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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.08.2024, RV/6100169/2024

Die nachträgliche Ausübung eines Besteuerungsrechts durch einen ausländischen Staat ist keine neue Tatsache.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***9***, vertreten durch ***10*** über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2017 und 2018 vom zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang/Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (Bf), ein deutscher und österreichischer Staatsbürger, ist seit dem Jahr 1978 in Österreich wohnhaft und ansässig. Der Bf hat in den Jahren 2017 und 2018 ua eine Rente der Deutschen Rentenversicherung Bund, eine Rente der (österreichischen) Pensionsversicherungsanstalt, ***11*** sowie eine schweizerische AHV-Rente bezogen.

2. In den elektronisch übermittelten Abgabenerklärungen der Jahre 2017 und 2018 wurden Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, Progressionseinkünfte (Kennzahl 453) und Einkünfte ohne Lohnausweis (Kennzahl 359) erklärt. Den Abgabenerklärungen ist auch zu entnehmen, dass die Kennzahl 359 ausschließlich Pensionsbezüge enthält. Darüber hinausgehende Informationen enthalten die Steuererklärungen jedoch nicht.

3. Die Veranlagung für die Jahre 2017 und 2018 erfolgte erklärungsgemäß. Die bezüglichen Einkommensteuerbescheide ergingen am und .

4. Am wurde ein Antrag auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2017 und 2018 gestellt und dargelegt, der Bf habe als ***1*** an der ***2*** neben einer österreichischen ASVG Pension und den für Progressionszwecke beachtlichen Schweizer Einkünften eine schweizerische AHV-Rente und eine Rente der deutschen Rentenversicherung bezogen. Diese Einkünfte seien zur Besteuerung in Österreich deklariert und auch entsprechend veranlagt worden. In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des zuständigen deutschen Finanzamtes Neubrandenburg habe das do. Finanzamt mit Bescheid vom festgestellt, dass die Kompetenz zur Besteuerung der deutschen Rente nicht in Österreich, sondern in Deutschland liege. Aus österreichischer Sicht sei diese Beurteilung keine Rechtsfrage, sondern eine neue Tatsache, die eine Wiederaufnahme der Verfahren rechtfertige. Darüber hinaus werde auf den Schriftsatz vom verwiesen. Im letztgennannten Schriftsatz wurde ua ausgeführt, nicht ausgeschlossen werden könne, dass Deutschland nach nunmehriger Klarstellung der Besteuerungskompetenz auch weiter zurückliegende Jahre (2017 und 2018) steuerlich erfassen werde. Aus österreichischer Sicht seien daher die Veranlagungen für die Jahre innerhalb der Verjährungsfrist, also bis einschließlich des Jahres 2017, zu korrigieren bzw. von amtswegen aufzurollen.

5. Der Antrag vom wurde mit Bescheid vom als unbegründet abgewiesen, das Vorliegen neuer Tatsachen aus Sicht des Antragstellers verneint. Das Vorliegen neuer Tatsachen aus Sicht der Abgabenbehörde wurde hingegen bejaht, weil den Steuererklärungen der Jahre 2017 und 2018 nicht zu entnehmen gewesen sei, aus welchen Staaten die (jeweiligen) Zahlungen erfolgt seien. Erst im Wiederaufnahmeantrag vom sei mitgeteilt worden, dass die Kennzahl 359 eine schweizerische AHV-Rente und eine Rente der Deutschen Rentenversicherung Bund enthalte.

6. Am wurden die Einkommensteuerverfahren 2017 bis 2019 (Bescheide vom , und ) von amtswegen wiederaufgenommen und neue Sachbescheide erlassen. Der Einkommensteuerbescheid 2020 vom wurde ebenfalls am gemäß § 299 BAO aufgehoben und ein (neuer) Sachbescheid erlassen. Die Abgabenbehörde ging vom Vorliegen neuer Tatsachen aus, weil den (elektronisch) übermittelten Steuererklärungen weder die Zusammensetzung der Einkünfte noch die rentenauszahlenden Staaten/Stellen zu entnehmen gewesen seien.

In den jeweiligen (neuen) Sachbescheiden vom wurden die deutschen Rentenbezüge als Progressionseinkünfte erfasst. Die Rente der ***12*** wurde hingegen in Österreich als Ansässigkeitsstaat besteuert (Art. 18 DBA-Schweiz). Gleiches gilt für die schweizerische AHV-Rente, diese wurde unter Art. 21 DBA-Schweiz subsumiert.

Gegen den Verfahrensbescheid 2017 und die (neuen) Sachbescheide 2017 bis 2020 wurde mit Eingabe vom Beschwerde erhoben. Am ergingen die abweisendenden Beschwerdevorentscheidungen. Der bezughabende Vorlageantrag datiert vom . Eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes steht noch aus.

7. Mit Eingabe vom wurde hinsichtlich des Abweisungsbescheides vom die Verlängerung der Beschwerdefrist bis zur Erledigung der Beschwerden gegen die Bescheide betreffend die amtswegige Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2017 und 2018 beantragt. Die Abgabenbehörde hat über diesen Antrag nicht abgesprochen.

8. Am wurde gegen den Abweisungsbescheid vom Beschwerde erhoben. Vorweg wurde festgehalten, dass diese innerhalb offener Frist erstattet werde. Sodann wurde ausgeführt, entscheidend sei ausschließlich die Tatsache der Inanspruchnahme der Besteuerungszuständigkeit durch das deutsche Finanzamt. Es würden keine nova producta, sondern nova reperta vorliegen, die beiden Parteien die Wiederaufnahme des Verfahrens ermöglichen würden.

Ferner wurde beantragt von einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 Abs. 2 lit. a BAO abzusehen und die Beschwerde vom direkt dem Bundesfinanzgericht zur gemeinsamen Entscheidung mit den dort bereits anhängigen Verfahren betreffend Einkommensteuer 2017 bis 2020 weiterzuleiten.

9. Die Beschwerde vom wurde antragsgemäß mit Vorlagebericht vom dem Bundesfinanzgericht übermittelt.

10. Der steuerliche Vertreter hat die Leistungen der Deutschen Rentenversicherung Bund in den jeweiligen Steuererklärungen unter Art. 19 Abs. 2 DBA-Deutschland subsumiert und in Österreich der Besteuerung zugeführt. Dies deshalb, weil der Bf als ***4*** an der ***7*** (***5***) sowie an der ***8*** (***6***) tätig war. Nach Auflösung der jeweiligen Dienstverhältnisse wurde eine Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung als Ausgleich für die aufgegebenen (Pensions-) Rentenansprüche vorgenommen. Zusatzleistung des Bf waren hiefür nicht erforderlich. Vom steuerlichen Vertreter des Bf wurden die Zahlungen der deutschen Rentenversicherung als Surrogat eines Ruhegehalts für Dienste gegenüber einem öffentlichen (deutschen) Rechtsträger beurteilt.

11. Am ergingen die Bescheide des Finanzamtes Neubrandenburg betreffend Einkommensteuer 2019 und 2020; die Leistungen der Deutschen Rentenversicherung Bund wurden als gesetzliche Sozialversicherungsrente unter Art. 18 Abs. 2 DBA Deutschland-Österreich subsumiert und im Kassenstaat (Deutschland) besteuert. Gegen die genannten Bescheide wurde Einspruch erhoben. In einem Schreiben des Finanzamtes Neubrandenburg vom wurde dem Bf - unter Hinweis und nach Wiedergabe der Bestimmungen des § 8 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI - mitgeteilt, die Leistungen der deutschen Rentenversicherung seien kein Ruhegehalt im Sinne des Art. 19 Abs. 2 DBA. Der Bf hat seinen Einspruch mit Eingabe vom zurückgenommen.

12. Für die Jahre 2017 und 2018 hat das Finanzamt Neubrandenburg (bislang) keine Einkommensteuerbescheide erlassen.

II. Rechtslage und Erwägungen:

1. Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Die Wendung "im abgeschlossenen Verfahren" beruht erkennbar auf einem Redaktionsversehen. Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist - wie schon nach der Regelung vor dem FVwGG 2012 - die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (Ritz, BAO7 § 303 Tz 24). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. ).

Mit dem FVwGG 2012 erfolgte eine Harmonisierung der Wiederaufnahme von Amts wegen mit jener auf Antrag (vgl. auch diesbezüglich die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 2007 BlgNR 24. GP 22). Nicht geändert wurde aber insbesondere, dass der Wiederaufnahmeantrag ua die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird, zu enthalten hat (§ 303a lit. b BAO idF vor FVwGG 2012; § 303 Abs. 2 lit. b BAO idF FVwGG 2012).

Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei, bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde (vgl. ). Voraussetzung für eine Wiederaufnahme auf Antrag ist, dass es sich hiebei um eine für den Antragsteller neu hervorgekommene Tatsache handelt (vgl. ; , Ro 2016/15/0036).

2. Artikel 18 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BGBl. III Nr. 182/2002 idF BGBl. III Nr. 32/2012 (DBA-Deutschland) lautet wie folgt:

(1) Erhält eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen oder Renten aus dem anderen Vertragsstaat, so dürfen diese Bezüge nur im erstgenannten Staat besteuert werden".

(2) Bezüge, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der gesetzlichen Sozialversicherung des anderen Vertragsstaats erhält, dürfen abweichend von vorstehendem Absatz 1 nur in diesem anderen Staat besteuert werden.

Art 19 Abs. 2 DBA-Deutschland regelt die Ruhegehälter öffentlich Bediensteter wie folgt:

Ruhegehälter, die von einem Vertragsstaat, einer seiner Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts dieses Staates an eine natürliche Person für diesem Staat, einer seiner Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts geleistete Dienste gezahlt werden, dürfen abweichend von Artikel 18 nur in diesem Staat besteuert werden. Diese Ruhegehälter dürfen jedoch nur im anderen Vertragsstaat besteuert werden, wenn die natürliche Person in diesem Staat ansässig ist und ein Staatsangehöriger dieses Staates ist.

Nach Art. 23 Abs. 2 DBA-Deutschland wird bei einer in der Republik Österreich ansässigen Person die Steuer wie folgt festgesetzt:

a) Bezieht eine in der Republik Österreich ansässige Person Einkünfte oder hat sie Vermögen und dürfen diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach diesem Abkommen in der Bundesrepublik Deutschland besteuert werden, so nimmt die Republik Österreich vorbehaltlich der Buchstaben b und c diese Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung aus.

d) Einkünfte oder Vermögen einer in der Republik Österreich ansässigen Person, die nach dem Abkommen von der Besteuerung in der Republik Österreich auszunehmen sind, dürfen gleichwohl in der Republik Österreich bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen oder Vermögen der Person einbezogen werden.

3. Der Bf bzw. sein steuerlicher Vertreter haben die deutsche Rente als Ruhegehalt öffentlich Bediensteter beurteilt, deren Besteuerung nach Art. 19 Abs. 2 letzter Satz DBA-Deutschland dem Ansässigkeitsstaat (Österreich) zustehen soll. Diese Rechtsansicht hat das Finanzamt Neubrandenburg im Jahr 2022 nicht geteilt.

4. Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB ; , 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB , Koran/Ritz, BAO7, § 303, Rz 23).

Keine Wiederaufnahmsgründe (keine Tatsachen) sind hingegen neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden (; , 96/15/0148; , 2008/15/0215; , Ro 2014/15/0050).

5. Im Beschwerdefall hat der ausländische Staat sein Besteuerungsrecht zunächst nicht ausgeübt. Deutschland hat die Leistungen der Deutschen Rentenversicherung Bund (Rentenzahlungen) erst im Jahr 2022 und zwar nur für die Jahre 2019 und 2020 der Besteuerung unterzogen. Bei einer erst nach Abschluss der wiederaufzunehmenden Verfahren (Bescheide vom und ) erfolgten Ausübung des Besteuerungsrechtes in Deutschland, handelt es sich um neu entstandene, nicht aber um neu hervorgekommene Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit b BAO, weshalb der Neuerungstatbestand vom Bf nicht für die Durchbrechung der Rechtskraft der inländischen Einkommensteuerbescheide herangezogen werden kann. Die bloß bestehende Möglichkeit der Ausübung eines Besteuerungsrechtes für die Jahre 2017 und 2018 durch das Finanzamt Neubrandenburg stellt ebenfalls keine (neue) Tatsache dar. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des geltend gemachten, offengelegten oder sonst bekannt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen lassen (vgl ).

Auf die (weiteren) Einwendungen des Bf braucht daher nicht eingegangen werden. Die Beschwerde war als unbegründet abzuweisen. Die Rechtzeitigkeit der gegenständlichen Beschwerde ist gegeben; hat doch der Bf mit Eingabe vom einen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdefrist hinsichtlich des im Spruch genannten Bescheides gestellt. Über diesen Antrag, der kein bestimmbares Fristende enthält, wurde von der Abgabenbehörde nicht abgesprochen, weshalb seine fristhemmende Wirkung bestehen blieb. Ein Anwendungsfall des § 245 Abs. 4 letzter Satz BAO lag nicht vor.

6. Mit Bescheid vom wurde der Antrag auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2017 und 2018 vom abgewiesen. Dieser Bescheid wurde mittels Beschwerde angefochten. Ebenfalls mit Beschwerde angefochten wurden der Verfahrensbescheid 2017 und die (neuen) Sachbescheide 2017 bis 2020 vom . Es wurde somit kein Bescheid mit mehreren Beschwerden angefochten. Die Voraussetzungen des § 267 BAO sind nicht gegeben, weshalb "eine gemeinsame Entscheidung mit den bereits dort anhängigen Verfahren betreffend ESt 2017 bis 2020" nicht erfolgt (vgl. Beschwerde vom , letzter Satz).

III. Zulässigkeit einer Revision:

Die Revision ist nicht zulässig, weil die zugrundeliegenden Rechtsfragen durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hinreichend beantwortet sind.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.6100169.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at