Kein Nachweis des Eintritts einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff: ***OB***, mit dem der Antrag gemäß § 299 BAO vom auf Aufhebung des Bescheides vom betreffend erhöhte Familienbeihilfe abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit den Formblättern Beih 100 vom und Beih 3 vom beantragte die Beschwerdeführer (Bf.) die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung "ab März 2021" für ihre Tochter ***, VNR: ***VNR***.
Als erhebliche Behinderung bzw. Erkrankung gab sie "Schwerhörigkeit beidseits" an.
Das Finanzamt wies die Anträge mit Bescheiden vom (nachweislich zugestellt am ) hinsichtlich der Familienbeihilfe für die Zeiträume ab September 2021 und hinsichtlich des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für die Zeiträume ab April 2021 ab.
Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass Familienbeihilfe bei einer ernsthaften und zielstrebigen Ausbildung zustehe. Dies sei der Fall, wenn ein Kind die volle Zeit dafür verwende und in angemessener Zeit zu Prüfungen antrete. Bei der Tochter der Bf. treffe dies nicht zu.
Im Falle der Berufsreifeprüfung erhalte die Bf. Familienbeihilfe für maximal vier Monate je Teilprüfung. Bei Absolvierung der Berufsreifeprüfung sei bei einer ernsthaft und zielstrebig betriebenen Ausbildung von einem erforderlichen Vorbereitungsaufwand von maximal vier Monaten pro Teilprüfung auszugehen und die Familienbeihilfe sei rückwirkend nach Ablegung einer Teilprüfung zu gewähren.
Der Erhöhungsbetrag wegen einer erheblichen Behinderung werde als Zuschlag zur allgemeinen Familienbeihilfe gewährt. Da für die Tochter der Bf. die allgemeine Familienbeihilfe nicht zustehe, könne auch der Erhöhungsbetrag nicht ausgezahlt werden.
Der Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung habe daher gem. § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 abgewiesen werden müssen.
Das Finanzamt wies in der Folge die dagegen erhobene, am bei der Behörde eingelangte Beschwerde vom mit Beschwerdevorentscheidung vom gemäß § 260 BAO als verspätet eingebracht zurück.
Mit der am beim Finanzamt eingelangten und als Beschwerde bezeichneten Eingabe vom beantragte die Bf. die Aufhebung des Abweisungsbescheides vom gemäß § 299 BAO, da sich der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erwiesen habe.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:
Mit dem angefochtenen Bescheid sei festgestellt worden, dass für die Tochter der Bf. ab kein Anspruch auf Familienbeihilfe mehr bestehe.
Die Parteien würden die Möglichkeit haben, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. , m. w. N.). Die Behörde habe sich dann mit dem Inhalt dieses Gegengutachtens auseinanderzusetzen (vgl. ).
Es sei Sache der Behörde, Gutachten nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 eigenständig zu prüfen und sich nicht darauf zu verlassen, dass diese bzw. das zuletzt erstattete Gutachten "fachlich korrekt" sei. Im Fall einer mangelnden Nachvollziehbarkeit hätte die Behörde im Fall der Tochter der Bf. von Amts wegen eine Gutachtensergänzung zu veranlassen. Bestätigt werde die Gutachtensergänzung durch Primar Dr. ****** (***KH***) mittels psychiatrischer Bestätigung vom . Leider sei die Tochter der Bf. laut den behandelnden Ärztinnen unselbstständig und nicht im Stande, sich eigenständig Unterhalt zu verschaffen. Eine fachärztliche Bestätigung von Primar Dr. ****** liege dem Schreiben bei. Zudem werde ergänzend vorgebracht, dass es im Gutachten vom Unschlüssigkeiten gebe, da einerseits festgestellt worden sei, dass "Selbstständigkeit nicht gegeben sei" und andererseits laut Gutachten die Tochter der Bf. im Stande wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Davon sei sie leider immer noch weit entfernt, was auch durch die ärztliche Bestätigung von Primar Dr. ****** (datiert mit ) unterstrichen werde, in dem er festgestellt habe, dass Arbeitsfähigkeit in keiner Weise vorliege.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Bf. vom auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 Abs. 1 BAO ab, da der Spruch des Bescheides vom betreffend die Abweisung eines Antrages der Bf. auf Zuerkennung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung "ab April 2021" keine Unrichtigkeit aufweise.
Zur Prüfung, ob der Spruch der Abweisungsbescheide vom eine Unrichtigkeit aufweise, sei das Sozialministeriumservice am nochmals zur Erstellung eines Gutachtens aufgefordert worden. Dabei seien folgende, dem Antrag angeschlossene Unterlagen an das Sozialministeriumservice weitergeleitet worden:
- Entwicklungsneurologischer Befund, ***ZGH*** vom
- Entwicklungsneuropsychiatrischer Befund, ***ZGH*** vom
- Psychiatrische Bestätigung Primararzt Dr. ****** vom
Das dazu am erstellte Zweitgutachten des Sozialministeriumservice laute:
Grad der Behinderung: 60% ab
dauernd erwerbsunfähig: ja - ab
Vermerk: Eine Erwerbsfähigkeit sei laut vorliegendem Facharztattest ab November 2022 nicht gegeben
Eine Unschlüssigkeit der Gutachten könne nicht erkannt werden. Im Anamnesegespräch zur Erhebung der derzeitigen Beschwerden werde angegeben, dass noch keine Selbstständigkeit gegeben sei. Das Anamnesegespräch diene zur Erhebung und Aufzeichnung der Beschwerden des Patienten und der Erfragung der (Leidens)Geschichte. Dabei antworte der Patient selbst oder eine dritte (Begleit)Person. Aus den Abweichungen zwischen den Angaben der Patientin/der Begleitperson zum subjektiven Befinden (derzeit noch keine Selbstständigkeit gegeben) und den Feststellungen des Gutachters zur Erwerbsfähigkeit bzw. -Unfähigkeit welche dieser unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde getroffen habe, könne keine Unschlüssigkeit erkannt werden.
Das Finanzamt könne nicht erkennen, dass die am und erstellten Gutachten des Sozialministeriumservice fachlich unkorrekt seien. Die Gutachten würden jenen, zum Zeitpunkt der jeweiligen Gutachtenerstellung vorliegenden Befunden entsprechen. Abgeleitet von der Fachärztlichen Bestätigung von Primararzt Dr. ****** vom (aktuell keine Arbeitsfähigkeit gegeben) werde in dem am erstellten Zweitgutachten der Patientin ab November 2022 eine dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt. Der Umstand, dass die Tochter der Bf. bisher keine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, weil aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung eine Verzögerung der schulischen Ausbildung (Berufsreifeprüfung) vorgelegen sei, führe nicht dazu, dass das Finanzamt - abweichend von den beiden Gutachten des Sozialministeriumservice - einen Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit des Kindes bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres hätte erkennen müssen.
Bei einem bescheinigtem Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit der Tochter der Bf. nach Vollendung des 25. Lebensjahres sei im Spruch des Abweisungsbescheides vom keine Unrichtigkeit vorliegend.
Dagegen richtet sich die Beschwerde vom .
Dies im Wesentlichen mit folgender Begründung:
Nach § 2 Abs. 1 lit. h FLAG 1967 bestehe ein Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich außerstande Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Bei der Tochter der Bf. bestehe nachweislich ein Grad der Behinderung von 60% seit dem Jahr 2004. Eine dauernde Erwerbsunfähigkeit sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen. Das Gutachten vom bestätigte allerdings, dass eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Da die körperliche bzw. geistige Behinderung bereits 2004 diagnostiziert worden sei, diese somit vor Vollendung des 21. Lebensjahres aufgetreten sei, widerspreche dieser Tatbestand nicht dem § 2 Abs. 1 lit. h FLAG 1967, weshalb ein Anspruch auf Familienbeihilfe und auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe bestehe.
Der Beschwerde beigeschlossen sind
- das Sachverständigengutachten nach der Einschätzungsverordnung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ, vom , VOB: ***SVG***,
- eine fachärztliche psychiatrische Bestätigung des Krankenhauses ***KH***, vom , sowie
- ein entwicklungsneuropsychiatrischer Befund des Krankenhauses ***KH***, vom .
Das Finanzamt wies in der Folge die Beschwerde vom mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab, weil aus dem Umstand, dass der minderjährigen Tochter der Bf. in den Jahren 2004 bis 2013 in vier Gutachten ein Behinderungsgrad von mehr als 50% aufgrund einer vorliegenden Hörbehinderung bescheinigt worden sei, für das Kind bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit erst nach Vollendung des 25. Lebensjahres kein Anspruch auf Familienbeihilfe abgeleitet werden könne.
Mit Eingabe vom beantragte die Bf. unter Verweis auf das Beschwerdevorbringen sowie auf den Antrag gem. § 299 Abs. 1 BAO, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen (Vorlageantrag).
Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Das Bundesfinanzgericht gab der Bf. mit Beschluss vom die Gelegenheit, weitere medizinische Befunde, (fach-) ärztliche Bestätigungen oder Privatgutachten vorzulegen, die den Schluss zulassen, dass die bei der Tochter der Bf. vorliegenden Beeinträchtigungen bereits vor dem 25. Lebensjahr ein Ausmaß erreicht haben, das eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bewirkt.
Die Bf. legte in der Folge keine weiteren Unterlagen mehr vor, auch eine Stellungnahme zum genannten Beschluss vom unterblieb.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Das Bundesfinanzgericht sieht es als erwiesen an, dass bei der Tochter der Beschwerdeführerin (Bf.) bei einem festgestellten Grad der Behinderung von 60 v.H., vorliegend ab März 2004, zwar eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung selbst den Unterhalt zu verschaffen, vorliegt, eine solche zur voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit führende Behinderung jedoch nicht während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
2. Rechtslage
§ 299 Bundesabgabenordnung (BAO) lautet:
"§ 299. (1) Die Abgabenbehörde kann auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hat zu enthalten:
a )die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides;
b) die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt.
(2) Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.
(3) Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat."
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG 1967).
Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe kann nur für höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden (§ 10 Abs. 3 FLAG 1967).
Für Personen, die im Zeitraum von einschließlich März 2020 bis einschließlich Februar 2021 für zumindest einen Monat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind haben, finden die während dieses Zeitraumes vorliegenden Anspruchsvoraussetzungen im unmittelbaren Anschluss an den Anspruchszeitraum bis März 2021 in Bezug auf dieses Kind weiter Anwendung, solange während dieses Zeitraumes keine andere Person anspruchsberechtigt wird (§ 15 Abs. 1 FLAG 1967).
Die für den Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der in § 8 Abs. 5 FLAG 1967 genannten Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung), BGBl. II Nr. 261/2010, lauten (in der Fassung BGBl. II Nr. 251/2012):
"§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
…"
"§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
…"
"§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heranzuziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten."
In der Anlage zur Verordnung werden die Rahmensätze für die einzelnen Erkrankungen verbindlich angegeben.
3. Beweiswürdigung
Der unter Punkt 1. dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Verwaltungsakten, insbesondere aus dem im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ (Sozialministeriumservice) erstellten Sachverständigengutachten vom , VOB: ***SVG***, sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei.
Die Tochter der Bf. vollendete das 21. Lebensjahr am ***Dat1*** und das 25. Lebensjahr am ***Dat2***.
Das Finanzamt hat in sachverhaltsmäßiger Hinsicht angenommen, dass sich die Tochter der Beschwerdeführerin bis zum vollendeten 25. Lebensjahr in Berufsausbildung befand und daher die (erhöhte) Familienbeihilfe nach § 2 Abs. 1 lit. h FLAG 1967 in Verbindung mit § 8 Abs. 4 FLAG 1967 und der COVID-Sonderregelung nach § 15 FLAG 1967 bis einschließlich März 2021 gewährt (siehe Beschwerdevorentscheidung vom ).
Im Beschwerdefall ist daher entscheidend, ob die im Gutachten des Sozialministeriumservice vom , VOB: ***SVG***, der Tochter der Beschwerdeführerin zugestandene Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, während der Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres im September 2020 eingetreten ist.
Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung wie auch die dauernde Erwerbsunfähigkeit durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) nachzuweisen.
Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 hat der Gesetzgeber die Feststellung des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (). Daraus folgt, dass grundsätzlich eine Bindung an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (Sozialministeriumservice) erstellten Gutachten gegeben ist und eine Prüfung nur insoweit erfolgen darf, ob die Gutachten schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (z.B. mit Hinweis auf , und ; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 29).
Im Sachverständigengutachten nach der Einschätzungsverordnung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ (Sozialministeriumservice), vom , VOB: ***SVG***, heißt es u.a.:
"[…]
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
[...]
[…]
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
[...]
[…]"
Der Eintrittszeitpunkt einer Krankheit führt nicht automatisch dazu, dass mit Beginn einer Krankheit eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit einhergeht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) kann eine zu einer solchen Erwerbsunfähigkeit führende geistige oder körperliche Behinderung Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl. etwa , mwN).
Krankheiten können seit der Geburt vorliegen, auch wenn sie sich erst später manifestieren. Maßgebend ist aber der Zeitpunkt, zu dem Behinderungen (als Folge einer bestehenden Krankheit) jenes Ausmaß erreichen, das eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt.
Dieser Zeitpunkt wurde im erwähnten Sachverständigengutachten vom mit Beginn des Monats November 2022 festgelegt.
Der ärztliche Sachverständige stützte sich dabei auf die vorgelegte fachärztliche psychiatrische Bestätigung des Krankenhauses ***KH*** (Prim. ******), vom , wonach "Arbeitsfähigkeit aktuell in keiner Weise gegeben sei".
Auch ein Sachverständiger kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen ist oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen kann. Der Sachverständige kann in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt etwa eine erhebliche Behinderung oder eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen eingetreten ist. Somit wird es primär an den Beschwerdeführern liegen, den behaupteten Sachverhalt, nämlich die bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. 25. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 32).
Die Parteien haben die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde oder dem Gericht aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH, dass durch die Vorlage von Privatgutachten oder weiterer Befunde die Schlüssigkeit der vom Sozialministeriumservice eingeholten Gutachten widerlegt werden könnte (z.B. ; ).
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren wurde der Bf. daher die Gelegenheit gegeben, weitere medizinische Befunde oder (fach-) ärztliche Bestätigungen (etwa analog der bereits vorgelegten fachärztlichen psychiatrischen Bestätigung des Krankenhauses ***KH***) vorzulegen, die den Schluss zulassen, dass die bei der Tochter der Bf. vorliegenden Erkrankungen bzw. Beeinträchtigungen bereits vor dem 25. Lebensjahr ein Ausmaß erreicht haben, das eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bewirkt.
Die Bf. legte jedoch keine neuen Befunde mehr vor, aus denen der Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 25. Lebensjahr hätte abgeleitet werden können.
Dass der Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit im Sachverständigengutachten nach der Einschätzungsverordnung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ vom unter Bezugnahme auf die fachärztliche psychiatrische Bestätigung des Krankenhauses ***KH***, vom , der zufolge "Arbeitsfähigkeit aktuell in keiner Weise gegeben ist", mit "11/2022" angenommen wurde, erweist sich vor dem dargestellten rechtlichen Hintergrund daher als schlüssig.
Es ist sohin schlüssig nachvollziehbar, dass eine weiter zurückreichende Bestätigung einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit auf Grund fehlender Befunde nicht möglich war, da ein Arzt die Beeinträchtigung durch eine Erkrankung bzw. Behinderung naturgemäß nur zum Zeitpunkt der Untersuchung mit Sicherheit feststellen kann und eine Einschätzung über weiter zurückliegende Zeiträume, in den meisten Fällen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in aller Regel nur bei Vorliegen von relevanten Befunden vornehmen kann.
Es würde dem Gutachten vielmehr an Schlüssigkeit fehlen, wenn der untersuchende Sachverständige den Beginn der Erwerbsunfähigkeit ohne Untermauerung durch entsprechende Befunde zu einem bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt, festgestellt hätte (vgl. z.B. ). Schlüssig ist vielmehr, den Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit unter Zuhilfenahme vorliegender Befunde oder anderer geeigneter Nachweise zu bestimmen.
Das vom Sozialministeriumservice eingeholte Gutachten vom ist daher schlüssig und vollständig, sodass das Bundesfinanzgericht diese Bescheinigung des Sozialministeriumservice dem gegenständlichen Erkenntnis zu Grunde zu legen hat.
4. Rechtliche Beurteilung
Das Verwaltungsgericht hat im Allgemeinen seiner Entscheidung grundsätzlich die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen (vgl. etwa ; ; ).
Ein Bescheid kann nach § 299 BAO aufgehoben werden, "wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist".
Die Aufhebung eines Bescheids nach § 299 BAO setzt voraus, dass der Spruch des Bescheids nicht dem Gesetz entspricht, somit, dass der Inhalt des Bescheids nicht richtig ist (vgl. ; ). Eine unzureichende Begründung des Bescheids oder allfällige andere Mängel in dem Verfahren, das zur Erlassung des Bescheids geführt hat, stellen für sich allein noch keinen Grund für eine Aufhebung des Bescheids nach § 299 BAO dar (vgl. ).
Bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Spruchs eines Bescheides ist auf den vom Antragsteller genannten Aufhebungsgrund abzustellen. Sache des Beschwerdeverfahrens bilden daher die diesbezüglichen Ausführungen im Aufhebungsantrag (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 299 Rz 28a mwN).
Die Aufhebung setzt die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (vgl. etwa ).
§ 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 regelt, unter welchen Voraussetzungen bei Behinderungen der Grundbetrag an Familienbeihilfe gewährt werden kann.
Dieser steht für volljährige Kinder bzw. volljährigen Kindern zu, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Hierbei ist auch eine Behinderung im psychischen Bereich als geistige Behinderung iSd obigen Bestimmungen anzusehen (; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 17).
Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht. Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder wie hier vorliegend während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 18 u. 19).
Ausschlaggebend hierfür ist somit ausschließlich, ob die in § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 normierten Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Tochter der Bf. wurde im vorliegenden medizinischen Gutachten des Sozialministeriumservice keine dauernde Erwerbsunfähigkeit während einer Berufsausbildung vor dem 25. Lebensjahr bescheinigt.
Das Gutachten wurde, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zur Beweiswürdigung ergibt, als schlüssig erachtet, sodass das Bundesfinanzgericht an dieses vom Sozialministeriumservice erstellte ärztliche Gutachten gebunden ist.
Liegen - wie gegenständlich - die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 für den Bezug des Grundbetrages an Familienbeihilfe nicht vor, kann auch der Erhöhungsbetrag nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 nicht gewährt werden.
Die mit Bescheid vom ausgesprochene Abweisung des Antrages vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe erweist sich daher als zu Recht erfolgt. Da keine Gewissheit der Rechtswidrigkeit des Spruches des Abweisungsbescheides vom vorliegt, ist dieser einer Aufhebung nach § 299 BAO nicht zugänglich. Damit wurde auch der Antrag vom auf Aufhebung des genannten Bescheides gemäß § 299 BAO mit dem hier angefochtenen Bescheid vom zu Recht abgewiesen.
Aus den dargelegten Gründen war somit die gegenständliche Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
5. Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das vorliegende Erkenntnis beruht im Wesentlichen auf der Beweiswürdigung, ob bei der Tochter der Bf. eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor dem 25. Lebensjahr vorlag. Weder die im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen noch die einzelfallbezogene rechtliche Beurteilung weisen eine Bedeutung auf, die über den Beschwerdefall hinausgeht. Da sohin keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen waren, ist eine Revision nicht zulässig.
Linz, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100836.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at