TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.10.2024, RV/7102661/2020

Erlassung von Zurücknahmebescheiden durch das Finanzamt trotz fristgerechter, hinreichend erfüllter Mängelbehebung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Sonja Stradner in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch ******, über die Beschwerde vom gegen die Zurücknahmebescheide des Finanzamtes Baden Mödling (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO hinsichtlich Einkommen- und Umsatzsteuer 2018, Steuernummer ***Bf-StNr***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die Zurücknahmebescheide werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Im Unternehmen der Beschwerdeführerin (Bf.) fand eine Betriebsprüfung für die Jahre 2015 bis 2018 statt, die zu Vorsteuer- und Aufwandskürzungen sowie Erlöshinzurechnungen führte. Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung und erließ am neue Sachbescheide für die Veranlagungsjahre 2015-2018.

Mit Schreiben vom brachte die Bf. einen Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO hinsichtlich der Einkommen- und Umsatzsteuer 2018 ein bzw. regte eine amtswegige Wiederaufnahme an. Begründend wurde ausgeführt, dass sich eine Tatsache verändert habe und nicht alle Rechnungen in der Buchhaltung berücksichtigt worden seien. Anhand der beigefügten berichtigten Steuererklärungen seien die Bescheide neu festzusetzen.

Das Finanzamt sah die Inhaltserfordernisse gemäß § 303 Abs. 2 lit. b iVm § 303 Abs. 1 BAO nicht gegeben und erließ daraufhin einen Mängelbehebungsauftrag gemäß § 85 Abs. 2 BAO. Es forderte die Bf. zur Vorlage der neuen Beweismittel bzw. Tatsachen (in einer genauen Aufstellung der Einzel-/Gesamtsummen) auf, die nach dem abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen seien.

Mit Schreiben vom übermittelte die Bf. die ursprüngliche und die berichtigte Bilanz 2018, aus der ersichtlich sei, dass Steuerberatungskosten iHv 9.375,00 € nachträglich geltend gemacht worden seien.

Mit Bescheiden vom erklärte das Finanzamt den Antrag vom auf Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 1 BAO hinsichtlich der Einkommen- und Umsatzsteuerverfahren 2018 als zurückgenommen. Dem Auftrag, die Mängel der Eingabe zu beheben, sei nicht vollinhaltlich entsprochen worden.

Dagegen richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Die Bf. brachte nochmals vor, dass sich die Tatsache verändert habe und nicht alle Rechnungen in der Bilanzierung 2018 berücksichtigt worden seien. Berichtigte Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen seien beigelegt.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab und führte aus, dass eine amtswegige Wiederaufnahme gesetzlich nicht zwingend vorgesehen sei und die Belege iSd § 85 BAO weder im Rahmen des Wiederaufnahmeantrags noch in der Beschwerde vorgelegt worden seien.

Die Bf. brachte daraufhin fristgerecht am einen Vorlageantrag ein, verwies inhaltlich auf die Beschwerde und übermittelte die fehlende Rechnung in Kopie.

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt den Verwaltungsakt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor, wobei der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung der Fall am zugewiesen wurde.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf.) betrieb seit November 2014 an der Adresse ***Adresse***, den "***1*** Supermarkt". Im Jahr 2019 (Schlussbesprechung am ) führte das Finanzamt hinsichtlich der Veranlagungsjahre 2015-2018 eine Betriebsprüfung durch und traf zahlreiche Feststellung zu Vorsteuerkürzung, Aufwandskürzung und Erlöshinzurechnung. Gegen die am erlassenen Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 2015-2018 wurde keine Beschwerde erhoben, sodass diese Bescheide in Rechtskraft erwuchsen.

Am brachte die Bf. gemäß § 303 BAO einen Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommen- und Umsatzsteuer 2018 ein bzw. regte die Wiederaufnahme von Amts wegen an. Sie führte aus, dass nicht alle Rechnungen in der Buchhaltung 2018 erfasst gewesen seien. Es handle sich somit um eine neue Tatsache.

Das Finanzamt führte in Folge ein Mängelbehebungsverfahren durch und forderte die Bf. am zur Vorlage der Beweismittel bzw. Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO auf, die nach dem abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen seien.

Die Bf. beantwortete den Mängelbehebungsauftrag und legte eine ursprüngliche, während der Betriebsprüfung relevante Bilanz 2018 und eine berichtigte Bilanz 2018 vor. Die berichtigte Bilanz 2018 zeigt nunmehr Aufwendungen für Steuerberatungskosten iHv 9.375,00 € auf dem Konto 7700.

Nach Ansicht des Finanzamtes wurde dem Mängelbehebungsauftrag nicht vollinhaltlich entsprochen, sodass es zu den bekämpften Zurücknahmebescheiden vom kam.

Mit Vorlageantrag vom übermittelte die Bf. eine Honorarnote der steuerlichen Vertretung ****** vom über die Abrechnung von EDV-Dienstleistungen für den Zeitraum 2013 bis März 2018. Die Verrechnung erfolgte am . Die Honorarnote war daher der Bf. bereits vor Bescheiderlassung bekannt.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf die im Akt aufliegenden Unterlagen und ist unstrittig. Aus der übermittelten Honorarnote der steuerlichen Vertretung ist das Datum der Rechnungslegung () und das Datum der Verrechnung (handschriftlich vermerkt: am ) ablesbar.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Beschwerdegegenständlich ist die Frage, ob dem Mängelbehebungsauftrag vom entsprochen wurde und der gegenständliche Wiederaufnahmsantrag somit den in § 303 Abs. 2 BAO umschriebenen Voraussetzungen entspricht.

§ 303 BAO lautet:

"(1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

(2) Der Wiederaufnahmsantrag hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;

b) die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird.

(3) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, durch Verordnung die für die Ermessensübung bedeutsamem Umstände zu bestimmen."

Den Wiederaufnahmegrund bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betroffene Partei. Sie gibt im Wiederaufnahmeantrag an, aus welchen Gründen sie eine Wiederaufnahme des Verfahrens als notwendig erachtet. Damit wird die Sache, über die in der Beschwerde gegen einen Wiederaufnahmebescheid oder einen Bescheid, mit dem die beantragte Wiederaufnahme abgewiesen wird, zu entscheiden ist, bei der beantragten Wiederaufnahme durch die Partei im Wiederaufnahmeantrag festgelegt ( mit Verweis auf das Erkenntnis ).

Fehlen im Antrag nach § 303 Abs. 2 BAO geforderte Angaben, so liegen inhaltliche Mängel iSd § 85 Abs. 2 BAO vor. Daher ist mit Mängelbehebungsauftrag vorzugehen (Ritz/Koran, BAO7, § 303 Tz 52).

§ 85 Abs. 2 BAO lautet:

"Mängel von Eingaben (Formgebrechen, inhaltliche Mängel, Fehlen einer Unterschrift) berechtigen die Abgabenbehörde nicht zur Zurückweisung; inhaltliche Mängel liegen nur dann vor, wenn in einer Eingabe gesetzlich geforderte inhaltliche Angaben fehlen. Sie hat dem Einschreiter die Behebung der Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Eingabe nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt; werden die Mängel nicht rechtzeitig behoben, gilt die Eingabe als ursprünglich richtig eingebracht."

Wird einem berechtigten Mängelbehebungsauftrag überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder zwar innerhalb der gesetzten Frist, aber unzureichend entsprochen, so ist mit Bescheid auszusprechen, dass die Eingabe als zurückgenommen gilt (Ritz/Koran, BAO7, § 85 Tz 18).

Dass der Inhalt des Antrags auf Wiederaufnahme vom die Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens zwingend erforderlich machte, wurde von der Bf. nicht in Frage gestellt und steht auch für das Bundesfinanzgericht außer Zweifel. Der Antrag auf Wiederaufnahme beinhaltet zwar die Bezeichnung der Verfahren, deren Wiederaufnahme beantragt wird (Einkommen- und Umsatzsteuer 2018), jedoch wurde von der Bf. nur vage ausgeführt, dass sich Tatsachen verändert haben und nicht alle Rechnungen in der Buchhaltung erfasst gewesen seien. Daraus allein, ist dem Finanzamt die Entscheidung über die Wiederaufnahme nicht möglich, sodass der Mängelbehebungsauftrag zu Recht erlassen wurde.

Mit Verbesserungsschriftsatz vom übermittelte die Bf. Unterlagen, aus denen ersichtlich war, dass Steuerberatungskosten iHv 9.375,00 € in einer berichtigten Bilanz 2018 nachträglich neu ausgewiesen wurden. Aus der berichtigten Bilanz ist daher die mit Mängelbehebungsauftrag geforderte Aufstellung der Einzelsummen/Gesamtsummen ablesbar. Entgegen der Ansicht des Finanzamtes hat die Bf. damit aber die behaupteten Umstände (neue Tatsachen gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO) näher bezeichnet und nachgewiesen, worauf sich ihr Antrag auf Wiederaufnahme stützt. Ob dieser Antrag zu Recht gestellt wurde, ist in einem weiteren Schritt zu beurteilen.

Soweit das Finanzamt die Zurücknahmebescheide vom wegen unzureichender Erfüllung des Mängelbehebungsauftrags erlassen hat, hat es die Rechtslage daher verkannt. Der Beschwerde war insoweit Folge zu geben und die Bescheide aufzuheben. Über den Antrag auf Wiederaufnahme ist daher vom Finanzamt abzusprechen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Ergänzender Hinweis:

Abschließend wird lediglich ergänzend vom Bundesfinanzgericht darauf hingewiesen, dass laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck hat, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll es die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen (, mwN), weshalb "vergessene" Aufwendungen/Werbungskosten keinen Wiederaufnahmegrund aus dem Titel neuhervorgekommener Tatsachen begründen (). Auch Umstände, die einer Partei im Zeitpunkt der Entscheidung zwar bekannt sind, jedoch etwa auf Grund einer Verletzung der Offenlegungs- und Wahrheitspflicht bei der Bescheiderlassung nicht berücksichtigt werden konnten, bilden keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund für eine Wiederaufnahme auf Antrag der Partei (vgl. Fischerlehner, Abgabenverfahren², § 303 BAO, Anm. 6; sowie zB ).

Aus dem klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist jedenfalls abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist (vgl. dazu Pabst, ÖStZ 2017, 49ff, sowie Fuchs, ÖStZ 2017, 70). Diese Ansicht bestätigte der Verwaltungsgerichtshof im sowie ua Ra 2020/15/0105.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Sowohl zur Wiederaufnahme auf Antrag einer Partei als auch zum Mängelbehebungsauftrag und dessen Rechtswirksamkeit gibt es eine einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von welcher das Bundesfinanzgericht nicht abgewichen ist. Die ordentliche Revision war daher nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 85 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102661.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at