Verjährung bei abgeleitetem Bescheid
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Helga Hochrieser in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch TPA STB Wien GmbH Wien, Wiedner Gürtel 13, Turm 24, 1100 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamts Wien 9/18/19 Klosterneuburg (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer 2004, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Laut Nichtfeststeststellungsbescheid des Finanzamts Neunkirchen Wiener Neustadt vom für das Jahr 2004 betreffend INET Internet Service GmbH und Mitges. (St.nr.: ***) wurden von der Mitunternehmerschaft für den streitgegenständlichen Zeitraum auf Grund von Scheinrechnungen Verluste erklärt.
Diese mit Bescheid vom als unrechtmäßig beurteilten Verluste waren zunächst in den von den vorher erlassenen Grundlagenbescheiden abgeleiteten Einkommensteuerbescheiden bei den einzelnen Mitunternehmern einkommenswirksam berücksichtigt worden. Aufgrund des Grundlagenbescheids vom wurden diese Verluste bei den einzelnen Beteiligten in den Streitjahren gestrichen.
Im Vorfeld zum genannten Grundlagenbescheid waren wiederholt Nichtbescheide und anschließende neue Erstbescheide (Feststellungsbescheide) erlassen worden. Dementsprechend erfolgten mehrfach Abänderungen der abgeleiteten Einkommensteuerbescheide des Jahres 2004.
Mit dem gegenständlich angefochtenen Einkommensteuerbescheid setzte das Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg (FA 07) die Einkommensteuer des Beschwerdeführers (Bf.) u.a. unter Berücksichtigung des Grundlagenbescheides vom betreffend Mitunternehmerschaft (atypisch stillen Beteiligung) an der INET Internet Service GmbH und Mitges., St.nr.: ***, fest.
In seiner rechtzeitig eingebrachten Berufung (nunmehr Beschwerde) vom wandte der steuerliche Vertreter des Bf. im Wesentlichen ein, dass die angefochtenen Bescheide rechtswidrig seien, da bereits Bemessungsverjährung gemäß § 207 Abs. 2 BAO eingetreten sei. Im Jahr 2010 seien keine Unterbrechungshandlungen durchgeführt worden, weshalb die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer 2004 mit Ende 2010 abgelaufen sei.
Zudem verwies der Bf. auf die Nichtigkeit des Grundlagenbescheides vom . Ein derartiger Nichtbescheid könne keine nach außen erkennbare Rechtswirksamkeit entfalten.
Die Berufung bzw. Beschwerde gegen die strittigen Einkommensteuerbescheide wurde ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung (nunmehr Beschwerdevorentscheidung) an den damaligen UFS vorgelegt.
Das Bundesfinanzgericht hat über die Beschwerde erwogen:
Gemäß § 207 Abs. 2 BAO idF BGBl. I Nr. 57/2004 beträgt die Verjährungsfrist bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist sieben Jahre.
Durch BGBl. I Nr. 105/2010 wurde mit Wirksamkeit die Verjährungsfrist für hinterzogene Abgaben auf zehn Jahre verlängert. Die Verjährung beginnt gemäß § 208 Abs. 1 lit a BAO mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.
Gemäß § 209 Abs 1 BAO verlängern nach außen erkennbare, zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77) von der Abgabenbehörde unternommene, Amtshandlungen die Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist.
Nach § 209 Abs. 3 BAO idF BGBl. I Nr. 180/2004 verjährt das Recht auf Festsetzung einer Abgabe spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches.
Abgabenbehördliche Prüfungen, deren Gegenstand Feststellungsverfahren (Feststellungs-bescheide) sind, verlängern die Verjährungsfrist der von den Feststellungsbescheiden jeweils abgeleiteten Abgaben (; 98/15/0056; vgl. Ritz, BAO, 6. Auflage, § 209 Tz. 16). Dies gilt auch für auf Erlassung solcher Feststellungsbescheide gerichtete Amtshandlungen, wie z.B. Vorhalte (u.a. ) oder Außenprüfungen (Ritz, BAO-Kommentar, 4. Auflage, § 209 Tz 9 mit Verweis auf , 0060, 0061).
Der Bf. war unstrittig im Streitjahr u.a. an der INET Internet Service GmbH und Mitges. (St.Nr. 33 - ***, INET II) als Mitunternehmer (atypisch stiller Gesellschafter) beteiligt.
Am und am erfolgten jeweils automatische Bescheidänderungen des Einkommensteuerbescheids 2004 gemäß § 295 Abs. 1 BAO. Gegen den Bescheid vom wurde eine Berufung eingebracht, die mit BVE vom abgewiesen wurde.
Am sowie am erfolgten Bescheidänderungen gemäß § 295 BAO. Am erfolgte eine Bescheidberichtigung gem. § 293 BAO zum Bescheid vom .
Am erging dann der hier angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2004, welcher eine Änderung gemäß § 295 Abs. 1 BAO (zum Bescheid vom ) ist.
Daraus folgt für das Streitjahr:
Die fünfjährige Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer des Jahres 2004 begann mit Ablauf des Jahres 2004 zu laufen und endet - sofern keine Verlängerungshandlung iSd § 209 Abs.1 BAO gesetzt wurde - mit Ablauf des Jahres 2009.
Während dieser fünfjährigen Festsetzungsverjährung erging der Einkommensteuer-Erstbescheid vom , wodurch sich die Verjährungsfrist bis zu Ablauf des Jahres 2010 verlängerte.
Außerdem wurde in den Jahren 2005 bis 2006 erstmals eine Außenprüfung durchgeführt (= Verlängerungshandlung) sowie erfolgte die Durchführung der Bp im Feststellungsverfahren in den Jahren 2009 (= Verlängerungshandlung) und 2010 sowie den Abschluss der Bp im Jahr 2010 (= Verlängerungshandlung).
Weiters wurde am im Rahmen der Ermittlungen zu den Feststellungsbescheiden 2000 bis 2007 zur Geltendmachung des Angabenanspruchs ein Ergänzungsersuchen des FA Neunkirchen Wiener Neustadt an INET System Informations GmbH und Mitges. gerichtet mit dem Auftrag, Anlegerinformationen und Prospekte sowie die ausgesandten Ergebnismitteilungen zu übermitteln. Im Jahr 2009 wurde am der Prüfungsauftrag betreffend die INET System Informations GmbH und Mitges. mit Prüfungsgegenstand der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung 2000 - 2007 erlassen und mit den Prüfungshandlungen begonnen.
Im Jahr 2010 wurden am nach Wiederaufnahme geänderte Festellungsbescheide für 2001 bis 2004 betreffend INET Internet Service GmbH und Mitges. sowie am ein Bescheid gemäß § 293b BAO zur Einkommensteuer des Bf. für 2004 erlassen.
Weiters erfolgte 2010 mit Berufungsvorentscheidung (BVE) vom eine Abweisung der Berufung vom , somit vor Ablauf des Jahres 2010.
Durch all diese nach außen gerichteten Amtshandlungen in den Feststellungsverfahren sowie im Einkommensteuerverfahren des Bf. verlängerte sich für 2004 die Verjährung bis zum Ablauf des Jahres 2011.
Am erging im Einkommensteuerverfahren 2004 des Bf. ein gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderter Bescheid. Dies verlängerte die Verjährungsfrist bis Ende 2012.
Im Jahr 2012 erging am ein Bescheid gemäß § 293 BAO. Diese Verlängerungshandlung verlängerte die Verjährungsfrist bis zum Ablauf des Jahres 2013.
Betreffend Einkommensteuer (ESt) 2004 gab es am im Feststellungsverfahren (vom Prüfungsergebnis ausgehend) Wiederaufnahmen gemäß § 303 Abs. 4 BAO sowie neue Feststellungsbescheide mit diesem Datum. Obwohl sich im weiteren Verfahren (beim UFS/BFG) herausstellte, dass dies sogenannte "Nichtbescheide" waren, ist die Erlassung dieser Schriftstücke nach Rechtsansicht des BFG trotzdem als nach außen gerichtete Amtshandlung zu werten.
Verschiedentlich war zwar die Auffassung vertreten worden, dass "schriftliche Bescheide nur dann als sonstige Erledigungen im Sinne des § 209 Abs. 1 BAO gelten würden, wenn diese auch zugestellt wurden, was für nichtexistente Bescheide jedenfalls zu verneinen sein wird."
Dieser Auffassung ist jedoch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2022/15/0001, entgegenzuhalten. Demnach hält der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) die zur Rechtslage vor dem AbgÄG 2004 (BGBl. I 2004/180) bestehende Rechtsprechungslinie, wonach schriftliche Bescheide nur bei rechtswirksamer Zustellung Amtshandlungen iSd § 209 BAO für die neue Rechtslage - in der § 209 BAO von einem bisherigen Unterbrechungs- in einen bloßen Verlängerungstatbestand verwandelt wurde - nicht mehr aufrecht. Der VwGH erkannte weiters, dass nicht nur bescheidmäßige Erledigungen Verlängerungshandlungen darstellen. Vielmehr kommt diese Eigenschaft jeder nach außen erkennbaren Handlung zur Geltendmachung eines bestimmten Abgabenanspruches zu. Es kommt auch nicht darauf an, ob diese Amtshandlung konkret geeignet ist, den angestrebten Erfolg, nämlich die Durchsetzung des Anspruches, zu erreichen.
Es genügt vielmehr, dass die Amtshandlung nach außen in Erscheinung tritt und erkennbar den Zweck verfolgt, den Anspruch gegen einen bestimmten Abgabenschuldner durchzusetzen. Sogar der Umstand, dass dieser Abgabenschuldner im Zeitpunkt dieser Amtshandlung nicht mehr existiert und die Geltendmachung des Abgabenanspruchs etwa richtigerweise gegen dessen Rechtsnachfolger erfolgen müsste, führt zu keiner anderen Beurteilung (; zu einer möglichen Verlängerungswirkung von Bescheiden unabhängig von ihrer rechtswirksamen Zustellung vgl. auch bereits ).
Mit den genannten von der Abgabenbehörde gesetzten Verfahrenshandlungen im Sinne des § 209 Abs. 1 2. Satz BAO verlängerte sich die Verjährungsfrist bis zu Ablauf des Jahres 2013.
Im Jahre 2013, nämlich am , wurde der gegenständlich bekämpfte Bescheid erlassen.
Diese Feststellungen sind aus dem Akteninhalt der Finanzamtsakten zu den Einkommensteuer- und Feststellungsverfahren ableitbar und besteht kein Grund die Richtigkeit des Akteninhaltes anzuzweifeln.
Der Einwand der (damaligen) steuerlichen Vertretung des Bf., wonach die Festsetzungsverjährung der Einkommensteuer 2004 mit Ablauf des Jahres 2010 eingetreten sei, vermag der Beschwerde in diesem Punkt nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Bundesfinanzgerichtes immer in der Sache selbst zu entscheiden. Das Bundesfinanzgericht ist danach berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen. Dabei hat das Bundesfinanzgericht nach der Sach- und Rechtslage zu entscheiden, die im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegt und somit auch jene Feststellungsbescheide zu Grunde zu legen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesfinanzgerichts dem Rechtsbestand angehören ().
Für den Beschwerdefall bedeutet dies, dass die zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des Bundesfinanzgerichts hinsichtlich der Feststellungsbescheide zur DVM II zu St.nr. *** bzw. *** - RV/7100470/2014 vom - sowie (aufgrund des rechtskräftigem BFG-Erkenntnisses RV/7102483/2013 vom bzw. BP-Bericht vom 29.22.2010 (ABNr.: 121095/09) zur St.nr. *** (INET II) - bei der Festsetzung der Einkommensteuer für 2004 zu berücksichtigen sind.
Aufgrund der zwischenzeitlichen Änderungen der Feststellungen betragen die Einkünfte aus Gewerbebetrieb nunmehr wie folgt (in Euro):
Einkommensteuer 2004
Beteiligung DVM II (*** bzw. ***): € - 76.907,52 (aufgrund des rechtskräftigen BFG-Erkenntnisses vom , RV/7100470/2014109)
Beteiligung St.nr. *** "How to spend it Verlag GmbH u. Mitges.": € - 613,72
Beteiligung INET II: 0,00 (aufgrund des rechtskräftigem BFG-Erkenntnisses RV/7102483/2013 vom bzw. BP-Bericht vom 29.22.2010 (ABNr.: 121095/09) zur St.nr. ***
Einkünfte aus Gewerbebetrieb 2004 laut BFG: € - 77.521,24
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Beilagen: Berechnungsblatt - Einkommensteuer 2004
Zur Zulässigkeit der Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Einer Rechtsfrage kann nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (z.B. ).
Zu den Rechtsfragen, ob Verlängerungshandlungen im Rahmen des Feststellungsverfahrens auch für die abgeleiteten Bescheide Wirkung entfalten (; 98/15/0056) und welche Handlungen der Abgabenbehörde eine Verlängerungshandlung darstellen (; , 2001/13/0059, 0060, 0061) besteht bereits eine umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs.
Die Revision war daher spruchgemäß nicht zuzulassen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 208 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 209 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 209 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 295 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102005.2013 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at