dass zur Dokumentation des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate über Antrag eine Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger, die sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten, ausgestellt werden
kann.
Gemäß § 51 Abs. 1 NAG sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich oder ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthaltes weder Sozialleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen....
Die Kindesmutter und Antragstellerin ist polnische Staatsbürgerin und besitzt eine
EU- Anmeldebescheinigung (Selbständiger) ab . Eine solche wird von der Behörde nur bei Vorliegen der Voraussetzungen von §§ 51 und 52 NAG ausgestellt (u.a. dass der EWR- Bürger nachweist, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt).
Der Kindesvater sowie die Kinder sind amerikanische Staatsbürger und besitzen Aufenthaltskarten gemäß § 54 NAG (Angehörige eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers) gültig ab .
Folglich muss geprüft werden, ob sich die Kindesmutter als Unionsbürgerin im Zeitraum Juli 2020 (Zuzug der Familie nach Österreich) bis März 2022 rechtmäßig iSd § 9 NAG aufgehalten hat oder nicht.
Der Zuzug der Familie erfolgte im Juli 2020 aus Deutschland.
Die ganze Familie wohnt in einem Haus in ***Ort.in.NÖ***, ein Kind geht im Gymnasium ***Ort.in.NÖ*** zur Schule.
Der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Antragstellerin ist im zu beurteilenden Zeitraum unzweifelhaft in Österreich.
Die Beschwerdeführerin hat einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe ab dem Monat der Einreise in Österreich eingebracht. Die Kinder wohnen seit der Einreise nach Österreich bei ihr und ihrem Vater, der mit der Kindesmutter auch verheiratet ist.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG gilt als Familienangehöriger, wer Ehegatte oder minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie). Die Kinder und der Ehemann sind damit als Familienangehörige im Sinne des NAG anzusehen.
Gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 NAG wird zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate für Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind, auf Antrag eine "Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers" (§ 54) ausgestellt, dies erfolgte sowohl bei den Kindern als auch beim Kindesvater mit April 2022.
Ausgehend von den oben genannten Bestimmungen muss daher die Mutter im Streitzeitraum entweder Arbeitnehmerin oder Selbständige gewesen sein oder für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel UND einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt haben, dann hat sie sich rechtmäßig in Österreich aufgehalten.
Sollte dies von der Behörde geprüft und festgestellt werden, hielten sich auch die Kinder als Angehörige rechtmäßig in Österreich auf."
(Die Bf.) war im Beschwerdezeitraum weder Arbeitnehmerin noch selbständig Erwerbstätige in Österreich.
Sie verfügte durch das Einkommen Ihres Ehegatten über ausreichend Existenzmittel und ab laufend auch über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Bundesgebiet.
Dadurch besteht ab August 2020 ein rechtmäßiger Aufenthalt (der Bf.) und den Kindern in Österreich.
Für Juli 2020 besteht kein Anspruch auf Familienleistungen, da kein ausreichender Krankenversicherungsschutz in Österreich gegeben war.
Der Vorlageantrag wurde gleichlautend der Beschwerde erstattet.
Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Es wurde die Familienbeihilfe ab Juli 2020 beantragt und ab August 2020 zuerkannt, strittig ist daher nur noch der Monat Juli 2020.
Betreffend der Abweisung für Juli 2020 wird auf die ausführliche Beschwerdevorentscheidung verwiesen.
Beweismittel:
siehe gescannte Unterlagen
Stellungnahme:
Der Beschwerde wurde teilweise stattgegeben (Abweisung für Juli 2020, Stattgabe ab August 2020).
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Auf die Darstellung des Sachverhaltes in der Beschwerdevorentscheidung wird verwiesen.
Der Vorlageantrag wurde, wie oben angeführt, gleichlautend der Beschwerde erstattet; neue Sachverhaltselemente wurden dementsprechend nicht ins Treffen geführt.
Betreffend die Bf. wurde im AJ-WEB Auskunftsverfahren, Stand vom , kein Dienstgeber gefunden (AJ- Abfrage).
Betreffend den Ehegatten der Bf. ist im AJ-WEB Auskunftsverfahren, Stand vom , die Meldung " - laufend" ausgewiesen (AJ- Abfrage).
Ab verfügte die Bf. (neben ausreichenden Existenzmitteln) auch über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Bundesgebiet (Beschwerde, Beschwerdevorentscheidung und Beschwerdevorlage).
2. Beweiswürdigung
Der gegenständlich zu beurteilende Sachverhalt ist unstrittig; weiterer Ausführungen zur Beweiswürdigung bedarf es demgemäß nicht.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
In rechtlicher Hinsicht wird auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde und der Beschwerdevorentscheidung verwiesen.
Vorweg ist festzuhalten:
Der Beschwerdevorlage kommt Vorhaltswirkung zu (vgl. bspw. ; ; ).
Auf Grund der erlassenen Beschwerdevorentscheidung ist nur mehr strittig, ob der Bf. (auch) für Juli 2020 Familienbeihilfe zu gewähren ist oder nicht.
Nach der unbestritten gebliebenen Feststellung des Finanzamtes in der Beschwerdevorentscheidung und der Beschwerdevorlage verfügte die Bf. (erst) ab (neben ausreichenden Existenzmitteln) auch über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Bundesgebiet.
Ist das Verfügen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat nach den obigen Rechtsausführungen von entscheidungswesentlicher Bedeutung, ist das Schicksal der Beschwerde entschieden und wurde die Beschwerdevorentscheidung nicht rechtswidrig erlassen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden auf der Sachverhaltsebene zu lösenden Fall nicht gegeben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102862.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at