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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.08.2024, RV/5100496/2024

Kein Nachweis der Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres und kein FB-Anspruch bei Unterhaltspflicht durch den Ehegatten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Wolfgang Obrecht, Lederergasse 21, 4020 Linz, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab 12/2007 Sozialversicherungsnummer ***123***

I. den Beschluss gefasst:

Der angefochtene Bescheid wird für den Zeitraume 12/2007 bis 09/2018 dahingehend abgeändert, dass der Spruch dieses Bescheides zu lauten hat, dass die Beschwerde in Ansehung dieses Zeitraumes zurückgewiesen wird.

II. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird hinsichtlich des Zeitraumes ab 10/2018 als unbegründet abgewiesen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Am langte beim Finanzamt ein Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Dezember 2007 und ein Antrag auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ein.

2. Im über Ersuchen der belangten Behörde und im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (kurz: "Sozialministeriumservice") erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde wie folgt festgestellt:

Zusätzliche Anmerkungen:

Grad der Behinderung liegt vor seit 03/2020.

Begründung für die rückwirkende Feststellung:

3. Beide Anträge wurden in der Folge mit Bescheiden jeweils vom als unbegründet abgewiesen. Aus der Begründung:

"Sie haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn Sie voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sind. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Bei Ihnen trifft dies nicht zu (§ 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967)."

4. Gegen die abweisenden Bescheid wurde am fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründet wurde die Beschwerde wie folgt:

"Mein Antrag auf (erhöhte) Familienbeihilfe, wurde mit der Begründung abgewiesen, dass ich im Jahr 2013 eine Ausbildung zur Operationsgehilfin abgeschlossen habe. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich diese Ausbildung (ein 6 Monate langer Kurs beim BFI) erst beim zweiten Mal geschafft habe und nie ausgeübt habe, weil ich dazu einfach nicht in der Lage bin.

Im Abweisungsbescheid wurde vom zuständigen Arzt mit keinem Wort erwähnt, dass ich unter einer Vielzahl von Halluzinationen leide. Vom fälschlicherweise wahrgenommenen Rauch- und Gasgeruch, zu in Realität nichtexistierenden Stimmen, Geräuschen und bedrohlichen, mir Angst einjagenden, Bildern. Das dies oft zu Panikattacken führt wurde auch nicht erwähnt. Es wäre also schlicht fahrlässig, wenn ich tatsächlich dem Beruf der Operationsgehilfin nachgehen würde.

Außerdem habe ich wesentlich simplere Aufgaben zb bei meiner kurzen Anstellung im ***Z*** nicht nachgehen können, weswegen ich auch rasch wieder Kündigen musste.

Ich möchte darum um erneute Prüfung des Antrags bitten und diesen somit erneut stellen. Ich bin 24 Stunden am Tag auf meine Mutter und / oder meinen Ehemann angewiesen. Wenn diese nicht bei mir sind, verliere ich die Orientierung. Auch dieses Schreiben bringe ich nur zu Stande, weil die beiden mir helfen."

5. In der Folge wurde neuerlich über Ersuchen der belangten Behörde und im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (kurz: "Sozialministeriumservice") ein ärztliches Sachverständigengutachten vom erstellt.

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

50 % ab 03/2024 entsprechend dem Fachbefund vom Dr. ***A.***, ***KH***;
30 % ab 03/2020 Dr. ***A.***, ***KH***; posttraumatische Belastungsstörung, PCO-Syndrom. Eine rückwirkende Anerkennung vor diesem Zeitpunkt ist aufgrund fehlender Brückenbefunde nicht möglich.

Die Beschwerdeführerin ist seit 03/2024 voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Aus der Begründung:

"[…] Laut Gutachten des Sozialministeriumservice wurde bei Ihnen eine voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit ab bescheinigt.

Demnach ist die voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vor dem 21. Lebensjahr, also vor dem , eingetreten.

Da die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen germ. § 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 nicht erfüllt sind, besteht kein Anspruch auf die Familienbeihilfe sowie den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe."

7. Mit Vorlageantrag vom , eingelangt am wurde die Entscheidung über die Beschwerde durch das Finanzamt Österreich (gemeint wohl: Bundesfinanzgericht) beantragt. Aus der Begründung:

"Die Begründung der Abweisung der Beschwerde vom 24.01.1024 erfolgte deshalb, weil laut Gutachten des Sozialministeriumservice eine voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit ab bescheinigt wird. Demnach sei die voraussichtliche dauernde Erwerbsfähigkeit nicht vor dem 21. Lebensjahr, also nicht vor dem , eingetreten.

Diese Begründung ist unrichtig, weil die Anspruchsvoraussetzungen gern. § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 dennoch erfüllt sind und daher Anspruch auf Familienbeihilfe sowie der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe richtigerweise doch besteht, wenn man sich die gesundheitlichen Zustände/Voraussetzungen genauer ansieht. Hier muss ein grundlegender Fehler in der Begutachtung und in der Beurteilung der Gesundheitssituation vorliegen, weil bei der Beschwerdeführerin die Krankheit und die schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen schon lange vor dem Erreichen des 21. Lebensjahres bzw. dem eingetreten sind. Hier liegt ein Befund auf aus dem Jahre 2007, das ist eindeutig vor den obgenannten Zeitpunkten.

Beweis/Bescheinigung: Krankengeschichte/medizin. Unterlagen (Anmerkung der Richterin: dem Vorlageantrag beigelegt war der Befund vom Dr. ***X*** und der Befund vom Dr. ***Y***)

Aus all diesen Gründen ist die Beschwerdevorentscheidung zu Unrecht erfolgt und der gegenständliche Vorlageantrag zurecht eingebracht."

8. Mit Vorlagebericht vom wurde der Akt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

Am beantragte die Beschwerdeführerin die Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Dezember 2007 und den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung.

Die Beschwerdeführerin wurde im November 1995 geboren und hat im November 2016 das 21. Lebensjahr vollendet.

Laut Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen liegt ein Grad der Behinderung von 30 v.H. seit 03/2020 bzw. 50 v.H. seit 03/2024 vor. Seit 03/2024 liegt eine vorübergehende Erwerbsunfähigkeit auf Grund der psychischen Erkrankung vor.

Es ist nicht feststellbar, dass eine voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist.

Die Beschwerdeführerin ist seit verheiratet. Das durchschnittliche Jahreseinkommen des Gatten betrug in den Jahren 2019 bis 2023 etwa € 24.500.

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig.

Die Feststellung des Grades der Behinderung/Erwerbsunfähigkeit beruhen auf den oben wiedergegebenen, im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erstellten in den wesentlichen Aussagen schlüssigen Gutachten vom und .

Zur Begründung warum diese beiden Gutachten als Beweismittel heranzuziehen sind:

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis , ausgeführt, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG ergebe, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (bereits seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden könne. Damit könne auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung (sh. zB , und ) der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen; daraus folgt, dass auch das Bundesfinanzgericht für seine Entscheidungsfindung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen hat, sofern diese als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens zu überprüfen, ob die erstellten Sachverständigengutachten diesem Kriterium entsprechen.

Die Gutachter haben bei ihrer Einschätzung sämtliche ihnen vorliegenden Unterlagen gewürdigt und hieraus die entsprechenden Schlüsse gezogen. Auch die mit Vorlageantrag übermittelten Ambulanzberichte vom und sind bei den Begutachtungen berücksichtigt worden. Eine Unschlüssigkeit der Gutachten ist für das Bundesfinanzgericht nicht erkennbar.

Vor diesem Hintergrund können die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen angenommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

3.1.1. Zeitraum 12/2007 bis 09/2018

Gemäß § 10 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) wird die Familienbeihilfe nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind ist dabei besonders zu beantragen.

Gemäß § 10 Abs. 3 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Nach § 10 Abs. 3 FLAG 1967 ist somit für Zeiträume, die weiter als fünf Jahre, gerechnet vom Beginn des Monats der Antragstellung, zurückliegen, Familienbeihilfe nicht zu gewähren. Mit Ablauf dieser Frist ist der Anspruch auf Familienbeihilfe für weiter zurückliegende Zeiträume erloschen, ohne dass der Gesetzgeber dabei darauf abstellt, ob dem Antragsteller allenfalls nicht die gesamte Frist zur Antragstellung offenstand ( unter Verweis auf ).

Die Beschwerdeführerin beantragte erstmals am die Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab Dezember 2007.

Mit Abweisungsbescheid vom hätte auf Grund der Bestimmung des § 10 Abs. 3 FLAG 1967 nur über den Zeitraum ab 10/2018 "in der Sache" abgesprochen werden dürfen. Da die Beschwerdeführerin die Zuerkennung der Familienbeihilfe einschließlich des Erhöhungsbetrages ab Dezember 2007 und sohin für einen längeren, als den gesetzlich maximal zulässigen Rückwirkungszeitraum (fünf Jahre rückwirkend ab erster Antragstellung am und sohin ab Oktober 2018) beantragt hat, war dieser Antrag für den Zeitraum Dezember 2007 bis September 2018 wegen verspäteter Antragstellung als unzulässig zurückzuweisen und der Abweisungsbescheid dahingehend abzuändern, dass die Anträge als verspätet zurückzuweisen waren.

3.1.2. Zeitraum ab 10/2018

Gesetzliche Grundlagen:

§ 6 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und [...]

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie [...]

d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden, oder [...]

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind. Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Die Feststellung des Behindertengrades eines Kindes, für das erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 4 FLAG beantragt wurde, hat somit nach den Bestimmungen des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen.

Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Anspruchsvoraussetzung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 (vor dem 21. LJ eingetretene Erwerbsunfähigkeit)

Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO iVm § 2a BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Wie unter Punkt 2 ausgeführt, besteht eine Bindung der Abgabenbehörden und auch des Bundesfinanzgerichtes an die im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 erstellten Gutachten, sofern diese schlüssig sind. Wie oben dargestellt, ist die Schlüssigkeit des Gutachtens im gegenständlichen Verfahren erstellten Sachverständigengutachten nicht in Zweifel zu ziehen.

Immer dann, wenn eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice, wonach eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist, nicht vorgelegt werden kann und daher der Eintritt einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht festgestellt werden kann, trifft die Beweislast denjenigen, zu dessen Gunsten die entsprechende Tatsache wirken würde: Das Finanzamt hat die Beweislast für Tatsachen zu tragen, die einem Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag entgegenstehen oder einschränken, der Antragsteller für Tatsachen, die den Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag begründen oder ausweiten. Bescheinigt das Sozialministeriumservice lege artis den Eintritt einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres (vor Abschluss einer Berufsausbildung, aber vor Vollendung des 25. Lebensjahres) nicht, geht dies zu Lasten des Antragstellers (vgl ).

Der Nachweis einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres der Beschwerdeführerin eingetretenen voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit konnte nicht erbracht werden.

Somit steht der Beschwerdeführerin weder der Grund - noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu, weshalb der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein konnte.

Wenn der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin darauf verweist, die Krankheit/Behinderung habe bereits seit der Kindheit der Beschwerdeführerin bestanden, so wird insbesondere auf das Erkenntnis des , hingewiesen in dem der Gerichtshof Folgendes ausführt:

"§ 6 Abs 2 lit. d FLAG stellt darauf ab, dass der Vollwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit Längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs 2 lit d FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt."

Somit mag es durchaus zutreffen, dass der Beginn der Erkrankung vor dem 21. Lebensjahr liegt; es gibt aber keinerlei Hinweis darauf, dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt einen Grad erreicht hat, der eine dauernde Erwerbsunfähigkeit bewirkt hat.

Mangels zweifelsfreiem Nachweis einer noch vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen dauernden Erwerbsunfähigkeit sind die gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 erforderlichen Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe als Eigenanspruch nicht erfüllt. Die Beschwerde ist daher bereits aus diesem Grund abzuweisen.

Zum Ausschließungsgrund des § 6 Abs. 1 lit b FLAG 1967 (Unterhaltsanspruch durch Ehegatten):

Ist einem verheirateten Kind Unterhalt von seinem Ehegatten zu leisten, haben die Eltern keinen Anspruch auf Familienbeihilfe und es besteht kein Eigenanspruch des Kindes, wobei es nicht darauf ankommt, ob tatsächlich Unterhalt geleistet wird (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 6 Rz 9).

Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist in erster Linie seine wirtschaftliche Lage maßgeblich, wobei sein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen die Summe aller ihm tatsächlich zufließenden Mittel ist, also sämtliche welcher Art immer auch tatsächlich erzielten Einkünfte. Die Einkünfte können in Geld oder geldwerten Leistungen bestehen (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 6 Rz 13).

Das durchschnittliche Jahreseinkommen des Gatten betrug in den Jahren 2019 bis 2023 etwa € 24.500. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin ist daher in der Lage, der Beschwerdeführerin Unterhalt zu leisten (vgl. Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG (monatlich) 2019: EUR 933,06; 2020: EUR 966,65,78; 2021: EUR 1.000,48; 2022: EUR 1.030,49 und 2023: EUR 1.110,26; FLAG-Kommentar aaO., Rz. 17 und ).

Sogar wenn die Voraussetzung der voraussichtlichen dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21 Lebensjahres nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 gegeben wäre, was hier nicht der Fall ist, stünde gemäß § 6 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 der Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehegatten einem Familienbeihilfeanspruch entgegen.

Somit ist ein Anspruch auf (erhöhte) Familienbeihilfe auch aufgrund der oben wiedergegebenen Bestimmung des § 6 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 ausgeschlossen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision nicht zulässig, da der hier zu lösenden Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesfinanzgericht folgt der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Linz, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at