Unentgeltlicher Erwerb land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke nach Verlust der Eigenschaft als Stiefkind
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel vom betreffend Grunderwerbsteuer Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Sachverhalt
Mit Einantwortungsbeschluss vom wurde der am ***1*** geborenen beschwerdeführenden Partei der gesamte Nachlass nach LP eingeantwortet.
Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt gegenüber der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich der eingeantworteten Liegenschaften Grunderwerbsteuer iHv 14.580,21 € fest. Dagegen wurde Beschwerde erhoben und vorgebracht, hinsichtlich der land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke und der landwirtschaftlich genutzten Gebäudeteile sei der einfache Einheitswert als Bemessungsgrundlage heranzuziehen. Es handle sich tatsächlich um einen unentgeltlichen Erwerb von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken im "begünstigten Personenkreis" des § 26a GGG. Die beschwerdeführende Partei sei der Stiefsohn des Verstorbenen gewesen. Daran habe sich durch die Scheidung der Mutter der beschwerdeführenden Partei vom Stiefvater im Jahr 2011 nichts geändert.
Die Grunderwerbsteuer hätte gemäß § 4 Abs. 2 iVm § 7 Abs. 1 Z 2 lit. d GrEStG ermittelt und festgesetzt werden müssen. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Die beschwerdeführende Partei beantragte, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.
Mit dem Erkenntnis vom , RV/5100781/2020 gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und änderte den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass es die Grunderwerbsteuer hinsichtlich der der beschwerdeführenden Partei eingeantworteten Grundstücke mit 815,28 € festsetzte. Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, die beschwerdeführende Partei sei der Sohn der vom Erblasser im Zeitpunkt seines Ablebens geschiedenen Ehegattin, jedoch nicht der leibliche Sohn des Erblassers. Er habe seit seinem vierten Lebensjahr auf dem Hof des Erblassers gelebt.
Die Scheidung habe nichts am Vater-Sohn-Verhältnis des Verstorbenen mit der beschwerdeführenden Partei geändert. In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht aus, bei der Anwendung des § 4 Abs. 2 GrEStG handle es sich um eine Begünstigungsbestimmung für die Übertragung bzw. den Erwerb von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen innerhalb eines bestimmten Personenkreises bzw. für bestimmte Erwerbsarten. Zum Verhältnis der Schwägerschaft, das zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten bestehe, werde von der (jüngeren) Lehre als auch der Rechtsprechung der Standpunkt vertreten, dass dieses mit der Auflösung der sie begründenden Ehe erlösche, sofern das Gesetz nicht anderes anordne. Die Ausnahme des
§ 364c ABGB von der prinzipiellen Verfügungsfreiheit des Liegenschaftseigentümers diene dazu, die Erhaltung des Familienbesitzes zu ermöglichen. Das Verbot könne grundsätzlich nur zwischen den in § 364c ABGB genannten Familienangehörigen begründet werden. Ähnlich wie § 364c ABGB diene § 4 Abs. 2 Z 2 GrEStG 1987 der Begünstigung der Erhaltung des Familienbesitzes. Damit seien analoge Auslegungskriterien sachgerecht. Zu § 364c ABGB vertrete der Oberste Gerichtshof die Ansicht, dass Stiefkinder, sofern sie nicht vom Begriff des Pflegekinds erfasst seien, mit der Beendigung der die Schwägerschaft vermittelnden Ehe nicht in den Kreis der dort genannten Personen fielen. Stiefelternteile, also mit einem leiblichen Elternteil (verheiratet oder nicht) in Lebensgemeinschaft lebende Personen würden bei Erfüllung der Voraussetzungen unter den Begriff der Pflegeeltern fallen. Bei Übernahme von Betreuungsleistungen und bei Vorliegen einer dem § 184 ABGB entsprechenden emotionalen Bindung könnten sie als Pflegeeltern gelten. Die beschwerdeführende Partei habe seit ihrem vierten Lebensjahr auf dem Hof des Erblassers gelebt und sei in den Haushalt sowie den Lebensablauf des damaligen Stiefvaters eingegliedert gewesen. Der Umstand, dass es 2011 zur Scheidung zwischen der leiblichen Mutter der beschwerdeführenden Partei und dem Verstorbenen gekommen sei, habe nichts am Vater-Sohn-Verhältnis der beschwerdeführenden Partei mit dem Verstorbenen, die trotz Scheidung der Eltern bis zuletzt den gleichen Nachnamen geführt hätten, geändert. Die beschwerdeführende Partei sei somit unzweifelhaft Pflegekind des Erblassers und gehöre damit zum begünstigten Personenkreis gemäß § 26a Abs. 1 Z 1 GGG. Die Berechnung der Grunderwerbsteuer habe daher unter Berücksichtigung der Begünstigungsbestimmung des § 4 Abs. 2 GrEStG zu erfolgen.
Gegen dieses Erkenntnis richtete sich die Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens (§ 36 VwGG) und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die beschwerdeführenden Partei erwogen hat. In der Amtsrevision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, es fehle Rechtsprechung zur Frage, wie die Begriffe "Stief-, Wahl- und Pflegekind" in § 26a GGG auszulegen seien bzw. ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt diese Eigenschaft ende. Es würden zwar Urteile des Obersten Gerichtshofes, der im Bereich der zivilrechtlichen Rechtsprechung das Höchstgericht sei, vorliegen, jedoch sei diese Rechtsfrage durch den Verwaltungsgerichtshof bislang nicht beantwortet worden. Es könne nicht gleichsam davon ausgegangen werden, dass durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes eine von diesem geklärte Rechtsfrage auch für Verwaltungsverfahren, bei denen die höchstgerichtliche Entscheidungskompetenz beim Verwaltungsgerichtshof liege, geklärt sei.
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2021/16/0098 wurde das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/5100781/2020 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.
Der beschwerdeführenden Partei wurde mit Beschluss vom die Möglichkeit zu einem ergänzenden Vorbringen eingeräumt. Die gesetzte Frist verstrich ungenützt. Die von der belangten Behörde festgestellten Grundstückswerte wurden nicht bestritten.
Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ergibt sich daher aus der Aktenlage und ist unstrittig.
1. Rechtliche Beurteilung
1.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)
§ 4 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 (GrEStG), BGBl. Nr 309/1987 idF BGBl. I Nr. 163/2015, lautete auszugsweise:
(1) Die Steuer ist zu berechnen vom Wert der Gegenleistung (§ 5), mindestens vom Grundstückswert. [...]
(2) Abweichend von Abs. 1 ist bei den nachstehend angeführten Erwerbsvorgängen betreffend land- und forstwirtschaftliche Grundstücke die Steuer vom Einheitswert (§ 6) zu berechnen:
1. [...] 2. bei Erwerb eines Grundstückes durch Erbanfall, durch Vermächtnis oder in Erfüllung eines Pflichtteilsanspruches, wenn die Leistung an Erfüllungs Statt vor Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens vereinbart wird, durch den in § 26a Abs. 1 Z 1 des Gerichtsgebührengesetzes, BGBl. Nr. 501/1984 in der geltenden Fassung, angeführten Personenkreis;
3. [...]
4. [...]
(3) [...]
§ 26a des Gerichtsgebührengesetz (GGG), BGBl. Nr. 501/1984 idF BGBl. I Nr. 19/2015, lautete auszugsweise:
"(1) Abweichend von § 26 ist für die Bemessung der Eintragungsgebühr bei den nachstehend angeführten begünstigten Erwerbsvorgängen der dreifache Einheitswert, maximal jedoch 30 % des Werts des einzutragenden Rechts (§ 26 Abs. 1), heranzuziehen:
1. bei Übertragung einer Liegenschaft an den Ehegatten oder eingetragenen Partner während aufrechter Ehe (Partnerschaft) oder im Zusammenhang mit der Auflösung der Ehe (Partnerschaft), an den Lebensgefährten, sofern die Lebensgefährten einen gemeinsamen Hauptwohnsitz haben oder hatten, an den Verwandten oder Verschwägerten in gerader Linie, an ein Stief-, Wahl- oder Pflegekind oder deren Kinder, Ehegatten oder eingetragenen Partner, oder an Geschwister, Nichten der Neffen des Überträgers;
2. [...] [...]"
Nach den Materialien zur Grundbuchsgebührennovelle, BGBl. I Nr. 1/2013, erfasst § 26a Abs. 1 Z 1 GGG Übertragungen von Liegenschaften innerhalb der Familie, wobei sich der erfasste Familienkreis im Wesentlichen mit jenem des § 364c ABGB deckt, der die dingliche Wirkung eines im Grundbuch eingetragenen Veräußerungs- und Belastungsverbots regelt.
Eine Erweiterung zu § 364c ABGB erfolgt hinsichtlich Übertragungen an Lebensgefährten sowie an Geschwister, Nichten und Neffen des Überträgers. Die Begünstigung unterliegt keiner weiteren Einschränkung und erfasst sämtliche (entgeltliche und unentgeltliche) Liegenschaftsübertragungen innerhalb des angeführten Personenkreises zur Erhaltung des Familienbesitzes (vgl. EBRV 1984 BlgNR 24. GP 7).
Für die Auslegung der in § 26a Abs. 1 Z 1 GGG verwendeten Begriffe "Stief-, Wahl- oder Pflegekind" und die Frage ob bzw. zu welchem Zeitpunkt diese Eigenschaft endet, kann daher auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 364c ABGB zurückgegriffen werden. Danach endet das Angehörigenverhältnis zwischen Stiefeltern und Stiefkindern mit dem Ende der die Schwägerschaft (die Verbindung zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten, § 40 ABGB) - vermittelnden Ehe (vgl. etwa ; , 5 Ob 143/17s). Dies gilt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht für Pflegekinder, sodass Stiefkinder trotz Beendigung der die Schwägerschaft vermittelnden Ehe weiterhin Pflegekinder sein können (vgl. ). Die Pflegeelterneigenschaft nach § 184 ABGB idF KindNamRÄG 2013, BGBl. I Nr. 15/2013, ist kraft Gesetzes gegeben, wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, nämlich die geforderte persönliche, emotionale Beziehung einerseits und die tatsächliche (gänzliche oder teilweise) Besorgung der Pflege und Erziehung andererseits vorliegen. Maßgebend sind die faktischen Verhältnisse (vgl. die in RIS-Justiz RS0127991 wiedergegebene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes; zur Frage des Eintrittes der Volljährigkeit vgl. Weitzenböck in Schwimann/Kodek5 unter FN 5 zu § 184 ABGB). Für die Zuerkennung einer abgabenrechtlichen Begünstigung sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld maßgeblich (vgl. ). Gemäß § 8 Abs. 4 GrEStG entsteht die Steuerschuld bei Erwerben durch Erbanfall mit Rechtskraft des Beschlusses über die Einantwortung. Zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld muss daher das aufrechte familiäre Verhältnis im Sinne des § 26a Abs. 1 Z 1 GGG vorliegen.
Im gegenständlichen Fall waren jedoch ausgehend von den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts, zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses sowohl das Stiefkindverhältnis (aufgrund der geschiedenen Ehe zwischen der leiblichen Mutter der beschwerdeführenden Partei und dem Erblasser) als auch das Pflegekindverhältnis (mangels aufrechten Bestehens der Tatbestandsmerkmale des § 184 ABGB) bereits beendet. Ein begünstigter Erwerbsvorgang nach § 26a Abs. 1 Z 1 GGG liegt - wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Ra 2021/16/0098 festgestellt hat - somit nicht vor.
In Hinblick auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2021/16/0098 wurde die beschwerdeführende Partei auf § 63 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes hingewiesen, welcher lautet: "(1) Wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen."
Da der Verwaltungsgerichtshof einen begünstigten Erwerbsvorgang nach § 26a Abs. 1 Z 1 GGG ausdrücklich als nicht gegeben ansieht, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig. Die von der belangten Behörde festgestellten Grundstückswerte wurden nicht bestritten, sodass die gegenständliche Beschwerde als unbegründet abzuweisen ist.
1.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Entscheidung setzt das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2021/16/0098 um. Eine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, war nicht zu lösen. Eine Revision ist daher nicht zulässig.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 4 GrEStG 1987, Grunderwerbsteuergesetz 1987, BGBl. Nr. 309/1987 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100390.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at