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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.08.2024, RV/5100341/2023

Vorrang des in Österreich beschäftigten und überwiegend unterhaltsleistenden Vaters gegenüber der mit den Kindern in Tschechien lebenden Mutter

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***USt*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe ab 05/2022 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer beantrage am die Familienbeihilfe für seine drei Kinder ***1*** (geb. am ***X***), ***2*** (geb. am ***Y***) und ***3*** (geb. am ***Z***) ab Mai 2022.

2. Mit Bescheid vom wurde der Antrag abgewiesen. Begründet wurde der Bescheid wie folgt:

"Das Kind lebt nicht in Ihrem Haushalt. Obwohl Sie die überwiegenden Unterhaltskosten leisten, erhalten Sie keine Familienbeihilfe, weil eine andere Person aufgrund eines gemeinsamen Haushalts mit dem Kind anspruchsberechtigt ist (§ 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967)."

3. Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde und begründete diese wie folgt:

"Erstens ich trage nicht die überwiegenden Unterhaltskosten, sondern als Alleinverdiener die gesamten Kosten. Zweitens wer bitte schön ist die andere anspruchsberechtigte Person, vonwelcher Sie in der Begründungschreiben?

Wenn Sie damit meine Ehefrau meinen, welche die Mutter der Kinder ist,so habe ich IhnendennNachweis schonerbracht,dass sie nicht Anspruchsberechtigt ist. Meine Frau ist nicht berufstätig führt also keine Lohnsteuer ab und ich ebenfalls nicht im Wohnland der Kinder sondern an Sie in Österreich. Dem zufolgehat meine Frau keinen Anspruch. Wenn das der Fall wäre so hätte ich die letzten 18 Jahre schon keinenAnspruch bei Ihnengehabt. Dieser wurde mir aberkannt, weil ich geforderte Nachweise nicht rechtzeitig erbracht habe, welche Ihnenaber jetzt bereits vorliegen."

4. Mit Beschwerdevorentscheidung wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Aus der Begründung:

"Sachverhalt:
Am wurde der Antrag auf Familienbeihilfe für die Kinder ***NN*** ***2***, ***NN*** ***3*** und ***NN*** ***1*** abgewiesen, da die Kinder nicht im gemeinsamen Haushalt leben. Am 20. September wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht, da die Kosten getragen werden. Vorgelegt wurde die Meldebescheinigung der Gemeinde ***N*** in Deutschland wo der Antragsteller gemeldet ist. Die alleinige Wohnung liegt in ***PLZ*** ***N***, ***Str.***. In Österreich liegt ein Nebenwohnsitz vor. Bezüglich der Mutter wurde eine Meldebestätigung der Gemeinde ***J*** in Tschechien vorgelegt. Auf der Adresse ***J*** in Tschechien ist die Mutter mit den Kindern ***NN*** ***3***, ***NN*** ***2*** und ***NN*** ***1*** gemeldet. Strittig ist daher, ob Familienbeihilfe für die Kinder ***NN*** ***2***, ***NN*** ***3*** und ***NN*** ***1*** ab Mai 2022 gewährt werden kann.

Rechtliche Würdigung:
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG 1967) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder. Abs. 2 FLAG 1967 bestimmt, dass die Person Anspruch auf Familienbeihilfe hat, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG anspruchsberechtigt ist. Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom in der Rechtssache C-378/14 (Tomislaw Trapkowski) obliegt es der zuständigen nationalen Behörde, zu bestimmen, welche Personen nach nationalem Recht Anspruch auf Familienleistungen haben. Da in Österreich vorrangig anspruchsberechtigt jener Elternteil ist, der das Kind in seinem Haushalt hat, besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe, da das Kind nicht in Ihrem Haushalt lebt/leben. Damit ist nicht von einer Haushaltszugehörigkeit mit den Kindern beim Antragsteller auszugehen. Wie bestätigt wurde liegt nur ein gemeinsamer Haushalt der Kinder mit der Kindesmutter vor."

5. Im Vorlageantrag vom (eingelangt am ) ergänzt der Beschwerdeführer:

"Laut Abweisunghat meine Ehefrau Anspruchauf diese Leistung in ihrem Wohnland,nicht richtig, ihr Antrag wurde dort abgewiesen. Dieser, ebenfalls eingereichte,Abweisungsbescheid mit Übersetzungwurde nicht berücksichtigt,besteht nach wie vor.

Somit gilt, wie im Beschwerdevorentscheid, unter Rechtliche Würdigung, ausgeführt:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG 1967) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Abs.2 FLAG 1967 bestimmt, dass die Person Anspruch auf Familienbeihilfe hat, zu deren Haushalt das Kind gehört.
Eine Person zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach §2 Abs. 2 erster Satz FLAG anspruchsberechtigt ist.
Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt des Kindes in Österreich gleich zuhalten.

Bezüglich der Wohnsitzmeldung

Ich bin gesetzlich nicht verpflichtet einen Wohnsitz, bei meiner Ehefrau und Kindern, anzumelden da meine Aufenthaltsdauer bei Ihnen, beruflich bedingt, nie lang genug ist. Gleiches gilt auch für meine Ehefrau und Kinder bei meinem Wohnsitz. Des Weiteren ist keiner der beiden Wohnsitze, auf Grund von Größe und Beschaffenheit für sich allein auf Dauer, ein geeigneter Wohnsitz für eine fünfköpfige Familie, ergänzen sich aber zusammen perfekt da sie, unter anderen keine Mietkosten verursachen sowie sich im Tagespendelbereich befinden.

Des Weiteren:
Wenn ich nicht anspruchsberechtigt bin, warum war ich dann in den vorangegangenen Jahren anspruchsberechtigt?Mein Anspruch wurde aberkannt, weil ich geforderteKontrollunterlagennicht fristgerecht eingereichtehabe, sodass eine Neubeantragung notwendig wurde. Mehrere Telefonischeversuchediese Frist, zur Vorlage dieser Unterlagen, zu verlängern waren leider ergebnislos.

6. Der Akt wurde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom zur Entscheidung vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer ist in Österreich unselbstständig erwerbstätig und erzielte aus seiner Tätigkeit steuerpflichtige Einkünfte. Seine aus der Ehe mit ***Frau*** ***NN*** (geb. ***A***) stammenden drei Kinder ***1*** (geb. am ***X***), ***2*** (geb. am ***Y***) und ***3*** (geb. am ***Z***), wohnen und leben im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter in Tschechien, ***J***.

***1*** befindet sich in Berufsausbildung. Sie besucht die Hotelfachschule in ***, Tschechien.

Die Kindesmutter ist nicht berufstätig und bezieht keine Familienleistungen aus Tschechien.

Der Beschwerdeführer hat einen Wohnsitz in ***Bf1-Adr*** Deutschland, mit Nebenwohnsitz ist er in ***Ö*** gemeldet.

Der Beschwerdeführer kommt zur Gänze für den Unterhalt seiner Familie auf.

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig bzw ergeben sich diese aus den nicht der Aktenlage widersprechenden und auch von der belangten Behörde nicht widerlegten Ausführungen des Beschwerdeführers. Auch die belangte Behörde geht von der überwiegenden Unterhaltskostentragung des Beschwerdeführers aus (siehe Begründung Abweisungsbescheid vom ).

Vor diesem Hintergrund können die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen angenommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

§ 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) lautet:

"Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

a) für minderjährige Kinder,

b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. […]"

§ 2 Abs. 2 FLAG 1967 lautet:

"Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist."

Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

Im Titel I (Allgemeine Bestimmungen) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166 vom , in der Fassung der Berichtigung ABl. L 200 vom , (im Folgenden VO 883/2004) lautet der Art. 7 samt Überschrift:

"Aufhebung der Wohnortklauseln

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

Im Titel II (Bestimmung des anwendbaren Rechts) der VO 883/2004 lautet der Art. 11 Abs. 1 bis 3 samt Überschrift:

"Allgemeine Regelung

(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

b) ein Beamter unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die ihn beschäftigende Verwaltungseinheit angehört;

c) eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

d) eine zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats."

Im Titel III (Besondere Bestimmungen über die verschiedenen Arten von Leistungen) Kapitel 8 (Familienleistungen) der VO 883/2004 lauten die Art. 67 und 68 jeweils samt Überschrift:

"Artikel 67 - Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen

Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.

Artikel 68 - Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3) Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Antrag auf Familienleistungen gestellt, so gilt Folgendes:

a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Absatz 2 genannten Unterschiedsbetrag;

b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger, der vorrangig zuständig ist."

Im Titel III (Besondere Vorschriften über die verschiedenen Arten von Leistungen) Kapitel VI (Familienleistungen) der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABL. L 284 vom , (im Folgenden: VO 987/2009) lautet der Art. 60 samt Überschrift auszugsweise:

"Artikel 60 - Verfahren bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung

(1) Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird."

Erwägungen

Im Beschwerdefall unterlag der Beschwerdeführer den Rechtsvorschriften Österreichs, weil er hier unstrittig eine Beschäftigung ausübt (Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der VO 883/2004).

Damit besteht ein Anspruch des Beschwerdeführers gemäß § 2 Abs. 1 lit. a und b FLAG. Die Bestimmung des § 5 Abs. 3 FLAG wird für die in Tschechien lebenden Kinder des Beschwerdeführers durch die Bestimmung des § 53 Abs. 1 zweiter Satz FLAG 1967 iVm Art. 67 der VO 883/2004 verdrängt.

Die Mutter der Kinder unterlag im Streitzeitraum den Rechtsvorschriften Tschechiens.

Strittig ist im Beschwerdefall die Wirkung der in Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der VO 987/2009 aufgestellten Fiktion.

Zum Familienbeihilfenanspruch eines in Österreich Beschäftigten oder selbständig Erwerbstätigen, dessen Kind in einem anderen Mitgliedstaat wohnt und zu dessen Haushalt es nicht gehört, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits zur Vorgängerregelung der VO 883/2004 darauf abgestellt, ob der in Österreich lebende Elternteil die Unterhaltskosten für das in einem anderen Mitgliedstaat wohnende Kind überwiegend trägt (vgl. etwa ; ; ; , VwSlg 8225/F).

Zu vergleichbaren Konstellationen hat der Verwaltungsgerichtshof im Anwendungsbereich der VO 883/2004 einen Anspruch des in einem anderen Mitgliedstaat im gemeinsamen Haushalt mit dem Kind wohnenden Elternteils dann verneint, wenn der in Österreich eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübende Elternteil, zu dessen Haushalt das Kind nicht gehört, die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt (vgl. ; ).

Die belangte Behörde weicht von dieser Rechtsprechung unter Berufung auf die Entscheidung des ab und verneint einen Anspruch des Beschwerdeführers auf Familienbeihilfe, weil dessen Kinder im gemeinsamen Haushalt der Mutter in Tschechien gelebt haben. Deshalb stehe gemäß § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG der Mutter die Familienbeihilfe zu. Dem in 2 Abs. 1 FLAG normierten Erfordernis eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Bundesgebiet hält die belangte Behörde den Anwendungsvorrang des Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der VO 987/2009 entgegen.

Der VwGH hat allerdings zwischenzeitig ausgesprochen, dass seine Rechtsprechung auch nicht durch die vom Bundesfinanzgericht im angefochtenen Erkenntnis herangezogene Rechtsprechung des EuGH (, Tomislaw Trapkowski) überholt ist (vgl. ).

Dergestalt besteht gemäß § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967 der Anspruch auf Familienbeihilfe des Elternteils, welcher im Bundesgebiet wohnt und die Unterhaltskosten des Kindes überwiegend trägt, wenn der andere Elternteil, zu dessen Haushalt das Kind gehört, im Bundesgebiet weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hat und somit die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 FLAG nicht erfüllt. Insoweit bedarf es einer Verdrängung der nationalen Bestimmung des Wohnsitzerfordernisses in § 2 Abs. 1 FLAG durch Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der VO 987/2009 nicht, um den Anspruch für das Kind zu begründen (vgl. ).

Erst wenn der in Österreich wohnhafte Elternteil die Unterhaltskosten für das Kind nicht überwiegend trägt und deshalb aus § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG keinen Anspruch ableiten kann, und auch sonst nach nationalem Recht keine andere Person in Betracht käme, greift die Verdrängung des Wohnsitzerfordernisses in § 2 Abs. 1 FLAG für einen in § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG genannten Anspruchsberechtigten.

Der Beschwerdeführer hat die Unterhaltskosten unbestrittenermaßen überwiegend getragen, der Beschwerde war sohin stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Soweit im Beschwerdefall Rechtsfragen zu lösen waren, folgt das Bundesfinanzgericht der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden ist.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100341.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at