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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.10.2024, RV/3100248/2023

SMS-Gutachten nicht schlüssig, daher keine Bindung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff Nr1, betreffend Abweisung der Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages für den Zeitraum ab September 2020
zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof
nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensablauf:

1. Mit Anträgen Beih100 und Beih3 hat Herr A (= Beschwerdeführer, Bf), geb. 11/1979, am die Zuerkennung von Familienbeihilfe (FB) (ohne zeitliche Angabe) und FB-Erhöhungsbetrag, fünf Jahre rückwirkend, wegen erheblicher Behinderung/"Multiple Sklerose, Epilepsie" für sich beantragt.

2. Im Ergänzungsschreiben v. führt der Bf aus, dass seine Behinderung mit einem GdB von 60 % vom Bundessozialamt am , also noch während seiner Ausbildung zum Bürokaufmann mit 23 Jahren, anerkannt worden sei und laut Befund seit 1998 bestehe. Zum Nachweis wurden an Unterlagen vorgelegt:

a) Arbeitszeugnis des XY v. , wonach der Bf in der Zeit vom bis
eine Schulung nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz absolviert hat;

b) Zeugnis der Wirtschaftskammer zur erfolgreich bestandenen Lehrabschlussprüfung
im Lehrberuf "Bürokaufmann" vom ;

c) Ärztliche Bestätigung v. der KlinikX, Abt. Neurologie
OA Dr. B, woraus ua. hervorgeht:
Der Bf befindet sich seit Juli 2002 in regelmäßigen Kontrollen der neuroimmunologischen und Multiple Sklerose-Ambulanz. Beim Bf besteht seit zumindest 1998 eine Erkrankung aus dem Formenkreis der Multiplen Sklerose; erstmaliger Auftritt von Symptomen 1998 während des Präsenzdienstes. Im Juli 2002 erfolgte lt. Anamnese, klinisch-neurologischer Untersuchung und einer Vielzahl weiterer Untersuchungen (MRTs etc.) die Diagnose "schubhaft remittierende Multiple Sklerose". Weitere Schübe im Sept. 2002 und Jänner 2003. Die deutlich ausgeprägte Symptomatik (insbes. bei Belastung) entspreche einem GdB von 50 %;

d) Bescheid des Bundessozialamtes (BSB) v. betr. "Feststellung der
Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten" ab gem. BEinstG;
der GdB beträgt demnach 60 %;
lt. dazu (mit der Beschwerde) nachgereichtem Beiblatt wurde zufolge Stellungnahme
des leitenden Arztes des BSB festgestellt: GdB 60 % wg "Multipler Sklerose" und
"Eine Nachuntersuchung ist nicht vorgesehen";

e) Bescheid des Sozialministeriumservice v. betr. "Neufestsetzung des Grades
der Behinderung im Behindertenpass" mit nunmehr 70 % auf Grundlage eines
ärztlichen Gutachtens.

3. Auf Anforderung durch das Finanzamt wurde vom Sozialministeriumservice (kurz: SMS; vormals BSB) am ein Sachverständigengutachten erstellt. Aus der diesbezüglich im Akt erliegenden Bescheinigung (Metadaten) gehen ua. zusammengefasst folgende Feststellungen hervor:

dauernd erwerbsunfähig: JA, vor 18. Lj.: NEIN, vor 21. Lj.: NEIN
Nachuntersuchung in 3 Jahren: JA
Grad der Behinderung:
60 % ab , 30 % ab , 50 % ab , 80 % ab .
Begründung Grad der Behinderung (GdB) und dauernde Erwerbsunfähigkeit (DEU):
Der GdB von 80 % ist rückwirkend ab dem Arztbrief vom anrechenbar.
DEU: Zur aktuellen Einschätzung liegen die Vorgutachten sowie Arztbriefe der Neurologie der KlinikX ab vor. Demnach besteht seit zumindest 2002 eine diagnostisch gesicherte Multiple Sklerose. 2007 erhielt der Patient eine Therapie, die abgesetzt wurde. Zwischen 2007 und 2016 fanden keine regelmäßigen Kontrollen statt, der Erkrankungsverlauf war weitgehend stabil. Laut Arztbrief der Neurologie v. (enthalten im FLAG-Gutachten mit Untersuchung am ) waren in diesem Zeitraum keine Schübe vorhanden. Ab 2016 mehrere Schübe mit anschließender Basistherapie und ab 06/2018 Intervalltherapie. Ab 11/2019 lt. Befunden deutliche neurologische Verschlechterung sowie zusätzlich bestehende epileptische Anfälle (Diagnose 2018), sodass aktuell von Erwerbsunfähigkeit auszugehen ist. Allerdings ist diese erst in den letzten 2 Jahren, dh. nicht vor 18./21./25. Lj. eingetreten.
Lt. Anamnese im Arztbrief v. ist der Patient gelernter Bürokaufmann; die Lehre hat er - lt. Gutachter - am (Alter 25 Jahre + 1 Monat) abgeschlossen. Anschließend Bürotätigkeit und Tätigkeit als Schwarzdecker in den letzten 15 Jahren. Lt. SMS-Gutachter "geht auch hieraus hervor, dass eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vor dem 25. Lebensjahr eingetreten sein kann".
Laut Gutachten mit Untersuchung v. und : neurologisch unauffällig und erwerbsfähig, dh. Eintritt DEU nicht vor dem 21. bzw. 25. Geburtstag.

4. Das Finanzamt hat daraufhin mit zwei Bescheiden vom , Ordnungsbegriff Nr1, die (Eigen)Anträge des Bf auf Familienbeihilfe (FB) und Erhöhungsbetrag je für den Zeitraum "ab September 2020" abgewiesen. Die Voraussetzung gem. § 6 Abs. 2 lit d Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967, wonach wegen einer erheblichen Behinderung vor dem 21. bzw. während einer Berufsausbildung vor dem 25. Lebensjahr eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten sein müsse, liege beim Bf nicht vor.

5. Mit der gegen diese Bescheide rechtzeitig erhobenen Beschwerde wurden nochmals das Arbeitszeugnis des XY, das Lehrabschluss-Prüfungszeugnis, die ärztliche Bestätigung der Neurologie v. sowie der BSB-Bescheid v. samt Beiblatt vorgelegt. Zudem verweist der Bf auf das von DrC am im Auftrag des BSB erstellte Sachverständigengutachten, in dem der GdB mit 60 % und weiters die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bf rückwirkend ab festgestellt worden sei. Insgesamt ergebe sich, dass der GdB und die dauernde Erwerbsunfähigkeit noch vor dem 21. Lebensjahr bzw. noch vor dem vollendeten 25. Lebensjahr während der beruflichen Ausbildung zum Bürokaufmann eingetreten und diagnostiziert worden sei.

6. Das beigelegte ärztliche Sachverständigengutachten, erstellt von DrC am als Aktengutachten, lautet auszugsweise wie folgt:

" … Anamnese:
Neurologische Erkrankung mit Verlauf, Symptomatik und Beschwerden entsprechend dem Formenkreis der Multiplen Sklerose …
Behandlung …:
Kontrollen bei der neuroimmunologischen Ambulanz

Relevante vorgelegte Befunde:
2003-06-12 Neuroimmunologische /MS-Ambulanz
Arztbrief
2002-07-22 MRI …
LWS MRT Befund
2002-08-12 MRI …
MRT des Cerebrum
2002-12-19 Dr. H.
DD
Nervenärztliches Gutachten

Diagnose:Multiple Sklerose
Richtsatzposition: 567 GdB: 060 % ICD: 035.0

Gesamtgrad der Behinderung: 60 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.
Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung ist ab 1998-06-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. …"

Vom vidierenden Arzt E wurde folgende Abänderung vorgenommen:
"Eine Nachuntersuchung in 5 Jahren ist erforderlich"; im Übrigen wurden die getroffenen Feststellungen am bestätigt.

7. Dem neuerlich eingeholten SMS-Sachverständigengutachten vom (lt. FA-Akt: Metadaten) ist auszugsweise (zusammengefasst) zu entnehmen:

dauernd erwerbsunfähig: JA, erwerbsunfähig seit
Grad der Behinderung:
60 % ab , 30 % ab , 50 % ab , 80 % ab .
Begründung dauernde Erwerbsunfähigkeit:
Bei dem 43-jährigen Patienten wurde 2002 eine Multiple Sklerose diagnostiziert.
(Anm.: Nach anschließender Darstellung des Krankheitsverlaufes und der medizinischen Behandlung im Wesentlichen wie im Vorgutachten v. /siehe oben, heißt es weiter:)
Ab 11/2019 ist in den vorliegenden Befunden eine deutliche Verschlechterung der neurologischen Symptomatik dokumentiert, sodass ab dieser Zeit eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bestanden hat. Zudem geht hervor, dass vom bis (Alter 22 Jahre+ 10 Mte bis 24 Jahre+ 1 Mt) eine Lehre zum Bürokaufmann samt Lehrabschlussprüfung absolviert wurde und der Patient dann 3 Jahre auf einer Behindertenplanstelle beim Bundessozialamt, anschließend 15 Jahre als Schwarzdecker gearbeitet hat.
Das FLAG-Gutachten v. (Anm.: DrC) wurde auf Grundlage des Arztbriefes der Klinik v. (Erstdiagnose 2002, Beginn Symptomatik 1998, GdB 50 %) erstellt; eine Untersuchung ist nicht enthalten. Die erste neurologische Untersuchung erfolgte zum FLAG-Gutachten v. im Alter des Patienten von 28 Jahren. Aufgrund der vorliegenden Befunde hat zum 25. Geburtstag am .. .11.2004 keine Erwerbsunfähigkeit bestanden. Damals wurde nicht einmal eine Basistherapie durchgeführt und der Patient hat nach 12/2003 3 Jahre als Bürokaufmann und 15 Jahre als Schwarzdecker gearbeitet.

8. Die abweisenden Beschwerdevorentscheidungen (BVE) vom wurden vom Finanzamt nach Darstellung der bezughabenden Gesetzesbestimmungen nach §§ 6 Abs. 2 lit d und 8 Abs. 6 FLAG 1967 und unter Verweis auf die beiden SMS-Gutachten vom und im Ergebnis wie folgt begründet:
"Da in Ihrem Fall keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 18., 21. bzw. im Falle einer Berufsausbildung vor dem 25. Lebensjahr vorlag, sondern erst ab war Ihre Beschwerde abzuweisen."
(im Einzelnen: siehe die BVEs v. )

9. Im Vorlageantrag bringt der Bf vor, er sei Bezieher der erhöhten Familienbeihilfe gewesen, da er die Voraussetzungen erfüllt habe. Er habe lediglich einen Arbeitsversuch unternommen, der auf die FB-Voraussetzungen keinen Einfluss habe.

10. Nach Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG) hat der Bf in Beantwortung des BFG-Vorhaltes v. nochmals das SMS-Gutachten des DrC vom sowie die Mitteilung des Finanzamtes v. , gerichtet an Frau AB an der Adresse des Bf, betr. Wegfall des FB-Anspruches ab vorgelegt. Laut Bf wurde im Zeitraum 06/1998 bis Anfang 2005 für ihn die erhöhte FB bezogen.

II. Sachverhalt:

Der Bf, geb. 11/1979, hat im November 2000 das 21. Lebensjahr bzw. im November 2004 das 25. Lebensjahr vollendet.
Für den Bf wurde bis Ende 2004 (nach Vollendung des 25. Lj.) die Familienbeihilfe, ab Juni 1998 die erhöhte Familienbeihilfe bezogen (siehe FA-Mitteilung v. betr. Wegfall des FB-Anspruches ab ; eigene Angaben).
Der Bf hat von bis eine Schulung nach dem Arbeitsmarktförde-rungsgesetz absolviert und die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf "Bürokaufmann" erfolgreich bestanden (siehe Arbeitszeugnis des XY v. ; Zeugnis der Wirtschaftskammer vom ). Anschließend hat er 3 Jahre lang auf einer Behindertenplanstelle beim Bundessozialamt eine Bürotätigkeit und darauffolgend für ca. 15 Jahre eine Tätigkeit als Schwarzdecker ausgeübt (lt. eigenen Angaben des Bf/Anamnesen, worauf ua. in den SMS-Gutachten v. und v. verwiesen wird).

Laut ärztlicher Bestätigung v. der KlinikX, Abt. Neurologie OA Dr. B, besteht beim Bf - aufgrund erstmaligen Auftritts in dieser Zeit - seit zumindest 1998 eine Erkrankung aus dem Formenkreis der Multiplen Sklerose. Ab Juli 2002 war er deshalb in regelmäßiger Behandlung/Kontrolle an der neuroimmunologischen und Multiple Sklerose-Ambulanz, nachdem anhand einer Vielzahl von Untersuchungen (klinisch-neurologisch, MRT etc.) eine "schubhaft remittierende Multiple Sklerose" diagnostiziert wurde.
Laut dem auf vorgenannten Arztbrief v. sowie MRT-Befunde und ein nervenärztl. Gutachten aus dem Jahr 2002 gestützten Sachverständigengutachten v. , erstellt als Aktengutachten, wurde aufgrund diagnostizierter Multipler Sklerose ein GdB von 60 % bescheinigt und aufgrund der vorliegenden relevanten Befunde rückwirkend ab Juni 1998 anerkannt. Es wurde eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt (siehe BSB-Gutachten DrC v. 1./).

Vom Bundessozialamt (BSB) wurde der Bf ab als "begünstigter Behinderter" mit einem GdB von 60 % wg "Multipler Sklerose" ohne erforderliche Nachuntersuchung eingestuft (siehe BSB-Feststellungsbescheid samt Beiblatt v. ). Auf Grundlage eines ärztlichen Gutachtens wurde der GdB mit 70 % im Behindertenpass neu festgesetzt (siehe Bescheid des Sozialministeriumservice v. ).

Der Bf hat im September 2020, dh. im Alter von 40 Jahren, die ggstdl. Eigenanträge auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und des FB-Erhöhungsbetrages wg. erheblicher Behinderung (Multiple Sklerose/Epilepsie) gestellt.
In dem in der Folge seitens des Sozialministeriumservice erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten vom wird von einer derzeit bestehenden, erst in den letzten 2 Jahren eingetretenen Erwerbsunfähigkeit des Bf ausgegangen und der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit noch vor dem 18. bzw. 21./25. Lebensjahr des Bf verneint. Zur Begründung verweist der Gutachter - neben einer ab 2018 hinzugetretenen Epilepsie - insbesondere auf die vom Bf abgeschlossene Lehre "nach dem 25. Geburtstag" sowie die im Anschluss ausgeübten beruflichen Tätigkeiten.
In dem nach Beschwerdeerhebung neuerlich eingeholten SMS-Gutachten v. wird wiederum eine derzeitige, jedoch erst seit vorliegende dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bescheinigt, da lt. relevanten Befunden ab diesem Zeitpunkt eine deutliche Verschlechterung der Symptomatik dokumentiert wurde. Der Gutachter verweist in seiner Begründung insbesondere auf die vom Bf bis zum Alter von 24 Jahren und einem Monat (bis Ende 2003) absolvierte Lehre samt Lehrabschlussprüfung, auf die anschließende langjährige Berufstätigkeit und darauf, dass es sich beim Gutachten des DrC v. lediglich um ein "Aktengutachten" ohne Untersuchung handelt.

III. Beweiswürdigung:

Obiger Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere anhand der beigebrachten Unterlagen und aus den eingangs dargestellten SMS-Sachverständigengutachten sowie teils auch aus den eigenen Angaben des Bf, und ist insoweit nicht in Streit gezogen.

IV. Rechtslage:

A) FB-Eigenanspruch:

Betreffend den "Eigenanspruch auf Familienbeihilfe" wird in § 6 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., bestimmt:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist
und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraus-setzungen des Abs. 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie ...
d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderungvoraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder - und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt ....
….
(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder - und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Nach § 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

B) Erhöhungsbetrag:

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren (FLAG 1967 idF BGBl I 2022/226, in Geltung ab : "mehr als sechs Monaten"). Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren (ab : "alle fünf Jahre") neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (ab : "wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist").

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 idgF ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Gemäß § 8 Abs. 7 FLAG gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß für Ansprüche nach § 6 FLAG.

C) Judikatur:

Ein "Eigenanspruch" des Bf kommt nach Obigem dann in Betracht, wenn nach § 6 Abs. 2 lit d FLAG bei ihm vor Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. während einer Berufsausbildung spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres aufgrund einer Behinderung eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist.
Besteht keine vor dem 21. bzw. spätestens dem 25. Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu ().

Zum Nachweis der Voraussetzung der dauernden Erwerbsunfähigkeit (sowie auch des Grades der Behinderung) ist eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice iSd § 8 Abs. 6 FLAG zwingend erforderlich.

Die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde sind bei Sachverhalten, die teils Jahrzehnte zurückliegen, stark eingeschränkt. Auch der Sachverständige beim SMS kann nur den aktuellen Gesundheitszustand beurteilen. Hinsichtlich der Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, kann er daher nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden oä., Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist. Aus diesen Gründen liegt es deshalb vorrangig am jeweiligen Antragsteller bzw. Beschwerdeführer, den behaupteten Sachverhalt (= eingetretene Erwerbsunfähigkeit VOR dem 21./25. Lj.) zweifelsfrei nachzuweisen (siehe zB ).

Die Abgabenbehörden sowie der UFS, nunmehr das Bundesfinanzgericht/BFG, sind an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (nun Sozialministeriumservice/SMS) erstellten Gutachten grundsätzlich gebunden (vgl. ua.).

Gleichzeitig hat das BFG die Beweiskraft - insbesondere die Nachvollziehbarkeit bzw. Schlüssigkeit - der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl. ; zB ).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer begründeter Weise zu enthalten und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind (vgl. ; ; ; ).
Die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht dürfen die Gutachten nur insoweit prüfen, ob diese schlüssig und vollständig sind und im Fall mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. ; ; ; , 2009/16/0310).
(vgl. zu vor auch: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rz. 29 f. zu § 8 FLAG).

Es ist nicht rechtswidrig, wenn das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen sich bei der Erstattung von Bescheinigungen gem. § 8 Abs. 6 FLAG zur Berufsausübung berechtigter Ärzte als Amtssachverständige bedient, die in die bei dieser Behörde gem. § 90 KOVG 1957 zu führende Sachverständigenliste, eingetragen sind. Auch ein "reines Aktengutachten" kann dabei ausreichend sein. Der Sachverständige hat sich bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes jener Hilfsmittel zu bedienen, die seine Wissenschaft entwickelt hat, um ein verlässliches Gutachten abzugeben. Die vom Sachverständigen bei der Aufnahme des Befundes anzuwendende Methode hängt ausschließlich von objektiven fachlichen Gesichtspunkten ab (s. ).

Zur Berufstätigkeit:
Der VwGH hat früher in ständiger RSpr erkannt, dass eine mehrjährige berufliche Tätigkeit der Annahme entgegen steht, das Kind sei infolge seiner Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (zB ).
Nach Änderung des § 8 Abs. 6 FLAG durch BGBl I 2002/105 ab sowie nach dem VfGH-Erkenntnis vom , B 700/07, hat der VwGH ausgesprochen (siehe ), dass diese bisherige Judikatur ("mehrjährige Berufstätigkeit spreche gegen dauernde Erwerbsunfähigkeit") nicht mehr aufrecht zu erhalten ist und daher keinen Anwendungsbereich mehr hat (vgl. auch ; ; siehe zu vor: Lenneis/Wanke, aaO, Rz 23-25 zu § 8 FLAG).

V. Erwägungen:

In Streit gezogen ist gegenständlich der Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit beim Bf. Da er sich von bis nachweislich in Schulung bzw. in Berufsausbildung befunden und diese am , dh. im Alter von 24 Jahren + 1 Monat, mit Lehrabschlussprüfung zum "Bürokaufmann" abgeschlossen hat, gilt hier zu beurteilen, ob beim Bf gem. § 6 Abs. 2 lit d FLAG spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten war.

In den vom Finanzamt iSd § 8 Abs. 6 FLAG eingeholten SMS-Gutachten vom und wird übereinstimmend eine derzeitige, jedoch erst seit ca. 2 Jahren (lt. Erstgutachten) bzw. erst seit (lt. Zweitgutachten) vorliegende dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bescheinigt. Eine vor dem 25. Lebensjahr (= vor 11/2004) eingetretene Erwerbsunfähigkeit wird jedenfalls verneint. Die diesbezügliche Begründung der SMS-Gutachter stützt sich im Wesentlichen darauf, dass:
1. aufgrund von Befunden aus 11/2019 erst zu dieser Zeit eine deutliche neurologische Verschlechterung und ein GdB von 80 % eingetreten wäre; 2. der Bf im Alter von 24 Jahren eine Lehre abgeschlossen habe und anschließend berufstätig gewesen sei; 3. das SMS-Gutachten vom des DrC "ohne Untersuchung" erstellt worden wäre.
Dem ist aber Folgendes entgegen zu halten:
zu 1. Dem Umstand, dass ab 11/2019 eine gesundheitliche Verschlechterung beim Bf, dies verbunden mit der Erhöhung des GdB auf 80 %, eingetreten sei, weshalb die Erwerbsunfähigkeit erst auf diesen Zeitpunkt festgemacht werden könne, kommt nach Ansicht des BFG keine maßgebende Aussagekraft zu. Der Grad der Behinderung lässt für sich keinen Rückschluss hinsichtlich einer möglichen Erwerbsunfähigkeit zu. Ebenso wie nach geltender Rechtsprechung selbst bei einem GdB von 100 % dennoch Erwerbsfähigkeit gegeben sein kann, ist nämlich im Umkehrschluss nicht auszuschließen, dass bei einem geringeren GdB dennoch bereits eine Erwerbsunfähigkeit vorgelegen war.
zu 2. Wie oben dargelegt, ist der VwGH mit Erkenntnis vom , 2007/15/0019, von seiner vormaligen Rechtsprechung, dass eine mehrjährige Berufstätigkeit auf eine Erwerbsfähigkeit schließen lasse, abgegangen und hat ausgesprochen, dass diese keine Anwendung mehr findet. Insofern ist diesem Kriterium jegliche Relevanz zwecks Beurteilung der Erwerbsfähigkeit oder - unfähigkeit abzusprechen, weshalb dieser Argumentation in der Begründung beider SMS-Gutachten keine Berechtigung zukommt.
zu 3. Des Weiteren erschließt sich für das BFG nicht, weshalb das SMS-Gutachten vom , erstellt als Aktengutachten, sozusagen als irrelevant zu betrachten wäre, wenn nach höchstgerichtlicher Judikatur (zB ) auch ein "reines Aktengutachten" ausreichend ist. Die Methodenwahl - Gutachtenserstellung mit oder ohne Untersuchung - bleibt grundsätzlich und ausschließlich dem ärztlichen Sachverständigen überlassen, der diese nach objektiven fachlichen Gesichtspunkten zu treffen hat. Er hat sich bei Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes jener Hilfsmittel zu bedienen, die seine Wissenschaft entwickelt hat, um ein verlässliches Gutachten abzugeben.
Es mag zutreffen, dass der Gutachter DrC keine eigene Untersuchung des Bf durchgeführt hat, wobei aber gleichzeitig nicht zu übersehen ist, dass er sein "Aktengutachten" sehr wohl auf mehrere vorhandene, relativ zeitnahe relevante Befunde (Arztbrief der Neuroimmuno-logie; nervenärztliches Gutachten) sowie medizinische Untersuchungen (zwei MRTs) gestützt hat.

Das Bundesfinanzgericht ist zwar grundsätzlich an die Feststellungen der im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden, hat aber zugleich die Gutachten auf ihre Beweiskraft hin - insbesondere deren Nachvollziehbarkeit bzw. Schlüssigkeit - zu überprüfen. Laut oben dargelegter Überprüfung, konkret der Begründung des Zeitpunktes des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit beim Bf, sind beide SMS-Gutachten vom und als wenig schlüssig bzw. nachvollziehbar zu beurteilen und daher für das BFG nicht bindend.

Demgegenüber steht fest, dass mit SV-Gutachten des DrC v. , gestützt auf mehrere dazumal aktuelle Befunde, spätestens ab 2002 eine "Multiple Sklerose" diagnostiziert und die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bf im Alter von damals 23 Jahren festgestellt worden war. Vom vidierenden Arzt wurde lediglich eine Abänderung betr. eine Nachuntersuchung vorgenommen; im Übrigen wurden die von DrC getroffenen Feststellungen - insbesondere auch hinsichtlich der bestehenden Erwerbsunfähigkeit - am bestätigt.

VI. Ergebnis:

Bei (gutachterlich festgestellter) eingetretener Erwerbsunfähigkeit des Bf noch - wie im Gegenstandsfall maßgebend - vor Vollendung dessen 25. Lebensjahres sind iSd § 6 Abs. 2 lit d iVm Abs. 5 FLAG 1967 bei ihm sämtliche Voraussetzungen für die Zuerkennung des Grundbetrages an Familienbeihilfe und des FB-Erhöhungsbetrages als Eigenanspruch erfüllt.

In Anbetracht obiger Sach- und Rechtslage war daher der Beschwerde Folge zu geben und sind die angefochtenen Abweisungsbescheide aufzuheben.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhung) als Eigenanspruch zusteht, ergibt sich bereits aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob gegenständlich noch vor dem 25. Lj. eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" eingetreten war, handelt es sich um eine sachverhaltsbezogen zu lösende Tatfrage, insofern keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" vorliegt. Eine Revision ist damit nicht zulässig.

Innsbruck, am

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