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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.10.2024, RV/5100523/2024

Eintrittszeitpunkt der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Ri in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch VertretungsNetz - Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, Gruberstraße 6/1. Stock, 4020 Linz, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab März 2023 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Abweisungsbescheide werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben jeweils vom beantragte der am ***Datum*** geborene Beschwerdeführer durch seinen mit Beschluss des Bezirksgerichtes vom bestellten Erwachsenenvertreter die Familienbeihilfe sowie den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe rückwirkend im Höchstausmaß von 5 Jahren.

Einem in der Folge erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten des Sozialministerium Service vom zufolge sei der Beschwerdeführer dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, allerdings sei diese Erwerbsunfähigkeit erst ab 03/2023 eingetreten. Der Gesamtgrad der Behinderung wurde mit 100% ab 03/2023 festgestellt.

Daraufhin wurden die Anträge am mit der Begründung abgewiesen, dass die Erwerbsunfähigkeit nicht vor dem 21. bzw. 25. Lebensjahr eingetreten sei und daher weder Familienbeihilfe noch der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zustehe.

Dagegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Beschwerde vom die wie folgt begründet wird:

"[…] Sachverhalt: Der am ***Datum*** geborene Beschwerdeführer lebte bis zum Juni 2023 mit seiner Mutter in einem Haus in ***Adr***. Er war nie in der Lage, sich aus einer beruflichen Tätigkeit heraus selbst zu versorgen. Im Rahmen einer zweiten Stellungsuntersuchung vom wurde Herr ***Bf.*** als für den Präsenzdienst "untauglich" eingestuft und dies mit den festgestellten Diagnosen: Grand Mal Epilepsie, chronischer Alkoholabusus sowie Oligrophenie begründet.Der gerichtliche Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers beantragte daraufhin am die Gewährung der Familienbeihilfe sowie des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung. Diese Anträge wurden mit den Bescheiden vom abgewiesen. Als Bescheidbegründung wird ausgeführt, dass die Beeinträchtigung nicht vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten ist

Die Bescheidbegründung, nämlich, dass die Beeinträchtigung nicht vor dem 21. Geburtstag eingetreten ist, ist nicht richtig. Vom Untersuchungsarzt und dem leitenden Psychologen der Stellungskommission Oberösterreich wurde unter Vorlage von Befunden des Krankenreviers sowie der neurologischen Ambulanz des Heeresfachambulatoriums die Diagnose der Oligophrenie erhoben. Bei der Oligophrenie handelt es sich um eine erblich bedingte oder im frühkindlichen Alter erworbene Intelligenzminderung, welche somit bereits jedenfalls vor dem 21. Geburtstag des Beschwerdeführers bestanden hat."

Es wurde neuerlich ein Gutachten beim Sozialministeriumservice angefordert. Das Gutachten vom brachte keine Änderung zum Vorgutachten. Zur rückwirkenden Anerkennung vor dem 21. Lebensjahr merkte der Gutachter wie folgt an:

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen.

Mit Vorlageantrag vom wurde die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht beantragt und ergänzend wie folgt begründet:

"[…] Ergänzend zur Beschwerde vom wird vorgebracht, dass Herrn ***Bf.*** Seitens der Pensionsversicherungsanstalt zwischenzeitlich eine Waisenpension zugesprochen wurde und entsprechend die Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechens ab der Kindheit über das 18. Lebensjahr hinaus festgestellt wurde."

Mit Vorlagebericht vom wurde der Akt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Aufgrund der dem Vorlageantrag beigelegten Unterlagen sowie weiterer im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht vorgebrachter Unterlagen wurde neuerlich ein Sachverständigengutachten angefordert.

Dieses Gutachten vom bescheinigt Bezug nehmend auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen das Vorliegen einer dauernden Erwerbsunfähigkeit des Beschwerdeführers ab 09/1982 und somit den Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Er ist im Oktober 1964 geboren und hat sein 21. Lebensjahr im Oktober 1985 vollendet.

Laut diesbezüglicher Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen ist der Beschwerdeführer aufgrund einer vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen Behinderung dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der Grad der Behinderung beträgt der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom zufolge 50 % ab September 1982 und 100% ab März 2023.

Mit Schreiben jeweils vom beantragte der Beschwerdeführer durch seinen mit Beschluss des Bezirksgerichtes vom bestellten Erwachsenenvertreter die Familienbeihilfe sowie den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe rückwirkend im Höchstausmaß von 5 Jahren.

Seit bezieht der Bf. eine Waisenpension (Bescheid vom ).

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig bzw ergeben sich diese aus den nicht der Aktenlage widersprechenden und auch von der belangten Behörde nicht widerlegten Ausführungen des Beschwerdeführers.

Eine Unvollständigkeit oder Unschlüssigkeit des vorliegenden ärztlichen Sachverständigengutachtens vom ist für das Bundesfinanzgericht nicht erkennbar und wird auch von der belangten Behörde nicht behauptet. Vielmehr geht die belangte Behörde laut Schreiben vom davon aus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe aufgrund des vorgenannten Gutachtens nunmehr erfüllt seien.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen annehmen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 für volljährige Vollwaisen, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Strittig war im gegenständlichen Fall die Frage, ob der Beschwerdeführer gem § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 aufgrund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Bei der Antwort auf die Frage, ob das Kind bzw die Vollwaise erheblich behindert ist und/oder voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist das Bundesfinanzgericht nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten grundsätzlich gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und nicht einander widersprechend sind (vgl ; ; ; Lenneis in Lenneis/Wanke [Hrsg], FLAG2 § 8 Rz 29 mwH).

Im Beschwerdefall wurde die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit des Beschwerdeführers, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und deren Eintritt vor Vollendung des 21. Lebensjahres auf der Grundlage des nach Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht erstellten Sachverständigengutachtens vom durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen bescheinigt. Wie bereits unter Punkt 2 ausgeführt wurde, ist eine Unvollständigkeit oder Unschlüssigkeit des dieser Bescheinigung zugrundeliegenden ärztlichen Sachverständigengutachtens vom für das Bundesfinanzgericht nicht erkennbar und wird auch von der belangten Behörde nicht behauptet.

Es sind auch keine anderen einem Anspruch des Beschwerdeführers entgegenstehenden Gründe aus der Aktenlage ersichtlich. Die belangte Behörde geht ebenfalls davon aus, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom Familienbeihilfe (samt Erhöhungsbetrag) zusteht.

Da die Familienbeihilfe gem. § 12 FLAG 1967 nicht mit Bescheid zuzuerkennen ist, sondern vom Finanzamt lediglich eine Mitteilung auszustellen ist, sind die gefochtenen Abweisungsbescheide vor dem Hintergrund obiger Ausführungen aufzuheben (vgl ).

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Mit dem vorliegenden Erkenntnis folgt das Bundesfinanzgericht der dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Tatfragen sind einer Revision nicht zugänglich. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100523.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at