Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Beschwerdefrist mit gleichzeitigem Antrag auf Fristverlängerung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende***SenV***, die Richterin***Ri1*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***SenLR1*** und ***SenLR2*** in der Beschwerdesache
***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ECA Schreiner und Stiefler Steuerberatung GmbH, Wiener Straße 86-88/2/13, 3500 Krems/Donau,
über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand betr. Verlängerung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid vom nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin ***Sf*** zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin ist eine in Deutschland ansässige Europäische wirtschaftliche Interessensvereinigung. Für das Streitjahr 2020 hat das Finanzamt mit Nichtveranlagungs-Bescheid vom festgestellt, dass die Bf. in Österreich keine Umsätze erzielte.
Mit Schreiben vom beantragte der steuerliche Vertreter (in der Folge kurz: stV) der Bf. die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand "gemäß den Bestimmungen der BAO § 108" (Anmerkung: gemeint wohl § 308 BAO) und stellte zeitgleich einen Antrag auf Fristverlängerung zwecks Einbringung einer möglichen Beschwerde betreffend des Umsatzsteuerbescheides 2020 vom , zugestellt am . Begründend hieß es in dem Antrag, dass es im BMD Archivierungssystem des stV zu einer unvorhersehbaren Fehlkalendierung des Umsatzsteuerbescheides gekommen sei, weshalb eine Fristverlängerung für die mögliche Einbringung einer Beschwerde versäumt worden sei. Dieses Versäumnis sei unabwendbar gewesen, da in der Terminverwaltung keine Erinnerungsnachricht am EDV-Bildschirm aufgezeigt wurde. Es liege kein grobes Verschulden vor, sondern leichte Fahrlässigkeit, da im Sekretariat hinsichtlich der Einhaltung von Terminen und Fristen eine höchste Sorgfalt bestehe, die in der Vergangenheit nie außer Acht gelassen worden sei.
Gleichzeitig wurde beantragt, die Beschwerdefrist bis zu verlängern.
Das Finanzamt wies den Antrag mit dem hier angefochtenen Bescheid vom zurück und führte begründend aus, dass die Bf. bei Versäumung einer Frist gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachholen müsse. Da die Bf. die Beschwerde nicht eingebracht habe, sondern einen Fristverlängerungsantrag gestellt habe, liege ein (nicht verbesserungsfähiger) Mangel der Erfüllung der gesetzlichen Erfordernisse des § 308 BAO vor, weshalb der Antrag zurückzuweisen sei.
Mit Schreiben vom brachte die Bf. dagegen Beschwerde ein und beantragte, die Beschwerde gleich dem BFG vorzulegen. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde abgewiesen.
Mit Antrag vom beantragte der steuerliche Vertreter fristgerecht die Vorlage an das BFG.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt und Beweiswürdigung
Mit Schreiben vom beantragte der steuerliche Vertreter (in der Folge kurz: stV) der Bf. die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und stellte zeitgleich einen Antrag auf Fristverlängerung zwecks Einbringung einer möglichen Beschwerde betreffend des Umsatzsteuerbescheides 2020 vom , zugestellt am .
Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom zurück.
Der Sachverhalt ergibt sich aus den genannten aktenkundigen Schriftstücken.
2. Rechtliche Beurteilung
2.1. Rechtslage
§ 308 Abs. 1 BAO idF BGBl. I Nr. 2013 lautet auszugsweise:
"§ 308. (1) Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
[...]
(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Behörde (Abgabenbehörde oder Verwaltungsgericht), bei der die Frist wahrzunehmen war bzw. bei der die Verhandlung stattfinden sollte, eingebracht werden. [...] Im Fall der Versäumung einer Frist hat der Antragsteller spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen."
2.2. Versäumte Handlung
Im Beschwerdefall wurde der Wiedereinsetzungsantrag vom Finanzamt mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Bf. gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung "wegen Versäumung der Beschwerdefrist" die versäumte Handlung "Einbringung einer Beschwerde" nicht nachgeholt hat.
Trotz uneindeutiger Formulierung hat der stV der Bf. in seinem Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einbringung einer Fristerstreckung zur Abgabe einer Beschwerde beantragt. Gleichzeitig hat er einen Antrag auf "Fristverlängerung zwecks Einbringung einer möglichen Beschwerde" gestellt. Der streitgegenständliche Antrag enthält im Übrigen alle Angaben, die ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 309a BAO zu enthalten hat.
Nach Ansicht des (und Ro 2023/15/0020 bzw. Ra 2023/15/0089) kann nicht nur die Frist zur Einbringung der Beschwerde, sondern auch die Frist zur Einbringung eines Fristverlängerungsersuchens versäumt werden.
Indem der stV den Antrag auf Fristverlängerung eingebracht hat, hat er die versäumte Handlung nachgeholt. Der vom Finanzamt angenommene (nicht verbesserungsfähige) Mangel liegt somit nicht vor.
2.3. Spruch des Bescheides
Verspätete oder unzulässige Wiedereinsetzungsanträge sind zurückzuweisen, hingegen sind Wiedereinsetzungsanträge abzuweisen, wenn die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht gegeben sind (vgl Ritz/Koran, BAO7, § 310 Rz 4 mwN).
Im Beschwerdefall hat das Finanzamt den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, der Antrag sei unzulässig, weil nicht alle gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt gewesen seien. Da die Bf. nicht spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung (Einbringung einer Beschwerde) nachgeholt habe, liege ein (nicht verbesserungsfähiger) Mangel der Erfüllung der gesetzlichen Erfordernisse des § 308 BAO vor.
Tatsächlich enthält der streitgegenständliche Antrag alle Angaben, die ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 309a BAO zu enthalten hat. Damit kommt eine Zurückweisung aber nicht in Betracht.
Im Beschwerdefall verbietet sich eine Deutung des Abspruches als bloßes Vergreifen im Ausdruck (Zurückweisung statt Abweisung), weil sich das Finanzamt in seiner Begründung ausdrücklich auf formelle Gründe stützt (vgl zum umgekehrten Fall Abweisung statt Zurückweisung ). Überdies würde die Bf. dadurch den Rechtsnachteil erleiden, dass sich das Finanzamt mit ihrem Vorbringen inhaltlich nie auseinandergesetzt hat.
Der angefochtene Zurückweisungsbescheid war daher - wie im Spruch ersichtlich - aufzuheben. Dadurch ist der Antrag auf Widereinsetzung unerledigt und unterliegt der Entscheidungspflicht des Finanzamtes (§ 85 BAO).
2.4. Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.2100573.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at