Rückforderung von Familienbeihilfe - Nichtvorliegen einer Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela Regina Denk über die Beschwerde der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Familienbeihilfe 09.2019-02.2023 zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der Beschwerde wird hinsichtlich des Zeitraumes 09/2020 bis 02/2022 stattgegeben.
Die Beschwerde wird hinsichtlich des Zeitraumes 09/2019 bis 08/2020 und 03/2022 bis 06/2022 abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert. Der Rückforderungsbetrag ändert sich auf EUR 5.888,80.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit erging der Rückforderungsbescheid für den Zeitraum September 2019 bis Februar 2023 in Höhe von EUR 10.527,40 für die Tochter der Beschwerdeführerin, geboren am TT.10.2000.
Dagegen wurde mit Schreiben vom fristgerecht Beschwerde erhoben. Gleichzeitig wurden Zeugnisse des Schulbesuchs vorgelegt und zudem ausgeführt, dass die geforderten Wochenstunden im Ausmaß von 20 Stunden gegeben wären. Im Juli 2022 sei die Schulausbildung unterbrochen worden. Die Familienbeihilfe stehe für den Zeitraum September 2019 bis Juni 2022 zu Recht zu.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde teilweise stattgegeben. Für den Zeitraum Februar 2021 bis Februar 2022 erfolgte eine Stattgabe, da im Sommersemester 2021 und im Wintersemester 2021 von einer ernsthaften und zielstrebigen Berufsausbildung ausgegangen werden könne. Im Hinblick auf die teilweise Nichtbeurteilung, bzw. die aus einer vorherigen Schulausbildung eingebrachten Wochenstunden in den weiteren Semestern und die Beendigung der Schulausbildung am könne kein Zweifel daran bestehen, dass in den weiteren Zeiträumen nicht von einer Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 FLAG 1967 ausgegangen werden kann. Die Anwesenheit im Unterricht, bzw. der Antritt zu Prüfungen sei offensichtlich nicht in dem erforderlichen Umfang gegeben. Somit müsse die Beschwerde für die Zeiträume September 2019 bis Jänner 2021 und März 2022 bis Juni 2022 abgewiesen werden. Für den rückgeforderten Zeitraum Juli 2022 bis Februar 2023 liege keine Beschwerde vor. Der Rückforderungsbetrag verringere sich somit von ursprünglich EUR 10.527,40 auf EUR 7.437,30.
Gegen die Beschwerdevorentscheidung wurde nunmehr von der steuerlichen Vertretung am ein Vorlageantrag eingebracht. Begründend wurde ausgeführt, dass auch in den übrigen Semestern eine zielstrebige Ausbildung vorgelegen habe, dies insbesondere wenn auch die Vorbereitung auf Prüfungen, aber auch auf nächste Unterrichtseinheiten berücksichtigt würden. Speziell in der Coronazeit hätten wesentlich mehr Übungen zu Hause erledigt werden müssen, um die Prüfungen bestehen zu können. Dies sei ein weiteres Indiz dafür, dass die angeführten Wochenstunden für Vorbereitung auf Prüfungen usw. jedenfalls gerechtfertigt seien. Auch Nachhilfeunterricht sei in dieser Zeit nicht möglich gewesen und es habe deshalb umso mehr alleine zu Hause gelernt werden müssen.
Im Laufe des letzten Semesters von bis habe sich ***Tochter der Bf.*** dazu entschieden, die Ausbildung vorerst zu unterbrechen. ***Tochter der Bf.*** habe sich die Option allerdings offengehalten die Ausbildung zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. In allen vorhergehenden Semestern sei unbedingt davon auszugehen, dass die Ausbildung ernsthaft und zielstrebig betrieben wurde. Das Ausmaß von mind. 30 Wochenstunden sei leicht erreicht bzw. sogar überschritten worden.
Der Akt wurde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom zur Entscheidung vorgelegt und im Sinne der Beschwerdevorentscheidung die teilweise Stattgabe der Beschwerde beantragt.
Mit Schreiben vom wurde der Antrag auf Entscheidung durch den Senat gemäß § 272 Abs. 2 BAO zurückgezogen.
Mit Ladung vom wurde eine mündliche Verhandlung für den anberaumt. Zur mündlichen Verhandlung am erschien weder die Beschwerdeführerin, noch ihr steuerlicher Vertreter, die mündliche Verhandlung wurde in Abwesenheit der Beschwerdeführerin durchgeführt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin bezog für ihre volljährige Tochter ***Tochter der Bf.***, geboren am TT.10.2000, im Zeitraum von September 2019 bis Februar 2023 Familienbeihilfe, Kinderabsetzbeträge sowie die Geschwisterstaffel aufgrund des Schulbesuches an der Handelsakademie für Berufstätige in Wien.
Eine nachträglich durchgeführte Überprüfung des ernsthaften und zielstrebigen Schulbesuchs der Tochter führte zu einer Rückforderung der Familienbeihilfe, des Kinderabsetzbetrages und der Geschwisterstaffel von September 2019 bis Februar 2023.
In der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde gegen den Rückforderungsbescheid wurden Zeugnisse des Schulbesuchs vorgelegt.
Aus den vorgelegten Zeugnissen ergeben sich nachfolgende Wochenstunden (im Verhältnis zur Gesamtwochenstundenanzahl):
3DB - 11 Wochenstunden (von 23 Wochenstunden)
4DB - 12 Wochenstunden (von 24 Wochenstunden)
5CB - 19 Wochenstunden (von 24 Wochenstunden)
6CB - 24 Wochenstunden(von 25 Wochenstunden)
7CB - 22 Wochenstunden(von 24 Wochenstunden)
7ABS - 5 Wochenstunden
Im Zeitraum von bis besuchte die Tochter der Beschwerdeführerin die Handelsschule und schloss diese mit ab.
Im Zeitraum von bis besuchte die Tochter der Beschwerdeführerin die Handelsakademie für Berufstätige, Schule für EDV - mit Öffentlichkeitsrecht.
Unstrittig ist, das für den Zeitraum Juli 2022 bis Februar 2023 keine Familienbeihilfe zusteht.
2. Beweiswürdigung
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem dem Bundesfinanzgericht vorgelegten elektronischen Akt und sind unstrittig.
Vor diesem Hintergrund können die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen angenommen werden.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)
Im vorliegenden Fall ist die Rückforderung der Familienbeihilfe, des Kinderabsetzbetrages und der Geschwisterstaffel für den Zeitraum September 2019 bis Juni 2022 strittig.
Nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen. Zurückzuzahlende Beträge können auf fällige oder fällig werdende Familienbeihilfen angerechnet werden. Für die Rückzahlung eines zu Unrecht bezogenen Betrages an Familienbeihilfe haftet auch derjenige Elternteil des Kindes, der mit dem Rückzahlungspflichtigen in der Zeit, in der die Familienbeihilfe für das Kind zu Unrecht bezogen worden ist, im gemeinsamen Haushalt gelebt hat.
Steuerpflichtige, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 ein Kinderabsetzbetrag von EUR 58,40 zu. Gemäß BGBl. II Nr. 413/2022 stehen für 2023 monatlich EUR 61,80 zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.
Gemäß § 8 Abs. 3 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe um monatlich EUR 7,10 wenn diese für zwei Kinder gewährt wird bis Ende 2022, um EUR 7,50 für 2023.
Für volljährige Kinder wird Familienbeihilfe grundsätzlich nur für die Monate gewährt, in denen sich das Kind in Berufsausbildung befindet.
Der Begriff "Berufsausbildung" wird im Gesetz nicht näher definiert. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist Ziel einer Berufsausbildung, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Dazu gehört regelmäßig auch der Nachweis einer ernstlichen Bemühung um diese Qualifikation. Das Ablegen vorgesehener Prüfungen ist essentieller Bestandteil der Berufsausbildung. Der laufende Besuch einer der Berufsausbildung dienenden schulischen Einrichtung reicht für sich allein noch nicht, um das Vorliegen einer Berufsausbildung im hier maßgeblichen Sinn anzunehmen. Hinzu muss vielmehr das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um den Ausbildungserfolg treten, das sich im Antreten zu den erforderlichen Prüfungen bzw Vorprüfungen zu manifestieren hat (vgl. ; , 90/13/0241; , 94/15/0034; , 94/15/0130; , 94/15/0170).
Familienbeihilfenanspruch besteht nur dann, wenn die Ausbildung ernsthaft und zielstrebig betrieben wird. Dies wird dann anzunehmen sein, wenn die Vorbereitung auf die Ablegung der Prüfungen die volle Zeit des Kindes in Anspruch nimmt und das Kind zu den Prüfungsterminen innerhalb eines angemessen Zeitraums antritt ().
Zur Qualifikation als Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 kommt es nicht nur auf das ernsthafte und zielstrebige Bemühen um den Studienerfolg an, sondern die Berufsausbildung muss auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen. Von der Bindung der vollen Arbeitskraft kann wohl nur dann ausgegangen werden, wenn die Bildungsmaßnahme durch den Besuch des Unterrichts, die Vor- und Nacharbeiten und die Prüfungsteilnahme ein zeitliches Ausmaß in Anspruch nimmt, das zumindest annähernd dem eines Vollzeitdienstverhältnisses entspricht.
Im Erkenntnis vom , RV/5101477/2019 erwog das Bundesfinanzgericht (iZm dem Besuch eines Gymnasiums für Berufstätige), dass ein Umfang von 12 Wochenstunden Unterricht nicht ausreichend seien (vgl. ), ebenso ein Umfang von 16 bis 18 Wochenstunden seien zu gering (vgl. ).
Bei der tatsächlich aufgewendeten zusätzlichen Vor- und Nachbearbeitungszeit handelt es sich um einen höchst individuellen Ansatz, der letztlich weder für die Abgabenbehörde oder das Bundesfinanzgericht überprüfbar, noch durch Beihilfenwerber oder deren Kinder beweisbar ist. Als realistischer und glaubhafter Ansatz können nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes insbesondere auch auf Grund des Umstandes, dass zusätzlich zu den Lernzeiten zur Vorbereitung des laufenden Unterrichts beim größten Teil der Unterrichtsfächer regelmäßig auch Hausübungen und Schularbeiten anfallen, zumindest im gleichen zeitlichen Ausmaß der Unterrichtszeit zusätzliche Vor- und Nachbearbeitungszeiten berücksichtigt werden ().
Das Bundesfinanzgericht nimmt bei Schulen für Berufstätige einen erforderlichen wöchentlichen Zeitaufwand von durchschnittlich 20 bis 25 Wochenstunden zuzüglich Hausaufgaben an, dh insgesamt von mindestens 30 Wochenstunden, um von einer Berufsausbildung iSd FLAG zu sprechen (vgl. ; , RV/7103779/2018; , RV/7105391/2014).
Aus diesen Ausführungen ergibt sich:
Rückforderungszeitraum September 2019 bis August 2020
Im Wintersemester 2019/2020 wurde von den vorgesehenen 26 Wochenstunden nur 11 Wochenstunden beurteilt, im Sommersemester 2020 von den vorgesehen 24 Wochenstunden nur 12 Wochenstunden beurteilt.
Für die Monate September 2019 bis August 2020 sind die oben ausgeführten Kriterien nicht erfüllt, es lag somit keine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 vor, weshalb die Familienbeihilfe zurückzufordern war.
Rückforderungszeitraum September 2020 bis Jänner 2021
Wie aus der anhand der vorgelegten Zeugnisse erstellten Übersicht des Schulbesuchs ersichtlich ist, wurden im Wintersemester 2020/2021 von 24 vorgesehenen Wochenstunden 19 Wochenstunden beurteilt, sodass in diesem Semester, unter Berücksichtigung der Covid19-Pandemie, von einer ernsthaften und zielstrebigen Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 ausgegangen werden kann. Die Familienbeihilfe für September 2020 bis Februar 2021 steht daher zu.
RückforderungszeitraumFebruar2021 bis Februar 2022
Wie aus der anhand der vorgelegten Zeugnisse erstellten Übersicht des Schulbesuchs ersichtlich ist, wurden im Sommersemester 2021 und im Wintersemester 2021/2022 von den vorgesehenen 25 bzw. 24 Wochenstunden 24 bzw. 22 Wochenstunden beurteilt, sodass in diesen Semestern von einer ernsthaften und zielstrebigen Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 ausgegangen werden kann. Die Familienbeihilfe für den Zeitraum Februar 2021 bis Februar 2022 steht daher zu.
Rückforderungszeitraum März 2022 bis Februar 2023
Im Sommersemester 2022 wurden von 24 vorgesehenen Wochenstunden nur 5 Wochenstunden beurteilt. Es wurde weniger als die Hälfte der vorgesehenen Wochenstunden beurteilt bzw. der Schulbesuch Anfang Juli 2022 abgebrochen. Für die Monate März 2022 bis Februar 2023 sind die Kriterien sohin nicht erfüllt, es lag daher keine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 vor, weshalb die Familienbeihilfe zurückzufordern war. Unstrittig ist, dass für den Zeitraum Juli 2022 bis Februar 2023 keine Familienbeihilfe zusteht, da der Schulbesuch abgebrochen wurde.
Es ergibt sich ein Rückforderungsbetrag in Höhe von EUR 5.888,80. Der Rückforderungsbescheid war somit abzuändern.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Die Beschwerdeführerin sei abschließend auf § 212 und § 236 BAO (Ratenzahlung bzw. Nachsicht) hingewiesen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Ob ein Kind eine Berufsausbildung (ernsthaft und zielstrebig) absolviert, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Tatfrage, welche in freier Beweiswürdigung zu beantworten ist. Tatfragen sind einer Revision nicht zugänglich. Betreffend das Bestehen der Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge folgt das Bundesfinanzgericht der einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB ).
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 26 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 33 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102242.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at