Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.08.2024, RV/6100315/2023

Zuständigkeitswechsel

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***BE*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrags auf Familienbeihilfe vom für das Kind ***1***, ab Oktober 2022, Ordnungsbegriff ***2***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich des Zeitraums Oktober 2022 bis Dezember 2022 als unbegründet abgewiesen.

Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben. Soweit der Bescheid den Zeitraum ab Jänner 2023 betrifft, wird er aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Antrag vom beantragte der Beschwerdeführer (Bf) Familienbeihilfe für seine am ***3*** geborene Tochter ***1*** ab Oktober 2022.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag ab, da der Bf die Anspruchsvoraussetzungen trotz Auskunftsersuchen vom nicht nachgewiesen habe. Es sei grundsätzlich von einem Anspruch der Kindesmutter auszugehen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Bf am Beschwerde und legte die mit Auskunftsersuchen vom angeforderten Unterlagen mit Ausnahme der Verzichtserklärung der Kindesmutter vor.

Mit Auskunftsersuchen vom wurde der Bf erneut aufgefordert, eine Verzichtserklärung der Kindesmutter vorzulegen und den ständigen Aufenthalt der Tochter im Inland ab Oktober 2022 nachzuweisen. Nach Ablauf der Frist wurde unter Verweis auf die mangelnde Mitwirkung des Bf bzw. das Fehlen einer Verzichtserklärung der Kindesmutter die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen.

Daraufhin stellte der Bf am einen Vorlageantrag und reichte eine Verzichtserklärung der Kindesmutter nach.

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom vor. Es beantragte, die teilweise Stattgabe der Beschwerde. Im Zeitraum Oktober und November 2022 bestehe mangels Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich kein Anspruch auf Familienbeihilfe. Für den Zeitraum Dezember 2022 bis laufend seien die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach erfüllt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf, ein ungarischer Staatsangehöriger, ist Vater der am ***3*** in Ungarn geborenen ***1***.

Der Bf übersiedelte mit der Kindesmutter und der Tochter, ebenfalls ungarische Staatsbürgerinnen, im Dezember 2022 von Ungarn nach Österreich. Sie sind seit in ***Bf1-Adr*** mit Hauptwohnsitz gemeldet. Die Anmeldebescheinigungen für EWR-Bürger/-innen gem. Richtlinie 2004/38 EG iVm Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) vom liegen vor.

Im Oktober und November 2022 hatten der Bf, die Kindesmutter und die Tochter weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.

Am nahm der Bf in Österreich eine unselbständige Beschäftigung auf. Mit Antrag vom beantragte der Bf Familienbeihilfe für seine Tochter ab Oktober 2022.

Die Kindesmutter gab zugunsten des Bf eine Verzichtserklärung gemäß § 2a FLAG 1967 ab.

Mit Schreiben vom teilte das Regierungsamt des Komitates Györ-Moson-Sopron (Györ-Moson-Sopron Vàrmegyei Kormányhivatal) dem Finanzamt Österreich den Zuständigkeitswechsel für die Familienleistungen mit und ersuchte unter Hinweis auf Art. 71 und Art. 72 Abs. 1 der VO (EG) 987/2009 um Zurückerstattung der trotz österreichischer Zuständigkeit für den Zeitraum bis gezahlten Familienleistungen.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vom Finanzamt vorgelegten Akt sowie der Einsichtnahme des Bundesfinanzgerichtes in das Beihilfenprogramm FABIAN der Finanzverwaltung.

Dass der Bf, die Kindesmutter und die Tochter in den Monaten Oktober und November 2022 im Inland keinen Wohnsitz hatten und ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht anzunehmen ist, ergibt sich aus nachfolgenden Gründen: Die Tochter kam am ***3*** in ***4***, Ungarn, zur Welt. Entsprechend der vorgelegten Meldebestätigung vom wird eine Haushaltsgemeinschaft der Eltern mit dem Kind im Inland ab von der Marktgemeinde ***5*** bestätigt. Damit in Übereinstimmung wurde die erste (inländische) Mutter-Kind-Pass-Untersuchung am durchgeführt und die erste (inländische) Impfung im Impfpass des Kindes erst mit registriert, vor diesem Zeitraum wurden lediglich medizinische Dokumente aus Ungarn vorgelegt. Auch die binnen vier Monaten ab der Einreise nach Österreich zu beantragende Anmeldebescheinigung gem. § 53 NAG zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate wurde erst am ausgestellt.

Es ist somit davon auszugehen, dass sich der Bf mit der Kindesmutter und der Tochter bis Mitte Dezember ständig in Ungarn aufhielt und die Übersiedlung nach Österreich erst mit Beginn der unselbständigen Tätigkeit des Bf erfolgte (Meldungen des Arbeitgebers bei der ÖGK, vorgelegte Lohnzettel).

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat die Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein in Abs. 1 genanntes Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört.

Gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Gemäß § 2a Abs. 1 FLAG 1967 geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor, wenn ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern gehört. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt. Nach Abs. 2 der Bestimmung kann in den Fällen des Abs. 1 der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden.

Gemäß § 3 Abs. 1 FLAG 1967 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur
dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs-und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBI I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gemäß § 3 Abs. 2 FLAG 1967 besteht der Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Nach § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspurch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Gemäß § 13 FLAG 1967 ist ein Bescheid nur insoweit zu erlassen, als einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist.

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 NAG wird zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate auf Antrag eine "Anmeldebescheinigung" (§ 53) für EWR-Bürger, die sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten, ausgestellt.

Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit lautet:

"Artikel 59
Regelungen für den Fall, in dem sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen ändern

(1) Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, so setzt der Träger, der die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gezahlt hat, nach denen die Leistungen zu Beginn dieses Monats gewährt wurden, unabhängig von den in den Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehenen Zahlungsfristen die Zahlungen bis zum Ende des laufenden Monats fort.

(2) Er unterrichtet den Träger des anderen betroffenen Mitgliedstaats oder die anderen betroffenen Mitgliedstaaten von dem Zeitpunkt, zu dem er die Zahlung dieser Familienleistungen einstellt. Ab diesem Zeitpunkt übernehmen der andere betroffene Mitgliedstaat oder die anderen betroffenen Mitgliedstaaten die Zahlung der Leistungen."

Anspruchszeitraum:
Die Frage, ob für einen bestimmten Anspruchszeitraum Familienbeihilfe zusteht, ist anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum ist der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruchs für ein Monat kann somit von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. zB mwN). Die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ist ein zeitraumbezogener Anspruch.

Ein Bescheid über die Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe "ab" einem bestimmten Anspruchszeitraum, ohne im Spruch einen Endpunkt festzusetzen, gilt nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH jedenfalls für den Zeitraum bis einschließlich jenes Kalendermonats, in welchem der Bescheid erlassen wird, ungeachtet dessen, ob sich zwischen dem Anfangszeitpunkt und diesem Zeitpunkt die Sach- oder Rechtslage geändert hat. Ein solcher Bescheid gilt jedoch über diesen Zeitpunkt der Bescheiderlassung hinaus solange weiter, als sich die der Bescheiderlassung zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nicht ändert (vgl. wiederum mwN).

Zeitraum Oktober bis November 2022:
Im Oktober und November 2022 hatten der Bf, die Kindesmutter und die Tochter weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Der Bf und seine Lebensgefährtin übten in diesem Zeitraum in Österreich keine Erwerbstätigkeit aus und befanden sich auch nicht in einer gleichgestellten Situation.

Ein Anspruch auf Familienbeihilfe bestand für die Monate Oktober und November 2022 demnach nicht.

Zeitraum ab Dezember 2022:
Mit der Übersiedlung der Familie von Ungarn nach Österreich und der Aufnahme einer Beschäftigung im Dezember 2022 wurde Österreich unstrittig für die Gewährung der Familienleistungen zuständig. Die Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe sind erfüllt, auch hat die Kindesmutter gem. § 2a Abs. 2 FLAG 1967 auf den vorrangigen Anspruch zu Gunsten des Bf verzichtet.

Aufgrund des Zuständigkeitswechsels während eines Kalendermonats blieb nach Art. 59 der VO (EG) Nr. 987/2009 die Zuständigkeit Ungarns für den Monat Dezember 2022 weiter aufrecht, sodass ein Anspruch auf Familienbeihilfe in Österreich erst ab Jänner 2023 bestand.

Der Beschwerde war daher für den Zeitraum ab Jänner 2023 stattzugeben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt im Beschwerdefall nicht vor.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.6100315.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at