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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.08.2024, RV/7102205/2018

Umsatzsteuerliche Behandlung der sachwalterischen Tätigkeit einer Rechtsanwältin

Beachte

Revision eingebracht.

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/7102205/2018-RS1
wie RV/7100763/2017-RS1
Leistungen eines Rechtsanwalts, die dieser als vom Gericht bestellter Sachwalter erbringt, sind nach dem UStG 1994 steuerpflichtig. Ob ein nahezu ausschließlich als vom Gericht bestellter Sachwalter tätiger Rechtsanwalt nach der Maßgabe der unmittelbar anwendbaren (vgl – zur Vorgängerbestimmung des Art 13 Teil A Abs 1 lit g der Sechsten Richtlinie – , Kügler) Befreiungsbestimmung des Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen ist, ist anhand sämtlicher maßgeblicher Umstände zu prüfen (vgl , Rn 36). Zwar sprechen das Bestehen spezifischer Vorschriften (vgl dazu , Rn 37) und das mit der Tätigkeit des Sachwalters verbundene Gemeinwohlinteresse (vgl dazu , Rn 38) dabei für eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter. Da nach der im Streitzeitraum geübten allgemeinen Verwaltungspraxis weder (gemeinnützige) Sachwaltervereine noch andere Personen, die Sachwalterleistungen erbracht haben, als Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL anerkannt und deswegen von der Umsatzsteuer befreit wurden, und nach der Maßgabe der einschlägigen zivilrechtlichen Bestimmungen das Entgelt und die Entschädigung des Sachwalters nicht von öffentlichen Stellen, sondern grundsätzlich von der betroffenen Person selbst zu tragen sind, liegen im Ergebnis allerdings keine für die Annahme einer zwingenden unionsrechtlichen Umsatzsteuerbefreiung hinreichenden Anhaltspunkte vor.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch ***1***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom betreffend Umsatzsteuer 2015 und 2016, Steuernummer ***Bf1StNr1***, zu Recht erkannt:

Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist Rechtsanwältin. Die Tätigkeitsschwerpunkte ihrer Kanzlei liegen im Familienrecht, und zwar im Bereich Scheidungsrecht, Erbrecht sowie Sachwalterschaften. Die Bf. erhielt im Jahr 2015 aus ihrer Tätigkeit als gerichtlich bestellte Sachwalterin Entgelte in Höhe von 219.173,16 € und im Jahr 2016 in Höhe von 230.538,51 € (der Gesamtumsatz aus ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin betrug in 2015 226.566,85 € und in 2016 258.125,38 €). In den Bezug habenden Umsatzsteuerjahreserklärungen wurden diese Entgelte aus der Sachwaltertätigkeit als umsatzsteuerfrei erklärt und als steuerpflichtige Einnahmen in diesem Umfang zur Einkommensteuer veranlagt. Mit jeweils am ergangenen Umsatzsteuerbescheiden 2015 und 2016 wurden diese Entgelte jedoch entgegen den Erklärungen als umsatzsteuerpflichtig veranlagt, wobei das Finanzamt begründend dazu im Wesentlichen ausführte, der Europäische Gerichtshof habe mit Urteil vom , C-543/14, Ordre des barreaux francophones et germanophones, festgestellt, dass Dienstleistungen von Rechtsanwälten nicht steuerfrei seien; die Steuerbefreiung iZm Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit (Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSystRL) sei gegenständlich nicht anwendbar.

Gegen diese Umsatzsteuerbescheide 2015 und 2016 erhob die Bf. jeweils am Beschwerden, in der sie die Behandlung der von ihr als Sachwalterin erzielten Umsätze als unecht von der Umsatzsteuer befreit begehrte. Begründend wurde dazu zusammengefasst ausgeführt, dass Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSystRL, wonach "anerkannte Einrichtungen mit sozialem Charakter" steuerfrei zu stellen sind, im Beschwerdefall - wegen des Fehlens einer unechten Umsatzsteuerbefreiung für Sachwalter in § 6 Abs. 1 UStG 1994 - unmittelbar anzuwenden sei. Wie das Urteil des BFH , V R 7/11, zur deutschen Rechtslage zeige, gehöre auch die Tätigkeit eines Sachwalters zu solch "anerkannten Einrichtungen mit sozialem Charakter". Die Tätigkeit eines Sachwaltervereins sei nach , und nach VereinsR 2001 Rz 631 gemäß § 8 Kommunalsteuergesetz iVm §§ 34 ff BAO von der Kommunalsteuerpflicht befreit ("Kranken- und Behindertenfürsorge" iSd § 8 Kommunalsteuergesetz). Dies zeige, dass die Tätigkeit eines Sachwalters nach steuerlichen Bestimmungen - konkret nach dem Kommunalsteuergesetz - sehr wohl als Leistung der "Fürsorge" verstanden werde, auch wenn eine Umsatzsteuerbefreiung vom Gesetzgeber nicht gewährt worden sei. Beantragt werde die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Mit Beschwerdevorentscheidungen jeweils vom wies das Finanzamt die Beschwerden als unbegründet ab, wobei es ausführte, der Europäische Gerichtshof habe mit Urteil vom , C-543/14, Ordre des barreaux francophones et germanophones, festgestellt, dass Dienstleistungen von Rechtsanwälten nicht steuerfrei seien. Zur Nichtanwendbarkeit der Steuerbefreiung iZm Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit (Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSystRL) habe der EuGH auf seine Rechtsprechung zum ermäßigten Steuersatz hingewiesen (, Kommission/Frankreich). Der Gerichtshof habe ausgesprochen, dass ein Mitgliedstaat auf Dienstleistungen, die von privaten Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht erbracht würden, nicht allein aufgrund der Beurteilung dieser Dienstleistungen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden dürfe, ohne insbesondere die Ziele, die diese Einheiten in ihrer Gesamtheit betrachtet verfolgten, und die Beständigkeit ihres sozialen Engagements zu berücksichtigen. Die Berufsgruppe der Rechtsanwälte und "avoues" könne als solche im Hinblick auf ihr Gesamtziel und die fehlende Dauerhaftigkeit eines etwaigen sozialen Engagements nicht als gemeinnützig angesehen werden. Diese Rechtsprechung gelte sinngemäß auch für Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSystRL.

Am beantragte die Bf. die Vorlage ihrer Beschwerden an das Bundesfinanzgericht. Auf das Vorbringen in den Bescheidbeschwerden werde verwiesen, dieses werde vollinhaltlich aufrechterhalten.

Am wurden die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt. Im Bezug habenden Vorlagebericht verwies das Finanzamt zunächst auf die österreichische Rechtslage (Erkenntnis , in dem eine Umsatzsteuerbefreiung von Umsätzen eines Rechtsanwaltes aus einer Tätigkeit als Sachwalter verneint werde) und nahm sodann zum europarechtlichen Aspekt der Beschwerde Stellung. Zu letzterem wiederholte die belangte Behörde im Wesentlichen ihre bereits in den Beschwerdevorentscheidungen vom getätigten Ausführungen. Aufgrund der Unvereinbarkeit einer Umsatzsteuerbefreiung der Sachwalterleistungen der Bf. mit dem UStG 1994 und der MwStSystRL beantrage die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerden gegen die Umsatzsteuerbescheide 2015 und 2016.

Mit Schreiben vom (eingelangt am Bundesfinanzgericht am ) hat der nunmehrige rechtsfreundliche Vertreter den Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zurückgezogen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Fest steht im gegenständlichen Fall, dass die Bf., eine Rechtsanwältin, in den Jahren 2015 und 2016 überwiegend Umsätze aus ihrer Tätigkeit als gerichtlich bestellte Sachwalterin erzielt hat. Für diese Tätigkeit hat die Bf. in jenen Jahren Entgelte in Höhe von 219.173,16 € und 230.538,51 € erhalten, die in den Bezug habenden Umsatzsteuerjahreserklärungen als umsatzsteuerfrei erklärt und als steuerpflichtige Einnahmen in diesem Umfang zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Mit jeweils am ergangenen Umsatzsteuerbescheiden 2015 und 2016 wurden diese Entgelte jedoch entgegen den Erklärungen als umsatzsteuerpflichtig veranlagt.

Streit zwischen den Parteien des gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens besteht darüber, ob die von der Bf., einer Rechtsanwältin, als gerichtlich bestellte Sachwalterin in 2015 und 2016 erzielten Umsätze als unecht von der Umsatzsteuer befreit zu qualifizieren sind.

Dazu ist aus Sicht des Bundesfinanzgerichtes Folgendes festzuhalten:

Zur umsatzsteuerlichen Behandlung der sachwalterischen Tätigkeit einer Rechtsanwältin bzw. eines Rechtsanwaltes hat das Bundesfinanzgericht bereits mit seinem Erkenntnis , dahingehend abgesprochen, dass Sachwalterleistungen einer Rechtsanwältin bzw. eines Rechtsanwaltes umsatzsteuerpflichtig sind, weshalb es in diesem Zusammenhang genügt, auf jenes Erkenntnis zu verweisen und die dort angeführten Feststellungen, Rechtsgrundlagen und Erwägungen zum integrierenden Bestandteil dieser Beschwerdeentscheidung zu erklären. Das Bundesfinanzgericht hat im Erkenntnis , zusammenfassend ausgeführt (s RV/7100763/2017-RS1):

"Leistungen eines Rechtsanwalts, die dieser als vom Gericht bestellter Sachwalter erbringt, sind nach dem UStG 1994 steuerpflichtig. Ob ein nahezu ausschließlich als vom Gericht bestellter Sachwalter tätiger Rechtsanwalt nach der Maßgabe der unmittelbar anwendbaren (vgl. - zur Vorgängerbestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. g der Sechsten Richtlinie - C-141/00, Kügler) Befreiungsbestimmung des Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSystRL als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen ist, ist anhand sämtlicher maßgeblicher Umstände zu prüfen (vgl. Ra 2019/13/0025, Rn 36). Zwar sprechen das Bestehen spezifischer Vorschriften (vgl. dazu Ra 2019/13/0025, Rn 37) und das mit der Tätigkeit des Sachwalters verbundene Gemeinwohlinteresse (vgl. dazu Ra 2019/13/0025, Rn 38) dabei für eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter. Da nach der im Streitzeitraum geübten allgemeinen Verwaltungspraxis weder (gemeinnützige) Sachwaltervereine noch andere Personen, die Sachwalterleistungen erbracht haben, als Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSystRL anerkannt und deswegen von der Umsatzsteuer befreit wurden, und nach der Maßgabe der einschlägigen zivilrechtlichen Bestimmungen das Entgelt und die Entschädigung des Sachwalters nicht von öffentlichen Stellen, sondern grundsätzlich von der betroffenen Person selbst zu tragen sind, liegen im Ergebnis allerdings keine für die Annahme einer zwingenden unionsrechtlichen Umsatzsteuerbefreiung hinreichenden Anhaltspunkte vor."

Unter Verweis auf das Erkenntnis , sind daher die von der Bf. als gerichtlich bestellte Sachwalterin in den Jahren 2015 und 2016 erhaltenen Entgelte von 219.173,16 € sowie 230.538,51 € der Umsatzsteuer zu unterwerfen, weshalb die gegenständlichen Beschwerden gegen die Umsatzsteuerbescheide 2015 und 2016 vom als unbegründet abzuweisen sind.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ra 2019/13/0025, die Rechtsfrage, ob ein beinahe ausschließlich als Sachwalter tätiger Rechtsanwalt als Einrichtung mit sozialem Charakter iSd Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSystRL anzuerkennen ist, offengelassen. Da es somit betreffend diese Rechtsfrage an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, ist spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 6 Abs. 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Art. 132 Abs. 1 lit. g RL 2006/112/EG, ABl. Nr. L 347 vom S. 1
§ 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Verweise
, Kügler


ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102205.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at