Eigenanspruch auf Familienbeihilfe sofern Unterhalt nicht zur Gänze durch die öffentliche Hand getragen wird
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Maria Daniel über die Beschwerde von Bf***, Bf-Adr*** vertreten durch Magistrat der Stadt Wien - Magistratsabteilung 11 - Amt für Jugend und Familie, Gasgasse 8-10, Stiege 1/3. Stock, 1150 Wien, vom gegen den Rückforderungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Mai 2023 bis Mai 2024 iHv insgesamt 2.678,70 Euro zu Recht:
Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrenslauf
Mit Bescheid vom forderte die belangte Behörde die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für den minderjährigen Beschwerdeführer für den Zeitraum Mai 2023 bis Mai 2024 zurück. Gem § 6 Abs 5 FLAG 1967 bestehe ein Eigenanspruch auf die Familienbeihilfe für ein fremduntergebrachtes Kind, sofern ein regelmäßiger Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten eines Kindes vorliege. Da keine regelmäßigen Kostenbeiträge der Eltern geleistet würden, stehe die Familienbeihilfe (Eigenanspruch) nicht zu.
In der rechtzeitig erhobenen Beschwerde wird vorgebracht, der Vater sei zu einem monatlichen Betrag iHv 10 Euro verpflichtet. Entgegen der Behauptung im Rückforderungsbescheid sei die Unterhaltsverpflichtung vom Vater erfüllt worden. Der Vater zahle regelmäßig einige Monate auf einmal ein. Die Anspruchsvoraussetzungen für den Eigenbedarf seien daher gegeben.
Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen. Da der Kindesvater in unregelmäßigen Abständen die Kostenbeiträge für mehrere Monate gleichzeitig leiste, liege keine Regelmäßigkeit der Zahlungen vor. Der zumindest vorläufigen gänzlichen Kostentragungspflicht der Stadt Wien könne durch die nicht regelmäßig entrichteten "Minibeträge" nicht entgegnet werden, dass der Unterhalt des Kindes nicht mehr als "zur Gänze" durch die öffentliche Hand getragen anzusehen sein soll.
Mit Schreiben vom (eingelangt beim Finanzamt Österreich am ) beantragte die Vertretung des Beschwerdeführers die Entscheidung über die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen. Im Gesetz sei eine regelmäßige, oder gar monatliche Zahlung als Anspruchsvoraussetzung nicht angeführt. Im "Erlass" des BKA/AbtVI/1, Stand März 2021, werde zudem explizit ausgeführt, dass der Gesetzgeber keine Mindestbeträge im Hinblick auf die Höhe des Beitrages vorgibt. Zudem sollten die Beiträge zwar nicht zwingend monatlich, jedoch in wiederkehrenden Abständen erfolgen. Ein solcher Beitrag zu den Unterhaltskosten liege daher jedenfalls vor.
Auf Nachfrage des Bundesfinanzgerichts konnte die Vertretung des Beschwerdeführers keinen diesbezüglichen Erlass des BKA vorlegen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die Zahlungen des Kindesvaters (im August 2023 iHv 40 Euro, im Jänner 2024 iHv 20 Euro, im März 2024 iHv 50 Euro sowie im Juni 2024 iHv 20 Euro) einen (nicht überwiegenden) Beitrag zum Unterhalt des Kindes iSd § 6 Abs 5 FLAG 1967 darstellen und somit die Anspruchsvoraussetzungen für den Eigenbedarf des Beschwerdeführers betreffend Familienbeihilfe für den Zeitraum Mai 2023 bis Mai 2024 vorliegen.
Sachverhalt
Der in Wien wohnhafte minderjährige Beschwerdeführer ist ukrainischer Staatsbürger und besuchte im Schuljahr 2023/2024 die Volksschule A***, Adr***.
Die Mutter (K***) und der Vater (O***) des minderjährigen Beschwerdeführers sind beide in Wien wohnhaft.
Die Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien wurde (laut Vereinbarung der vollen Erziehung vom ) zur Gänze mit der Pflege und Erziehung des Beschwerdeführers und dessen drei Geschwister betraut.
Mit Schreiben vom wurde der Übergang der Unterhaltsansprüche des minderjährigen Beschwerdeführers auf die Stadt Wien bei der belangten Behörde angezeigt. Die unterhaltspflichtige Person (O***) verpflichtete sich der Stadt Wien bis auf weiteres, längstens bis zur Beendigung der vollen Erziehung ab einen Unterhaltsbetrag von monatlich 10 Euro bei sonstiger Exekution zu zahlen. Laut Vereinbarung vom (beurkundet am ) über den Ersatz der Kosten der vollen Erziehung gem § 42 Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 - B-KJHG 2013 waren die bereits fälligen Unterhaltsbeträge binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Unterhaltsbeträge am Ersten eines jeden Monats im Voraus zu zahlen.
Die Unterbringung des Beschwerdeführers und dessen drei Geschwister verursacht der Stadt Wien Kosten von monatlich 2.400 Euro, somit 600 Euro für den Beschwerdeführer. Der mit dem Vater vereinbarte Unterhaltsbetrag iHv 10 Euro pro Monat beträgt somit 1,67% der tatsächlichen Unterhaltskosten.
Der Vater des Beschwerdeführers leistete seit Verpflichtungsbeginn () bis Ende August 2024 folgende Unterhaltszahlungen an die Stadt Wien für den Beschwerdeführer:
• August 2023 - 40,00 Euro
• Jänner 2024 - 20 Euro
• März 2024 - 50,00 Euro
• Juni 2024 - 20 Euro
Seit Mai 2023 hat der Vater des Beschwerdeführers der Stadt Wien 130 Euro Unterhaltsbetrag geleistet. Dies entspricht bei der vertraglich vereinbarten Summe von monatlich 10 Euro einen Zeitraum von Mai 2023 bis Mai 2024.
Es steht fest, dass der Vater des Beschwerdeführers jedenfalls teilweise (wenn auch geringfügig) und regelmäßig (jedoch nicht monatlich) zum Unterhalt des Kindes beigetragen hat.
Der Unterhalt des Beschwerdeführers wurde im Zeitraum Mai 2023 bis Mai 2024 somit nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe getragen.
Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ergibt sich aus den im Verfahrensverlauf zitierten vorgelegten Verwaltungsakten und Eingaben des Beschwerdeführers (insb Vereinbarung der vollen Erziehung vom , Vereinbarung über den Ersatz der Kosten der vollen Erziehung vom , Kontoauszug der Unterhaltsbeiträge)
Strittig in diesem Zusammenhang ist, ob der Vater regelmäßig zum Unterhalt des Kindes beigetragen hat.
Regelmäßig bedeutet in diesem Zusammenhang "zu bestimmten Zeiten" bzw "in bestimmter Weise immer wiederkehrend" (vgl https://www.dwds.de/wb/regelm%C3%A4%C3%9Fig, abgefragt am ). Im juristischen Sinne bedeutet "regelmäßig" eine wiederkehrende Handlung, Vorgehensweise oder einen Zustand, der sich in bestimmten Zeitabständen oder in einer gewissen Häufigkeit wiederholt (https://www.juraforum.de/lexikon/regelmaessig, abgefragt am ).
In Summe entsprechen die Zahlungen des Vaters den mit der Stadt Wien vertraglich in regelmäßigen Raten vereinbarten Unterhaltsbeiträgen iHv 10 Euro pro Monat. Sofern der Vater diese Zahlungen wie vereinbart monatlich zahlen würde, würde daraus zweifelsfrei eine Regelmäßigkeit erkennbar sein.
Auch wenn die Beträge wie im gegenständlichen Sachverhalt nicht monatlich, sondern für Monate zusammengefasst gezahlt wurden, kann dies nicht zu einem abweichenden Ergebnis für die Beurteilung einer regelmäßigen Beitragsleistung führen, da die Summe der Zahlungen den vereinbarten Unterhaltsbeitrag von 10 Euro pro Monat entspricht. Es ist jedenfalls eine gewisse Häufigkeit der Zahlungen erkennbar.
Insgesamt hat der Vater somit teilweise und regelmäßig zum Unterhalt seines Kindes beigetragen.
Rechtliche Würdigung
Ein Eigenanspruch betreffend Familienbeihilfe besteht für minderjährige (§ 6 Abs 1) und volljährige (§ 6 Abs 2) Vollwaisen, sowie für (ebenfalls minderjährige oder volljährige) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die aus diesem Grund den Vollwaisen gleichgestellt sind (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Auf. (2020), § 6, I. Allgemeines Rz 2).
Gem § 6 Abs 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.
Nach den Erwägungen zum Initiativantrag (386/A 26. GP) ist der Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe auch dann gegeben, wenn die Eltern zwar nicht überwiegend, jedoch zumindest teilweise regelmäßig zum Unterhalt ihres Kindes beitragen.
Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht hingegen dann, wenn der Unterhalt zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen wird, da in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mitteln der öffentlichen Hand sichergestellt ist.
Der Gesetzgeber stellt in § 6 Abs 5 FLAG darauf ab, ob der Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird. Voraussetzung für den Eigenanspruch nach § 6 Abs 5 FLAG ist, dass Eltern nicht überwiegend den Unterhalt für ihr Kind leisten. Weder ist dem Gesetz eine gewisse Regelmäßigkeit in Form von monatlichen Beiträgen, noch ein Mindestbetrag der Unterhaltsleistungen zu entnehmen.
Der Gesetzgeber hat keinen Schwellenwert definiert, unter dem ein Beitrag zum Unterhalt des Kindes nicht mehr gegeben ist. Somit gelten auch monatliche Zahlungen wie im vorliegenden Fall iHv 10 Euro (1,67% der tatsächlichen Unterhaltskosten) als Beitrag zum Unterhalt. Da der Unterhalt des Kindes somit nicht mehr zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen wird, ist der Eigenanspruch des Beschwerdeführers gegeben.
Zur Zulässigkeit der Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Soweit ersichtlich liegt zu den Fragen, ob es sich bei Zahlungen von Kleinbeträgen wie im gegenständlichen Beschwerdeverfahren (iHv 1,67% der tatsächlichen Unterhaltskosten) um nicht überwiegende Unterhaltsleistungen iSd § 6 Abs 5 FLAG handelt, bzw ob Unterhaltsbeiträge regelmäßige monatliche Zahlungen bedingen, keine höchstgerichtliche Judikatur vor.
Da zu diesen Rechtsfragen bislang eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, ist die ordentliche Revision zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 6 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102920.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at