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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.09.2024, RV/3100430/2024

Bescheid des Sozialministeriumservice - rückwirkende Anerkennung einer Behinderung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2022, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die vorliegende Entscheidung befasst sich mit der Rechtsfrage, ob eine vom Sozialministeriumservice durch Bescheid festgestellte Behinderung auch rückwirkend für frühere Zeiträume anzuerkennen ist.

I. Verfahrensgang

Der Einkommensteuerbescheid 2022 des Beschwerdeführers (in Folge kurz Bf) vom erwuchs zunächst in Rechtskraft, wobei ein Freibetrag und Pauschbetrag wegen eigener Behinderung sowie Kosten aus der eigenen Behinderung als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt iHv € 295,20 anerkannt wurden.

Mit Eingabe vom brachte der Bf vor, seiner Ehegattin sei rückwirkend für das Jahr 2022 die erhöhte Familienbeihilfe für den gemeinsamen Sohn zuerkannt worden. Es werde daher der Freibetrag wegen der Behinderung eines Kindes sowie der Familienbonus Plus beantragt.

In weiterer Folge hob die Abgabenbehörde am den Erstbescheid gem § 299 BAO auf und erließ am selben Tag einen neuen Sachbescheid, wobei ein Pauschbetrag nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen wegen der Behinderung eines Kindes und der Familienbonus Plus iHv € 650,16 berücksichtigt wurden. Der Pauschbetrag und der Freibetrag wegen eigener Behinderung wurden jedoch nicht mehr anerkannt. Die Aufwendungen iHv € 295,20 wurden mit Selbstbehalt berücksichtigt, was jedoch keine steuerlichen Auswirkungen zur Folge hatte. Begründend wurde ausgeführt, die Behinderung sei im Jahr 2023 festgestellt worden, eine rückwirkende Berücksichtigung sei nicht zulässig.

Mit rechtzeitig elektronisch eingebrachter Beschwerde vom brachte der Bf vor, dass zusätzlich zu den bisher beantragten Kosten der Heilbehandlung die Berücksichtigung weiterer Behandlungskosten im Zusammenhang mit einem Therapieaufenthalt beantragt werde. Insgesamt seien daher € 516,32 zu berücksichtigen.
Ferner wurde in der Beschwerde auf Vorlageanträge betreffend Einkommensteuer 2018, 2019 und 2020 verwiesen, in denen zusammengefasst für den hier interessierenden Fall vorgebracht wurde, dass mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom eine 40%ige Behinderung festgestellt worden sei. Richtig sei, dass sich eine rückwirkende Feststellung der Behinderung für vergangene Zeiträume aus dem Gutachten des Sozialministeriumservice nicht ergebe. Aus dem Gutachten ergebe sich aber auch nicht, dass eine rückwirkende Feststellung nicht anzuerkennen sei. Im Gutachten sei unter "Anamnese" ein Bandscheibenvorfall intraforminal L3/4 aus dem Jahr 2015 angeführt. Das Ergebnis der im Rahmen der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung im Jahr 2023 durchgeführten Begutachtung weise für die Wirbelsäule mittelgradige Funktionseinschränkungen sowie wiederkehrende Kreuzschmerzen bei einem "Zustand nach Bandscheibenvorfall einsegmentig" aus. Es sei daher davon auszugehen, dass die Folgen des Bandscheibenvorfalls im Jahr 2015 in allen Folgejahren fortwirkten und im Jahr 2023 sogar als Hauptleiden festgestellt worden seien. Hinsichtlich der vom Sozialministeriumservice festgestellten Erkrankung des Verdauungstraktes sowie der Herzerkrankung und der damit verbundenen Notwendigkeit der Einhaltung einer Diät werde auf die eingenommenen Medikamente verwiesen.

Schließlich wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und begründend ausgeführt, eine rückwirkende Feststellung der Behinderung sei aus dem Gutachten nicht zu erkennen.

Am brachte der Bf rechtzeitig einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ein, wobei im Wesentlichen auf das bisherige Vorbringen verwiesen wurde.

Die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2022 wurde dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der am ***xx.xx.xxxx*** geborene Bf erzielte im Jahr 2022 Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit.

Mit Bescheid vom des Sozialministeriumservice wurde der Antrag des Bf auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten abgewiesen und festgestellt, dass der Grad der Behinderung 40% beträgt.

Im Rahmen des Verfahrens beim Sozialministeriumsservice wurde der Beschwerdeführer von Dr. ***x*** untersucht. In der Folge erstellte dieser ein Sachverständigengutachten gemäß der Einschätzungsverordnung (BGBl. 261/2010).

Im Gutachten werden unter der Anamnese folgende Diagnosen und Operationen aufgeführt: ein intraforaminaler Diskusprolaps L3/4 links (2015), Zustand nach Leistenbruchoperation (pds), Zustand nach Hodenbruchoperation im Säuglingsalter, Zustand nach CTS-Operation (rechts, etwa 2015) sowie Zustand nach Krampfaderoperation. Zudem werden frühere Unfälle genannt: eine konservativ behandelte Speichenfraktur rechts (2017) und eine nicht genau erinnerliche Unterschenkelfraktur im Alter von 10 bis 15 Jahren.

Festgehalten wurde ferner, dass "die Partei berichtet, immer wieder unter Kreuzschmerzen zu leiden. Eine radikuläre Symptomatik wird verneint. Ein auslösendes Moment kann nicht genannt werden. Beim Gehen tritt keine wesentliche Schmerzverstärkung ein. Zudem werden nachgeordnete Nackenbeschwerden angegeben. Die rechte Hand verkrampfe immer wieder über etwa 1 Minute, er müsse dann mit der anderen Hand nachhelfen. Zudem werden Schwindelsensationen angegeben, ein Tinnitus sei auf beiden Seiten im Sinne einer dauernden Beschwerdesymptomatik existent. Der Blutdruck sei gut eingestellt. Betreffend des Herzens werden auf Nachfrage keinerlei Beschwerden seit Beginn der Medikation angegeben. Eine Tachykardie sei bekannt. Derzeit ist eine Kortisontherapie aufgrund von atemabhängigen Beschwerden laufend. Die Abklärung erfolgte über den Pulmologen welche keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn gefunden habe. Eine Bronchitis sei die Ursache. Weiter Beschwerden werden auf Nachfrage verneint."

Unter "Ergebnis der durchgeführten Behinderung" wurde wie folgt festgestellt:


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Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
GdB %
1
Wirbelsäule, Wirbelsäule - Funktionseinschränkungen mittleren Grades, wiederkehrende Kreuzschmerzen ohne neurologische Ausfälle bei Z.n. Bandscheibenvorfall einsegmentig
30
2
ANALOG Herzmuskelerkrankungen, Herzmuskelerkrankung leichter Ausprägung Paroxysmal rezidivierend symptomatische Schmalkomplextachykardie
(V.a. AVNRT: DD: concealed WPW
Syndrom, DD. atnale Tachykardie) Therapierte Hypertonie Schwindelsymptomatik am ehesten peripher vaskulärer Genese
30
3
Hüftgelenke - Untere Extremitäten, Hüftgelenke - Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig Aufgehobene Innenrotation der Hüften bds. unterer Rahmensatz bei unauffälliger Beugung und Streckung
20
4
Hörorgan, Ohrgeräusche (Tinnitus) leichten bis mittleren Grades Tinnitus ohne nennenswerte psychische oder vegetative Begleiterscheinungen
10

Gesamtgrad der Behinderung: 40 v H.

"Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden 1 wird wegen ungünstiger wechselseitiger Beeinflussung durch Leiden 3 um eine Stufe erhöht. Leiden 2 erhöht wegen fehlender wechselseitige Beeinflussung nicht weiter. Leiden 4 erhöht wegen Geringfügigkeit nicht weiter."

Festgestellt wurde ferner, dass Gesundheitsschädigungen im Sinne von Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung vorliegen. Diese betreffen Erkrankungen des Verdauungssystems, Bluthochdruck sowie Herzleiden, wobei ein Grad der Behinderung von 30 % (GdB) anerkannt wurde.

Mit Bescheid vom bzw mit Sachverständigengutachten wurde keine rückwirkende Behinderung festgestellt.

2. Beweiswürdigung

Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers leitet sich aus dem Bescheid des Sozialministeriumservice vom sowie aus dem widerspruchsfreien und schlüssigen Sachverständigengutachten ab. Ebenso geht aus dem Gutachten eindeutig der oben zitierte Inhalt hervor.

Die Feststellung, dass mit Bescheid vom bzw mit Sachverständigengutachten keine rückwirkende Behinderung festgestellt wurde, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Zunächst ist festzuhalten, dass das Gutachten keine ausdrückliche Aussage darüber trifft, ob die Behinderung auch in der Vergangenheit bestanden hat. Eine Rückdatierung wird im Gutachten nicht explizit erwähnt.

Zwar werden frühere Diagnosen und Operationen erwähnt, aber allein die Erwähnung dieser Befunde bedeutet nicht, dass die Behinderung rückwirkend anerkannt wurde. Frühere Befunde können zwar zur Beurteilung des aktuellen Zustandes beitragen, doch folgt daraus nicht zwingend, dass die Behinderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt bestanden hat. Ein bestehender Zustand kann die Entwicklung einer Behinderung zwar begünstigen, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Kriterien einer Behinderung bereits in der Vergangenheit erfüllt waren.
Schließlich stellt das vorliegende Gutachten fest, dass sich der ermittelte Gesamtgrad der Behinderung auch aus der ungünstigen wechselseitigen Beeinflussung der Leiden (insbesondere Leiden 1 und 3) ergibt. Keineswegs nimmt das Gutachten dabei auf einen vor den Zeitpunkt der Begutachtung objektivierten Zeitpunkt Bezug. Abschließend ist anzumerken, dass der Bf im Rahmen der Untersuchung selbst angegeben hat, ein auslösendes Moment könne nicht genannt werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 34 Abs 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:

1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).

2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).

3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4). […]

Gemäß § 34 Abs 4 leg cit beeinträchtigt die Belastung wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt. Der Selbstbehalt beträgt bei einem Einkommen von höchstens 7 300 Euro 6%; mehr als 7 300 Euro bis 14 600 Euro 8%; mehr als 14 600 Euro bis 36 400 Euro 10%; mehr als 36 400 Euro 12%.

Gemäß § 34 Abs 6 leg cit können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes folgende Aufwendungen abgezogen werden:

  • Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5).

  • Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

§ 35 Abs 1 EStG 1988 lautet:

Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung […] und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.

(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen, […]

bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Person behindert ist, ist nicht von der Abgabenbehörde, sondern bindend (-I/11) von einer anderen Stelle zu treffen (). Zuständig ist im Regelfall das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, nunmehr das "Sozialministeriumservice".

Ein Behindertenpass wird nur ausgestellt, wenn der Grad der Behinderung mindestens 50 % beträgt (§ 40 BBG). Liegt der Grad der Behinderung unter 50 %, ergeht ein Abweisungsbescheid. Der Bescheid enthält jedoch im Spruch den vom Sozialministeriumservice festgestellten Grad der Behinderung, sofern dieser mindestens 25 % beträgt (Jakom/Peyerl EStG, 2024, § 35 Rz 8).

Der Entscheidung der Abgabenbehörde sind die jeweils vom Sozialministeriumservice übermittelten Daten zugrunde zu legen (). Eine rückwirkende Ausstellung eines Behindertenpasses ist grundsätzlich nicht möglich (). Ist die Behinderung aber die Folge eines Ereignisses (Unfall, Operation, Spitalsaufenthalt), gilt der festgestellte Grad der Behinderung auch für steuerliche Zwecke rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Ereignisses, wenn das Bundesamt die Behinderung rückwirkend festgestellt hat (; ; -I/11; ; ; ).

Nach den getroffenen Feststellungen wurde im gegenständlichen Fall zum Zeitpunkt der Begutachtung keine rückwirkende Behinderung festgestellt. Insofern war der Beschwerde der Erfolg zu versagen.

Auf die Frage, ob die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen € 295,20 oder € 516,32 betragen, war nicht weiter einzugehen, zumal diese unter Berücksichtigung eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen sind. Der Selbstbehalt beträgt im konkreten Fall € 3.012,02, sodass sich keine steuerlichen Auswirkungen ergäben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Beschwerdefall lag keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Das Erkenntnis folgte vielmehr der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Im Übrigen handelt es sich bei der Beurteilung der Frage, ob im Beschwerdefall eine rückwirkende Feststellung einer Behinderung vorliegt, um eine Sachfrage und nicht um eine Rechtsfrage. Diese Frage ist einer ordentlichen Revision nicht zugänglich.

Innsbruck, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at