Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.08.2024, RV/7104154/2019

Verjährung - vorläufige Bescheide

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Helga Hochrieser in der Beschwerdesache ***1***, ***2***, ***3***, ***4*** als Erben nach ***8***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch TPA STB Wien GmbH Wien, Wiedner Gürtel 13, Turm 24, 1100 Wien, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg vom betreffend Einkommensteuer 2007 bis 2010, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird teilweise stattgegeben.

Die angefochtenen Bescheide für die Jahre 2007 und 2008 werden abgeändert. Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgaben für die Jahre 2007 und 2008 sind den Berufungsvorentscheidungen (nunmehr: Beschwerdevorentscheidungen) vom zu entnehmen.

Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2009 und 2010 bleiben unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt:

Herr ***8*** verstarb am tt.mm.2015. Der Nachlass wurde mit Beschluss vom zu GZ ***9*** wie folgt eingeantwortet: - ***1***, geb am tt.mm.1939, ***Bf1-Adr*** zu 1/3 Anteil, - ***2***, geb am tt.mm.1960, ***5***, zu 2/9 Anteilen, - ***3***, geb am tt.mm.1962, ***6***, zu 2/9 Anteilen, - ***4***, geb am tt.mm.1968, ***7***, zu 2/9 Anteilen.

Der Verfahrensverlauf bis unmittelbar vor der Erlassung der angefochtenen Bescheide stellt sich für die betroffenen Veranlagungsjahre wie folgt dar:

2007:

Nach Einbringung der Einkommensteuererklärung 2007 am erging der Erstbescheid am . Der Bescheid erging vorläufig, mit der Begründung, dass eine Betriebsprüfung offen sei. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft. Am erging gemäß § 295 Abs 1 BAO ein geänderter Einkommensteuerbescheid mit vorläufiger Festsetzung, welcher ebenfalls in Rechtskraft erwuchs. Zur Abgabenkontonummer ***10*** wurde am ein Feststellungsbescheid erlassen, welcher auch an den nunmehr verstorbenen Bf. erging. Mangels betraglicher Auswirkungen wurde von einer Abänderung des Einkommensteuerbescheides abgesehen.

2008:

Nach Einbringung der Einkommensteuererklärung 2008 am erging der Erstbescheid am . Der Bescheid erging vorläufig, enthielt aber keine Begründung dahingehend. Er erwuchs in Rechtskraft. Am erging gemäß § 295 Abs 1 BAO ein geänderter Einkommensteuerbescheid mit vorläufiger Festsetzung, welcher ebenfalls in Rechtskraft erwuchs. Eine Begründung zur Vorläufigkeit fehlte. Am erging wiederum gemäß § 295 Abs 1 BAO ein geänderter Einkommensteuerbescheid mit vorläufiger Festsetzung, welcher ebenfalls in Rechtskraft erwuchs. Eine Begründung zur Vorläufigkeit fehlte. Zur Abgabenkontonummer ***10*** wurde am ein Feststellungsbescheid erlassen, welcher auch an den nunmehr verstorbenen Bf. erging. Mangels betraglicher Auswirkungen wurde von einer Abänderung des Einkommensteuerbescheides abgesehen.

2009:

Nach Einbringung der Einkommensteuererklärung 2009 am erging der Erstbescheid am . Der Bescheid erging vorläufig, enthielt aber keine Begründung dahingehend. Er erwuchs in Rechtskraft. Am erging gemäß § 295 Abs 1 BAO ein geänderter Einkommensteuerbescheid mit vorläufiger Festsetzung, welcher ebenfalls in Rechtskraft erwuchs. Eine Begründung zur Vorläufigkeit fehlte.

2010:

Nach Einbringung der Einkommensteuererklärung 2010 am erging der Erstbescheid am . Der Bescheid erging vorläufig, enthielt aber keine Begründung dahingehend. Er erwuchs in Rechtskraft. Am erging gemäß § 295 Abs 1 BAO ein geänderter Einkommensteuerbescheid mit vorläufiger Festsetzung, welcher ebenfalls in Rechtskraft erwuchs. Eine Begründung zur Vorläufigkeit fehlte.

Weiterer Verlauf betreffend alle beschwerdegegenständlichen Veranlagungsjahre: Zur Abgabenkontonummer ***11*** wurde am ein Prüfungsauftrag betreffend Umsatzsteuer sowie Feststellungsverfahren 2005 bis 2010 ausgestellt. Die Prüfung der Gesellschaft, an der auch der mittlerweile verstorbene Beschwerdeführer beteiligt war, begann am . Die Schlussbesprechung fand am statt, der Prüfbericht wurde am abgefertigt. Als Folge dieser Außenprüfung wurden die Feststellungsverfahren 2007 bis 2010 wiederaufgenommen und es ergingen am neue, endgültige Feststellungsbescheide. Am erging ein als Änderung gemäß § 295 Abs 1 BAO intendiertes Schriftstück, mit dem die og neue Einkünftefeststellung für die Jahre 2007 bis 2010 berücksichtigt werden sollte. Dieses war adressiert an "Erben n. ***8***". Da der Nachlass zu diesem Zeitpunkt bereits eingeantwortet war, hätte ein Bescheid an alle namentlich aufzuführenden Erben ergehen müssen. Dem Dokument vom kam daher keine Bescheidqualität zu. Die dagegen am eingebrachte Beschwerde wurde am als unzulässig zurückgewiesen. Am ergingen sodann gemäß § 295 Abs 1 BAO die angefochtenen Bescheide für die Jahre 2007 bis 2010. Diese wurden nunmehr händisch richtig adressiert und zugestellt.

Gegen diese Bescheide richtet sich die von der Erbin ***1*** am eingebrachte Beschwerde. Die Erlassung neuer Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2010 sei rechtswidrig, weil für diese Veranlagungsjahre bereits die Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen sei. Die Vorläufigkeit der Bescheide sei größtenteils gar nicht, bzw wenn schon, dann nur ungeeignet begründet worden. Mangels tatsächlichem Vorliegen eines Vorläufigkeitsgrundes kämen die Bestimmungen des § 208 Abs 1 lit d BAO nicht zur Anwendung, vielmehr sei der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nach § 208 Abs 1 lit a BAO zu beurteilen. Mangels einer geschlossenen Kette an Verlängerungshandlungen iSd § 209 Abs 1 BAO sei für alle betroffenen Jahre bereits die Verjährung eingetreten gewesen. In eventu wurde beantragt, dass in den Veranlagungen 2007 und 2008 der doppelte Ansatz der Einkünfte aus der Beteiligung an der ***12***, Abgabenkontonummer ***11***, korrigiert werde.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom (2009 und 2010) bzw. (2007 und 2008) wurde das Hauptbegehren als unbegründet abgewiesen, dem Eventualbegehren jedoch entsprochen. Die Vorläufigkeit des Feststellungsbescheides schlage auch auf das Einkommensteuerverfahren durch. Die Verjährung sei deshalb noch nicht eingetreten gewesen.

Am wurde von der Erbin ***1*** betreffend die Veranlagungsjahre 2009 und 2010 ein Vorlageantrag eingebracht. Darin pochte diese erneut darauf, dass bei Nichtvorliegen eines Vorläufigkeitsgrundes die speziellen Verjährungsbestimmungen des § 208 Abs 1 lit d BAO nicht anwendbar seien. Am folgte der Vorlageantrag betreffend die Veranlagungsjahre 2007 und 2008, mit im Wesentlichen gleichen Ausführungen.

Als Beweismittel dienen die vorgelegten Aktenbestandteile, insbesondere der Auszug aus dem AIS mit den Jahresfahnen 2007 bis 2010 sowie der Auszug aus BP-2000 zur Außenprüfung.

Am erfolgte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

I. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer beträgt gemäß § 207 Abs 2 BAO grundsätzlich 5 Jahre.

Werden innerhalb der Verjährungsfrist nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde unternommen, so verlängert sich die Verjährungsfrist gemäß § 209 Abs 1 BAO um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist. Verfolgungshandlungen im Sinne des § 14 Abs 3 FinStrG und des § 32 Abs 2 VStG gelten als solche Amtshandlungen.

Gemäß § 209 Abs 3 BAO verjährt das Recht auf Festsetzung einer Abgabe spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches. Eine entgegen § 93 Abs 3 lit a BAO fehlende oder mangelhafte Begründung ist ebenso wie eine fehlende (mangelhafte) Rechtsmittelbelehrung zwar eine Verletzung von Verfahrensvorschriften, steht jedoch der Annahme der Bescheidqualität der Erledigung nicht entgegen (Ritz, BAO, 6. Auflage § 93 Rz 27). Eine fehlende (mangelhafte) Begründung hindert auch nicht den Eintritt der Rechtskraft (Ritz BAO, 6. Auflage, § 93 Rz 18). Gemäß § 200 Abs 1 BAO kann die Abgabenbehörde eine Abgabe vorläufig festsetzen, wenn nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens die Abgabepflicht zwar noch ungewiss, aber wahrscheinlich oder wenn der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiss ist. Es muss sich bei einer Ungewissheit iSd § 200 BAO um eine Ungewissheit im Tatsachenbereich handeln. Die Abgabepflicht muss darüber hinaus nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich sein (vgl Ritz, BAO, 6. Auflage, § 200 Rz 1). Der VwGH geht davon aus, dass auch dann, wenn der vorläufigen Festsetzung keine Ermittlungen vorausgegangen sind und der vorläufige Bescheid keine Begründung für die Vorläufigkeit enthält, dieser Mangel im Nachhinein "geheilt" werden kann (vgl Dziurdź, ÖStZ 2012, 354). Wird eine Abgabe gemäß § 200 Abs 1 BAO vorläufig festgesetzt und erwächst ein derartiger Bescheid in Rechtskraft, ist für die Frage der Verjährung vom Vorliegen einer Ungewissheit iSd § 200 Abs 1 BAO bei Bescheiderlassung auszugehen. Dies hat zur Folge, dass der Verjährungsbeginn nach der Regelung des § 208 Abs 1 lit d BAO bestimmt wird und keinesfalls vor dem Zeitpunkt der Erlassung des vorläufigen Abgabenbescheides liegen kann (). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl etwa das Erkenntnis des ) kann ein endgültiger Bescheid nach § 200 Abs 2 BAO auch dann ergehen, wenn die Erlassung des (rechtskräftigen) vorläufigen Bescheides erfolgt ist, obwohl eine Ungewissheit nicht bestanden hat (). Das Recht, eine vorläufige Abgabenfestsetzung durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, verjährt gemäß § 209 Abs 4 BAO spätestens fünfzehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches. Nach (ebenso Dziurdź, ecolex 2010, 397; ) gilt, obwohl keine Ungewissheit vorliegt, zwar § 208 Abs 1 lit d BAO, allerdings beginnt die dortige Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid erlassen wurde. Es ist dem Bf. grundsätzlich insoweit zuzustimmen, als dass kein Vorläufigkeitsgrund erkannt werden kann. Angesichts der obigen Ausführungen zur höchstgerichtlichen Judikatur betreffend Vorläufigkeit treffen jedoch die Argumente des Bf. zur Nichtanwendbarkeit der Bestimmung des § 208 Abs 1 lit d BAO nicht zu. In jedem der beschwerdegegenständlichen Jahre wurden vorläufige Abgabenbescheide erlassen, welche auch in Rechtskraft erwuchsen. Die Verjährung begann somit jeweils mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der letzte rechtskräftig gewordene Bescheid erlassen wurde. In der Folge soll nun für jedes einzelne Veranlagungsjahr dargestellt werden, warum die Verjährung zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide noch nicht eingetreten war:

2007:

Am erging ein vorläufiger Bescheid, der in Rechtskraft erwuchs. Der Lauf der fünfjährigen Verjährungsfrist nach Erlassung des vorläufigen Bescheides begann daher im Jahr 2010 (bis 2015). Die Erlassung des Feststellungsbescheides zu Abgabenkontonummer ***10*** am verlängerte diese Frist gemäß § 209 Abs. 1 BAO um ein Jahr bis zum Ende des Jahres 2016. Durch den Beginn der Außenprüfung zur Abgabenkontonummer ***11*** am wurde die Frist gemäß § 209 Abs. 1 BAO um ein weiteres Jahr bis zum Ende des Jahres 2017 verlängert. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2007 wurde am erlassen. Die Verjährung war zu diesem Zeitpunkt daher noch nicht eingetreten.

2008:

Am erging ein vorläufiger Bescheid, der in Rechtskraft erwuchs. Der Lauf der Verjährungsfrist begann daher mit Ablauf des Jahres 2011. Durch den Beginn der Außenprüfung zur Abgabenkontonummer ***11*** am wurde die Frist gemäß § 209 Abs. 1 BAO um ein Jahr bis zum Ende des Jahres 2017 verlängert. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2008 wurde am erlassen. Die Verjährung war zu diesem Zeitpunkt daher noch nicht eingetreten.

2009:

Am erging ein vorläufiger Bescheid, der in Rechtskraft erwuchs. Der Lauf der fünfjährigen Verjährungsfrist begann daher mit Ablauf des Jahres 2012 (bis 2017). Durch den Beginn der Außenprüfung zur Abgabenkontonummer ***11*** am wurde die Frist gemäß § 209 Abs. 1 BAO um ein Jahr bis zum Ende des Jahres 2018 verlängert. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2009 wurde am erlassen. Die Verjährung war zu diesem Zeitpunkt daher noch nicht eingetreten.

2010:

Am erging ein vorläufiger Bescheid, der in Rechtskraft erwuchs. Der Lauf der Verjährungsfrist begann daher mit Ablauf des Jahres 2013 (bis 2018). Durch den Beginn der Außenprüfung zur Abgabenkontonummer ***11*** am wurde die Verjährungsfrist gemäß § 209 Abs. 1 BAO um ein Jahr bis zum Ende des Jahres 2019 verlängert. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 wurde am erlassen. Die Verjährung war zu diesem Zeitpunkt daher noch nicht eingetreten.

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich eindeutig, dass keiner der angefochtenen Bescheide vor Ablauf der Verjährungsfrist erlassen wurde. Eine Rechtswidrigkeit liegt daher nicht vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 295 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 208 Abs. 1 lit. d BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 208 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 200 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7104154.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at