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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.10.2024, RV/7103666/2018

Haftung § 9 BAO - Aufrechnung im Insolvenzverfahren, Zahlungen aus der Konkursmasse

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lisa Fries in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Bernhard Hofer, Rotenturmstraße 12/6, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung zu Recht:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Haftung wird hinsichtlich folgender Abgabenschuldigkeiten geltend gemacht:


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Abgabenart
Zeitraum
Höhe
Umsatzsteuer
12/2012
€ 5.138,21

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer als Haftungspflichtiger gemäß § 9 BAO in Verbindung mit §§ 80 ff BAO für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der ***Primärschuldnerin*** (in der Folge: Primärschuldnerin) im Ausmaß von gesamt € 24.389,52 (Umsatzsteuer 11/2012 in der Höhe von € 14.390,66 und Umsatzsteuer 12/2012 in der Höhe von € 9.998,86) in Anspruch genommen.

In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die Umsatzsteuer sei vollständig beglichen worden. Sollten Zahlungen vom Finanzamt an den Masseverwalter geleistet worden sein, werde die Rechtmäßigkeit dieser Zahlungen bestritten. Den Beschwerdeführer treffe kein Verschulden, er habe alle Pflichten eingehalten.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde teilweise stattgegeben. Der Haftungsbetrag wurde auf € 8.147,37 (U 12/2012 in der Höhe von € 9.998,86 abzüglich 18.517 % aus der Schlussverteilung der Primärschuldnerin) reduziert.

Im dagegen eingebrachten Vorlageantrag führte der Beschwerdeführer aus, er gehe davon aus, dass die Umsatzsteuer für 2012 richtig sei. Einen Beleg für die Einzahlung gebe es nicht mehr. Daraus folge, dass das Finanzamt eine Forderung von € 9.998,86 gehabt habe. Aus der Konkursmasse seien laut Verteilungsentwurf vom der Betrag von € 10.575,01 plus € 288,58 an das Finanzamt überwiesen worden. Somit sei an das Finanzamt mehr überwiesen worden als nunmehr als Haftungsbetrag aufscheine.

Am wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt, in welcher die Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Das Bundesfinanzgericht hat mit verfahrensleitenden Beschluss vom die belangte Behörde und den Beschwerdeführer zur Stellungnahme hinsichtlich der Höhe der noch aushaftenden Umsatzsteuer 12/2012 bzw. zur Gläubigergleichbehandlung aufgefordert. Die belangte Behörde hat eine Stellungnahme erstattet. Der Beschwerdeführer gab bekannt, keinen Schriftsatz einzubringen.

Die Zuständigkeit der Gerichtabteilung 1007 zur Entscheidung über die Beschwerde gründet auf der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom . Die Umverteilung ist am in Kraft getreten.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war im Zeitraum bis Geschäftsführer der Primärschuldnerin.

Über das Vermögen der Primärschuldnerin wurde am xx. Mai 2013 das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom xx. August 2017 wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben. Die Verteilungsquote betrug 18,517 %. Die Primärschuldnerin wurde gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit aus dem Firmenbuch gelöscht (eingetragen am ).

Die Umsatzsteuer 11/2012 und die Umsatzsteuer 12/2012 wurden am Fälligkeitstag ( bzw. ) nicht entrichtet.

Von den im Haftungsbescheid genannten Abgaben haftet die Umsatzsteuer 12/2012 noch mit € 5.138,21 unberichtigt am Abgabenkonto aus. Die Umsatzsteuer 11/2012 wurde ursprünglich durch nach der Fälligkeit erfolgte Saldozahlungen entrichtet. Eine Anfechtung dieser Zahlungen im Insolvenzverfahren führte dazu, dass die Umsatzsteuer 11/2012 wieder unberechtigt aushaftet.

Die Primärschuldnerin verfügte über liquide Mittel.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur Geschäftsführerfunktion des Beschwerdeführers sowie zur Löschung der Primärschuldnerin aus dem Firmenbuch gründen auf den Firmenbuchauszug vom .

Die Feststellungen zum Konkursverfahren stützen sich auf den Auszug aus der Insolvenzdatei vom und dem Firmenbuchauszug vom .

Dass die im Haftungsbescheid genannten Abgaben nicht vollständig entrichtet wurden, folgt unter anderem aus der am erfolgten Einsichtnahme in das Abgabeninformationssystem.

Dass die Umsatzsteuer 12/2012 nicht entrichtet wurde, wurde schlussendlich vom Beschwerdeführer im Vorlagenantrag zugestanden. Ebenso wurde der Bestand der Forderung zugestanden. Seitens der belangte Behörde wurde mitgeteilt, dass die Umsatzsteuer 12/2012 nur mehr mit dem Betrag € 5.138,21 aushafte, weil die Schlussverteilungsquote versehentlich teilweise mit dieser Abgabe gegenverrechnet worden sei. Der Beschwerdeführer hat zur noch aushaftenden Höhe der Umsatzsteuer 12/2012 keine Stellungnahme erstattet. Es sind keine Umstände hervorgekommen, um an der Höhe der noch aushaftenden Umsatzsteuer 12/2012 zu zweifeln.

Die nicht fristgerechte Entrichtung der Umsatzsteuer 11/2012 durch zwei Zahlungen nach eingetretener Fälligkeit () ergibt sich aus dem übereinstimmenden Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde und der belangten Behörde im Vorlagebericht. Dass die Umsatzsteuer 11/2012 aufgrund einer Anfechtung im Insolvenzverfahren wieder unberichtigt aushaftet, stützt sich auf die glaubhaften Angaben der belangten Behörde, denen auch vom Beschwerdeführer nicht entgegengetreten wurde.

Im Beschwerdefall ist vom Vorliegen liquidier Mitteln auszugehen, weil zumindest jene Zahlungen geleistet werden konnten, die später im Insolvenzverfahren angefochten wurden. Auch in der Beschwerde wurden diverse Zahlungen angeführt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben gemäß § 80 Abs. 1 BAO alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff. BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Vertreterstellung

Der Beschwerdeführer war von bis Geschäftsführer der Primärschuldnerin und als solcher zu deren Vertretung berufen. Somit kommt der Beschwerdeführer grundsätzlich als Haftungsschuldner gemäß § 9 Abs. 1 BAO in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BAO in Betracht.

Uneinbringlichkeit der vom Vertreten geschuldeten Abgaben

Gegenüber der Primärschuldnerin bestehen (soweit für dieses Verfahren von Bedeutung) Abgabenforderungen betreffend Umsatzsteuer für die Zeiträume 11/2012 und 12/2012.

Dem Vorbringen im Vorlageantrag, wonach der aus der Konkursmasse an das Finanzamt geleistete Betrag bereits den aus der Umsatzsteuer 12/2012 resultierenden Haftungsbetrag abdecke, ist § 50 IO entgegenzuhalten, wonach, soweit das Insolvenzvermögen nicht zur Befriedigung der Masseforderungen und der Ansprüche der Absonderungsberechtigten verwendet wird, es die gemeinschaftliche Insolvenzmasse bildet, aus der die Insolvenzforderungen, unbeschadet der §§ 56 und 57, nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu befriedigen sind. Durch die genannten Zahlungen an das Finanzamt kam es daher zu keiner vollständigen Tilgung der Umsatzsteuer 12/2012.

Bei der Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO handelt es sich um eine Ausfallshaftung. Sie setzt die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraus. Die Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (vgl. etwa ).

Wie sich aus den Feststellungen ergibt, wurde der über das Vermögen der Primärschuldnerin eröffnete Konkurs am xx. August 2017 nach Schlussverteilung aufgehoben. Die Firma wurde gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit aus dem Firmenbuch gelöscht. Aufgrund dieser Umstände steht die Uneinebringlichkeit der bestehenden Abgabenschuldigkeiten bei der Primärschuldnerin fest.

Schuldhafte Pflichtverletzung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Sache des Geschäftsführers, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert haben, die ihm obliegenden abgabenrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 9 Abs. 1 BAO angenommen werden darf (vgl. ). Keine Pflichtverletzung liegt vor, wenn die Abgabe nicht entrichtet wird, weil der Vertretene überhaupt keine liquiden Mittel hat (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 9 Rz 10).

Nach dem in freier Beweiswürdigung festgestellten Sacherhalt hat der Vertreter trotz liquider Mittel nicht für die Entrichtung der Abgaben gesorgt. Darin liegt eine Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten ().

Eine Beschränkung der Haftung aufgrund einer Gläubigergleichbehandlung bzw. des Nachweises der fiktiven Gleichbehandlungsquote kommt im Beschwerdefall nicht in Betracht. Die seitens des Bundesfinanzgerichtes gebotene Gelegenheit, zu diesen Punkten Stellung zu nehmen, wurde vom Beschwerdeführer - trotz der dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - nicht wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund musste das Bundesfinanzgericht auch keine weiteren Ermittlungen hinsichtlich der Gläubigergleichbehandlung treffen ().

Es ist daher von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Beschwerdeführers auszugehen.

Kausalität

Umsatzsteuer 11/2012

Da die Umsatzsteuer 11/2012 aufgrund einer Anfechtung im Insolvenzverfahren wieder unberichtigt aushaftet, ist zu prüfen, ob die nicht fristgerechte Entrichtung der Umsatzsteuer 11/2012 ursächlich für die nunmehrige Uneinbringlichkeit ist (vgl. , ). Die Umsatzsteuer 11/2012 war am fällig (§ 21 Abs. 1 UStG). Der Konkurs wurde am xx. Mai 2013 eröffnet. Unter diesen Voraussetzungen wäre selbst eine fristgerechte Zahlung der U 11/2012 einer Anfechtung wegen Zahlungsunfähigkeit gemäß § 31 IO unterlegen. Die nicht firstgerechte Entrichtung der Umsatzsteuer 11/2012 war somit nicht kausal für die Uneinbringlichkeit dieser Abgabe. Der Beschwerdeführer ist daher, wie es bereits die belangte Behörde in der Beschwerdevorentscheidung erkannt hat, nicht zur Haftung für die Umsatzsteuer 11/2012 heranzuziehen.

Umsatzsteuer 12/2012

Die Haftungsinanspruchnahme setzt eine Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Abgabenausfall voraus. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war ().

Im Hinblick auf die festgestellte schuldhafte Pflichtverletzung des Beschwerdeführers und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist von der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit auszugehen.

Ermessen

Die Haftungsinanspruchnahme stellt eine Ermessenentscheidung dar. Diese hat sich gemäß § 20 BAO innerhalb der Grenzen zu halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen ().

Die streitgegenständliche Abgabenschuld ist bei der Primärschuldnerin nicht einbringlich. Daher dient die Geltendmachung der Haftung dem öffentlichen Interesse an der Sicherung und Einbringung der Abgabenschulden. Demnach ist die Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers zweckmäßig.

Es sind keine berechtigten Interessen des Beschwerdeführers ersichtlich, die gegen die Haftungsinanspruchnahme sprechen würden. Insbesondere liegt kein langer Zeitabstand zwischen der Haftungsinanspruchnahme des Vertreters und dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Feststehen der Uneinbringlichkeit der Forderung bei der Primärschuldnerin vor.

Insgesamt war daher der Beschwerde teilweise Folge zu geben und die Haftung auf die Umsatzsteuer 12/2012 im noch aushaftenden Ausmaß von € 5.138,21 einzuschränken.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Im gegenständlichen Erkenntnis werden keine Rechtsfragen berührt, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Erkenntnis gründet auf der dargestellten höchstgerichtlichen Judikatur (, , Ra 2023/13/0060, , , , ) des Verwaltungsgerichtshofes.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 50 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914
§ 40 FBG, Firmenbuchgesetz, BGBl. Nr. 10/1991
§ 31 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7103666.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at