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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.11.2024, RV/6100391/2023

(Bedingter) Vorsatz als Voraussetzung für die Verlängerung der Verjährungsfrist

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***Stb1***, ***Stb1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Umsatzsteuer 2013 sowie über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Umsatzsteuer 2014, 2015, 2016 und 2017 zu Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Den Beschwerden wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben vom erstattete die nunmehrige steuerliche Vertretung der BF eine Selbstanzeige für die an der gegenständlichen Gemeinschaft beteiligten Vereine betreffend die Umsatzsteuer der Jahre 2012-2021 und die Umsatzsteuer des laufenden Jahres 2022 sowie die Körperschaftsteuer 2012-2021, stellte die Kooperation der beiden Vereine dar, die von der BF erbrachten Leistungen woraus ersichtlich sei, dass die beiden beteiligten Vereine über die BF als Verrechnungsstelle für Vertragstherapeuten und der GKK agiere, wofür die Therapeuten einen Verwaltungsbeitrag leisten würden.

Neben einer Darstellung der steuerlichen Beurteilung der Tätigkeit der beiden Vereine stellte die steuerliche Vertretung dar, dass die BF Unternehmerin im Sinne des Umsatzsteuergesetzes sei demnach die vereinnahmten Umsätze auch der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien woraus für den Zeitraum 2012-2021 Umsatzsteuern i.H.v. 324.007,77 € und Vorsteuern i.H.v. 19.372,81 € resultieren würden, was zu einer Nachzahlung an Umsatzsteuer i.H.v. 304.634,96 € führe. Für die Voranmeldungszeiträume Jänner bis Oktober 2022 seien Zahllasten i.H.v. 32.284,44 € angefallen.

In weiterer Folge benannte die steuerliche Vertretung jene natürlichen und juristischen Personen, für die die Selbstanzeige erstattet werde, was auch die vormalige steuerliche Vertretung betraf.

Abschließend stellte die steuerliche Vertretung dar, dass sämtlichen handelnden Personen ein vorsätzliches Verhalten nicht vorgeworfen werden könne. Von Beginn an sei stets eine Steuerberatung der Sache betraut gewesen darüber hinaus handele es sich um einen komplexen Sachverhalt. Allein die Erkenntnis, dass die BF nicht gemeinnützigkeitsfähig sei, bedürfe umfangreicher juristischer Kenntnisse, welche auch von einem ordentlichen Organwalter nicht erwartet werden könnte. Deshalb komme nach Meinung der steuerlichen Vertretung lediglich eine Verjährung von sieben Jahren zum Tragen.

Das FA veranlagte die BF mit Bescheid vom zur Umsatzsteuer für 2013, wogegen die BF durch ihren ausgewiesenen Vertreter fristgerecht Beschwerde erhoben.

In weiterer Folge führte das FA eine Betriebsprüfung bei der BF durch und veranlagte die BF unter anderem für die Jahre 2014-2021 mit den von der BF selbst bekannt gegeben Zahllasten zur Umsatzsteuer. Dabei begründete das FA mit umfangreichen Rechtsausführungen, warum Abgabenhinterziehung vorliege und woraus sich das Verschulden ergebe.

Gegen die Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2013-2017 erhob die BF durch ihre ausgewiesene Vertreterin fristgerecht Beschwerde und führte darin aus, dass hinsichtlich der Jahre 2013-2017 Verjährung vorliege.

Diese Beschwerden wurden mit Beschwerdevorentscheidungen vom als unbegründet abgewiesen, wobei das FA zur verlängerten Verjährungsfrist wiederum davon ausging, dass Abgabenhinterziehung nicht nur objektiv, sondern auch von der subjektiven Tatseite gegeben sei, da diese Abgabepflicht tatsächlich zumindest ernstlich für möglich gehalten worden sei, weswegen die auf Abgabenverkürzung gerichtete subjektive Einstellung jedenfalls vorliege.

Darauf beantragte die BF durch ihre ausgewiesene Vertreterin fristgerecht die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, wobei nochmals darauf verwiesen wurde dass es sich zum einen bei den Organen der BF um Psychologen und nicht um Betriebswirte und Rechtswissenschaftler handle und ein Vorsatz ausschließender Rechtsirrtum dann vorliegen würde, sofern eine Rechtsauskunft beim sachkundigen Steuerberater eingeholt worden wäre. Die BF sei laufend rechtlich vertreten gewesen und die steuerrechtliche Fehleinschätzung sei erst bei der Übernahme der Vertretung durch die nun aktuell zuständige steuerliche Vertreterin aufgefallen wobei festzuhalten sei, dass die Vorgangsweise zuvor mit sachkundigen Steuerberatern und Rechtsanwälten abgestimmt gewesen sei.

Die Beschwerde gegen die Umsatzsteuer 2013 wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen, die Begründung entsprach - ebenso wie die Begründung der Beschwerde selbst - der Begründung der Beschwerdevorentscheidungen für die Jahre 2014-2017. Gleiches gilt für den fristgerecht eingereichten Vorlageantrag, der in weiterer Folge dem BFG vorgelegt wurde.

Mit Beschluss vom ersuchte das Bundesfinanzgericht die belangte Behörde um Mitteilung, ob im Arbeitsbogen der Betriebsprüfung Unterlagen zu der von der Beschwerdeführerin angeführten "Abstimmung der Vorgangsweise mit fachkundigen Steuerberatern und Rechtsanwälten" dokumentiert worden sei bzw. ersichtlich sei mit welchen Steuerberatern und Rechtsanwälten die Vorgangsweise abgestimmt worden sei. Dies beantwortete die belangte Behörde mit Schreiben vom dahingehend, dass in den der Behörde vorliegenden Unterlagen weder eine konkrete Stellungnahme, noch eine Information darüber wer die besagten Personen und Kanzleien seien vorliegen würden.

Mit Beschluss vom ersuchte das Bundesfinanzgericht die BF bekanntzugeben, ob zur Frage der umsatzsteuerlichen Begünstigung der BF Schreiben der Rechtsberater oder Aktenvermerke über diese Gespräche vorliegen würden und allenfalls vorhandene Schriftstücke dazu vorzulegen. Weiters wurde die BF ersucht bekanntzugeben welche Organe oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei diesen Gesprächen anwesend gewesen seien und zu diesen Besprechungen Aussagen tätigen könnten.

Dies beantwortete die BF mit Schreiben vom dahingehend, dass keine Schriftstücke über die Auskunftserteilung betreffend Umsatzsteuerbefreiung vorhanden seien, sondern der steuerliche Vertreter mehrfach über das Vorliegen der Umsatzsteuerbefreiung aufgrund der Gemeinnützigkeit telefonisch Auskunft gegeben habe. Weiters benannte die BF jene Rechtsvertreter, die die BF in der gegenständlichen Zeit beraten hätten.

In der mündlichen Verhandlung vom führte der Geschäftsführer der BF aus, dass er als Psychotherapeut keine steuerliche Vorkenntnis gehabt habe und steuerliche Fragen immer an die steuerlichen Vertreter weitergeleitet habe, wobei die gesamte steuerliche Problematik mit diesen bereits ab 2004 immer wieder besprochen wurde. Die Frage der Steuerpflicht der Umsätze sei von den steuerlichen Vertreter nie thematisiert worden wobei der steuerliche Vertreter alle Gesellschaftsrechte gekannt habe und sämtliche Unterlagen diesem Zusammenhang gehabt habe und für die BF beispielsweise auch Rechnungsformulare erstellt habe. Zudem habe er auch die jährlichen Prüfberichte über die Tätigkeit der BF erstellt. Erst im Sommer des Jahres 2022 sei die Umsatzsteuerbefreiung infrage gestellt worden und in der Folge von beiden Vereinen an externe Berater herangetragen worden. In weiterer Folge sei die Selbstanzeige erfolgt.

Der in der Verhandlung als Zeuge einvernommene Berater schilderte den Ablauf, dass er über die zweite Gesellschafterin mit diesem Fall in Kontakt gekommen sei und dass er gemeinsam mit dem Vertreter der nunmehrigen steuerlichen Vertretung der Meinung gewesen sei, dass Umsatzsteuerpflicht vorliege, was für die Geschäftsführerin des zweiten Vereins aufgrund des Umstandes, dass andere Verrechnungsstellen in anderen Bundesländern keine Umsatzsteuer zu bezahlen gehabt hätten, zu großer Verwunderung geführt habe.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die BF ist eine Gemeinschaft, die aus zwei gemeinnützigen Vereinen besteht, deren Zweck die Koordination, Abwicklung und Abrechnung von psychotherapeutischen Leistungen sowie die Förderung und quantitative Verbesserung psychotherapeutischer Versorgung im Land Salzburg inklusive Verwaltung und Festlegung der Vereinbarungen mit Versicherungsträgern oder ähnlichen Organisationen einerseits und mit Psychotherapeuten andererseits umfasst. Die beiden dahinterstehenden Vereine agieren über die BF als Verrechnungsstelle für Vertragstherapeuten und die ÖGK, wobei sich die Vertragstherapeuten gegenüber der BF in Einzelvereinbarungen zur Erbringung psychotherapeutischer Leistungen an Versicherte der ÖGK verpflichten. Für die Verwaltung leisten Vertragstherapeuten einen Verwaltungsbeitrag an die BF.

Die aus dieser Tätigkeit resultierenden Umsatzsteuern und Vorsteuern führten in den einzelnen Jahren zu Zahllasten i.H.v. 24.988,15 € im Jahr 2013, 27.452,58 € im Jahr 2014, 31.131,11 € im Jahr 2015, 31.665,12 € im Jahr 2016 und 31.564,66 € im Jahr 2017.

Diese Zahllasten wurden in den Jahren 2013-2017 nicht erklärt, die Bekanntgabe der Zahlen und der Verweis auf die Steuerpflicht dieser Umsätze erfolgte erstmals in der Selbstanzeige vom .

Die Organe der Vereine haben sich bei der Gründung der BF im Jahr 2004 mit den steuerlichen Vertretern und der GKK und in den Folgejahren laufend mit dem damaligen steuerlichen Vertreter der BF auch über die "gesamte steuerliche Problematik" ausgetauscht. Der damalige Vertreter war ein erfahrener Steuerberater und hat darüber hinaus für die BF jährliche Prüfberichte erstellt, in denen er die Richtigkeit der Unterlagen bestätigte. Er war auch in die Rechnungsgestaltung der BF involviert, in denen diese unter Verweis auf ihre Tätigkeit "in der Fürsorge" keine USt in Rechnung stellte. Die Frage der Umsatzsteuerpflicht stand bei den Gesprächen zwischen den Organen der BF und dem steuerlichen Vertreter immer "außer Frage".

Die Organe der BF haben aufgrund ihrer Ausbildung durch die Einbeziehung von Rechtsvertretern bei der Gründung und eines fachkundigen Steuerberaters in der laufenden Tätigkeit die notwendige Expertise eingeholt, um eine korrekte steuerliche und damit eine korrekte umsatzsteuerliche Behandlung der BF zu erreichen. Festzuhalten ist auch, dass den Organen der BF bekannt war, das Verrechnungsstellen in anderen Bundesländern keine USt abzuführen hatten. Ihnen ist somit kein Verschulden oder maximal leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Erst im Jahr 2022 wurde durch die Beauftragung eines Anwaltes durch eine Gesellschafterin der BF zur Klärung von gesellschaftsrechtlichen Fragen von diesem die Frage der Gemeinnützigkeit der BF thematisiert und wurden in weiterer Folge von beiden Gesellschaftern der BF neue steuerliche Vertreter mit der Frage der Gemeinnützigkeit und der Umsatzsteuerpflicht befasst.

Der im Jahr 2024 verstorbene ursprüngliche steuerliche Vertreter war bis zum Jahr 2022 in den Gesprächen mit den neuen steuerlichen Vertretern davon überzeugt, dass die BF nicht umsatzsteuerpflichtig sei, weil sie gemeinnützig sei.

Der damalige steuerliche Vertreter hat die Auskunft, wonach diese Tätigkeit der BF als Vereinigung zweier Vereine als gemeinnützige Tätigkeit eingestuft werden kann die nicht der Umsatzsteuer unterliegt, ohne die ihm zumutbare Sorgfalt behandelt. Er hat so ungewöhnlich und auffallend sorgfaltswidrig gehandelt. Der Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild entsprechenden Sachverhaltes wäre ihm bei entsprechender Sorgfalt vorhersehbar gewesen. Er hat notwendige weitergehende Prüfmaßnahmen dazu unterlassen, was ihm auf Grund seiner Ausbildung möglich gewesen wäre. Dieses Handeln des Vertreters war grob fahrlässig.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt hinsichtlich der unterlassenen Erklärung der Umsätze der Jahre 2013-2017 und die Höhe der daraus resultierenden Umsatzsteuerzahllasten in den einzelnen Jahren ergibt sich aus der Selbstanzeige der BF, die von Seite des FAÖ im Wege einer Betriebsprüfung nochmals überprüft worden war. Damit ist auch der objektive Tatbestand einer Abgabenverkürzung unstrittig klargestellt.

Dass die Organe der BF erst im Zuge einer anwaltlichen Rechtsberatung zu gesellschaftsrechtlichen Fragen im Jahr 2022 auf Probleme im Bereich der Gemeinnützigkeit aufmerksam wurden und in weiterer Folge dies durch neu hinzugezogene steuerliche Vertreter auch in Bezug auf die umsatzsteuerliche Problematik thematisiert wurde, ergibt sich aus der glaubhaften und schlüssigen Darstellung des in der mündlichen Verhandlung als Zeugen einvernommenen damals herangezogenen steuerlichen Vertreters einer Gesellschaft ebenso wie aus den Ausführungen des steuerlichen Vertreters der BF in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite betreffend den organschaftlichen Vertreter der BF ergeben sich aus dessen glaubhaften und nachvollziehbaren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung. Durch die Begleitung der BF bei der Gründung sowohl durch Rechtsvertreter als auch die GKK und durch den Austausch mit dem steuerlichen Vertreter während der laufenden Tätigkeit, der eine Umsatzsteuerpflicht der BF verneint hat, ist er seinen Pflichten als Geschäftsführer jedenfalls nachgekommen. Dies umso mehr, als ihm aus anderen Bundesländern bekannt war, dass dort ebenfalls keine Umsatzsteuer abzuführen war. Ob die Notwendigkeit bestanden hätte, sich trotz der laufenden und intensiven Einbindung des eigenen steuerlichen Vertreters eine "Zweite Meinung" beim FA einzuholen, kann für das gegenständliche Verfahren dahingestellt bleiben, da dies aus Sicht des BFG lediglich eine leichte Fahrlässigkeit und keinesfalls Vorsatz begründen könnte.

Was die Beurteilung der subjektiven Tatseite des mittlerweile verstorbenen damaligen steuerlichen Vertreters der BF betrifft, so haben die glaubhaften Aussagen des Geschäftsführers, des Zeugen und auch des neuen steuerlichen Vertreters der BF unzweifelhaft ergeben, dass der vormalige Steuerberater bis in das Jahr 2022 der festen Überzeugung war, dass eine Umsatzsteuerpflicht für die BF nicht besteht und er richtig gehandelt hat.

Aufgrund seiner Ausbildung und seiner genauen Kenntnis der konkreten Tätigkeit der BF hätte er aber bei der für einen Vertreter seines Berufsstandes zu erwartenden Sorgfalt erkennen müssen, dass bei der konkreten Gesellschaftsform die Gemeinnützigkeit und Umsatzsteuerpflicht jedenfalls einer näheren Überprüfung bedurft hätte. Im Gegensatz zum Geschäftsführer der BF entbindet ihn der Umstand, dass andere Verrechnungsstellen im Ergebnis keine Umsatzsteuern zu bezahlen hatten, nicht von einer näheren Überprüfung der Steuerpflicht der BF. Der als Zeuge einvernommene Rechtsvertreter der zweiten Gesellschafterin der BF hat in der mündlichen Verhandlung geschildert, dass diese "Umsatzsteuerbefreiung" der anderen Verrechnungsstellen auf verschiedenen rechtlichen Grundlagen beruhte, die vom damaligen Steuerberater für die BF nicht untersucht wurden.

Einen (bedingten) Vorsatz des damaligen steuerlichen Vertreters schließt das BFG daher im konkreten Fall aus. Eine solche feste Überzeugung, die auf einer nicht detailliert begründeten und über Jahre nicht näher hinterfragten Rechtsansicht beruht, stellt jedoch für einen Steuerberater eine auffallende Sorglosigkeit damit eine grobe Fahrlässigkeit dar.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Strittig ist im gegenständlichen Fall nicht die Umsatzsteuerpflicht der BF oder die Höhe der vorzuschreibenden Abgaben. Strittig ist lediglich, ob die Umsatzsteuern der Jahre 2013-2017 im Jahr 2023 bereits verjährt sind oder ob es sich um hinterzogene Abgaben handelt und eine Vorschreibung auf Grund der längeren Verjährungsfrist noch möglich ist.

Gemäß § 207 Abs. 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. …

Gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG macht sich der Abgabenhinterziehung schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt.

Gemäß § 8 Abs. 1 FinStrG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

Gemäß § 8 Abs. 2 FinStrG handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer acht läßt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, daß er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht. Fahrlässig handelt auch, wer es für möglich hält, daß er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will.

Gemäß § 8 Abs. 3 FinStrG handelt grob fahrlässig, wer ungewöhnlich und auffallend sorgfaltswidrig handelt, sodass der Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild entsprechenden Sachverhaltes als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar war.

Für die Annahme der zehn Jahre betragenden Verjährungsfrist ist die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens nicht erforderlich (; , 89/14/0149; , 98/16/0391; , 2002/14/0154), die Beurteilung, ob eine Hinterziehung vorliegt hat in solchen Fällen als Vorfrage zu erfolgen. (hA zB , 0084; , 2009/13/0159; , 2009/16/0076 bis 0078; , Ra 2016/13/0007; , Ra 2017/15/0044; , Ra 2020/16/0023; aM Fachgutachten Nr 65; dieses Gutachten mit überzeugenden Argumenten widerlegend Baldauf, ÖStZ 1982, 135).

Dabei ist va in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer (objektiven) Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststeht. Vorsätzliches Handeln beruht nach stRsp des VwGH zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (). (Brennsteiner/Fischerlehner, BAO, Rz. 8 zu § 207)

Wie oben dargestellt, ist eine Verkürzung der Umsatzsteuern durch die Vorgangsweise der BF und ihrer Vertreter in den Jahren 2013-2017 unzweifelhaft und unbestritten erfolgt. Fraglich ist im gegenständlichen Verfahren lediglich die Frage der Vorwerfbarkeit dieses Verhaltens, wobei die BF nicht nur die Vorwerfbarkeit des Verhaltens ihrer Organe sondern auch die der von ihr gewählten Vertreter zu vertreten hat.

Das Beweisverfahren hat zweifelsfrei ergeben, dass der Geschäftsführer der BF keinesfalls einen Vorsatz auf Verkürzung der Abgaben gehabt hat. Auch der damalige, mittlerweile verstorbene steuerliche Vertreter hat nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens zwar jedenfalls grobe Fahrlässigkeit in der steuerlichen Behandlung der Tätigkeit der BF zu verantworten, für das Vorliegen eines Vorsatzes hat sich jedoch kein Beweis ergeben, weswegen eine Verlängerung der Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 BAO nicht in Betracht kommt. Dazu ist noch festzuhalten, dass die belangte Behörde bei ihrer Begründung der Verlängerung der Verjährungsfrist sich zur Frage, ob bei komplexen Rechtsfragen allenfalls auch eine Erkundigung beim FA erfolgen müsste, auf ein VwGH Erkenntnis () bezieht, dass zur Geschäftsführerhaftung nach §§ 9, 80 BAO ergangen ist. Der für die Haftung des Geschäftsführers erforderliche Schuldmaßstab ist jedoch ein anderer, bereits leichte Fahrlässigkeit ist ausreichend ( 91//13/0037, 0038). Für das gegenständliche Verfahren, in dem es um die Frage des vorsätzlichen Handelns geht, kann aus diesem Erkenntnis nichts gewonnen werden.

Den Beschwerden war daher Folge zu geben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Entscheidung stützt sich zur Frage des Vorsatzes als notwendige Voraussetzung für die Abgabenhinterziehung und damit für die Beurteilung der Frage, ob eine verlängerte Verjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 BAO zur Anwendung kommt, auf den klaren Gesetzestext und auf die im Begründungsteil genannten Erkenntnisse. Die Frage der Schuldform der handelnden Organe ist eine Sachverhaltsfrage. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.6100391.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at