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Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 17.09.2024, RV/3100426/2024

Unerledigte Beschwerde gegen Wiederaufnahmebescheid

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht beschließt durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***,

  • über die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 des Finanzamtes Österreich vom ,

  • über die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2019 des Finanzamtes Österreich vom ,

  • über die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2020 des Finanzamtes Österreich vom , sowie

  • über die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2021 des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer ***BF1StNr1*** :

I. Die Beschwerdevorentscheidungen vom betreffend Einkommensteuer 2018 - 2021 werden aufgehoben.

II. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensgang und Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (in Folge kurz: Bf) reichte seine Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung für die Jahre 2018 - 2021 beim Finanzamt Österreich ein, wobei die Veranlagung entsprechend der gemachten Angaben zunächst erklärungsgemäß erfolgte.

In weiterer Folge brachte der Bf hinsichtlich der ergangenen Einkommensteuerbescheide über FinanzOnline Abänderungsanträge gemäß § 295a BAO ein und begründete diese im Wesentlichen damit, dass aufgrund eines Bescheides des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom eine 40%ige Behinderung festgestellt worden sei und daher ein Freibetrag für die Behinderung, ein Freibetrag für Diätverpflegung aufgrund einer Magenerkrankung sowie tatsächliche Aufwendungen für Heilbehandlungen ohne Selbstbehalt rückwirkend für die betreffenden Jahre beantragt werde.

Die Abgabenbehörde wertete die Abänderungsanträge als Wiederaufnahmeanträge und nahm die Verfahren für die Jahre 2018 - 2020 mit der Begründung "die Wiederaufnahme erfolgte aufgrund Ihres Antrages" wieder auf.
Die neu erlassenen Einkommensteuerbescheide erfuhren hinsichtlich des Spruchbetrages (Einkommen, festgesetzte Einkommensteuer) keine Änderung.
Hinsichtlich des Jahre 2021 erfolgte eine Aufhebung gem § 299 BAO einer Beschwerdevorentscheidung vom , wobei wiederum auf den Antrag des Bf verwiesen wurde. Ein bereits mit der Beschwerdevorentscheidung berücksichtigter Pauschbetrag nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen aufgrund der Behinderung eines Kindes wurde nunmehr nicht mehr anerkannt.
Die beantragten Aufwendungen für Heilbehandlungen wurden in den neu erlassenen Einkommensteuerbescheiden zwar berücksichtigt, jedoch mit einem Selbstbehalt, der sich steuerlich nicht auswirkte. Der Freibetrag wegen Behinderung wurde weiterhin nicht berücksichtigt.

Schließlich brachte der Bf Beschwerden gegen die Bescheide "betreffend die Arbeitnehmerveranlagung" ein und führte anspruchsbegründend aus, dass ein Antrag gem § 295a BAO eingebracht worden sei. Dieser Antrag sei entgegen den Bestimmungen der BAO als Wiederaufnahme des Verfahrens bzw Aufhebung nach § 299 BAO behandelt worden. Eine solche Erledigung sei mit der BAO formell nicht vereinbar.

Zur "inhaltlichen Beurteilung des Sachverhaltes" werde auf die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2021 verwiesen.
In dieser wurde vorgebracht, dass dem Bf mit Bescheid des Bundessozialamtes diverse gesundheitliche Einschränkungen bescheinigt worden seien, die bereits seit dem Jahr 2017 bestünden. Genau für solche Sachverhalte habe der Gesetzgeber mit Wirkung vom § 295a BAO eingeführt. Der Antrag nach § 295a BAO sei auch als solcher zu erledigen. Obwohl eine diesbezügliche Änderung keine Bescheidaufhebung darstelle, habe das Finanzamt aus nicht nachvollziehbaren Gründen hinsichtlich des Jahres 2021 die Bescheidaufhebung als Erledigungsart gewählt. Erschwerend komme hinzu, dass durch die Aufhebung gemäß § 299 BAO auch der bereits anerkannte Pauschbetrag wegen Behinderung eines Kindes wieder rückgängig gemacht worden sei.

Mit Beschwerdevorentscheidungen betreffend Einkommensteuer 2018 - 2021, allesamt vom , wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen und begründend ausgeführt, dass aufgrund der Feststellung der Behinderung erst im Jahr 2023 eine rückwirkende Berücksichtigung des Freibetrages für die Behinderung für die verfahrensgegenständlichen Jahre nicht möglich sei. Für die Beurteilung des Grades der Behinderung und ob diese Behinderung bereits rückwirkend bestehe, sei ausschließlich das Sozialministeriumservice zuständig. Aus dem vorliegendem Bescheid des Sozialministeriumservice sei jedoch keine rückwirkende Feststellung erkennbar.

Mit fristgerecht eingebrachten Vorlageanträgen brachte der Bf ergänzend vor, es sei richtig, dass keine rückwirkende Feststellung ersichtlich sei, jedoch sei aus dem Gutachten auch nicht zu entnehmen, dass eine rückwirkende Feststellung nicht anzuerkennen sei (Vorlageantrag 2018). Weiters ergebe sich aus den Richtlinien zur Bescheidänderung gem § 295a BAO eindeutig, dass der Nachweis einer Behinderung gemäß § 35 Abs 2 EStG 1988 ein rückwirkendes Ereignis darstellen könne. In den Richtlinien sei auch angeführt, welche bescheidmäßigen Erledigungen von Anträgen gem § 295a BAO möglich seien. Dies seien: Zurücknahmebescheide, Zurückweisungsbescheide, abweisende Bescheide (wenn lt. Meinung der Behörde kein rückwirkendes Ereignis vorliege) und stattgebende Bescheide. Abweichend von diesen Erledigungsarten sei der gegenständliche Antrag - wie im Übrigen auch für die Jahre 2018 und 2020 - in Form einer Wiederaufnahme des Verfahrens erledigt worden. Die in diesem Zusammenhang erhobenen Einwendungen seien von der Abgabenbehörde nicht beantwortet worden. Auch hinsichtlich des Jahres 2021 sei ein Antrag gemäß § 295a BAO eingebracht worden. Aus unerklärlichen Gründen sei jedoch ein Aufhebungsbescheid gem § 299 BAO ergangen.

Die Beschwerden betreffend Einkommensteuer der Jahre 2018 - 2021 wurden dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt.

2. Beweiswürdigung

Der Verfahrensgang bzw der festgestellte Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus den bezeichneten Bescheiden und Urkunden. Hinsichtlich der Richtigkeit dieser Dokumente hat das Bundesfinanzgericht keine Bedenken.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung)

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Beurteilung von Parteianträgen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und zufällige verbale Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes (; ; ; ).

Dem Inhalt der Beschwerden ist zu entnehmen, dass sich der Bf auch gegen die verfahrensrechtlichen Bescheide - konkret gegen die Wiederaufnahme- und Aufhebungsbescheide gemäß § 299 BAO - wendet. Er führt aus, dass er einen Antrag gemäß § 295a BAO gestellt habe, der auch in dieser Form zu behandeln sei. Mit dem Hinweis auf die "inhaltliche Beurteilung des Sachverhaltes" setzt sich der Bf im Wesentlichen mit der verfahrensrechtlichen Problematik auseinander.
Das erkennende Gericht ist daher der Ansicht, dass der Beschwerdeführer nach dem Inhalt seiner Beschwerden auch Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide und den Aufhebungsbescheid erhebt. Diese Einschätzung wird durch das Vorbringen im Vorlageantrag gestützt, in dem der Bf betont, dass Anträge nach § 295a BAO entweder durch Zurücknahme, Zurückweisung, Abweisung oder Stattgabe zu erledigen sind. Abweichend von diesen Erledigungsformen sei im vorliegenden Fall jedoch eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw Aufhebung erfolgt.

Die Beschwerden gegen die Wiederaufnahmebescheide betreffend die Jahre 2018 - 2020 und die Beschwerde gegen den Aufhebungsbescheid gem § 299 BAO betreffend das Jahr 2021 wurden jedoch von der Abgabenbehörde keiner Erledigung zugeführt.

Werden sowohl Wiederaufnahmebescheide als auch die im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Sachbescheide mit Beschwerde bekämpft, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid zu entscheiden. Wird das Rechtsmittel gegen den Wiederaufnahmebescheid unerledigt gelassen und vorerst über die Beschwerde gegen den neuen Sachbescheid abgesprochen, ist die Entscheidung der Berufungsbehörde inhaltlich rechtswidrig (; ).

Derartige Beschwerdevorentscheidungen, die solche Reihenfolgen nicht einhalten, sind vom Verwaltungsgericht aufzuheben (Ritz/Koran, BAO7 § 281a BAO Rz 6 ff; , ; ). Gleiches gilt für Beschwerden gegen einen Aufhebungsbescheid und einen neuen Sachbescheid (Ritz/Koran, BAO7 § 299 Rz 45).

Im fortgesetzten Verfahren wird die Abgabenbehörde zunächst über die Beschwerden gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens sowie über die Beschwerde zur Aufhebung nach § 299 BAO zu entscheiden haben. Sollte die Abgabenbehörde weiterhin der Auffassung sein, dass der Bf einen Wiederaufnahme- bzw. Aufhebungsantrag gestellt hat und nach entsprechender Ermessensausübung die verfahrensrechtlichen Bescheide als rechtmäßig erachten, wird sie neue Beschwerdevorentscheidungen hinsichtlich der Einkommensteuer erlassen müssen. Gelangt die Behörde hingegen zu dem Ergebnis, dass die Wiederaufnahme oder Aufhebung nicht rechtskonform erfolgte, verlieren die neu erlassenen Einkommensteuerbescheide ex lege ihre Wirksamkeit. In diesem Fall wäre der dadurch wieder unerledigte "Antrag nach § 295a BAO" einer Entscheidung zuzuführen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Bei der Lösung gegenständlichen Rechtsfrage orientierte sich das Gericht an der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb eine Revison nicht zulässig ist.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 35 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 281a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise






ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.3100426.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at